Abschied vom Bodensee: Warten auf das Geröll
Ganz unten in Baden-Württemberg liegt der Bodensee. Noch. Warum es gut ist, dass Deutschlands größter See verschwindet.
In 40.000 Jahren wird der Bodensee zum Glück verschwunden sein. Vielleicht klappt es sogar doppelt so schnell. Ausnahmsweise liegt das nicht an der Klimaerwärmung, auch wenn die Pegelstände im Sommer bereits merklich sinken. Aber so schnell verdunstet ein 60 Kilometer langer See nun auch nicht, zumal der Niederschlag in den Nordalpen in Summe eher nicht weniger wird. Und von dem Wasser, das sich dort sammelt, im Alpenrhein zusammenfließt und bei Bregenz in den Bodensee mündet, speist der sich ja zum größten Teil.
Auf seinem Weg zur Mündung sammelt der Rhein aber nicht nur Wasser ein, sondern auch Alpengeröll, und das wird den Bodensee in geologisch absehbarer Zeit zuschütten. Die Anrainer verzögern den Prozess im Moment zwar noch künstlich. Mit Dämmen wurde die Mündung um fünf Kilometer in den See hinein verlegt, so dass die Steine nicht am Ufer landen, sondern in die Tiefe sinken. Langfristig wird das die Verlandung aber auch nicht aufhalten. Die drei größten Probleme der an Problemen nicht gerade reichen Region sind damit absehbar gelöst.
Nummer 1: Der See zerklüftet die Landschaft, er trennt die Menschen. Nehmen wir mal Überlingen, am nördlichen Ufer gelegen. Es gibt dort zwei Kinos und eine städtische Galerie. Das kulturelle Angebot ist für eine 20.000-Einwohner-Stadt also okay, aber selbstverständlich begrenzt. Eigentlich wäre das kein Problem, eigentlich hat Überlingen nämlich eine große Nachbarstadt. Konstanz, keine 10 Kilometer entfernt, hat 85.000 Einwohner, ein Stadttheater und eine Philharmonie.
Das Wasser aber trennt die Städte. Wer einen Abend in Konstanz verbringen will, muss den See erst umrunden, auf dem Foto oben also von der linken Seite des Wassers auf die rechte kommen, was mit den öffentlichen Verkehrsmitteln eine Stunde dauert und mit dem Auto höchstens bei guter Verkehrslage etwas weniger.
Wohin soll man sich hier verdrängen lassen?
Eine gute Verkehrslage gibt es allerdings selten, weil ständig jemand von der einen Seite auf die andere muss und die Verkehrswege überlastet sind. Am Nordufer beispielsweise hat die B 31 als wichtigste Ost-West-Achse über weite Teile nur eine Fahrspur pro Richtung. Wer in Friedrichshafen hinter einem Laster hängt, kommt auf den 20 Kilometern bis Meersburg nicht an ihm vorbei. Der Umstieg auf die Schiene würde sich theoretisch anbieten, praktisch aber nicht, weil dort kein dichter Takt möglich ist: Die Bahnstrecke auf der Nordseite ist nur eingleisig, unter anderem, weil sie streckenweise direkt am Ufer verläuft und zumindest noch für einige tausend Jahre zwischen Straße und Wasser eingekeilt ist.
Empfohlener externer Inhalt
Die Anbindung an den überregionalen Verkehr ist nicht besser. Von Markdorf in die Landeshauptstadt Stuttgart dauert es mit dem Zug beispielsweise vier Stunden, eine Reise nach Berlin dauert einen Tag. Was den Verkehr angeht, ist die Bodenseeregion eine abgehängte Landschaft.
Allerdings auch nur, was den Verkehr angeht. Und damit kommen wir zu Problem Nummer 2: Die Gegend boomt. Die Zuzüge übertreffen konstant die Fortzüge. Die Arbeitgeber in der Region, Maschinenbauer, Automobilzulieferer und Rüstungsunternehmen, locken mit guten Gehältern. Wohlhabende Ältere schätzen den Bodensee als Altersruhesitz. Mit Ferienwohnungen lässt sich gutes Geld machen und Immobilieninvestoren haben die Region auch längst entdeckt. Am Bodensee herrscht also auch auf dem Land ein klassisches Großstadtproblem: Die Wohnkosten steigen. Wer kein Eigentum und kein ausreichendes Einkommen hat, wird verdrängt.
Nur: Wohin soll man sich hier verdrängen lassen? In der Großstadt bleibt immer noch der Stadtrand. Am See erhöht die Geografie den Druck. Am deutlichsten wird das am Beispiel Konstanz: Die Stadt liegt auf dem Bodanrück, einer Halbinsel im See. Von zweieinhalb Seiten ist Konstanz von Wasser umgeben, an eine halbe Seite grenzt die teure Schweiz. Hinterland gibt es also nur zu einer Seite, was den Druck auf die Immobilienpreise weiter erhöht.
Höchstens für eines ist diese Preisspirale gut: Wer weit genug wegziehen muss, entgeht dem Hochnebel. Das nämlich ist Problem Nummer 3: Entgegen der weitläufigen Annahme scheint am Bodensee nicht immer die Sonne. Im Winter scheint sie sogar außerordentlich selten. Das riesige Wasserreservoir des Sees beschert der Region so viele Nebeltage wie kaum einer anderen im Land.
Aber auch das geht vorbei. Wenn die Verlandung erst mal abgeschlossen ist, wenn die Menschen am ehemaligen Bodensee ihre Geröllhalden bewohnbar gemacht haben, wenn sie zu bezahlbaren Preisen in einer Region der kurzen Wege leben, dann werden sie zwar landschaftlich ein klein wenig verloren haben. Zumindest können sie ihre Landschaft dann aber das ganze Jahr über sehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung