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Amtsantritt von Boris JohnsonPopulisten haben gut lachen

Bettina Gaus
Kommentar von Bettina Gaus

Wenn der neue Premier seine vollmundigen Versprechen nicht hält, werden ihm seine Wähler das wohl kaum verübeln. Doch Politik ist kein Spiel.

Vom polarisierenden Provokateur zum verantwortungsbewussten Politiker? Wohl kaum Foto: reuters

M enschen ändern sich nicht über Nacht, schon gar nicht, wenn sie mit ihrem Verhalten erfolgreich sind. Deshalb sind Hoffnungen zwar ehrenwert, Boris Johnson werde sich mit seiner Ernennung zum britischen Premierminister vom polarisierenden Provokateur zum verantwortungsbewussten Politiker wandeln – hat nicht auch er eine zweite, dritte oder 24. Chance verdient? –, aber sie werden enttäuscht werden.

Ebenso wie der in dieser Zeitung geäußerte Wunsch, er könne verhindern, dass Großbritannien in einen „unversöhnlichen Kulturkampf“ schlittere. Das kann schon deshalb nicht gelingen, weil da längst nichts und niemand mehr schlittert. Der Kulturkampf tobt bereits, und zwar nicht zwischen jenen, die den Brexit befürworten und denen, die ihn ablehnen. Für diese Positionen gibt es ja durchaus sachliche Argumente, da müsste nicht gleich die Systemfrage gestellt werden.

Aber es geht gar nicht mehr um einen konkreten inhaltlichen Streit, jedenfalls nicht in erster Linie. Sondern darum, dass es eine steigende Zahl von Leuten gibt, die nur noch Verachtung für die politische Klasse und die demokratischen Institu­tio­nen empfinden, und denen es gefällt, wenn jemand sich nicht an die Spielregeln hält. Nicht nur in Großbritannien übrigens.

Sollte Boris Johnson seine vollmundigen Versprechen nicht erfüllen können oder wollen, dann werden die meisten derjenigen, die ihn gewählt haben, ihm das vermutlich nicht besonders übel nehmen. Schließlich haben sie ihm auch nicht verübelt, dass er während der Kampagne für den Austritt aus der EU dreist gelogen hat.

Die Fangemeinde von US-Präsident Donald Trump stört sich auch nicht an seinen rassistischen Äußerungen und seinen nachgewiesenen Lügen. Und hierzulande kann die AfD noch so rechtsradikal und nationalistisch auftreten – es gibt offenbar keine Grenzüberschreitung, die ihr schaden würde.

Zwei Probleme ergeben sich daraus, und bisher ist noch niemandem eine Lösung dafür eingefallen. Das eine: Politik ist eben kein Spiel. Die Entscheidungen, die von Regierungen und Parlamenten getroffen werden, haben unmittelbaren Einfluss auf die Lebensverhältnisse der Bevölkerung. Der Brexit wird Existenzen vernichten. Das kann man für unvermeidlich halten auf dem Weg zu einem vermeintlich höheren Ziel. Aber lustig ist das nicht. Egal, was für eine Frisur Boris Johnson trägt.

Das zweite Problem ist, dass sich bislang kein Weg abzeichnet, wie diejenigen, die das System und den ganzen politischen Betrieb nur noch satt haben, für eine sachliche Diskussion zurückgewonnen werden können. Solange das so bleibt, haben Populisten weiterhin gut lachen.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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8 Kommentare

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  • Verstörend am Populismus ist, er macht seine Protagonisten wie alle anderen, gegen die er opponiert, schlussendlich zu Opfern seines Streben ins alternativlos propagierte Scheitern aller Spielregeln. Dabei spielen Populisten wie Boris Johnson, Donald Trump im Auftritt als ob sie gegen Spielregeln des Systems rebellieren, die unbekannt dunkle Schattenseite bestehender Spielregeln im strategischen Sinnen, Trachten, diese irgendwie en passant mit brutaler Beinfreiheit über die Zeit zu retten.

