Rechtsextremist in der AfD: Höcke geht aufs Ganze

Nach dem AfD-Parteitag in Riesa zeichnet sich ab, dass Höcke in zwei Jahren nach der Macht greift. Er ist schon jetzt die mächtigste Person in der extrem rechten Partei.

Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der AfD

Inoffizieller Anführer der AfD? Björn Höcke auf dem Parteitag am 18. Juni 2022 Foto: Sebastian Kahnert/dpa

BERLIN taz | Wer glaubt, der völkisch-radikale Flügel der AfD gebe sich nach dem Bundesparteitag in Riesa zufrieden mit dem erreichten Rechtsruck, dürfte irren. Rechtsextremist Björn Höcke wird weiter kontinuierlich daran arbeiten, seine Macht in der sich seit 2013 stetig radikalisierenden Partei auszubauen. Und letztlich fühlt Höcke sich berufen, die Partei wie den Thüringer Landesverband zu führen. Das heißt: Abweichungen vom Flügel-Kurs werden nicht akzeptiert, er ist der unumstrittene Anführer.

Höckes Führungsanspruch wurde in Riesa deutlich wie selten. Etwa als er sich dafür aussprach, dass die Partei langfristig von einer Einzelspitze geführt werden sollte, dafür aber gegenwärtig noch nicht bereit sei. Und der Parteitag folgte seinen Worten für eine Satzungsänderung: „Dann wählen wir dieses Mal eine Zweierspitze und beim nächsten Mal eine Einerspitze.“

Das bedeutete im Klartext: Höcke wusste, dass er diesen Parteitag noch keine Mehrheit als alleiniger Chef der Partei gehabt hätte. Und solange das der Fall ist, braucht Höcke möglichst opportunistische Platzhalter. Das sind für ihn Tino Chrupalla und Alice Weidel. Der eine nicht gerade als durchsetzungsstark bekannt, die andere innerhalb der AfD fürs Wegducken berüchtigt.

Mächtigste Person in der AfD ist nun Höcke

Es stimmt, dass die Ära Meuthen nach der Abwahl von dessen Bundesvorstand nun endgültig vorbei ist, wie Chrupalla nach seinem nur hauchdünnem Wahlsieg erfreut sagte. Ebenso ist jedoch richtig, dass die Ära Chrupalla nur eine Übergangslösung von Gnaden des rechtsextremen Höcke ist. Der völkische Revisionist hat dem neuen Vorstand Mehrheiten gesichert und Einfluss auf die Liste genommen: Der neue Vorstand ist völkisch dominiert, die Reste des Meuthen-Lagers haben in der AfD nix mehr zu melden.

Die mächtigste Person in der AfD ist nun Höcke. Das zeigte auch der Verlauf des Parteitags. Sein Lager war so übermütig, dass es gleich mehrfach wortbrüchig wurde – und bei den Machtproben zumeist die Oberhand hatte. Die Völkisch-Radikalen brachten die mit Chrupalla vereinbarte Liste aus dem Gleichgewicht: Ohne sich abzusprechen, schickte das Lager mit Christina Baum und Harald Weyel gleich zwei Unberechenbare in den Vorstand, die bei Bedarf für Zoff im Vorstand sorgen können.

Chrupalla zitierte Baum bereits als Fraktionschef im Bundestag zu sich, nachdem diese die Corona-„Zwangsimpfung“ als „Massenvergewaltigung des Volkes“ bezeichnet hatte. Spricht man AfD-Politiker auf Baum an, wird mit den Augen gerollt und abgewunken. Die christliche Fundamentalistin Beatrix von Storch wirkte gar fassungslos nach ihrer Wahl. Baum ist unkontrollierbar, vertritt offen revisionistische Positionen, die Höcke sich derzeit nicht offen auszusprechen traut. Und wie auch Weyel gilt sie als stramme Unterstützerin von Höcke. Baum steht wie keine andere für den Rechtsruck in der AfD.

Aber Höcke machte auch in den inhaltlichen Debatten auf dem Parteitag klar, wer seiner Ansicht nach künftig der Spiritus Rector der Partei ist. Er demontierte den neu gewählten Vorstand, kaum dass der im Amt war. Hatte Chrupalla in den Wochen zuvor noch von Disziplinierung und einem Ende des öffentlichen Streits gesprochen – ließ Höcke ihn eiskalt ins offene Messer laufen. Er brach sofort den nächsten Streit vom Zaun und versuchte eine strittige russlandfreundliche, vermeintliche Europa-Resolution durchzudrücken.

Höcke öffnet Partei für rechtsextreme Organisationen

Das fünfseitige Papier fordert mit verschwörungsideologischer Sprache und antisemitischen Anklängen die Selbstauflösung der EU. Als sich die frisch gewählten Weidel und Chrupalla dafür aussprachen, das Papier noch einmal zu überarbeiten, kam es zum Eklat durch die Völkischen, die eine sofortige Abstimmung erzwingen wollten und dabei den neuen Vorstand grillten, der mit entgleisten Gesichtszügen vorne auf der Tribüne saß.

