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Abschaffung des Paragraf 218Für das Recht am eigenen Körper

Schwangerschaftsabbrüche sind nicht legal, aber prinzipiell möglich – das ist ein fauler Kompromiss. Die Zeit ist reif, sich vom Paragrafen 218 zu verabschieden.

Frauenrechte müssen immer wieder neu verteidigt werden Illustration: Katja Gendikova

F ür das Recht auf den eigenen Körper war es eine denkwürdige Woche. Jahrzehntelang war in der Bundes­republik klar: Schwangerschaftsabbrüche werden im Paragrafen 218 des Strafgesetzbuchs kurz hinter Mord und Totschlag geregelt. Nicht dass dieses Gesetz nun gekippt worden wäre – so weit sind wir noch nicht. Aber es ist Bewegung gekommen in die Gemengelage rund um den Schwangerschaftsabbruch, und das gleich dreifach.

Erstens wurden die Ergebnisse der Elsa-Studie veröffentlicht. Unglaublich, aber wahr: Bis zu dieser Woche gab es kaum fundierte Informationen über die Situation ungewollt Schwangerer in Deutschland. Wie weit müssen sie fahren, um einen Abbruch zu bekommen? Können sie dabei die von ihnen gewünschte Methode in Anspruch nehmen, also etwa Tabletten nehmen, statt sich operieren zu lassen? Und: Wie ging es ihnen dabei?

Das alles war schlicht nicht bekannt. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Schwangerschaftsabbrüche zu den am häufigsten vorgenommenen gynäkologischen Eingriffen gehören – und dass die Bundesländer gesetzlich verpflichtet sind, die Versorgung ungewollt Schwangerer sicherzustellen. Wie machen sie das, fragt man sich, wenn sie doch über den Stand der Versorgung kaum etwas wissen?

Zum ersten Mal überhaupt hat nun ein Team um die Fuldaer Wissenschaftlerin Daphne Hahn die Versorgungslage untersucht. Befragt wurden dafür auch Ärzt*innen, und nur eine eindrückliche Zahl gleich an dieser Stelle: 24 Prozent derjenigen, die Abbrüche durchführen, wurden deshalb schon einmal bedroht. Der Bundestag debattierte außerdem am Mittwoch ein Gesetz, das ungewollt Schwangere auf dem Weg zu einer Praxis oder Beratungsstelle besser schützen soll.

Seit 153 Jahren im Strafgesetzbuch

Bei den sogenannten Gehsteigbelästigungen stehen Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen Spalier vor den Praxen, halten Bilder zerstückelter Föten hoch. Es ist eine Zumutung. Das dritte Ereignis der Woche in puncto Recht auf den eigenen Körper ist schließlich nicht weniger als historisch: Eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission fordert die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen mindestens in den ersten drei Monaten.

Der Bericht, der der taz vorliegt, ist eindeutig: Nach völker- und verfassungsrechtlicher Prüfung sei die grundsätzliche Rechtswidrigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen „nicht haltbar“. Der Paragraf 218 müsse mindestens verändert, wenn nicht gleich abgeschafft werden. Eine Verbesserung des Status quo ist damit so greifbar wie lange nicht. Seit der Gründung des Deutschen Reichs, also seit 153 Jahren, steht der Zwangsparagraf im Strafgesetzbuch.

Dass das nicht so sein muss, zeigen nicht nur interna­tio­nal immer mehr Beispiele wie kürzlich Frankreich, wo das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gerade in der Verfassung verankert wurde. Auch das EU-Parlament forderte erst diese Woche, das Abtreibungsrecht in die Charta der Grundrechte der Europäischen Union aufzunehmen.

Man muss gar nicht ins Ausland blicken: Während in der BRD Abtreibungen auch nach dem Zweiten Weltkrieg strikt verboten blieben, waren sie für Frauen in der DDR ab 1972 ihr gutes Recht. Die Wiedervereinigung brachte den westdeutschen Frauen mit der bis heute geltenden Lösung – „verboten, aber unter bestimmten Bedingungen straffrei“ – zwar leichte Verbesserungen. Für die ostdeutschen Frauen aber bedeutete das einen massiven Eingriff in ihre Freiheit und Selbstbestimmung.

Abschaffung von § 219a war ein erster Schritt

Jetzt ist die Gelegenheit da, diese Freiheit für alle Frauen hierzulande wiederherzustellen. Lange war das Recht auf körperliche Selbstbestimmung öffentlich kaum Thema. Das hat sich längst geändert, auch dank der jahrelangen Arbeit vieler Feminist*innen. Kristallisationspunkt dieser Entwicklung war der Fall Kristina Hänel: Die Ärztin war 2017 verklagt und später verurteilt worden, weil sie auf ihrer Website darüber informierte, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehme.

Nach dem damals geltenden Paragrafen 219a des Strafgesetzbuchs galt dies kurioserweise als verbotene Werbung. Die Ampel schaffte den Paragrafen zu Beginn der Legislatur ab. Doch für die, die es ernst meinen mit reproduktiven Rechten, ist klar: Diese wichtige, aber im Verhältnis winzige Verbesserung kann nur der Anfang gewesen sein. Dass es hoch hergeht, wenn es um das Recht auf den eigenen Körper geht, ist bekannt.