    Das Ergebnis könnte sein, was im Kalten Krieg, umstellt von unbewältigten Konflikten, Problemen, innen, außen, weltwirtschaftlich geheimdienstlich verdeckt als Strategie der Spannung innenpolitisch implementiert wurde, Regierungshandeln durch unvorhergesehene Ereignisse wie inzenierte Anschläge, Terror zu steuern, tritt nun mit Populisten an, diese Strategie der Spannung durch technisches Unterlaufen überkommen gesellschaftlicher Spielregeln, als Entertainment zu kapern



    Boris Johnson, Donald Trump sind als Weltpolitik Clowns unterwegs, damit sich alle Blicke, alles mediale Interesse auf sie richtet, während unter Beibehaltung bisheriger Undercover Spielregeln, angereichert durch persönliche Launen, Willkür der Clowns, damit Konflikte, Probleme nicht nur eingefroren bleiben sondern aufgeheizt auf sich zurückgeworfen eskalieren.



    Bezeichnend für Johnson ist wie für alle Brexiteers, sie treten in erzkonservativ imperialer Manier mit dem Anspruch auf Immunität durch außergesetzlichen "Notstand" zur Volksbelustigung ins täglich öffentliche Fettnäpfchen, Fan Publikum bei Laune zu halten, während sie politische Gegner als unpatriotische "Gefährder" an den Pranger stellen. Vergessen aber gleichzeitig, dass sie die Einheit der Nation, ihr Imperium Commonwealth of Nation in brit. Überseegebieten zu verlieren haben. Das aus Feigheit vor Freunden ungeordnet herbeizuführen, was der Alternativnobelpreisträger 1983 Leopold Kohr 1957 in seinem Buch "Breakdown of Nations" regelbasiert entwarf.

  • Es gibt genug Beteiligte, die an der von Bettina Gaus ziemlich genau beschriebenen Situation über Jahrzehnte mitgewirkt haben.

    In Punkto BRD-Geschichte seien jedem hier nochmal Günter Gaus und seine Gespräche, Betrachtungen an Herz gelegt. Da wurde bereits vieles analysiert und vorausgesehen.

    Und heute? Der Politikbetrieb in der „marktgerechten Demokratie“, die Alternativlosigkeit zum neoliberalen Dogma (das eine selbsternannte „alternative“ Populistenpartei natürlich am wenigsten in Frage stellt), aber auch die Unfähigkeit der europäischen „Linken“ supranationale Gegenstrategien zu entwickeln.







    Schließlich, oftmals verkannt, der Mangel an charismatischen Frauen und Männern in der Politik. Bei allem Respekt für Leute, die sich da hinein begeben, die Mittelmäßigkeit, die Einfallslosigkeit schreit zum Himmel.

    Ein Erklärungsansatz für die populistische Welle: Ein Buchtipp aus den 80ern: Neil Postmans „Wir amüsieren uns zu Tode“.

    Die nach außen hin anscheinende Entpolitisierung, die mit dem Einzug der Logik des Entertainments in Medien und Politik stattfand, war natürlich stets ein hoch politisches Geschäft.

    Ich erinnere nur an Leo Kirchs/Springers CDU-nahes Unterhaltungsimperium. Die Zerstreuungsmaschine des Privat-TVs als Generalangriff auf den verwässerten Bildungsauftrag der ÖR-Medien.

    Alles begleitet durch Dauerkampagnen der BILD mit der Erzählung von „den unfähigen, korrupten Politikern“: Politikverachtung als Dauerpredigt. Sowas sickert ein.

    Das Zerstreuungsgeschäft ist an die Stelle von Erkenntnisstreben und Wahrnehmungsanstrengungen getreten. Das politische Urteilsvermögen, besonders anfällig das rechte Spektrum, verkümmert oder konnte sich nie entwickeln. Politik als „Dschungelcamp“ … „sucht den Superstar“. Und der „Winner“ arbeitet heute mit Lüge, Umdeutung von Gut in Böse und dem Dauerappell an niederste Instinkte.

    Und irgendwann setzen sich die Anhänger ins Auto mit durchgeladener Waffe und suchen sich den erstbesten Dunkelhäutigen im Dorf...

  • Bei den nächsten Wahlen haben die Briten ja die Möglichkeit ihm einen Denkzettel zu verpassen.

    Oder ihn zu bestätigen...

  • "Aber es geht gar nicht mehr um einen konkreten inhaltlichen Streit, jedenfalls nicht in erster Linie." Richtig, volltse aller Zustimmungen!

