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80 Jahre nach der BombardierungNeonazidemo läuft durch Dresden

Seit Jahren nutzen Neonazis die Bombardierung im Zweiten Weltkrieg für ihre Zwecke. Trotz Blockaden marschierten sie am Samstag durch die Stadt.

Die Neonazis mussten in Dresden an lautem Gegenprotest vorbei Foto: Christian Mang/reuters

Dresden taz | Mit einer Hand auf das Knie gestützt, bückt sich der Polizeibeamte in Schutzmontur nach unten. „Stehen Sie freiwillig auf?“, fragt er den Mann, der als letzter an diesem Samstag auf Ostra-Allee in Dresden sitzt, um die Route des neonazistischen „Gedenkmarsches“ zu blockieren. Vor etwa 80 Jahren trafen die Luftangriffe der Alliierten auf NS-Deutschland die Stadt Dresden. Neonazis nutzen seit mehr als 25 Jahren das Datum für ihre politischen Zwecke. Auch dieses Mal protestierten tausende dagegen – doch sie konnten den Marsch nicht verhindern.

Eine dreiviertel Stunde zuvor saßen neben dem Mann auf der Ostra-Allee noch etwa 70 weitere Menschen. Doch die Polizei hat einen nach dem anderen hinter die Absperrung getragen. Der verbliebene Mann reagiert nicht auf die Ansprache. „Dann geb ich Ihnen jetzt mal ihre Brille in die Hand“, sagt der Polizist, geht dann um den Mann herum und zieht ihn mit einem Griff unters Kinn vom Asphalt nach oben.

Durch die Innenstadt streiften den Samstag über kleinere Gruppen von Aktivist:innen, offensichtlich auf der Suche nach einem Weg auf die Neonazis-Route. Eine Sitzblockade am Dresdner Zwinger saß von elf Uhr an bis in den späten Nachmittag auf der Straße. Andere Blockadeversuche verhinderte die Polizei, teilweise mit Pfefferspray und Schmerzgriffen.

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Proteste in Dresden

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Am Samstagnachmittag konnten dann in diesem Jahr schätzungsweise 2.000 Neonazis und andere Rechtsextreme durch Dresden ziehen. Nicht so viele wie vor zwanzig Jahren, als er noch als größter regelmäßiger Neonazimarsch Europas galt. Doch es waren deutlich mehr als zuletzt. Auf Telegram feierten die rechtsextremen Freien Sachsen das als Errungenschaft. Doch sie blieben nicht unbehelligt: Auf ihrer Route liefen sie immer wieder an lautem Gegenprotest vorbei.

Pfefferspray gegen Sitzblockade

Schon um halb elf waberten Bässe über die Elbe in die Altstadt. Zwei Stunden, bevor sich die Neonazis versammelten, demonstrierten bereits mehrere hundert Menschen auf der Augustusbrücke. „Gegen den deutschen Opfermythos“, hieß es auf einem Banner. „Kampf dem Faschismus“, auf einem anderen. Die ersten Reihen des Demozugs skandierten „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“ und „Nie wieder Deutschland, nie wieder Dresden“. Auf der anderen Seite der Altstadt zog ein zweiter, ähnlicher Protest in Richtung des Versammlungsorts der Neonazis. Über Stunden blieben die De­mons­tran­t:in­nen in der Innenstadt.

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Anne Herpertz (Piraten), die beim Bündnis „Dresden WiEdersetzen“ den Protest mitorganisiert hat, zeigte sich am Abend zufrieden, auch wenn die Neonazis laufen konnten. „Es ist uns mit Tausenden gelungen, die Naziroute zu verkleinern“, betont sie. Das sei ein Erfolg. Allerdings kritisiert Herpertz das Vorgehen der Polizei: „Es gab absolut unnötige Härte beim Räumen von Demonstrant:innen, jede Menge Schmerzgriffe und Pfefferspray in die Masse.“

Die Polizei hatte vorab angekündigt, Ziel des Einsatzes am Samstag sei die „Wahrung der Grundrechte aller Versammlungsteilnehmer“ und Konflikte zu entschärfen. Wegen der starken Mobilisierung rechneten die Beamten mit einer konfrontativen Versammlungslage. Vor Ort waren Beamte aus acht Bundesländern und von der Bundespolizei.