Einen „Dammbruch für unser Werteverständnis“ sah Unionsfraktionsvize Dorothee Bär auch gleich in den aktuellen Kommissionsergebnissen und stellte die Unabhängigkeit der Kommission infrage – angesichts deren hochkarätiger und breiter Besetzung so uninformiert wie unverschämt. Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei schrieb auf X, vormals Twitter: „Sollte die ‚Ampel‘ Schwangerschaftsabbrüche in den ersten 12 Wochen legalisieren, werden wir beim Bundesverfassungsgericht Klage einreichen.“

Auch jenseits der Union fragen jetzt manche: Was ist denn eigentlich das Problem? Abbrüche in Deutschland seien möglich, heißt es dann. Haltet euch an Pflichtberatung und Wartefrist, dann bekommt ihr, was ihr wollt. Jetzt bitte nicht den nächsten Großkonflikt in der ohnehin schon gespaltenen Gesellschaft. Das Land, so das Argument konservativer, teils auch liberaler Politiker*innen, habe sich 1995 auf einen „Kompromiss“ geeinigt. Und der funktioniere doch auch irgendwie.

Gute Informationen oft schwer zu finden

Aber der faule Kompromiss funktioniert für viele Betroffene in mancher Hinsicht gar nicht. Die Ergebnisse der erwähnten Fuldaer Studie, finanziert vom Bundesgesundheitsministerium, zeigen schwarz auf weiß: Die Versorgungslage ungewollt Schwangerer ist oft prekär. Mehr als die Hälfte der befragten Frauen fand es schwierig, ausreichende und gute Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen zu finden. Von denen wiederum hatte die Hälfte Angst, dass schlecht über sie gedacht wird.

Fast die Hälfte wollte oder musste den Abbruch geheim halten. Mehr als jede vierte Frau musste mehr als eine Einrichtung kontaktieren, um einen Termin für einen Abbruch zu bekommen. 15 Prozent mussten für den Eingriff weiter als 50 Kilometer fahren, mitunter sogar weiter als 100 Kilometer. Was auch daran liegt, dass die Zahl der Ärzt*innen, die Abbrüche vornehmen, seit Jahren sinkt.

Rund 100.000 Abbrüche gibt es jedes Jahr, aber nur rund 1.100 Stellen melden derzeit, dass sie diese durchführen – die Zahl hat sich seit 2003 fast halbiert. Zudem sind die Stellen re­gio­nal sehr unterschiedlich verteilt. Eine ungewollt Schwangere in Bayern hat viel weniger Möglichkeiten als eine in Sachsen oder Berlin. Abbrüche vorzunehmen ist nicht attraktiv. Ganze 65 Prozent der befragten Ärz­t*in­nen sagten, sie hätten Erfahrungen von Stigmatisierung gemacht.

Ihre Arbeit wird nicht als wichtige medizinische Arbeit wahrgenommen, sondern als etwas Schmuddeliges. All das ist eine Folge davon, dass der Paragraf 218 im Strafgesetzbuch steht. Dieser Status quo ist unvereinbar mit dem Umstand, dass eine Frau Grundrechte hat. Sie hat reproduktive Rechte: das Recht, selbst zu entscheiden, ob und wann sie Kinder bekommen will. International ist das als Menschenrecht anerkannt. In Deutschland ist das noch nicht angekommen.

Ampel sollte eigenen Auftrag erfüllen

Die Ampel hat viel versprochen in diesem Bereich – auch über den Schwangerschaftsabbruch hinaus. Passiert ist wenig. Wo ist die bessere Hebammenbetreuung unter der Geburt, wo die Unterstützung bei künstlicher Befruchtung unabhängig von sexueller Orientierung oder Familienstand, wo der kostenfreie Zugang zu Verhütungsmitteln mindestens für Geringverdiener*innen?

Und ja: Wo ist die Streichung des Paragrafen 218, die mit SPD und Grünen zwei von drei Ko­ali­tions­part­nern in ihren Wahlprogrammen gefordert hatten? Wenn es noch eines Arguments für die Streichung bedurft hätte, jetzt ist es da: Die eigens eingesetzte Expertinnenkommission erklärt das grundsätzliche Abtreibungsverbot für überholt.

Und doch reagiert die Ampel bisher mit Zurückhaltung. Der Kanzler, der sich selbst mal als „Feminist“ bezeichnet hat, warnt lediglich vor „Polarisierung“. Aber der Kulturkampf, den er fürchtet, ist längst da. Seien es Kampagnen gegen das Selbstbestimmungsgesetz, seien es Verbote, das Gendersternchen zu nutzen – der Antifeminismus, der sich dieser Tage Bahn bricht, ist Ausdruck eines nach rechts driftenden Diskurses.

Progressive Kräfte haben die Wahl: schweigen aus Angst, dass gehetzt wird – oder die Debatte offen und offensiv führen? Wohin das Schweigen führt, zeigen die USA: Dort kippten rechtskonservative Richter „Roe v. Wade“, jenes Gesetz, das Frauen den Schwangerschaftsabbruch garantierte. Möglich wurde das auch, weil De­mo­kra­t*in­nen es zu lange nicht für nötig gehalten hatten zu thematisieren, wie grundlegend das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ist; oder dieses Recht gar gegen solche Angriffe zu wappnen – in der Verfassung.

