piwik no script img

Abwehr von GeflüchtetenSie sind keine Naturkatastrophe

Es braucht keine eigene Fluchterfahrung, um die Unmenschlichkeit der EU-Politik zu erkennen. Aber sie wird noch deutlicher spürbar.

Geflüchtete, die sich bei der Ankunft auf der Insel Lesbos, aufzuwärmen versucht Foto: Michael Varaklas/AP

I ch bin es leid, über meine Fluchtgeschichte zu berichten, in der Hoffnung, Empathie für flüchtenden Menschen zu erzeugen. Empathie bei jenen, die meinen, dass wir nicht alle retten können, die ernsthaft in Erwägung ziehen, Menschen im Mittelmeer ertrinken oder vor der Grenze sterben zu lassen.

Menschen, die sie nur noch als Flüchtlingsströme, Flüchtlingswellen, Flüchtlingsanstürme sehen. Wie Naturkatastrophen, um sie zu entmenschlichen und von uns fernzuhalten. In Österreich wurde ein „Flüchtlingsspiel“ verboten, in dem ein Verein in einer Wiener Schule die Behördengänge, die geflüchtete Menschen in Österreich durchmachen, mit den Jugendlichen nachgespielt hat, mit der Begründung, dass sei zu hart für die Kinder.

Wir wollen keine „Flüchtlingsspiele“ an „unseren“ Schulen, weil wir wollen, dass dieses Leid weit wegbleibt. Wir finden, dass Behördengänge nachzuspielen zu hart für „unsere“ Kinder ist, aber dass afghanische, sudanesische, syrische Kinder ertrinken, verhungern, erfrieren, nehmen wir hin. Wir sagen „Flüchtlingskrise“ und tun so, als wären wir es, die diese Krise hätten und nicht Menschen, deren Heimat zerstört, deren Familien ermordet, deren Leben keinen Wert mehr zu haben scheint.

Europa hätte die Mittel, diesen Menschen zu helfen, stattdessen feuert man mit Tränengas und Wasserwerfern auf Schutz suchende Menschen. Dann gehen die Bilder von diesen Menschen, von denen einige darauf aggressiv reagieren, weil sie sich verteidigen müssen, es tut sonst ja keiner, um die Welt, und wir bekommen Angst vor diesen Flüchtlingen, die vor unseren Grenzen stehen. Die Politik setzt auf diese Bilder. Geflüchtete werden als Druckmittel zwischen der Türkei und der EU eingesetzt, und wir nehmen hin, wenn von „Grenzen schützen“ und „Routen schließen“ die Rede ist, auch wenn das bedeutet, die Schutz suchenden Menschen in den sicheren Tod zu schicken.

Ich bin es leid, von meiner eigenen Fluchtgeschichte zu berichten, in der Hoffnung, Empathie zu erzeugen, denn es geht hier nicht um mich. Auch ich fühle mich ohnmächtig. Mehr als zu spenden und die Politik an ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen zu erinnern kann ich ja auch nicht. Meine Mutter ist mit mir 1992 vor dem Bosnienkrieg geflüchtet. Die Flucht war dramatisch, aber nicht ansatzweise so grausam wie die der Menschen, die sich jetzt in Griechenland befinden. Ich wäre wahrscheinlich trotzdem tot, hätten sich die „Grenzen schließen“-Rufer, die „Wir können nicht alle aufnehmen“-Sager durchgesetzt. Dass die, die das heute sagen, meinen Tod in Kauf genommen hätten, macht auch etwas mit mir, obwohl es nicht um mich geht.

In ein paar Jahrzehnten wird sich die ganze Welt dann fragen, wie das alles möglich war, wie wir alle bloß zuschauen konnten, während Menschen vor unserer Haustür ertrunken, erfroren, verhungert und erschossen wurden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Melisa Erkurt
Autorin "Generation haram", Journalistin, ehemalige Lehrerin, lebt in Wien
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Bliebe eine interessante Frage:



    Wie würden wohl Politiker, Medien und die Bevölkerung im nahen Osten reagieren, wenn in Europa ein Krieg ausbrechen würde und plötzlich eine Welle von europäischen Flüchtlingen an deren Grenzen stünde?

  • Aufklärung oder paternalistisches Gutmenschentum für die Entsorgung des Jugendwiderstands nach Europa im Interesse der heimischen Oligarchien und Rohstoff-Konzerne?

    Drama an der EU-Außengrenze. Wo Europa aufhört.

    Ein Fundstück von Cicero-Redaktion am 9. März 2020.

    »Tausende Migranten aus der Türkei warten an der Grenze zu Griechenland auf eine Gelegenheit, um in die EU zu fliehen. Es sind überwiegend junge Männer, die es bis hierher schaffen. Die Hilfsbereitschaft der Einheimischen ist nackter Angst gewichen.«

    »Es seien überwiegend junge Männer, die es bis hierher schaffen, erfährt man in der Reportage – weniger Familienmit Kindern, wie es andere Berichte gerne suggerieren.«

    »Andere Quellen berichten aber übereinstimmend, nur ein geringer Prozentsatz von ihnen seien Syrer, die Mehrheit komme aus Afghanistan, dem Irak oder dem Iran.«

    Siehe: www.cicero.de/inne...-tuerkei-migranten

    Die vollständige Reportage lesen Sie hier:www.tagesspiegel.d...-auf/25620896.html

    09.03.2020, R.S.

  • In ein paar Jahren wird sich die Welt nichts dazu fragen. Die Welt hat es schon sehr bald vergessen und wendet sich neuen Schlagzeilen zu.

    • @Kristina:

      Es sei denn man bringt ein paar Flüchtlinge bei Ihnen im Dorf unter...dann ist das für die nächsten Jahre sicherlich DAS Dramathema, weil sie dann an allem schuld sind, Geld kosten, Platz wegnehmen usw.

  • "...weil wir wollen, dass dieses Leid weit wegbleibt". Wenn man will das es wegbleibt, darf man es erst gar nicht entstehen lassen. Eigentlich eine simple Erkenntnis.

  • Danke für die klaren Worte, danke für Ihren Mut.

    Es soll niemand von uns später sagen können "wir haben nicht gewusst..."

    • @tomás zerolo:

      Jepp. Woran erinnert mich das bloss...?

    • @tomás zerolo:

      Ich schließe mich an.

      Irgendwann wird vielleicht die Geschichte über das alles richten.