Beim „Gedenkmarsch“ stellten sie am Samstag 39 Verstöße gegen das Versammlungsgesetz fest. „Unter anderem hatten Teilnehmer Protektorenhandschuhe, Einhandmesser, Schlagringe und Pfefferspray dabei oder trugen Springerstiefel. Weitere Männer zeigten verbotene Zeichen auf ihrer Kleidung oder hatten diese sichtbar tätowiert“, heißt es in einer Mitteilung.

Den Marsch hatte in diesem Jahr Lutz Giesen angemeldet. Früher war er aktiv in neonazistischen Kameradschaften, heute sitzt er für die Freien Sachsen im Kreistag Mittelsachsen. Gegen Mittag trafen nach und nach immer mehr Neonazis in Szenekleidung beim Versammlungsort am Bahnhof Mitte ein. In den Reden sprachen sie über das „Weiße Europa“ und über die vermeintlichen Fakten zur Bombardierung Dresdens.

Historischen Forschungen zufolge starben bei den Angriffen der Alliierten vom 13. bis zum 15. Februar 1945 etwa 25.000 Menschen. Die Zahl sei zu gering, hieß es auf der Kundgebung

Unter anderem auf einem Banner mit NPD-Logo hieß es dieses Jahr erneut, es habe 350.000 Tote gegeben. Auf einem anderem stand, es sei ein „Bombenholocaust“ gewesen, eine Verharmlosung des industriell durchgeführten Massenmords an sechs Millionen Jü­din­nen und ­Ju­den. Mit dem Begriff beschäftigte sich bereits in den vergangenen Jahren die Generalstaatsanwaltschaft Dresden. Die stellte jedoch das Verfahren ein, die Bezeichnung sei nicht strafbar.

Anmelder Lutz Giesen schimpfte, die offiziellen Zahlen seien Lügen. Und am Schluss lobte er noch die Dresdner und Deutschen von 1945, die trotz des Bombardements „bis zum letzten Tag dem Feind standgehalten haben“.

Menschenkette in Dresden

Zum offiziellen Gedenken hatte die Stadtregierung selbst am Donnerstag zu einer Menschenkette um die Altstadt aufgerufen. Laut einer Pressemitteilung nahmen 10.000 daran teil, darunter neben Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und der britische Botschafter Andrew Mitchell. Seit 2010 ist die Menschenkette mittlerweile zur Tradition geworden. Damals sollte sie symbolisch die Dresdner Altstadt von den Neonazis abschirmen. In diesem Jahr war sie dafür ein bisschen zu früh.

Am Samstag stellen sich trotzdem Tausende den Neonazis entgegen. Das sei gut, meint der Dresdner Steve Hollasky. Mit warmer Mütze gegen die Kälte gewappnet, demonstriert auch er am Samstag in der Altstadt. „Dass das wieder der größte regelmäßige Neonaziaufmarsch in Europa wird, darauf hat hier natürlich niemand Lust.“

Für Hollasky gehe es aber nicht nur darum, den „Gedenkmarsch“ durch Blockaden zu verhindern. Es brauche zusätzlich eine soziale Politik, statt der aktuell in Sachsen drohenden Sparmaßnahmen. Die Rechtsextremen seien schließlich die, „die vom Frust der Gesellschaft profitieren können, wenn zu viel gespart wird. Gleichzeitig sind sie auch diejenigen, die massiv bei Armut sparen wollen.“

Doch aktuell sieht es nicht danach aus, als ob sich die Sparpolitik in Sachsen oder der Bundesrepublik ändert. Insofern dürfte es auch im 81. Jahr nach der Bombardierung zu einem „Gedenkmarsch“ in Dresden kommen – und zum entsprechenden Gegenprotest.

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17 Kommentare

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  • Die Nazis waren die Essenz des Bösen auf diesem Planeten.

    Ohne Mitgefühl, ohne Gnade.

    80 Jahre später anzukommen und rumzumotzen, die Alliierten seien aber so gemein gewesen Dresden, so eine schnuckelige Nazi-Hochburg, zu bombardieren, ist mit Infantilismus allein auch nicht zu erklären.

    Jetzt können wir spekulieren, wo sind die stehengeblieben, was ist das Problem? Kann man helfen?

  • Zur Einordnung der Flächenbombardements in das Völkerrecht empfehle ich "Die toten Städte" des britischen Philosophen Hr. Grayling.



    Zur Einordnung der Zerstörung Dresdens gibt es mind. ein Dutzend mehr oder weniger guter Bücher inklusive Fotobänden und Romanen.



    Die letzten 70 in Dresden verbliebenen Juden erhielten am Morgen des 13. Februar 1945 die Nachricht ihrer Deportation am Folgetag (?). Im durch das Bombardement ausgelöste Chaos konnte sich ein Teil retten (nachzulesen in "LTI" von Hr. Klemperer).



    Das Bomber Comand der RAF unterhielt eine eigene Architekturabteilung, wo dt. Innenstädte hinsichtlich ihrer Brennbarkeit untersucht wurden.



    Das Bomber Command erhielt als einzige Waffengattung der brit. Streitkräfte nicht die höchste Kriegsauszeichnung, obwohl es den höchsten Blutzoll zu entrichten hatte. Sein Kommandeur, Marshall Hr. Harris, hat sich nach dem II. WK tief frustriert nach Südafrika in den Ruhestand zurückgezogen.

  • Die grausamen und menschenverachtenden Bombardements der Bevölkerung, die viele zivile Todesopfer, auch sehr viele Kinder, forderten, politisch zu instrumentalisieren finde ich schlimm. Nach heutigen Standards waren das sicherlich Kriegsverbrechen, ein Eingeständnis der Briten oder eine Entschuldigung ist bis heute nicht erfolgt, schade. Trotz allem darf niemand diese Geschehnisse für seine politischen Zwecke missbrauchen.

  • Empfehle dazu: "Der Brand - Deutschland im Bombenkrieg 1940-1945" von Jörg Friedrich.

    • @Trabantus:

      Umgekehrt empfehle ich Ihnen, die Rezension dieses 'Buchs der Aufrechnung' in der taz vom 10.12.2002



      sowie weitere (6) differenzierende Besprechungen großer deutscher Tageszeitungen von FR bis FAZ, die im Internet unter jörg friedrich der brand, Link "Der Perlentaucher", kompakt nachlesbar sind.

  • Immer schön, mit anzusehen wie die Polizei als willige Helfer Neo-Nazis den Weg, notfalls auch mit Gewalt, freimacht. Hat ja auch Tradition.

  • Mal ne Frage: warum kommt man eigentlich in Deutschland in den Knast wenn man Steuern hinterzieht, aber man kann ungehindert rumdemonstrieren als Faschist? Sehe nur ich da eine Schieflage in der Abwägung?

    • @Jalella:

      In D kommen nur ein paar kleine Fische in den Knast wegen Steuerhinterziehung, vielleicht mal einer aus höheren Einkommensverhältnissen der zu doof war sich besser zu verstecken. Die wirklich "richtigen" Steuerbetrüger, die werden von bestimmten Parteien regelrecht geschützt.

      • @Perkele:

        Da haben Sie vollkommen recht. In Deutschland kommt man allerdings auch ins Gefängnis wenn man Klimaschützer ist. Aber wenn man der Klimawandelverursacher ist, dann bekommt man von den Politikern den 'Roten Teppich' ausgerollt.

