80 Jahre Kriegsende: Wie konnte die Bombardierung Hamburgs richtig sein?
Beim Luftangriff auf Hamburg 1943 starben 40.000 Menschen. Bis heute streiten britische Historiker über das ethische Dilemma der „Operation Gomorrha“.

E s ist ja keineswegs so, dass acht Jahrzehnte nach dem Ende des Kriegs gegen das nationalsozialistische Deutschland nicht noch größere Wunden in vielen Stadtbildern zu sehen wären. Dass diese gewisse Hässlichkeit deutscher Städte nicht einen historischen Grund hätte. Pforzheim, Dessau, Chemnitz, Berlin, Kiel, Kassel, Köln oder auch Hamburg waren wesentlich durch britische und amerikanische Bomben planiert worden. Sie alle waren mit Fliegergeschwadern heimgesucht worden, weil es dort um kriegswichtige Industrien ging, sie sollten planiert, unwirksam gemacht werden. Großzügige Straßennetze waren in vielen dieser deutschen Städte nach 1945 angelegt worden.
In Hamburg ist die einst – und schon während der NS-Zeit – als Ost-West-Straße als zweieinhalb Kilometer lange und sechs Autospuren breite Achse mitten durch die Innenstadt gelegt worden. Was bis heute dazu führt, dass der Kern der Stadt wie durch eine Autobahn von der Elbe getrennt geblieben ist – auch dies: eine Kriegswunde, deren Untertunnelung seit jeher an der Autolobby scheitert. Aus der einstigen Hauptkirche St. Nikolai, ist inzwischen ein Mahnmal im Gedenken an den Zweiten Weltkrieg geworden, der beschädigte Bau politisch bewusst nie zu einstiger Pracht wieder gebracht worden.
Hamburg hat allerdings noch ein anderes Areal, einen ganzen Stadtteil, Hammerbrook und Hamm-Süd, zu bestaunen, dem in der Geschichte des Kriegs gegen den Nationalsozialismus ein besonderer Rang zukommt. Vom 24. Juli bis 3. August 1943 bombierten Fliegerstaffeln der Royal Air Force in der von ihnen so genannten „Operation Gomorrha“ die führertreue Millionenstadt.
Bis in jüngste Zeit wird in der britischen Geschichts- und Militärwissenschaft erörtert, ob diese Bombardement nicht völkerrechtswidrig waren. Mehr als 40.000 Menschen kamen bei diesen Angriffen ums Leben, der Dichter Wolf Biermann hat die Grauen des sommerlichen Infernos beschrieben, andere Autoren nicht minder, manche, wie Hans-Erich Nossack aus weiter Ferne, Feuerbrünste des Nachts im Dunkeln sehend, eine gewisse Faszination, ja Angstlust empfindend: Das Alte verschwindet, Neues kann kommen.
Was den britischen Diskurs immer wieder bewegt, ist der Umstand, dass diese militärische Aktion, auch damals völkerrechtswidrig, sich gezielt gegen die Zivilbevölkerung richtete. Arthur Harris, Kommandant der Operation, sagte: „Die Nazis sind in diesen Krieg mit der ziemlich kindischen Illusion eingetreten, dass sie alle anderen bombardieren würden und niemand sie bombardieren würde. In Rotterdam, London, Warschau und einem halben Hundert anderen Orten haben sie ihre ziemlich naive Theorie in die Tat umgesetzt. Sie haben Wind gesät, und jetzt werden sie den Sturm ernten.“
SPD und KPD waren die Parteien des Arbeiterviertels
Das infernalische Bombardement setzte ausgerechnet ein Viertel in Brand, das wie kein anderes in Hamburg dem Nationalsozialismus kaum zugeneigt war. 1933 erzielte die NSDAP dort vergleichsweise geringen Zuspruch, SPD und KPD waren die Parteien des Quartiers, ein Arbeiterviertel im Wachsen mit trockenen Neubauten und sanitären Einrichtungen, begehrt bei ArbeiterInnen, die im nahen Hafen ihren Jobs nachgingen. Der britische Angriff aber hatte genau dies im Sinn: durch Bombardierungen und viele Tote die Bevölkerung Hamburgs insgesamt zu demoralisieren.
Der britische Historiker Richard Overy nannte 2023 seinen Vortrag zu den Voraussetzungen und Verläufen dieser „Feuerstürmen“: „How to kill a city“ – wie man eine Stadt tötet. Für ihn zählt nicht, dass die nationalsozialistische Wehrmacht und die SS den halben Kontinent verwüstet hatten, dass sie Osteuropa, vor allem die Ukraine zu „Bloodlands“ (Timothy Snyder) machten. Für Overy wie für andere HistorikerInnen zählt, dass die Angriffe nicht in erster Linie Fabriken und Militäranlagen galten, sondern der Auslöschung von ZivilistInnen, Frauen vor allem, Kindern, alten Menschen.
