Alternativen zum Kapitalismus: Der Verwertung entziehen
Am Wochenende diskutieren an der Technischen Universität über 1.400 Teilnehmer:innen über Vergesellschaftung. Wie weit ist Berlin schon gekommen?
Die Grundidee der Vergesellschaftung sei, wirtschaftliche Bereiche der Profitlogik zu entziehen, indem man sie in Allgemeinbesitz überführt, so die Pressesprecherin der Konferenz, Ramona Schmidt. „Dabei geht es nicht nur um Verstaatlichung, sondern auch um Gemeinwohlorientierung und demokratische Mitbestimmung.“ Das betreffe vor allem Infrastruktur, die der Deckung von Grundbedürfnissen diene, wie Wohnen, Energie und medizinische Versorgung.
Vor allem in den 1990er und frühen 2000er Jahren, in den Hochzeiten des Neoliberalismus, wurden massenhaft Landesunternehmen an private Betreiber verkauft. Seitdem ist die Forderung, dass der Staat wieder Zugriff auf die Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge erhalten muss, ein wiederkehrendes Thema der sozialen Bewegungen Berlins.
Das Ende der Privatisierungsorgie
„Vergesellschaftung – Strategien für eine demokratische Wirtschaft“ ist der volle Titel der dreitägigen Konferenz in den Räumen der Technischen Universität Berlin. Auf zahlreichen Panels wird die Eigentumsfrage aus unterschiedlichsten Perspektiven diskutiert. Wie ist Vergesellschaftung praktisch umsetzbar? Welche historischen Beispiele gibt es? Welche aktuellen Kämpfe gibt es?
Livestream Anmeldungen sind nicht mehr möglich, allerdings wird die gesamte Konferenz per Livestream übertragen. Link und Programm: www.vergesellschaftungskonferenz.de. (taz)
„Nach den vollmundigen Versprechungen der Privatisierungslobby haben die Leute am eigenen Leib erfahren, dass es Bullshit war“, sagt Moritz Warnke, Mitorganisator der Konferenz und Referent für soziale Infrastruktur der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die wundersamen Kräfte des Marktes machten sich vor allem an den stark erhöhten Wasser, Strom- und Gasrechnungen bemerkbar.
Den Anfang vom Ende der Privatisierungsorgie in der Stadt machte 2007 der Berliner Wassertisch, der für die Rekommunalisierung der erst acht Jahre zuvor veräußerten Berliner Wasserbetriebe eintrat. 2011 stimmten beim ersten erfolgreichen Volksentscheid in der Geschichte Berlins 98 Prozent für die Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge. Danach kaufte Berlin die Anteile zurück.
2012 gründete die Stadt das kommunale Stadtwerk Berlin Energie mit dem strategischen Ziel der Rekommunalisierung der Energieinfrastrukturen bei Strom, Gas und Wärme. Zusätzlichen politischen Druck entfaltete der Volksentscheid zur Rekommunalisierung der Berliner Energieversorgung, der 2013 nur knapp am Beteiligungsquorum scheiterte. Doch es dauerte bis ins vergangene Jahr, bis die Stadt nach langem juristischen Tauziehen das Stromnetz von Vattenfall für zwei Milliarden Euro zurückkaufte.
Das Bemühen ums Gasnetz, das sich in den Händen der privatisierten Gasag befindet, scheiterte vorerst vor Gericht. Der politische Wille aber ist da, mit Auslaufen der Konzession 2023 einen neuen Anlauf zu starten. Ebenso auf der Agenda des Senats stehen Gespräche mit Vattenfall über den Kauf des Fernwärmenetzes samt der 10 Kohle- und Gaskraftwerke.
Auch abseits des Energiesektors versucht der Staat Kontrolle zurückzugelangen. So wird der Landesbetrieb Grün Berlin die mehr als 2.100 Ampeln der Stadt ab nächstem Jahr wieder in Eigenregie betreiben. Auch will das Land schrittweise in die Rekommunaliserung der Schulreinigung einsteigen.
Gemeinwohlorientierung weiterdenken
Die Erkenntnis, dass es notwendig ist, bestimmte Infrastrukturen unter staatliche Kontrolle zu bringen, statt dem Markt zu überlassen, hat sich also in der Landespolitik durchgesetzt – zumindest bei SPD, Linken und Grünen.
Dabei ist staatliche Kontrolle nicht gleichbedeutend mit demokratischer Mitbestimmung, wie gerade der Wohnungsmarkt eindrücklich zeigt. Um mehr Einfluss auf dem Sektor zu erlangen, setzt vor allem die SPD auf den Ankauf von Wohnungen durch die städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Diese würden aber weiterhin profitorientiert agieren, kritisiert Warnke. Von demokratischer Mitbestimmung, wie DW enteignen sie fordert – etwa durch die Beteiligung von Mieter:innen und Beschäftigten –, könne keine Rede sein.
Eine weitere Gefahr einer bloßen Verstaatlichung sei, dass diese wieder rückgängig gemacht werden könne. Etwa, wenn Berlin wieder pleite ist oder eine marktgläubige Regierung an der Macht sei. „Die große Frage ist: Wie finden wir institutionelle Arrangements, die das verhindern“, so Warnke.
Die Konferenz kann daher auch als Versuch verstanden werden, die bisherigen Bemühungen um gemeinwohlorientierte Infrastruktur konsequent weiterzuentwickeln. Die Umsetzung von DW enteignen könnte als erste Blaupause für eine sozialere und demokratischere Alternative zum Kapitalismus dienen. „Wenn wir die Krisen unserer Zeit lösen wollen, müssen wir eine andere Form des Wirtschaftens finden“, ist sich Schmidt sicher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär
Trumps Wiederwahl
1933 lässt grüßen