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Amoklauf in WürzburgKeine schnelle Erklärung

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Ist der Attentäter von Würzburg Islamist oder psychisch krank – oder beides? Die Suche nach den Motiven dauert, ist aber wichtig.

Fanatisch? Verrückt? Oder beides? Die Suche nach den Motiven des Täters dauert an Foto: dpa

E in junger Mann aus Somalia sticht in Würzburg mit einem Messer Passanten nieder, tötet drei Menschen und verletzt etliche andere. Erinnert uns das nicht an etwas? Wie war das mit dem Attentäter von Nizza, der mit einem Lastwagen 86 Menschen ermordete? Und geschah nicht ganz ähnliches in Ansbach, wo ein Syrer eine Rucksackbombe zündete und 15 Personen verletzte? Und dann der Anschlag im Regionalzug bei Würzburg, bei dem ein Mann mit einem Beil um sich schlug und vier Menschen schwer verletzte.

Alle diese Täter waren Islamisten. Bei einigen von ihnen steht fest, dass sie zudem erhebliche psychische Probleme hatten. Es liegt nahe, das Attentat vom Freitag auch in die Kategorie vom islamistischen Einzeltäter einzubuchen. Und doch wäre es zum jetzigen Zeitpunkt voreilig.

Die Öffentlichkeit verlangt Erklärungen, jetzt, sofort und möglichst einfache. Aber diese Erklärungen gibt es nicht immer so rasch. Was den Würzburger Attentäter antrieb, ob es Islamismus, Frauenhass oder eine Psychose war oder gar eine Mischung aus allen drei Motiven, lässt sich nicht in ein, zwei Tagen sicher feststellen. Und auch wenn ein Passant den Ruf „Allahu Akbar“ gehört haben will: Ein Beweis ist das nicht, nur ein Indiz.

Es gibt anderseits eine Tendenz, solche Anschläge kleinreden zu wollen, weil man so vermeiden möchte, Rechtsradikalen und Populisten Futter für ihre rassistischen Vorstellungen zu liefern. Auch das ist falsch, es nährt nur die Mär von der gleichgeschalteten Öffentlichkeit. Die Hintergründe der Tat aufzuklären ist zunächst einmal Angelegenheit der Polizei. Es schadet nicht, ihr dabei auf die Finger zu sehen. Fest steht allerdings: Solche und ähnliche Taten treten in jüngerer Zeit vermehrt auf, übrigens auch von rassistisch motivierten Deutschen begangen – man erinnere sich nur an den Anschlag von Hanau.

Psychische Probleme als alleinige Ursache heranzuziehen, ist eine Vereinfachung, die der Bedrohung nicht gerecht wird. Denn so betrachtet wären auch alle Antisemiten ein Fall für betreutes Wohnen im Heim anstatt für den Staatsanwalt. Schließlich ist Judenhass auch eine irrationale Vorstellung.

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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28 Kommentare

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  • Was ist der Unterschied zwischen einem Schizophrenen, der im göttlichen Auftrag den Postboten ersticht, weil er ihn für einen Agenten des Teufels hält, und einem, der glaubt, dass er für das Abschlachten von Ungläubigen mit ewigem Leben und 72 Jungfrauen belohnt wird? Ich kann da keinen entdecken.

  • "Es gibt anderseits eine Tendenz, solche Anschläge kleinreden zu wollen, weil man so vermeiden möchte, Rechtsradikalen und Populisten Futter für ihre rassistischen Vorstellungen zu liefern. "

    Wenn die Bedeutung solcher Anschläge - abseits des unendlich persönlichen Leids dabei - klein ist, dann ist es jedem seine Pflicht dies gegen Populisten auch zu vertreten.

    Und solche Attentate stehen in DE in Punkto Todesursache ganz ganz hier hinten an. Ein psychotischer Gewalttäter, der Menschen umbringt, das sind Taten, die es oftmals nicht einmal in die überregionalen Medien schaffen. Auch der Fall in Würzburg ist solch einer.

    Das Handling solcher Fälle ist in der DE Öffentlichkeit leider zu einem populistischen Dauerläufer geworden. Einzeltäter gibt es da nicht mehr, nur noch die großen Verschwörungen, wo hinter jeglichen fundamentalistischen Bezug eine Armee von Mördern lauert.