Erst als Chrupalla sich die Landeschefs verschiedener Verbände auf die Bühne holte und offenbar auf deren Autorität angewiesen war, stimmte der Parteitag dafür, das Papier noch einmal in den Bundesvorstand zu überweisen. Ein Mitglied warf den Völkischen die „Demontage“ des frisch gewählten Vorstandes vor, Flügel-Vertreter wiederum sprachen von „Merkel-Verhältnissen“.

Zuvor hatte Höcke die Partei bereits für eine rechtsextreme Organisation geöffnet und sich dafür eingesetzt, die Scheingewerkschaft „Zentrum Automobil“ von der Unvereinbarkeitsliste zu streichen. Dessen Gründer hat Verbindungen in die militante Neonazi-Szene von NPD, III. Weg und Blood-And-Honour. Die Widerrede der neugewählten Vorstände Marc Jongen und Roman Reusch verpuffte. Sie nannten die Legalisierung von „Zentrum Automobil“ mit Blick auf den Verfassungsschutz und wohl auch die anstehenden Niedersachsenwahlen „Harakiri“ und „politischen Selbstmord“. Höcke setzte sich durch.

Seine Rede dazu sprach Bände: „Fangen wir endlich an, politisch zu denken!“ Die AfD müsste das Bewusstsein stärker werden lassen. „Deswegen bestimmen wir qua unserer eigenen Kraft, unseres eigenen Selbstbewusstseins, unseres eigenen Willens, wer Extremist ist und von wem wir uns abgrenzen.“ Politische Hegemonie fuße auf kultureller Hegemonie. Die erreiche man nicht über den parlamentarischen Weg, sondern durch eine Stärkung des Vorfeldes. Kurzum: Die AfD zeigt den Mittelfinger in Richtung Verfassungsschutz und öffnet sich ins rechtsextreme Vorfeld.

Applaus gab es dann auch nicht zufällig aus Schnellroda: Der „neurechte“ und Höcke-nahe Rechtsextreme Götz Kubitschek sprach vom „besten Vorstand, den die AfD jemals hatte“.

Die Völkisch-Radikalen überspannen den Bogen

Ob Höcke die Machtübernahme in zwei Jahren allerdings gelingt, ist noch offen. Denn eines hat sich auch gezeigt: In Summe hatten die Völkisch-Radikalen auf dem Parteitag den Bogen überspannt. Nachdem der komplette Durchmarsch um die Europa-Resolution noch vermieden werden konnte, zog eine knappe Mehrheit die Reißleine und brach den Parteitag kurzum vorzeitig ab.

Das wiederum dürfte Höcke weniger geschmeckt haben – denn so fielen weiter von ihm beantragte Resolutionen aus. Und noch viel wichtiger: Mit dem Abbruch war auch klar, dass Höcke seine Strukturkommission nicht bekommen würde, mit der er offenbar die Parteistrukturen nach seinem Gusto umbauen wollte. Das Gremium, von dem vielen glauben, dass Höcke damit seine Machtübernahme vorbereiten wolle, sollte unter anderem die strategische Ausrichtung des Bundesvorstands überarbeiten. Inklusive Sanktionsmöglichkeiten für abweichlerische Vorstandsmitglieder, einer besseren Einbindung der Basis und einer Strukturierung der Kaderbildung. Höcke wollte das Gremium leiten, wie parteiintern kolportiert wird.

Der neue Bundesvorstand tagt das erste Mal am Freitag. In dem Gremium sind Machtkämpfe jetzt schon vorprogrammiert. Die Völkisch-Radikalen wollen etwa die Rückkehr von Andreas Kalbitz, Höckes noch immer in der AfD gut vernetztem Strippenzieher. Nachdem dieser von Meuthen aus der Partei gedrängt wurde, hat er gegen die Annullierung seiner Mitgliedschaft erfolglos prozessiert.

Chrupalla hatte sich zuletzt dafür ausgesprochen, dass Kalbitz draußen bleibt, der hingegen dürfte nach veränderten Mehrheiten im Bundesvorstand auf seine Rückkehr hoffen. Gegen das letzte Urteil, das seinen Ausschluss bestätigte, wollte Kalbitz in Berufung gehen. Der Bundesvorstand könnte die Berufung einfach anerkennen und Kalbitz wäre zurück in der Partei. Weil der die AfD vertretende Anwalt Joachim Steinhöfel exakt dies befürchtet, hat er sein Mandat vorsorglich niedergelegt.

Er ist einer der wenigen, die nun nach dem erneuten Rechtsruck das Weite suchen. Von den Resten des Meuthen-Lagers, die sich selbst gern als „bürgerlich“ oder „gemäßigt“ verharmlosen, heißt es nun überwiegend, dass die Radikalen nun halt mal beweisen sollen, wie sie den Abwärtsstrudel von Wahlpleiten und Mitgliederverlust aufhalten wollen. Ensprechend kann man dieses Lage auch nicht mehr „gemäßigt“ nennen. Wer nach Riesa 2022 noch immer in der AfD ist, stellt damit unter Beweis, dass man inhaltlich eben nicht weit weg von den Völkisch-Radikalen ist. Denn Unterschiede sind meist nur nuanciert vorhanden. Die rassistisch-antidemokratischen Inhalte tragen alle in der AfD.

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