piwik no script img

100 Jahre LoriotHolleri du dödel di

Loriot alias Vicco von Bülow wäre am Sonntag 100 geworden. Unsere Autorin brauchte eine Weile, um seinen Humor zu verstehen.

Unvergessliches Duo: Loriot und Evelyn Hamann prosten sich zu Foto: ddp

Vor vier Jahren tauchte auf der Internetplattform „Reddit“ ein ungeheuerliches Bekenntnis auf. Ein(e) Nutzer(in) namens Mancharia schrieb: „Ich trau mich mal und verkünde, dass ich mit Loriot nie was anfangen konnte.“ Zur Sicherheit schob er/sie gleich hinterher: „Bitte nicht ausweisen.“

Loriot nicht witzig zu finden, das heißt sich von der deutschen Mehrheitsgesellschaft lossagen. Zumindest vom Spaßkonsens auf deutschem Boden. Denn wer, bitte, findet die Sketche von Loriot nicht witzig?

Nun – ich zum Beispiel. Zumindest in jüngeren Jahren konnte ich (geboren 1974) nichts, aber auch gar nichts mit dem Humor des 2011 Verstorbenen anfangen. Diese harmlos gezeichneten Knollennasenfiguren und trottelig dreinschauenden Hunde. Nackte Männer, die in der Badewanne mit Quietschenten spielen und sich mit „Herr Müller-Lüdenscheid“ anreden. Und dann dieser Jodeldiplom-Sketch, bei dem Frau Hoppenstedt immer den „Erzherzog-Johann-Jodler“ verhaut?

„Holleri du dödel di“ – als Bayerin erschloss sich mir nicht, was daran witzig sein soll. So blöd man Jodeln vielleicht finden kann, mit „Dödeln“, was auch immer das sein soll, hat es jedenfalls nichts zu tun. Auch an anderer Stelle fremdelte ich gewaltig mit dem milden, leisen und trockenen Humor Loriots. Mir war das alles zu … norddeutsch. Flach und wohltemperiert wie die mecklenburgische Tiefebene, von wo das Adelsgeschlecht der von Bülows ja auch stammt. Als Bewohnerin des Alpenvorlands war ich Wilderes gewohnt. In meiner Heimat war der Humorhorizont abgesteckt durch die abgründig-verzweifelten Verständigungsdesaster eines Karl Valentin, die barocken Witzausbrüche eines Gerhard Polt und die krachlederne Brachialgeselligkeit in Wirtshäusern mit Kabarettbühne. „Holleri du dödel di“ – ja mei, darüber konnten bloß die Preußen lachen.

So dachte ich, bis ich das Elternhaus verließ, im Ausland lebte und nach Ostdeutschland zog, wo ich mit vielerlei Schattierungen von Humor in Berührung kam. Einer meiner Mitbewohner stammte aus Mainz und quälte uns zur Karnevalszeit mit Büttenreden und Stunksitzungen. Ein sächsischer Kommilitone fand ausgerechnet das hessische Comedy-Duo „Badesalz“ komisch, und eine Freundin mit migrantischem Ruhrpott-Hintergrund konnte sich über Elke Heidenreichs Metzgersgattin „Else Stratmann aus Wanne-Eickel“ nicht mehr einkriegen. Und alle zusammen fanden wir sowieso Monty Python und Beavis and Butthead cooler als alles Deutsche.

Und dann kriegte mich Loriot irgendwann doch. War es „Pappa ante Portas“ mit dem mansplainenden Vorruheständler Heinrich Lohse, der zu Hause nicht nur die Putzkraft nervt? („Frau Kleinert, unser Plan erfährt eine Änderung. Wir machen im Garten weiter.“) Oder der Auftritt von Opa Hoppenstedt, der mit beiden Fäusten den Marschtakt so rabiat in die Luft haut, dass der „gemütliche“ Weihnachtsbaum wackelt?

Jedenfalls war auch ich inzwischen gesamtdeutsch genug, um die zärtlichen Ironieattacken genießen zu können, die Loriot auf den ganzen (west-)deutschen Spießerwahnsinn abfeuerte, vom Spieleabend über die Hausmusik bis zum Date beim Lieblingsitaliener – „sagen Sie jetzt nichts, Hildegard“! Ganz zu schweigen von seinen genialen Persiflagen auf bildungsbürgerliche Rituale wie die Dichterlesung („Krawehl, Krawehl!“) oder die Tiersendung mit pädagogischem Anspruch („Die Steinlaus“).

Gerhard Polt und Karl Valentin sind für mich zwar noch immer die Größten, aber das muss ja kein Widerspruch sein. Schließlich gehört Polt selbst zur Fangemeinde, wie er in der liebevollen ARD-Dokumentation zu Loriots 100. bekannte. Und mit Valentin verbindet Loriot schon sein Faible für ausufernde sprachliche Missverständnissse.

In „Deutsch als Fremdsprache“-Kursen gehören Loriots Sketche mittlerweile übrigens zum Standard. Und „Weihnachten bei Hoppenstedts“ wäre auch in Integrationskursen gut aufgehoben. „Früher war mehr Lametta!“ – wer das versteht, ist vorbereitet für das Leben in der Mitte dieser Gesellschaft. Ob am Alpenrand oder im Ruhrpott.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

30 Kommentare

 / 
  • Bei einem „Du Dödel“, schreitet beim Diktat im Klassenzimmer, direkt auf das Portrait von FJS zu. Überaus subtil und feinsinnig.

  • Es heisst du dödel du.



    Futur zwei, Imperfekt.