Mäßiges Interesse der Stadtplanung
In die Landschaft links oberhalb der Elbbrücken ist inzwischen die sogenannte Hafencity gebaut worden, auf der anderen Seite, rechts von der Querung des Stroms, getrennt durch Bahngleise und vielspurige Straßen, liegen die Stadtteile Rothenburgsort, Hammerbrook und Hamm-Süd – und fanden bis heute nur mäßiges Interesse der Stadtplanung, aus ihnen die gleichen pulsierenden Teile wiederherzustellen, die sie einst, städtisch durch und durch, waren. Immer noch aussätzig, an den Rändern hier und da hippe Clubs, Speditionen, Reifenlager, Kleinbetriebe, wenige Wohnbauten.
Geschichtsanklagende, revisionistische Bewegungen wie in Dresden, wo Demonstrationen zum angeblichen „Bombocaust“ registriert werden mussten, gab es in Hamburg nie. Trauer um die Toten musste es, konnte es, auch stadtoffiziell in den Jahren nach 1945, geben. Darf man als Nachkomme einer bei der „Operation Gomorrha“ fast vollständig getöteten Familie zwar auch trauern, aber ebenso sagen: Das biblisch („eine Operation, bei der Pech und Schwefel vom Himmel fallen“) inspirierte Geschehen geschah recht?
Im britischen Diskurs wird mit dieser Frage gehadert. Kris Hendrix, Forscher am Royal Airforce Museum in London, schrieb 2022 zur „Operation Gomorrha und das ethische Dilemma“: „Hatte Arthur Harris Recht, als er sagte, dass Arbeiter legitime militärische Ziele seien? Hatten die Männer und Frauen des Dritten Reiches in dieser Frage wirklich eine Wahl? Oder die alten Menschen und Kinder, die unter den Bomben starben? War das deutsche Volk der Feind? Ich kann nicht umhin, eine Parallele zu der Behandlung von Zivilisten in den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nazis zu ziehen.“

Und zieht zugleich, wie sollte es in einer geschichtswissenschaftlichen Erörterung auch anders sein?, Parallelen zu zeitlich näheren Fällen: „Es ist interessant, dass Dresden in der Regel als Beispiel für ein Kriegsverbrechen angeführt wird. Die Zerstörung der Stadt nur wenige Wochen vor Kriegsende zeigte, dass die Theorie, Zivilisten zu töten, um einen Krieg zu gewinnen, zu einer Farce geworden war. Allen war klar, dass dies in den drei Jahren zuvor nicht funktioniert hatte, und Dresden wurde als ‚Bombardierung zu weit‘ angesehen.
Wie lässt sich irgendetwas davon rechtfertigen?
Aber wenn Dresden falsch war, wie konnte dann Hamburg richtig sein? Oder wie konnte Rotterdam (das die Wehrmacht dem Erdboden gleich machten, d.Red.) richtig sein? Oder der Völkermord an den Armeniern oder das Massaker von My Lai? Wie lässt sich irgendetwas davon rechtfertigen?“ Wie die gezielten russischen Bombardements gegen nichtmilitärische Ziele in der Ukraine, gegen Schulen, Kindergärten, Wohnhäuser ohne militärischen Belang? Wie die offenbar nicht nur den Hamas-TerroristInnen gewidmete Zerstörung des Gazastreifens durch die israelische Armee?
Kris Hendrix, der das militärische Dilemma aufblättert, lässt in seinen Ausführungen keinen Zweifel daran, dass der Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland in jeder Hinsicht berechtigt war: 1943 war keineswegs sicher, dass die Alliierten den deutschen NS-Horror besiegen würden.
Was aus jüngeren Quellen auch hervorgeht, ist, dass die britische Bevölkerung, die die Nazis durch die Bombardements von London und Coventry 1940/1941 – mit Zehntausendend Toten – zu fürchten hatten, „Bomber“ Arthur Harris nach wie vor für einen anständigen Mann hält, einer, der ein gerechtes Projekt ins Werk setzte. Und zugleich doch, so ermittelt durch Umfragen, nur sehr begrenzt Schadenfreude empfanden, als sie von den Luftschlachten über Deutschland erfuhren: Man sorgte sich um die ZivilistInnen, so hörten es geheimdienstliche wie zivilgesellschaftliche Demoskopen, nicht jedoch um Nazideutschland.
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