Dranbleiben und für Frauenrechte kämpfen

Für Frauenrechte muss immer wieder neu Partei ergriffen, sie müssen immer wieder neu verteidigt werden. Jeder Versuch, sich der Debatte zu entziehen, schadet nicht nur den progressiven Bündnissen in diesem Land, sondern vor allem Betroffenen, in diesem Fall: den Frauen. Unsere Rechte preisgeben, nur weil die AfD geifert? Nein, im Gegenteil, unsere Rechte so grundlegend wie möglich absichern, solange es die Gelegenheit dazu gibt.

Stets ging es in diesem Kampf vor und zurück, manchmal schon schien es, als sei der Durchbruch nah. Doch jetzt ist die Situation günstig wie nie. Die Fakten, wie es ungewollt Schwangeren und Ärz­t*in­nen geht, hat die neue Studie geliefert. Dass der Paragraf 218 in dieser Form nicht mit der Verfassung vereinbar ist, hat die Kommission klargestellt.

Die Ampel, die reproduktive Rechte als erste Regierung hierzulande im Koalitionsvertrag thematisierte, muss ihrem eigenen Auftrag nun folgen. Es geht um mehr als Parteipolitik und vorgezogenen Wahlkampf. Es geht um die Menschenrechte aller gebärfähigen Menschen in diesem Land, der Hälfte der Bevölkerung. Weg mit Paragraf 218.

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Patricia Hecht
Redakteurin Inland
war Chefin vom Dienst in der Berlinredaktion, hat die Seite Eins gemacht und arbeitet jetzt als Redakteurin für Geschlechterpolitik im Inland. 2019 erschien von ihr (mit M. Gürgen, S. am Orde, C. Jakob und N. Horaczek) "Angriff auf Europa - die Internationale des Rechtspopulismus" im Ch. Links Verlag. Im März 2022 erschien mit Gesine Agena und Dinah Riese "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
Dinah Riese
Ressortleiterin Inland
leitet das Inlandsressort der taz. Davor war sie dort seit Oktober 2018 Redakteurin für Migration und Integration und davor von 2016-17 Volontärin der taz Panter Stiftung. Für ihre Recherche und Berichterstattung zum sogenannten Werbeverbot für Abtreibungen, Paragraf 219a StGB, wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Im März 2022 erschien von Gesine Agena, Patricia Hecht und ihr das Buch "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
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29 Kommentare

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  • @HERMA HUHN

    Ich wüsste ja nicht, wen ich da zitiert habe (meine ich ernst, keine Ironie :-)

    Ich weiss nicht. Ich bin (als Mann) ja nie in diese Situation gekommen. Ich hätte meine Rolle darin gefunden, der Frau Solidarität zuzusichern, egal, was sie für eine Entscheidung trifft (und egal, von wem das Kind nun genetisch abstammt).

    Das spiegelt sich übrigens in der deutschen Gesetzgebung mal sehr schön: Vater ist, wer sich dazu bekennt.

    Mal was fortschrittliches.

  • Das ist 30 Jahre her und in Karlsruhe sitzen mittlerweile ganz andere Leute. Die Verfassung bedarf keiner Änderung,nur der Anerkennung,dass das Recht auf Leben kein Recht auf Nutzung des Körpers eines anderen Menschen begründet.

    • @Croissant:

      Und diese Anerkennung zu bekommen, setzt man jetzt einfach mal voraus? Ich halte es für ein probates Mittel, immer mal wieder in Karlsruhe anzuklopfen und zu schauen, was man bei den aktuellen Richtern durchgedrückt bekommt, aber

      a) würde ich mir nicht zu viele Hoffnungen machen, dass sich da so viel geändert hat (die Argumente sind ja nicht neu, nur die Hoffnung, der Zeitgeist möge ihnen etwas Rückenwind geben) und

      b) sehe ich "technisch" nicht, wie eine Entfernung des strafrechtlichen Schutzes des ungeborenen Lebens mit dem Festhalten an dessen grundsätzlicher Schutzwürdigkeit zusammenpassen soll. Wer A sagt, muss auch B sagen.

      Auch "modernere" Verfassungsrichter kommen nicht an der Tatsache vorbei, dass der Lebensschutz absolut gewährt ist. "Ja, es gibt ungeborenes Leben, aber SEIN Schutz ist relativ (bzw. fremdverfügbar)." wird auch denen schwer über die Lippen kommen. Die Entscheidung von 1993 müsste widerlegt werden, und die war ja in ihren Grundgedanken und Wertungen jetzt nicht vorsintflutlich. Es wurde Alles bedacht, was auch heute auf dem Tisch liegt - einschließlich der Unzumutbarkeit einer wirklich durchgreifenden "Austragungspflicht". Deshalb KANN ja auch jede Schwangere das Abtreibungsverbot missachten, ohne auch nur tatbestandlich zu handeln.

      Wie gesagt: Ich seh schon die Berechtigung, es zu versuchen, bezweifle nur die lapidare Basisannahme "Ja, dann muss sich halt Karlsruhe mal so weit bewegen, wie wir das brauchen.". Das KANN passieren, aber diese Selbstverständlichkeit, mit der hier die bisherige Verfassungsrechtslage verbal vom Tisch gewischt wird, die halte ich für völlig überzogen.

      • @Normalo:

        Ganz ehrlich,diese Selbstverständlichkeit,dass es eben keinen absoluten Schutz des werdenden Lebens geben kann und,dass eben ausschließlich in die Rechte der Frauen massiv eingegriffen wird, und zwar bloß aufgrund ihrer biologischen Merkmale,die sich plötzlich als rechtsmindernd oder rechtseinschränkend erweisen,ist längst ein Teil des modernen Grundrechtsverständnisses mit dem wohl nur Deutschland seine Wehwehchen hat.



