Alternative Antriebe im Bahnverkehr: Eine Eisenbahn zum Aufladen
Auf vielen ländlichen Strecken in Deutschland fährt die Bahn wegen fehlender Oberleitungen noch mit Diesel. Taugen batteriebetriebene Züge als Ersatz?
Batteriebetriebene Züge? Fahren Züge nicht sowieso mit Strom?
Nein, nicht alle Züge fahren mit Strom. Auf vielen Nebenstrecken, vor allem im ländlichen Raum, sind nach wie vor Dieselzüge im Einsatz. Ein Dieselzug stößt laut Umweltbundesamt mit 90 Gramm pro Personenkilometer etwa doppelt so viel CO2-Äquivalente aus wie ein elektrisch angetriebener Zug. Das ist allerdings immer noch deutlich weniger als ein Auto mit Verbrennungsmotor.
Wieso gibt es Dieselzüge dann noch?
Weil die Elektrifizierung von Bahnstrecken lange nicht in Angriff genommen wurde. Aktuell sind 62 Prozent des bundeseigenen Schienennetzes mit einer Oberleitung oder einer Stromschiene elektrifiziert. Deutschland liegt damit im europäischen Durchschnitt. Einige Nachbarländer machen es besser. In der Schweiz und in Luxemburg zum Beispiel haben fast alle Strecken eine Oberleitung.
Innerhalb Deutschlands gibt es große Unterschiede zwischen den Bundesländern. In den Stadtstaaten haben jeweils mehr als 90 Prozent aller Strecken eine Oberleitung, in Rheinland-Pfalz und Thüringen sind es weniger als die Hälfte, in Schleswig-Holstein sogar nur ein Drittel. Die meisten Züge fahren aber immerhin dort, wo es schon Oberleitungen gibt.
Bis 2030 sollen 75 Prozent des Schienennetzes elektrifiziert werden, so lautet das Ziel der Bundesregierung. Laut Expert:innen ist das eher unrealistisch. Denn dafür müssten jedes Jahr etwa 600 Kilometer neue Oberleitungen gebaut werden. Für 2025 sind 66 Kilometer geplant.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Gibt es alternative Züge, die ohne Oberleitungen auskommen?
Sogenannte Akkuzüge brauchen Oberleitungen zumindest nur für einen Teil der Strecke. Denn sie funktionieren – ähnlich wie Elektroautos – mit einer Batterie. Statt an einer Steckdose werden Akkuzüge allerdings an einer bestehenden Oberleitung aufgeladen. Und auf nicht-elektrifizierten Nebenstrecken wird der Zug dann von seiner eigenen Batterie angetrieben. Eine Batterieladung ermöglicht eine Reichweite von 80 bis 120 Kilometern.
Um auf ländlichen Bahnstrecken Dieselzüge ersetzen zu können, werden seit einigen Jahren auch Wasserstoffzüge eingesetzt. 2018 ging in Niedersachsen der erste Wasserstoffzug in den Probebetrieb. Bei Wasserstoffzügen reagiert Wasserstoff aus einem mitgeführten Tank in einer Brennstoffzelle mit dem Sauerstoff aus der Umgebungsluft. Dadurch wird Energie erzeugt, die einen Elektromotor antreibt. Als Abfallprodukt entsteht Wasserdampf. Wasserstoffzüge haben eine Reichweite von etwa 800 Kilometer pro Tankfüllung.
Kann man schon mit den neuen Zügen fahren?
Wasserstoffzüge fahren seit 2022 im Norden Niedersachsens. Im selben Jahr wurden einige Regionalbahnlinien in Südhessen auf Wasserstoffzüge umgestellt. Zum Fahrplanwechsel am 15. Dezember sind erstmals in Berlin und Brandenburg Wasserstoffzüge unterwegs.
Akkutriebzüge werden seit vergangenem Jahr in Schleswig-Holstein auf zehn Regionalbahnlinien eingesetzt. So sollen bereits 26.000 Tonnen CO2 eingespart worden sein. Seit März sind auch in Baden-Württemberg Batteriezüge im Einsatz. Mitte Dezember gehen sie in Berlin und Brandenburg in Betrieb.
Im nächsten Jahr werden Akkuzüge in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und im Saarland zum Einsatz kommen.
Was ändert sich für die Fahrgäste, wenn mehr Züge mit Batterie betrieben werden?
