AfD-Delegation will in den Donbass reisen: Putins Helfer im Kriegsgebiet
Abgeordnete der AfD wollen auf Einladung Russlands in die Ostukraine reisen. Der ukrainische Botschafter Melnyk ist empört, Teile der AfD ebenfalls.
Einen entsprechenden Bericht der geopolitischen Nicht-Regierungsorganisation „Robert Lansing Institute“ bestätigte am späten Montagnachmittag der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Christian Blex (AfD) auf seinem Facebook- und seinem Telegram-Kanal. Ebenso bestätigten der Co-Landeschef aus Sachsen-Anhalt, Hans-Thomas Tillschneider, sowie Daniel Wald, beide Landtagsabgeordnete in Sachsen-Anhalt, annähernd zeitgleich die Reise. Anfragen der taz zu Details ließen die Abgeordneten unbeantwortet.
Angesichts der jüngsten Berichte von Massengräbern bei Isjum besonders perfide: Blex schreibt, die Abgeordneten wollten versuchen, sich „direkt vor Ort ein konkretes Bild der humanitären Situation der Menschen in der Donbass-Region zu machen“, und postete dazu eine Anstecknadel mit einer deutschen und einer russischen Fahne. Die Reise findet offenkundig auf freundliche Einladung von Russland statt. Denn bevor es in die Ukraine gehen soll, werde er gemeinsam mit Tillschneider und Wald in die Russische Föderation reisen, schreibt Blex weiter. Laut dem Bericht des „Robert Lansing Institute“ soll die bevorstehende Reise gar unter der Schirmherrschaft des russischen Militärgeheimdienstes stattfinden.
Tillschneider und Wald verschickten ihre Mitteilung zur Reise über die AfD-Fraktion im Landtag und machten darin wie auch Blex Stimmung gegen Medien hierzulande: „Um sich ein eigenes Bild der humanitären Lage zu machen, jenseits der in Kritik stehenden Berichterstattung insbesondere des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, bereise die „länderübergreifende Delegation“ in den nächsten Tagen Russland und plane auch einen Besuch in der Ostukraine.
Ablenkung von russischen Kriegsverbrechen
Nach Infos der NGO, die sich selbst als „eine überparteiliche, gemeinnützige Forschungsorganisation für öffentliche Politik“ bezeichnet, wollten die AfD-Politiker vom 20. bis zum 28. September Teile des russisch besetzten Donbass besuchen – unter der Aufsicht und Koordination des russischen Militärgeheimdienstes. Die Organisation berief sich auf Angaben von Blex vom 12. September, die zunächst nicht verifizierbar waren. Demnach sollte die Delegation ins russische Rostow am Don fliegen und von dort aus in die besetzten Donbass-Gebiete reisen. Die NGO schätzt, dass der Besuch russischen Propagandazwecken dienen soll – wohl auch, um von russischen Kriegsverbrechen abzulenken und mit Desinformationen westliche Militärhilfen zu erschweren.
Die mitreisenden AfD-Abgeordneten sind auch aus der Vergangenheit bekannt für prorussische Positionen: Sie zählen zum extrem rechten Netzwerk um Björn Höcke und haben sich auf dem vergangenen AfD-Bundesparteitag für eine russlandfreundliche Europa-Resolution starkgemacht, über die sich der Parteitag heftig zerstritten hatte. Auch Tillschneider fällt nicht erst seit dem russischen Überfall auf die Ukraine anhaltend mit putinfreundlichen Äußerungen auf. In der Nacht des Überfalls twitterte er gar noch, dass Russland sich nur verteidige.
Der noch bis Mitte Oktober im Amt befindliche ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hatte den Bericht der NGO bereits einige Stunden zuvor geteilt und warf den Abgeordneten vor, mit der Reisen den russischen Vernichtungskrieg zu unterstützen. Der scheidende Diplomat forderte ein Einschreiten und machte das Bundesamt für Verfassungsschutz auf den NGO-Bericht aufmerksam. Auf eine taz-Anfrage ans Innenministerium teilte eine Sprecherin mit: „Der Sachverhalt ist dem Bundesministerium des Innern bekannt.“ Auch beim Verfassungsschutz wollte man sich nicht näher dazu äußern, nehme den Vorgang aber zur Kenntnis, wie es auf taz-Anfrage hieß.
Die AfD-Verbindungen nach Russland kritisierte Melnyk in gewohnt scharfem Ton: So schrieb er dem sachsen-anhaltischen Landeschef Martin Reichardt: „Sie und ihre AfD als fünfte Kolonne Putins in Deutschland befeuern mit Ihrer Kreml-Propaganda die russische Aggression gegen das ukrainische Volk. Sie sollen Ihre Kauleiste zumachen, Sie Kriegsverbrecher-Verharmloser“, twitterte Melnyk, nachdem Reichardt ihn zuvor als „undankbarer Bettler“ in der jüngsten Debatte um Waffenlieferungen bezeichnet hatte. Die AfD-Delegation bezeichnete er als “AfD-Hobby-Putin-Arschlecker“, die als willige Handlanger eines Kriegsverbrechers in die Geschichte eingehen würden.