    Ein Typ wie Johnson verkauf den Leuten die Illusions-Emotion: Ich bin euer Kumpel, ich steh für eure Interessen. Das reicht!



    Genau wie Trump für die angeblich Abgehängten, oder Putin der Russland wieder zu Anerkennung verholfen hat und die Leute sich dadurch besser fühlen, gleichwohl es Ihnen tatsächlich schlechter geht.



    Die Etablierten müssen sich dem wohl (etwas) anpassen. Nur Inhalte besser verkaufen reicht nicht mehr, es muss da wieder mehr Emotion und Elan in die Diskussion kommen. Bei den Leuten muss ankommen, dass für sie gekämpft wird, nicht nur dösig rumverwaltet. FfF - macht doch vor wie das geht...mehr davon bitte, auch bei anderen Themen.

    • @Tom Farmer:

      Glauben Sie wirklich, werter TOM FARBER, dass Clowns wie Boris J. getoppt werden sollten? Ich glaube das nicht. Es fehlt nicht an „Emotion und Elan“. Es fehlt an Weitsicht und an Ehrlichkeit – und an Menschen, die damit etwas anzufangen wissen.

      Die Zeit kann nicht zurückgedreht werden. Und das ist auch gut so. Denn wenn sie zurückgedreht werde könnte, müssten sehr viele Dinge anders gemacht werden. Zum Beispiel müsste verhindert werden, dass sich in den Köpfen die Überzeugung festsetzt, es sei legitim, aus den sogenannten niederen Instinkten Profit zu schlagen. Der entsprechende Versuch aber müsste glatt scheitern. Es gibt schließlich keine Beweise dafür, dass das Ergebnis besser ist, wenn alle sich zusammenreißen. Daran muss man schon glauben, bis man es sieht.

      Die meisten Menschen sind nicht wirklich fähig, langfristig zu denken. Schon gar nicht, wenn sie bereits mit dem täglichen Kampf gegen den Untergang vollkommen ausgelastet sind. Mit „Emotion und Elan“ lassen sie sich zwar beschleunigen, aber vorausschauender sehen können sie nicht, wenn sie noch schneller rennen. Sie können nur blinder gehorchen. Genau das aber ist die Ursache für die aktuelle Misere.

      Die Menschen sind einfach unfähig, vernünftig zu urteilen. Sie sind derart auf ihre aktuelle Gefühlslage und die Dringlichkeit der nächsten Aufgabe fixiert, dass sie nicht über den Tellerrand schauen können. Wer sind Sie, werter TOM FARBER, dass Sie annehmen, das ließe sich sinnvoll nutzen? Gott Vater? Ein treuer Anhänger des Gotteskaisertums? Ein Pudel namens Mephisto?

      FfF macht vor, wie Angst vernünftig kanalisiert wird. Wie Probleme behoben werden können, lehrt FfF nicht. Menschen ändern sich nicht über Nacht, schon gar nicht, wenn sie mit ihrem Verhalten erfolgreich sind. Wer als Politiker gegen Boris J. und Co. ankommen will, der muss das Gegenteil beweisen. Das, allerdings, will ich erste einmal sehen, bevor ich es glaube.

      • @mowgli:

        Ich schreibe: Die Etablierten müssen sich dem (etwas) anpassen.. mit den Emotionen und etwas mehr Leidenschaft ..wie bei FfF.



        Und was schreiben Sie dann?



        Keine Ahnung meinerseits, aber nat. weiterhin schönen Aufenthalt in der Blase der 5 %, die alles weiß was die anderen 95% falsch machen und alles nicht können und verstehen...



        Wie überzeugen Sie die 95 % nicht so Schlauen, wie ich wohl auch einer bin, wäre ein echter Ansatz.

  • Wo wir hier schon beim Thema „Zirkus“ sind - Wohin man auch schaut, die Stunde der Clowns hat offenbar gerade geschlagen. Da man traditionell in Europa glaubt, wirklich jeden Scheißdreck aus Amerika übernehmen zu müssen, wird man sich über den ein oder anderen Horrorclown darunter auch nicht mehr sonderlich wundern dürfen.

  • Betreffs der Wahrheitsliebe des B. Johnson hörte ich gestern, dass er gern auf die Wahrheit verzichtet, wenn dafür sein Gag gut ‘rüberkommt!