Fahrgäste, die nicht regelmäßig mit der Bahn unterwegs sind, werden die Umstellung von Diesel- auf Batteriezüge möglicherweise gar nicht bemerken. Dennoch bieten sich einige Vorteile. Zum einen sind die neuen Züge leiser, was sowohl den Reisekomfort erhöht, als auch die Lärmbelastung für Anwohner*innen senkt.
Da die Akkutriebzüge schneller beschleunigen können als die alten Dieselzüge, kann eine insgesamt kürzere Fahrzeit erwartet werden. Auch kleine Verspätungen könnten aufgeholt werden, so dass Anschlusszüge öfter erreicht werden.
Du liest einen Text aus unserem Zukunfts-Ressort. Wenn Du Lust auf mehr positive Perspektiven hast, abonniere TEAM ZUKUNFT, den konstruktiven Newsletter zu Klima, Wissen, Utopien. Jeden Donnerstag bekommst du von uns eine Mail mit starken Gedanken für dich und den Planeten.
Was sind die Nachteile der neuen Batterie- und Wasserstoffzüge?
Insbesondere Wasserstoffzüge stehen in der Kritik. Das liegt daran, dass die Erzeugung von grünem Wasserstoff sehr energieintensiv und teuer ist. „Bei Wasserstoffzügen geht 60 Prozent der eingesetzten Energie verloren“, sagt Marissa Reiserer, Verkehrsexpertin bei Greenpeace. Außerdem seien Wasserstoffzüge über einen langen Zeitraum deutlich teurer als Akkuzüge. „Grüner Wasserstoff sollte nur da eingesetzt werden, wo er dringend benötigt wird“, ergänzt Reiserer. In der Stahlindustrie und bei Schifffahrten könnte er in Zukunft fossile Brennstoffe ersetzen.
Bei Akkutriebzügen ist der Hauptkritikpunkt derselbe wie bei Elektroautos. Die Batterien enthalten Lithium, einen Rohstoff, der auch in Akkus von Laptops und Handys enthalten ist und der bei Umwelt- und Menschenrechtsaktivist*innen stark in der Kritik steht. Denn der Abbau des Metalls verbraucht nicht nur viel Wasser. Er vergiftet auch seine Umwelt.
Am meisten Lithium gibt es in Chile und Bolivien, wo vor allem indigene Gemeinschaften unter den Umweltfolgen des Rohstoffabbaus leiden. Da Züge mehr Menschen transportieren können als Autos, ist es dennoch besser, wenn der Rohstoff für Zugbatterien anstatt für Elektroautos genutzt wird. Vielleicht kann der Ausbau des Schienenverkehrs sogar helfen, die Nachfrage nach Privatautos zu senken.
Warum werden die alten Züge nicht einfach umgebaut?
Aktuell gibt es in Deutschland keine Pläne, alte Dieselzüge zu Batteriezügen umzubauen. Das liegt daran, dass die Umrüstung aktuell noch sehr teuer und aufwendig ist. In der Schweiz gibt es ein Projekt, alte Rangierlokomotiven für den Güterverkehr mit einem Stromabnehmer und einer Batterie umzurüsten. Das ist besonders interessant, weil Güterbahnhöfe und Anschlussgleise großer Unternehmen oft keine Oberleitung haben.
Im Saarland werden seit diesem Jahr klassische Elektrotriebwagen zu Akkutriebwagen umgebaut, um auch auf Strecken ohne Oberleitung fahren zu können. Der nachträgliche Einbau einer Batterie ist technisch deutlich einfacher als die komplette Umrüstung eines Dieselzuges.
Sind Akkuzüge also die Zukunft?
Akkutriebzüge sind besonders geeignet, um den CO2-Ausstoß im Schienenverkehr zu reduzieren. Bahnexpert*innen gehen davon aus, dass sie sich langfristig auf allen Nebenstrecken durchsetzen werden, wo eine Elektrifizierung mit Oberleitung laut Bahn zu teuer ist. Auch in Debatten um die Reaktivierung stillgelegter Eisenbahnstrecken können Batteriezüge eine wichtige Rolle spielen.
Um die Reichweite der Züge zu erhöhen, werden mancherorts Oberleitungsinseln gebaut, an denen die Batterie unterwegs aufgeladen werden kann. Diese Oberleitungsinseln können für eine spätere vollständige Elektrifizierung der Strecke miteinander verbunden werden. Akkuzüge sind also vor allem als Übergangslösung sinnvoll. „Der Oberleitungsbau muss trotzdem weiter vorangetrieben werden“, sagt Verkehrsexpertin Marissa Reiserer. „Auf den meisten Strecken lohnt es sich und ist machbar.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe