Ampel-Regierung steht, doch wofür?: Auf den Kanzler kommt's an
Die neue Koalition will arbeitsteilig regieren. Die Grünen sollen dabei quasi im Alleingang für den klimaneutralen Umbau sorgen.
F angen wir mit dem Erfreulichen an. Mit der Ampel kommt der Staat in ein paar Bereichen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit an. Es wird eine doppelte Staatsangehörigkeit geben – damit wird ein altes rot-grünes Projekt verwirklicht, das vor 20 Jahren am Widerstand der Union scheiterte. Cannabis wird endlich legal verkauft werden. Im besten Fall ist das der Einstieg in eine liberale, weniger starrsinnige Drogenpolitik.
Beim Sozialen ist 12 Euro Mindestlohn ein Schritt, um die erniedrigende Ausbeutung im unteren Viertel der Gesellschaft zu mildern. All das kann man nur in einer Regierung ohne Union tun.
Was fehlt, ist in der Sozialpolitik alles, was den Staat Geld kostet. Ob das zum Bürgergeld avancierte Hartz IV höher ausfallen wird, weiß man so wenig wie bei der Kindergrundsicherung. Dazu steht im Koalitionsvertrag eher politische Prosa als Konkretes.
Die Ampel wird jedenfalls klassisch arbeitsteilig regieren. Die SPD bespielt die Ressorts, in denen es um Sicherheit geht – Innenministerium, Verteidigung sowie Arbeit und Soziales. Die FDP bekommt Justiz und Finanzen. Das klingt nach Bürgerfreiheit und dem Kassenwart, der das Geld kontrolliert. Wahrscheinlich der wichtigste Job im Kabinett. Und die Grünen kümmern sich um ihr Gebiet: Klima, Umwelt, Landwirtschaft.
Die Grünen haben wohl zu Recht geklagt
Baerbock und Co haben während des Koalitionsdeals als Einzige öffentlich geklagt. Wahrscheinlich zu Recht. Denn sie haben den schwierigsten Part. Sie sollen für den klimaneutralen Umbau sorgen. Scheitert der, scheitern sie – nicht aber zwingend SPD und FDP.
Dabei ist zweifelhaft, ob sie mit dem um Klima erweiterten Wirtschaftsministerium dafür wirklich den Hebel in der Hand halten. Das Wirtschaftsministerium hat schon seit Langem an Einfluss verloren und taugt nur bedingt, um den komplexen Prozess dieses Umbaus zu steuern. Dass die Grünen auf dem Papier fast so viele Posten haben wie die SPD, ist eher das Bonbon, das die bittere Pille versüßt.
Egal wie gut die Ampel funktioniert – entscheidend ist, ob sie den klimaneutralen Umbau der viertgrößten Industrienation anpackt. Das ist eine gigantische, langfristige Umwälzung, ein Projekt, weit größer als die deutsche Einheit. Es ist zweifelhaft, ob dies wirklich das Projekt der Ampel ist.
Viel hängt dabei vom Kanzler ab. Olaf Scholz kann Merkel Nummer zwei werden, der zurückhaltende Moderator eines komplizierten Dreierbündnisses, der wenig riskiert und auf Sicht fährt.
Wenn die Ampel eine ökologische Fortschrittsregierung sein will, muss Scholz etwas anderes sein. Er muss der Klimakanzler sein, der einen Plan in der Tasche hat. Die Figur, die er im Wahlkampf war. Es wäre eine Überraschung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?