        Zu diesem Zweck ist es vielmehr erforderlich, die Frauen als eine andere Art zu betrachten,als sich mit Embryonen zu beschäftigen.



        Entweder sind Frauen Menschen,oder sie sind es nicht.



        Wenn sie es sind, dann können ihnen nicht mehr Pflichten auferlegt werden als allen anderen.

        • @Croissant:

          Bei den allerhöchsten Grundrechten bin ich persönlich WEIT glücklicher mit einem Verständnis, das ohne das Adjektiv "modern" als Rechtfertigung auskommt. "Modern" kommt von "Mode". Mir sind Sachüberlegungen lieber.

          Arbeitet man dagegen lieber mit derlei Stimmungsmache, lässt über diese lästige Befassung mit den Rechten des Embryos natürlich trefflich die Nase rümpfen, zumal wenn diese Rechte einem im Weg sind. Fakt ist aber nunmal, dass da ein Leben ranwächst und die Biologie ist, wie sie ist: Könnten Männer - freiwillig oder unfreiwillig - schwanger werden, wären sie effektiv auch Frauen, und es gäbe keine Ungleichheit. Und würden Menschen Eier legen, hätten wir das Dilemma insgesamt nicht - voll unfair das, aber schert es die Biologie? Und ist der Fluch nicht auch ein Segen, den nur Frauen erleben dürfen?

          Was die Unzumutbarkeit einer echten Fremdbestimmung über den eigenen Körper betrifft, hab ich oben schon was geschrieben: Sie ist in der aktuellen Regelung eingearbeitet. Aber diese Regelung stellt das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren eben auch nicht bedingungslos über das Recht des Ungeborenen, ein Leben zu haben. Das wird ja auch umgekehrt als völlig unmenschlich betrachtet. Ich halte es daher für zumutbar, sich beraten zu lassen und die Entscheidung dann rechtzeitig zu treffen, BEVOR man ein fühlendes Individuum töten muss, um seinen Willen zu bekommen. Und ich kann verstehen, dass das Bundesverfassungsgericht das Dilemma auch nicht im Sinne einer Komplettlegalisierung wegwischen wollte. Der moralische Zwiespalt soll rechtliche Realität bleiben, unter anderem DAMIT niemand gedankenlos ein Leben unter den Teppich kehrt, weil es ihm lästig ist, geschweige denn das zur Normalität wird.

          Was ist aus Ihrer Sicht wirklich "untragbar" an diesem Kompromiss, außer dass er ein Kompromiss IST, dass es also nicht NUR darum geht, welche Freiheiten man einer Schwangeren gerne gerne lassen möchte?

          • @Normalo:

            Gut, dann kann ich nur sagen,dass es weder sachlich noch rechtlich irgendeinem Menschen erlaubt ist,den Körper eines anderen für sich zu beanspruchen oder gar über ihn zu verfügen.

            Wenn Sie Biologie ins Feld führen,müssten man dann konsequent prüfen,ob es denn nicht auch eine Möglichkeit gebe einen Kompromiss über Zustimmung zum Geschlechtsverkehr geben sollte.



            Schließlich geht es um etwas ganz Natürliches,das sich Männer durch ihre körperliche Überlegenheit verschaffen können. Es ist auch auf die Entstehung eines neuen Lebens gerichtet,daher wäre es möglicherweise für die Frauen zumutbar, ihre Notwehrrechte diesbezüglich einzuschränken.

            Irgendwie leuchtet es ein, dass es sich um eine grundrechtswidrige Position handelt.



            Männern und Frauen wird gleichermaßen das Recht eingeräumt,sich gegen Fremdbestimmung zu wehren,auch wenn der Andere schwerste Verletzungen davon trüge,oder sogar sein Leben verlöre.

            Auch wird niemand einer staatlichen Aufsicht unterstellt oder zur Beratung gezwungen,wenn man kein Knochenmark oder Blutspender werden will,selbst wenn vielen Menschen dies das Leben retten könnte. Man kann es ja sogar als lästige Idee abtun,ohne dass ein Verfassungsgericht seinen Tanz aufführt.

            Es ist völlig normal,sich selbst vor Gesundheitsrisiken,bleibenden chronischen Erkrankungen und sogar vorm Tode zu schützen,ohne eine Rechenschaft hierfür abglegen zu müssen.



            Es ist untragbar,dass Frauen auf diesem Gebiet nicht als Grundrechtsträger gleich behandelt werden.



            Es ist einfach nur skandalös.

            • @Croissant:

              Wow, die bloße unverschuldete Existenz eines menschlichen Wesens da, wo es nunmal entstanden ist und vorerst nicht weg kann, auf eine ethische Ebene mit der gewillkürten, skrupellosen Triebabfuhr eines Vergewaltigers zu stellen, ist ein Maßstab, mit dem ich echt nicht mehr mitkann. Ich hoffe, dass Sie in ziemlicher Rage sein müssen, um die Polemik so weit zu treiben.