Empörung auch innerhalb der AfD
Aber auch innerhalb der AfD sorgt die Reise für große Verwerfungen: Während der Vorsitzende des Landesverbands Nordrhein-Westfalen, Martin Vincentz, am Montagabend auf taz-Anfrage noch etwas überrumpelt mitteilen ließ, dass die Reise „mit keinem Parteigremium abgesprochen“ und „privat“ sei, klingt das nach einer Fraktionssitzung am Mittwoch bereits deutlicher: Einstimmig missbilligt die AfD-Fraktion die Reise ihres Abgeordneten Blex. Sie habe ihn aufgefordert, diese unverzüglich abzubrechen und zurückzukehren. Zudem will sie ihm untersagen, im Namen der AfD-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen aufzutreten. Über disziplinarische Folgen soll noch entschieden werden, heißt es.
Demgegenüber genießen Tillschneider und Wald offenbar Rückhalt in ihrer Fraktion – schließlich veröffentlichten sie ihre Reisemitteilung über die Fraktion. Tillschneider ist zudem Co-Fraktionschef.
Auch aus Parteikreisen waren Empörung sowie der Ruf nach Disziplinarmaßnahmen zu hören. Die AfD-Bundetagsabgeordnete Joana Cotar warf Tillschneider vor, von „allen guten Geistern verlassen“ zu sein. Am Dienstagabend befasste sich zudem der Bundesvorstand mit der Reise. Dieser war ebenso überrascht von der Aktion wie der Landesvorstand in Nordrhein-Westfalen.
In seiner Sitzung beschloss der Vorstand allerdings nur einen recht seichten Mehrheitsbeschluss zur Aufklärung. Darin forderte der Vorstand die Reisegruppe auf, Details der Reise „vollumfänglich offenzulegen“ und die Kommunikation mit dem Vorstand abzustimmen. Dezidierte öffentliche Kritik an der Reise gab es aus dem Vorstand der AfD allerdings zunächst keine.
Parteichef Chrupalla sagte am Mittwoch lediglich: „Wir unterstützen diese Reise nicht.“ Ob es Ordnungsmaßnahmen geben werde, ließ er offen. Und auch die Co-Vorsitzende Alice Weidel wiegelte ab: „Grundsätzlich ist es jedem freigestellt, sich vor Ort ein Bild zu machen.“ Es handele sich um eine Privatreise, behauptete Weidel und nannte die Reise dennoch „nicht zielführend“.
Es ist nicht das erste Mal, dass AfD-Abgeordnete versuchen, russische Positionen und Propaganda zu legitimieren. In der Vergangenheit reisten bereits verschiedene AfD-Politiker unter anderem auf die Krim, um dortige Wahlen als Pseudo-Wahlbeobachter*innen zu bezeugen, teilweise offenbar durch den Kreml finanziert, juristisch problematisch ist. Möglich erscheint auch, dass die Reise mit den angekündigten Referenden im Donbass zusammenhängt. Blex etwa reiste bereits 2018 auf die von Russland annektierte Krim.
Auch gaben diverse AfD-Politiker trotz Putins Angriffskrieg russischen Staatsmedien wiederholt Interviews. In einem solchen behauptete der Bundestagsabgeordnete Eugen Schmidt unter anderem, dass Deutschland ein Unrechtsstaat sei.
Stefan Meister, Russlandexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, wertet die Reise nicht nur als Attacke auf westliche Medien und populistische Aktion für die Wählerklientel, sondern auch als Problem für die Bundesregierung, wie er der taz sagte: „Die AfD macht sich zum Unterstützer russischer Politik. In dieser Kriegssituation als Abgeordneter in den Donbass zu reisen und damit auch politisch eine gemeinsame Reaktion der Bundesregierung und der EU auf den Konflikt zu unterminieren, ist problematisch.“
Die AfD unterstütze mit der Reise russische Desinformationen, indem sie Zweifel an Darstellungen und Fakten schüre, so Meister. Darüber hinaus sei die Einreise in die besetzten Gebiete in der Ukraine über Russland nach ukrainischen wie internationalem Recht illegal. Mit viel Gegenwind innerhalb der AfD rechne er dennoch nicht, sagt Meister. Schließlich seien in der Vergangenheit die Verbreitung russischer Desinformationen sowie auch Reisen in Kriegsgebiete wie Armenien oder Syrien weitgehend toleriert worden.
Für Putin sind internationale Verbindungen insbesondere zu extrem rechten bis rechtspopulistischen Strömungen und Parteien ein Mittel, um westliche Demokratien zu untergraben, schätzen Expert*innen. Nicht wenige AfD-Politiker wiederum sehen in Putins autoritären Russland unter Putin einen Gegenentwurf für die von ihnen abgelehnte offene Gesellschaft im Westen.
Auch die AfD-Parteivorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel besuchten in der Vergangenheit Russland, Ersterer sogar wiederholt. Dort ließen sie sich bisweilen wie bei einem Staatsbesuch hofieren. In der Energiekrise setzt die AfD auch ganz offiziell auf putinfreundliche Forderungen, wie etwa das Ende der Sanktionen gegen Russland und die Öffnung der Ostseepipeline Nord Stream 2.
Hinweis: Der Text wurde mehrfach aktualisiert.
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