  • Es ist nicht möglich, sich vor Menschen, die so etwas vor haben, zu schützen. Es war auch nicht möglich, den Unglücklichen Piloten ab zu halten, die Germanwingsmaschine an den Seealpen zu schreddern. Keine religiösen Hintergründe bekannt. Es ist schlimm, aber es gibt keine Lösung. Wir müssen gerne leben, obwohl da draußen Verrückte aller Couleur herumlaufen und Waffen haben oder sich welche machen.

    • @Maria Burger:

      Sie haben ja leider wahrscheinlich recht…dann können wir uns aber auch von der Illusion verabschieden dass irgendwelchen rechtsextremistischen xenophoben Angriffen wirkungsvoll vorgebeugt werden kann.

  • Beides ist der Fall. Wer den Hintergrund verstehen will soll mal in Somalia leben für ein paar Jahre. Das ganze Religionsgelaber kann man sich finde ich sparen. Die Gewalt die Geflüchtete allenthalben oft erleben ist stark traumatisierend, da braucht es keinen Mansour zur Erklärung. Anders mag es sein bei jemandem der hier aufgewachsen ist. Somalia, wie andere Länder, ist ein failed state. Man kann zwar sicher nicht wegsehen doch wer von dort kommt braucht intensivste psychologische Betreuungsangebote. Die Traumata von unseren Soldaten sind dagegen vermutlich noch harmlos. Und nicht mal die werden richtig betreut. Frage mich echt wie das gutgehen soll. Daher bin ich gegen diese dummen Analysen, denn was bringt der eine oder andere Stempel. Was bringt es, wenn einer unbemerkt durchdreht, man ihm kein islamistisches Motiv oä zubilligen kann und trotzdem nachher Menschen tot sind? Wie normal kann man sein, wenn man aus einem Land kommt, in den Islamisten und Drogenbanden sich Kriege liefern, Fischer nur mit Piraterie überleben können und nur Willkür und Gewalt herrscht? Hell on earth.

    • @sachmah:

      Was mensch als Gesellschaft hierzulande zumindest machen kann und machen sollte, gegen jede Form von Faschismus eintreten - auch gegen Islamismus. Auch Menschen hierzulande haben sich nach voriger hier verbreiteter islamistischer Propaganda ISIS angeschlossen und weitere schließen sich nach Nazi-Propaganda Nazis an bzw. agieren alleine, greifen Personen an, die sie ihrem Feindbild zuordnen ...

    • @sachmah:

      Somalia wird gerne von der ersten Welt als "failed state" bezeichnet, aber wie ist es denn zu diesem Szenario gekommen?

      Und die Sache mit der Piraterie: Wer dringt denn andauernd in deren Gewässer ein, und stört die Fischer dort? Gab mal diesen einen Vorfall eines Maersk-Containerschiffes, sowie eine Verfilmung dazu.



      Ich würde ja sagen: Nötigung durch Interessensdurchsetzung der ersten Welt ohne die Bevölkerung zu fragen. Gibt ein schnelles Konfliktpotenzial. Was selbstverständlich verwerflich ist, ist die Verwendung von Gewalt anstatt Diplomatie oder einfachen Blockadeaktionen auf der Handelsroute.

  • Zitat: „Es gibt anderseits eine Tendenz, solche Anschläge kleinreden zu wollen, weil man so vermeiden möchte, Rechtsradikalen und Populisten Futter für ihre rassistischen Vorstellungen zu liefern.“

    Diese Reaktion ist kindisch. Sie gleicht der von Dreijährigen, die Augen zuzukneifen und die Finger in die Ohren zu stecken. Hass geht nicht weg, wenn er geleugnet wird. Im Gegenteil: Er kann sich erst recht unkontrolliert ausbreiten. Und zwar ganz unabhängig von der Hautfarbe, der Herkunft, vom Geschlecht oder der politischen Überzeugung.

    Nein, psychische Probleme sind nie „alleinige Ursache“ von Hass. Sie manifestieren sich lediglich darin. Psychologisch gesehen handelt es sich beim Hass um eine Affektstörung. Aber solche Störungen kommen nicht aus dem Nichts. Sie entstehen in der Interaktion zwischen Individuums und Gesellschaft. Sie entstehen, wenn Konflikte nicht rechtzeitig gelöst werden, weil Kompromissfähigkeit als Schwäche interpretiert und missbraucht wird.

    In sofern sind tatsächlich auch alle Antisemiten ein Fall für den Psychiater. Sie wollen das nur leider nicht wahr haben. Das entlastet zwar die Krankenkassen, schafft aber zusätzliche Risiken. Die Gesellschaft tut einen Teufel, sich mit diesem Umstand auseinander zu setzen. Sie behauptet einfach, psychische Probleme ginge sie nichts an, denn sie wären eine rein persönliche Sache.

    Sind sie nicht. Wer quer durch die Welt in eine unsichere Zukunft flüchtet (oder in Geflüchteten per se eine Bedrohung für sich sieht), braucht nicht nur was zu essen und ein Dach über dem Kopf. Er braucht vor allem Menschen, die sich mit ihm und seinen Erlebnissen befassen, damit er sie richtig verarbeiten kann.

    Solche Menschen gibt es eindeutig zu wenige im Westen. Warum? Ganz klar: Westliche Gesellschaften brauchen den Hass. Sie werden sonst unregierbar. Das kann natürlich bestritten werden, aber vom Leugnen, wie gesagt, gehen Probleme nicht weg. Sie wachsen sich höchstens zu Katastrophen aus.

  • Soziale Phänomene, wie ein Attentat, sind i.d.R. nicht durch einen Faktor (monokausal), sondern durch ein Faktorenbündel (multikausal) bedingt.

    Seriöse sozialwissenschaftliche Analyse bestimmt diese Faktoren und gewichtet sie.

    Wo immer wir auf eine 1-Faktor-Erklärung treffen, sollten wir äußerst skeptisch sein: Hier haben wir es meist nicht mit rationaler Erklärung, sondern mit Ideologie zu tun, der es um die Propagierung eines Narrativs geht, sei es ein rechtes, sei es ein linkes.

    Und zu solchen Faktoren gehört auch eine psychische Erkrankung - sie kann in der Tat eine herausragende Rolle spielen.[Dies gilt im übrigen auch für den Attentäter von Hanau, der offenbar an einer schweren (paranoiden) Psychose erkrankt war.]

    Und ein Psychotiker mag dann z.B. in der Öffentlichkeit zirkulierende Zerrbilder aufnehmen und auf wahnhafte Weise in ein mörderisches Handeln umsetzen.

    Auch z.B. das Zerrbild Deutschlands als einer rassistischen Gesellschaft (mit einer gewalttätigen Polizei) ist nicht harmlos: es kann bei entsprechend disponierten Menschen toxische Wirkung entfalten – gerade bei Menschen, die neu, und unerfahren, in Deutschland sind.

    Ist mit der Integration dieses Menschen etwas schiefgelaufen? Wie steht es überhaupt um die deutsche Integrationspolitik?

    Dem herrschenden Diskurs mangelt es z.B. an dem Begriff der 'Integrationskazität' - allein der Begriff der 'Integration' wird von Teilen der Linken nicht akzeptiert.

    Vor allem, wenn viele Menschen (aus entfernten Kulturen) in kurzer Zeit kommen, kann das die Integrationskapazität einer Gesellschaft überfordern.

    Wenn die Linke nicht in der Lage ist, real existierende Probleme im Zusammenhang mit Migration ANGEMESSEN UND HUMAN zu thematisieren, werden Rechtsextreme, die diese Probleme unangemessen und inhuman thematisieren, Zulauf bekommen.

    Eine Linke, die jegliche Thematisierung dieser Probleme 'rassistisch' oder 'islamophob' nennt, sorgt für Zulauf auf der Rechten.

    • @Weber:

      Wegleugner der Probleme funktioniert nicht. Dazu ist schon zuviel passiert und wenn nur die Rechten diese Probleme ansprechen, dann werden sie eben gewählt.

  • Danke für den letzten Absatz. Damit ist alles gesagt.

    "Psychische Probleme als alleinige Ursache heranzuziehen, ist eine Vereinfachung, ....."

  • Es gab drei Tote und sieben Verletzte. Alle Toten sind Frauen, von den sieben Verletzten sind fünf weiblich. Deutschland diskutiert über verrückt oder / und islamistisch. Möglicher Frauenhass ist nicht einmal auf dem Schirm. Hallo???

    • @Wondraschek:

      Stimmt

  • Solche Einzeltäter (Attentäter oder Amokläufer) haben doch immer irgendein psychisches Problem. Das sollte immer bedacht werden.

    Es ist unlauter oder wirkt zumindest befremdlich, wenn dieser Hintergrund so selektiv beleuchtet wird: von Links bei Flüchtlingen, von Rechts bei Fremdenfeindlichkeit.

    • @TazTiz:

      Ja stimmt.



      Nicht zu unterschätzen ist die Flexibilität dann der Lager selber:



      Es gibt Rechte die sagen Hitler war links, und Linke die sagen Stalin war rechts.



      Immer gezielt am Problem vorbei. Schubladen suchen, finden, rein damit und dann zu.

  • " Islamist oder psychisch gestört- oder beides?"

    Sorry, aber religiöser Extremismus IST eine psychische Störung.

  • Wahn, Islamismus, Judenhass oder alles zusammen ?



    Im Grunde ist das nicht so wichtig im Einzelfall.



    Wichtiger wäre die Frage ob der Einsatz unserer begrenzten humanitären Mittel durch die Aufnahme, statt Hilfe vor Ort, die effizienteste Art und Weise ist, wie wir begrenzte Hilfsressourcen einsetzen können.



    Wäre dieser Mensch, der jetzt auch sein eigenes Leben zerstört hat, nicht mit Hilfe zu Hause nicht besser durchs Leben gekommen ?

    • @Paul Rabe:

      Ja, Somalia müsste man helfen. Vorschlag wie?

    • @Paul Rabe:

      Ich würde gerne wissen wie wir Islamismus im Ausland bekämpfen und den davon Betroffenen helfen können. Wenn Sie da gute Vorschläge haben bitte ganz schnell her damit, in Afghanistan geht grade alles vor die Hunde.

    • @Paul Rabe:

      Wenn Sie eine Diskussion über stationäre oder ambulante Behandlungen psychisch kranker Menschen anstoßen wollen, achten Sie doch bitte darauf, dass Sie mit Ihrer Formulierung nicht gleichzeitig den Vertreter:innen der Festung Europa das Wort reden. Danke!

      • @Klaus Nowni:

        Eine Festung Europa hätte dieses Verbrechen wahrscheinlich verhindert. Merkel arbeitet seit dem Türkeiabkommen doch schon daran. Marokko kriegt auch Geld dafür, dass sie die Flüchtlinge abfangen.

    • @Paul Rabe:

      Definitiv, außerdem wären 3 Menschen noch am Leben, und ein Kind hätte nicht die Hinrichtung seiner Mutter miterleben müssen. Weniger Ausbeutung weltweit, weniger Armutsmigration wären erstrebenswert. Jeder Mensch hat Recht auf ein sicheres Leben in seiner Heimat, auch wir hier!

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @Paul Rabe:

      Letzteres glaube ich nicht, da Hilfe im gefallenen Staat Somalia nicht richtig möglich ist.



      Aber sie haben grundsätzlich Recht, dass wenn Hilfe vor Ort zu leisten ist, diese effektiver sein kann.



      Wahnsinnige wie dieser hier oder der von Hanau bekommen durch menschenverachtende Ideologien die Waffe in die Hand gedrückt.



      Und der Wahnsinn greift um sich...

    • @Paul Rabe:

      Es ist mir herzlich egal, wie dieser Massenmörder besser durchs Leben gekommen wäre...



      Grundsätzlich stimme ich dem Gedanken aber zu.

    • @Paul Rabe:

      Effiziente Hilfe vor Ort ist alles andere als einfach, viele Entwicklungsilfeprojekte führen an den Bedürfnissen vorbei, viel Geld verschwindet in der Organisation und Bürokratie. Oft ist es effizienter, Leute hier aufzunehmen und auszubilden, die dann mit ihrem hier verdienten Geld ihre Familien im Herkunftsland unterstützen.



      Ob der Mörder von Würzburg woanders, im Heimatland, nicht auch zum Mörder geworden wäre, das kann man nicht wissen.

      • @Kolyma:

        Wie erfolgreich sind den Somalier in Deutschland? Gibt es darüber Statistiken? Das Land hat mit die höchste Analphabetenrate weltweit. Ich habe übrigens einer Kamerunerin, die 2013 nach Deutschland kam viel geholfen. 2018 hat sie die Prüfung zur Altenpflegerin bestanden. Die hat sich konsequent von ihren Landsleuten ferngehalten und kaum Nollywood Filme sondern deutsches Fernsehen geschaut. Das war für ihren Lernerfolg entscheidend! Wer soll Somalier betreuen? Die können meist nicht mal Englisch. Das ist Frustration und ein Leben am unteren Rand der Gesellschaft fast nicht zu vermeiden.

      • @Kolyma:

        Ich vermute er wäre es. Zum letzten Satz.