              Sachlicher: Das Abwehrrecht gegen Fremdbestimmung mit so weitreichenden Folgen, wie Sie sie beschreiben, existiert nur gegen rechtswidrige Angriffe. So sehr ich mein Hirn verbiege - eine Schwangerschaft fällt da nicht drunter (zumindest wenn sie aus konsensualem Geschlechtsverkehr resultiert). Und dass man nicht gezwungen werden kann, eine lebensrettende Gewebespende abzugeben, ist in der Tat ein Grenzfall, den ich für diskutabel halten würde, der jetzt und hier aber schlicht unter "whatabouttism" fällt.

              Es bleibt ein Dilemma, das die Biologie uns aufgibt, ohne eine wirklich "saubere" Lösung. Nach dem was ich heute von der PK der Kommission gehört habe, geht die den auch ziemlich hässlichen Weg, das Recht des Ungeborenen vor Erreichung der Lebensfähigkeit ex utero als ein Lebensrecht 2. Klasse auszugestalten, das einfach weniger Schutz verdienen soll und daher im Vergleich zum Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren zurückzutreten hat. Ich kann sehr gut verstehen, warum das BVerfG diese Abstufung bislang immer vermieden hat und lieber über die subjektive Unzumutbarkeit der vollen Achtung des Lebensrechtes geht. Letztlich ist das auch die ehrlichere Umsetzung der Argumente der Verbotsgegner, nur halt nicht mit dem von ihnen gewünschten Ergebnis. Wie gesagt: Ein Dilemma.

  • Der Kommentar lässt leider das juristische Hauptproblem an seinen Forderungen und an den Empfehlungen der Ministerialkommission ziemlich außen vor: Die eigentlich sattsam bekannte Position des Bundesverfassungsgerichts, dass es ungeborenes Leben als Rechstgut gibt und dass der Schutz dieses Rechtsguts ein grundsätzliches strafrechtliches Verbot der Abtreibung gebietet.

    Alles, was in dem Essay gegen dieses Verbot angeführt wird, war im Wesentlichen auch bei den letzten zwei "historischen Gelegenheiten" zur Einführung einer reinen Fristenregelung bekannt, und in beiden Fällen wurde die politisch gewollte Liberalisierung in Karlsruhe zurückgepfiffen. Es ist ist also historisch betrachtet nichts neu.

    Und nur um das mal ganz klar zu sagen: Das Verfassungsgericht muss und darf sich sich bei der Frage nach der grundsätzlichen Schutzwürdigkeit von ungeborenem Leben nicht davon leiten lassen, ob und wie schwer eine solche in Konflikt mit der Selbstbestimmung der der Schwangeren gerät. Diese Interessenabwägung ist eine nachgelagerte Überlegung. Und es darf sich in diesen Fragen auch von niemandem reinreden lassen außer dem Volk als Ganzes: Das Parlament hat nicht das Recht, Artikel 1 des Grundgesetzes zu ändern, und damit auch auf dessen Auslegung keinen Einfluss - eine ministeriale Kommission erst recht nicht. Wie man Karlsruhe umstimmen will, ist daher die eigentliche Kardinalfrage, und sie wird leider hier nicht mit einer Silbe erwähnt.

    Fazit: Das Thema ist wirklich nur juristisch zu klären. Wäre es eine rein politische Frage, hätten wir seit 1974 eine saubere Fristenregelung im Gesetz. Auch 1992 lagen alle Argumente schon auf dem Tisch und wurden politisch verarbeitet. Die jeweils gefundenen Lösungen stehen aber nicht im Gesetz, und der Grund dafür heißt "Verfassungsrecht". Warum kein ausgewiesener Spezialist für dieses in der Kommission saß, ist tatsächlich eine kritische Frage, die sich das Ministerium stellen lassen muss.

  • "... sah Unionsfraktionsvize Dorothee Bär auch gleich in den aktuellen Kommissionsergebnissen und stellte die Unabhängigkeit der Kommission infrage – angesichts deren hochkarätiger und breiter Besetzung so uninformiert wie unverschämt."



    /



    Die taz berichtete unlängst und auch zur Kommission ausreichend, übrigens im Netz abrufbar:



    taz.de/Schwangersc...tschland/!5919262/



    /



    Frau Bär war sicher nicht uninformiert...



    ...aber sicher indigniert.



    /



    "Die Kommission ist beim Bundesgesundheitsministerium (BMG) angesiedelt, aber auch die Ministerien für Justiz und Familie waren an der Besetzung beteiligt."



    /



    www.aerzteblatt.de...-beruft-Kommission

  • Wer eine vollständige Streichung des §218 fordert, muss klar aussprechen, was das heißt: Schwangerschaftsabbrüche wären bis einschließlich neunten Monat legal. So sehr ich für eine Verlängerung der Fristenregelung plädieren würde, so absurd erscheint mir eine gänzliche Streichung.

    Der Verweis auf die 153 Jahre StGB ist absurd - das trifft auch auf Raub und viele andere Straftaten zu.

    Vielleicht noch ein letzter Hinweis an die Autorin: natürlich reden Frauen ungern über Abtreibungen. Mein Geschlecht redet auch selten über erektile Dysfunktion. Und meine Besuche beim Proktologen sind jetzt auch eher selten Thema beim Kollegenstammtisch.

    Aber hey, ich bin nur ein Mensch, der als Mann gelesen wird. Was weiß ich schon....

    • @RagnarDannesjkoeld:

      Nein, ohne Paragraph 218 wäre nicht automatisch eineAbtreibung im achten Monat legal.



      Abtreibungen müssen als medizinischer Eingriff wie jeder andere natürlich auch geregelt werden. Und dabei kann durchaus geregelt werden, dass eine Abtreibung eines bereits lebensfähigen Fötus nicht vorgenommen werden darf, solange keine zwingenden medizinischen Gründe vorliegen.



      Es ist ja auch bei allen anderen medizinischen Eingriffen nicht notwendig, das Strafgesetzbuch zu bemühen, um sie zu regeln.

    • @RagnarDannesjkoeld:

      Eine Streichung führt lediglich zur Neuregelung im Gewand eines Rechts oder Anspruchs,keinesfalls zum Recht auf Abbruch auf Verlangen im x-beliebigen Schwangerschaftsmonat.

      Ihre potentielle erektile Dysfunktion wird höchstens mit ein wenig schmunzeln begegnet und anstandslos behandelt. Sie müssen sich ja auch keiner staatlichen Zwangsberatung unterziehen oder gar die Gründe angeben,warum Sie denn so gerne Ihre Sexualität ausleben möchten.



      Vor allem steht es nicht im StGB.



      Mhm,ja etwas weniger Mansplaining wünscht man sich ja schließlich auch.

  • @NOTIZEN AUS TAIWAN

    Ich weiss nicht, was der Vater da verloren hat. Meinen Sie den biologischen Vater? Das Bisschen genetischen Materials? Echt jetzt?

    • @tomás zerolo:

      Das Zitat, auf welches Sie sich beziehen scheint verloren.



      Aber ganz so einfach von der Hand zu weisen, ist der Einwand leider nicht.



      Auf psychologischer Ebene will ich dem Erzeuger eine Beteiligung an der Entscheidung nicht absprechen. Sofern er rechtzeitig von der Schwangerschaft erfährt hängt er mit drin. Da kann sich kein Mann mit "das bisschen genetisches Material herausreden.



      Falls die Frau sich für das Austragen entscheidet, gilt diese Ausrede ja auch nicht mehr.



      Und wenn die Frau sich anders entscheidet als der Mann, kann das durchaus eine emotionale Belastung sein, der man etwas respektvoller begegnen kann, als Ihr "echt jetzt?" zeigt. Ja, das macht das Dilemma noch größer als es sowieso schon ist. Aber wenn es einfach wäre, müssten wir nicht immer noch darüber diskutieren.



      (Nur um das klarzustellen: Meiner Meinung nach wiegt die Selbstbestimmung der Frau in dieser Gleichung am meisten, aber weniger als 100%)

  • "Weg mit Paragraf 218."-Da kann ich nur zustimmen.



    Und wenn dann eine Frau Bär von der CSU sich aufregt, das keine religiösen Vertreter in die Kommission berufen wurden, dann fragt man sich wirklich in welchem Land sie lebt und ob sie eventuell ihren Beruf verfehlt hat, wenn sie sich der Trennung von Kirche und Staat nicht mal bewusst ist. Und es ist auch immer wieder so, das gerade diese ach so "christlichen" Parteien politisch nicht mehr ganz so christliche Werte zeigen wenn das Kind erstmal da ist.



    Im übrigen wurde mit dem gesetz 1972 in der DDR auch die Pille für alle kostenlos, da wäre ich auch dafür zumindest wie hier gesagt für Geringverdiener.



    Und wenn ich nach Amerika schaue wird mir ganz anders wie die gerade in die Steinzeit zurück wandern und Politiker Gesetze verabschieden ohne auch nur eine Ahnung zu haben, was dies in der Praxis für Konsequenzen hat. Und die Konsequenzen waren, dass die Gesundheit und das Leben etlicher Frauen in Gefahr gebracht wurde. Ein Gericht in Arizona hat jetzt erst erlaubt das ein Abtreibungsverbot von 1864 zur Anwendung kommen kann, bei dem auch Abtreibungen im Falle von Vergewaltigung und Inzest verboten ist! Nein Danke. 218 abschaffen und das Recht auf Abtreibung in die Charta der Grundrechte der Europäischen Union aufnehmen.

    • @Momo Bar:

      Be careful what you wish for...

      Mit dem § 218 entfiele auch die Strafbarkeit einer Abtreibung ohne den Willen der Schwangeren. Auch die Tötung eines voll empfingungs- und lebensfähigen Kindes bei vollem Bewusstsein kurz vor der Geburt wäre erlaubt.

      Wollen Sie das, oder ist Ihnen die Frage eigentlich nicht wichtig genug, um über den platten Slogan hinauszudenken?

      • @Normalo:

        Das stimmt einfach nicht, es würde einfach bei Körperverletzungsdelikten eingefügt.



        Medizinische Eingriffe ohne Einwilligung stellen grundsätzlich eine Körperverletzung dar.

        Selbst nach heutiger Rechtslage sind Abbrüche theoretisch bis zur Geburt möglich,vorausgesetzt es liegt eine medizinische Indikation vor.

        Irgendwie finde ich es etwas unlauter Fehlinformationen zu verbreiten,obwohl die jetzige Normierung bekannt,auffindbar und leicht abrufbar ist,neben der Tatsache,dass eine Streichung samt Neuregelung vorgestellt wurde.