        Und 'rechte Elemente' sind anscheinend auch schützenswerter als 'linke Protestierende' in diesem Land, deshalb werden die Protestierenden ja auch sofort von der Straße geschleift (taz: „Dann geb ich Ihnen jetzt mal ihre Brille in die Hand“, sagt der Polizist, geht dann um den Mann herum und zieht ihn mit einem Griff unters Kinn vom Asphalt nach oben.), damit die Rechten weiterhin ungestört durch deutsche Städte "marschieren" können.

        So ist das halt in diesem Land, und das wird sicherlich bald noch viel "lustiger" werden.

  • Man darf in der Tat nicht vergessen, dass es die Nationalsozialisten und ihr Verbrecherregime waren, die durch ihren gnadenlosen Angriffskrieg gegen ganz Europa, die USA und andere Staaten den Grund für den Luftangriff auf Dresden geschaffen haben.

    Wir sollten auch daran denken, dass die aktuellen Probleme der ostdeutschen Bundesländer (geringere Vermögen, geringere Einkommen, eine schlechter entwickelte Wirtschaft etc.) in der DDR begründet sind und die deutsche Teilung selbst eine direkte Folge der vom Naziregime verfolgten Politik war.

    Wenn jetzt wieder einige Leute glauben, mit denselben Ideen von vor 90 Jahren irgendetwas Positives erreichen zu können, sollten wir sie unbedingt daran hindern, denn es wird genauso in die Katastrophe führen wie damals.

    • @Aurego:

      Naja, der "Grund für die Luftangriffe" war einzig und allein der Entschluss der Alliierten den Willen der Zivilbevölkerung zu brechen.



      Das darf auch mal ruhig verurteilt werden.



      Mit verurteilen meine ich aber keine Inszenierung von diesen Rechtsextremisten.

      Die aktuellen Probleme in ostdeutschen Ländern nur auf die DDR zu schieben ist auch stark vereinfacht. Da haben die Heuschrecken, die nach der Wende einfielen, auch was dazu beigetragen.

      • @Barnie:

        Noch etwas zur DDR: Dass die Wirtschaftspolitik der DDR- Führung viel mit der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit ostdeutscher Betriebe zum Zeitpunkt des Mauerfalls zu tun hat, kann man natürlich komplexer furmulieren. Dass im Abverkauf durch die Treuhand jede Menge kaputtgemacht wurde, ist sicherlich richtig. Das lief aber auch deshalb so, weil die Betriebe nicht wettbewerbsfähig waren. Allerdings hätte man vom Westen aus weniger arrogant agieren und die Menschen viel stärker einbeziehen müssen. Dennoch geht es den meisten Menschen in den ostdeutschen Bundesländern heute wirtschaftlich besser als 1989.

      • @Barnie:

        Vieles von dem, was in einem Krieg geschieht, ist zu verurteilen. Das ändert jedoch nichts daran, dass für das gesamte Kriegsgeschehen in erster Linie der Aggressor verantwortlich ist.

  • Ob diese Neonazis schon mal mitgekriegt haben, dass Deutschland den 2. Weltkrieg gestartet hatte, der über 60 Millionen Menschen das Leben kostete?

    Deutschland ist extrem milde dabei weggekommen.

    Vorschlag wäre, dass diese Ewiggestrigen und chronisch Unzufriedenen einmal im Jahr quer durch die Republik robben um sich bei den Alliierten zu bedanken.

    • @shantivanille:

      Der positive Nebeneffekt dieser Idee ist doppelt befriedigt fürs Land: Die brauchten dafür eh ein Jahr und könnten ergo bis in Ewigkeit weder ihren Hass demonstrieren noch sonst Unheil anrichten. Gefällt mir sehr gut!

  • Ich denke, die Bombardierung und Ermordung von 25.000 Zivilisten darf man auch als TAZ mal verurteilen. Das ist nicht rechts.

    • @Wonneproppen:

      Aus den 25.000 Opfern eine Erzählung von 350.000 zu basteln hingegen schon.



      Sie finden den Naziaufmarsch also gerechtfertigt?