        • @Croissant:

          Natürlich ist Papier geduldig. Aber ich habe bislang weder die Argumente, warum die aktuelle Regelung entgegen der gültigen Verfassungsrechtsprechung verfassungswidrig sein soll (gerade bei Artikel 1-Einschlag eigentlich ein Widerspruch in sich), noch eine vorgeschlagene Neuregelung finden können. Die vom Spiegel veröffentlichten Inhalte des angekündigten Abschlussberichts lassen eher darauf schließen, dass die Kommission Vieles offen lässt - ob die Beratungspflicht beibehalten werden sollte und was zwischen Früh- und Spätphase der Schwangerschaft gelten soll zum Beispiel. Wie die verbleibenden Verbote und Pflichten kodifiziert werden sollen oder ob sich die Kommission dazu überhaupt äußert, bleibt unerwähnt.

          Daher nur soviel: Eine Verlagerung in die Körperverletzung wäre redundant, was die Mutter betrifft, denn in der Tat ist schon jetzt ein Abtreibung ohne ihre Zustimmung eine Körperverletzung in Tateinheit mit strafbarer Abtreibung. Es würde daneben implizit bedeuten, dass mögliches Opfer nur die Mutter sein kann, sprich das Ungeborene kein geschütztes eigenes Lebensrecht hätte - und das auch im fortgeschrittenen Schwangerschaftstadium.

          Wie will irgendwer DAS in Karlsruhe durchdrücken?

          • @Normalo:

            In meinem Kommentar steht es würde dann "hinzugefügt".



            Dies heißt nichts anderes,dass ein Abbruch ohne Einwilligung den Tatbestand der schweren Körperverletzung ergänzen könnte.

            Die Streichung heißt Neuregelung,unter anderem auch die Abschaffung der Zwangsberatung.



            Wünschenswert wäre eine Umwandlung in einen Beratungsanspruch oder Beratungsangebot.

            Ich hatte ja die Ehre,diese Rechtsprechung zu analysieren und musste feststellen,dass es bei der jetzigen Rechslage weder einen Lebensschutz gibt, dass die verfassungsrechtliche Rechtswidrigkeit sich nicht in der strafrechtlichen wiederspiegelt, dass Abbrüche zur Berzfsfreiheit der Ärzte zählt, dass ja sogar die Kosten von der KK übernommen werden können.



            Viel Lärm um nichts.



            Karlsruhe hat sich längst im Etikettenschwindel verloren, jetzt gibt es die Möglichkeit eben das zu sagen,was es auch schon 1993 getan hat.



            Folgenlose vermeintliche verfassungsrechtliche Rechtswidrigkeit ist eben keine.

      • @Normalo:

        Das ist ja wohl nicht was die Kommission gefordert hat (auch nicht was in dem Gesetz von 1972 in der DDR stand). Vielleicht sollten sie die Empfehlungen der Kommission erstmal lesen bevor sie so etwas behaupten. Es steht auch zweimal im Text das der Paragraph 218 so wie er jetzt ist nicht mit der Verfassung konform ist, das eine generelle Strafbarkeit von Abtreibungen nicht haltbar ist. Die Kommission empfiehlt das bis zum 3. Monat eine Abtreibung generell straffrei bleiben soll. Und hier mit dem Argument zu kommen das dann plötzlich Abtreibungen gegen den Willen der Frau legal werden, ist ja wohl völlig absurd schon allein weil dort auch andere Tatbestände wie Körperverletzung, Verletzung der Selbstbestimmung etc greifen können und es dem Gesetzgeber frei steht, in diesen Fällen neue Regelungen zu schaffen.

        • @Momo Bar:

          Ich bezog mich auf Ihr "" Weg mit Paragraf 218."-Da kann ich nur zustimmen.".

          Wenn die Kommission darüber hinaus zu dem Ergebnis kommt, dass die jetzige Regelung nicht verfassungskonform sei, dann liegt sie damit zumindest einen Punkt unterschlagen: Die jetzige Regelung entspricht der geltenden Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts, und das hat hierzulande das letzte Wort, was verfassungskonform ist und was nicht. Es kann seine Meinung ändern, aber solange es das nicht tut, ist der bisherige Stand für die gesamte Staatsgewalt verbindlich. Ich sehe auch nicht, dass es auf Zuruf dieser Kommission die Grundlage seiner Rechtssprechung, den Schutzauftrag für ungeborenes Leben, vollständig über Bord schmeißen wird.

      • @Normalo:

        Ich bitte Sie, die Rechte von ungeborenen Kindern in dieser Diskussion keine Rolle.

  • "All das ist eine Folge davon, dass der Paragraf 218 im Strafgesetzbuch steht. "

    Ich habe es schon unter mehrere andere Artikel dieser Schlagseite geschrieben, aber ich kann mich nur wiederholen: Was macht es, rein logisch, für einen Sinn, das eine komplett gleichbleibende Gesetzeslage und Rechtsprechung über zwanzig Jahre zu einer dramatischen Reduktion des Angebotes an Abtreibungen führen soll? Wieso sollen Ärzt*innen jetzt ein Problem mit einer Gesetzeslage haben, mit der sie vorher offenkundig keines hatten? Die schlechte Versorgungslage hat aus meiner Sicht sehr wenig mit der Strafbarkeit zu tun.

    Das die Komission zu dem Schluss kommt, das der Paragraph 218 in dieser Form nicht mit der Verfassung vereinbar sein solle, halte ich auch ehrlich gesagt für eine ziemlich steile These - schließlich haben die Eltern des Grundgesetzes sowie das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen die Existenz dieses Paragraphen niemals ausdrücklich für verfassungswidrig erklärt.

    Gerade der Blick auf die USA zeigt zudem, wie kritisch es ist, diese Debatte ohne Not wieder aufzureißen. Der jetzige Kompromiss funktioniert auf der rein rechtlichen Ebene gut. Die Versorgung muss - wieder - verbessert werden, in dem Anreize für Ärzt*innen geschaffen werden, Abtreibungen durchzuführen (ohne, dass diese dazu gezwungen werden). Ich glaube weiterhin, dass diese Debatten "um das Prinzip" letzten Endes keine Verbesserung bewirken werden, sondern das Gegenteil, weil die meisten Menschen zwar grundlegend für ein Recht auf Abtreibung sind, aber weitaus weniger Menschen willens sind, sich auf eine deutlich liberalere Ausgestaltung eines solchen zu einigen.

    • @Agarack:

      "...schließlich haben die Eltern des Grundgesetzes sowie das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen die Existenz dieses Paragraphen niemals ausdrücklich für verfassungswidrig erklärt."

      Im Gegenteil - die jeweiligen Bundestagsmehrheiten haben sich jeweils einen Nasenstüber für zu weite Aushöhlung des Abtreibungsverbots geholt. 1993 hat das Verfassungsgericht ausdrücklich in die Leitsätze geschrieben, dass das grundsätzliche, auch als solches strafbewehrte Verbot ein MUSS ist.

      Ich habe ein wenig den Eindruck, diese Kommission ist losgeschickt worden mit dem Auftrag zu unterstellen, dass das Verfassungsgericht NICHT an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalten wird. Andernfalls wäre sie weitgehend sinnlos gewesen, da diese Rechtsprechung kaum mehr als ein paar semantische Detailänderungen am aktuellen Regelungsinhalt gestatten würde. Ob man das Gericht - informell - mal gefragt hat, ob man so eine Änderung seiner Rechtssprechung auch korrekt unterstellen DARF, bleibt natürlich das sahnige Geheimnis der Beteiligten. Ich würde es eher bezweifeln.

  • Schon wieder ein Artikel, der das juristische Dilemma nicht aufzulösen weiß. Auch die Kommission war dazu nicht in der Lage. Schade. So wird das BVerfG am Ende Rechte ungeborener Kinder wohl höher halten als sich Aktivistinnen wünschen.

    Schade, daß die so ungeschickt agieren.

  • Wichtig ist doch, dass wir das Kinderkriegen fördern und Familien und Frauen es ermöglichen, so viele Kinder zu bekommen, wie es die freie Entscheidung der Frau will. Auch hier müssen wir die Frauenrechte stärken, so dass Abbrüche nicht aus ökonomischen Entscheidungen erfolgen.

    • @Elias-Nathan Stern-Herrmann:

      Wenn eine Frau sich die Pille nicht leisten kann und deswegen schwanger wird, darf sie also keinen Abbruch vornehmen?



      Die Entscheidung für oder gegen Kinder erfolgte immer schon auch aus ökonomischen Gründen. Das hat mit der Abtreibungsproblematik gar nichts zu tun.



      Ungewollte Schwangerschaften gar nicht erst entstehen zu lassen, ist dagegen ein heres Ziel. Welches aber erfahrungsgemäß nie gut genug erreicht werden kann, um das Dilemma um die Abtreibung zu lösen.

  • „Mein Körper gehört mir“ - nicht nur in der Abtreibungsfrage

    Zitat: „Während in der BRD Abtreibungen auch nach dem Zweiten Weltkrieg strikt verboten blieben, waren sie für Frauen in der DDR ab 1972 ihr gutes Recht. Die Wiedervereinigung brachte den westdeutschen Frauen mit der bis heute geltenden Lösung – „verboten, aber unter bestimmten Bedingungen straffrei“ – zwar leichte Verbesserungen. Für die ostdeutschen Frauen aber bedeutete das einen massiven Eingriff in ihre Freiheit und Selbstbestimmung.“

    Eine dankens- und bemerkenswerte Erinnerung, die den meisten der nach 1990 geborenen Frauen hierzulande erfolgreich verheimlicht wird. Da beißt die Maus keinen Faden ab: Wie beim §175 hatte auch beim §118, also zwei ganz wesentlichen Rechtsfeldern der individuellen Freiheit und Selbstbestimmung, die DDR gegenüber der FDGO der Bonner Republik eindeutig die Nase vorn - unabhängig davon, was sonst noch über die Menschenrechtslage in der DDR zu sagen bliebe…

    Was den Slogan „Mein Körper gehört mir“ anbetrifft, verständlicherweise die griffigste und Losung der Befürworter einer bedingungslosen Abtreibungsrechts, so gilt sie konsequenterweise nicht nur in der Abtreibungsfrage…

    • @Reinhardt Gutsche:

      "der individuellen Freiheit und Selbstbestimmung, die DDR gegenüber der FDGO der Bonner Republik eindeutig die Nase vorn"

      ...oder eben beim Schutz des ungeborenen Lebens ganz kräftig das Nachsehen. Kann man so oder so sehen, es ist eben eine Abwägung. Die einseitig in eine Richtung getroffen zu haben, muss nicht falsch sein, aber ein Verdienst an sich ist es auch nicht.