    • @Tripler Tobias:

      Nein, zweites Futur bei Sonnenaufgang.



      So wird das nichts mit dem Jodeldiplom.

    • @Tripler Tobias:

      Genial unperfekt, man legt sich nieder!



      Sprachwitze waren seine Spitze.



      🌅 Futur II🌄



      Auf eine falsche Antwort („Dö dudl dö“) von Frau Hoppenstedt (Evelyn Hamann) antwortet der Lehrer, dieses sei „zweites Futur bei Sonnenaufgang“.



      Quelle Wikipedia



      Ich tu heute mal kund:



      Variantenreich im Volksmund - mit Eigenleben fortgeführt und in 'Meisterklassen' zelebriert.



      So manche LeserInnen mit Diplom erkennen hier ein Idiom.🤔😉🌇



      youtu.be/VKCq16w2q...i=cGCSSasgdREFs7RD



      /



      "Der Klassiker Loriot ist sicher kein Mozart des Humors, dafür war er nie revolutionär, nicht anarchistisch genug. Er ist eher ein Schubert, dessen Lieder in die bürgerliche Bildung eingeflossen sind wie Loriots Sketche in den Fernsehkanon. Und genau aus dieser (groß)bürgerlichen Bildungswelt stammen Vicco von Bülow und seine Komik. Er attackiert nie verletzend, ist immer versöhnlich und schwebt zeitlos über den alltäglichen Dingen."



      taz.de/Kommentar-V...n-Buelow/!5172885/

  • Einer der präzisesten Beobachter deutscher Spießbürgerlichkeit. Danke Herr von Bülow. Dass Sie den wunderbaren Singvogel Pirol zu Ihrem Pseudonym genommen haben, ehrt Sie um so mehr, denn seine Stimme ist einfach wunderbar…

  • Hier ein aktuelles WDR-Zeitzeichen über den Jubilar, in dem er unter anderem die unterschiedlichen Vorteile der von ihm beherrschten Genres darstellt (einzelne Zeichungen, Bildgeschichten, Zeichentrickfilm, Film) und über seine und die deutsche Vergangenheit spricht:

    www1.wdr.de/radio/...eburtstag-100.html

    Autor: Axel Naumer



    Redaktion: David Rother



    Onlineproducer: Christoph Tiegel

    ,,In diesem Zeitzeichen erzählt Axel Naumer:

    wie Vicco von Bülow in Berlin und Stuttgart ohne Mutter aufwuchs

    was er über seine "merkwürdigen Heldentaten" im Krieg dachte

    wie er nach dem Krieg vom Baumfäller zum Grafiker wurde

    welcher Zufall ihn zum Karikaturisten werden ließ

    wie viel Ärger ihm seine erste Cartoon-Serie im "Stern" einbrachte''

  • Diesem humorlosen Wort zum Sonntag setze ich mal das Wort zum Montag von Otto entgegen. www.youtube.com/watch?v=GcKpmHY7vgQ

  • "Gerhard Polt und Karl Valentin sind für mich zwar noch immer die Größten, aber das muss ja kein Widerspruch sein."

    Ach nee.

    • @Rudolf Fissner:

      Ach was! Mooooment!

  • "Wo laufen sie denn ???"

    • @Kappert Joachim:

      Das war bendow, nicht loriot

    • @Kappert Joachim:

      "Ein Klavier, ein Klavier!"

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Geflügelte Worte statt geworfener Torte.



    „Die Ente bleibt draußen." taz.de/#!tom=2023-03-16



    ("/" Slash - Sie wissen schon.)



    ©TOM - Ein Zitat feinster Art. Wieder Mal Kongenial.

    • @95820 (Profil gelöscht):

      Zeichnen konnt' er toll Gesichter,



      Sprachlich war er mehr ein Dichter,



      Künstlername Loriot,



      Im Ausweis ein "von Bülow".



      Schnell bricht ein Zitat das Eis,



      Bringt man es als den Beweis,



      Dass man hier auf Draht noch ist,



      Weil man ihn nimmer vergisst.



      /



      Bei zeit.de



      "Humor-Analyse



      "Loriot war ein Dichter"



      Warum genügte Loriot ein "Ach!?", um uns zum Lachen zu bringen? Der Kulturwissenschaftler Stollmann sagt: Loriot war ein Virtuose der Sprache und ein Meister des Timings."



      /



      Auch "Die Wahrheit" ihn verehrt,



      Weil er vieles hat verkehrt,



      Neue Sprache so gefunden,



      Wir bleiben ihm treu verbunden:



      /



      taz.de/!251556/



      (Sein letzter Dialog)

      • 9G
        95820 (Profil gelöscht)
        @Martin Rees:

        Ob es Loriot gefallen hätte, dass der 12. November „Veteranentag“ der BW werden soll? www.spiegel.de/pol...-94e0-a261947933f1



        Und wenn schon, dann doch bitte Veteran:innen“-Tag - „Holleri Du Dödel Di“ Dann haben die was Eigenes.



        Oder vllt. auch wieder eine Bülow-Kaserne?



        www.lexikon-der-we...nkfurtBuelow-R.htm

        • @95820 (Profil gelöscht):

          "Holleri Du Dödel Da“



          Passt nicht zu "Preußens Gloria":



          Von der Musik doch inspiriert,



          Der Opa ganz wild dirigiert.



          Ein Marsch mit Namen auch Helene



          Vom Sessel, kam nicht auf die Bene.



          Der alte Opa Hoppenstedt



          Was der wohl dazu gesagt hätt?



          Als Militarist gut gemimt -



          Wie sich das für von Bülow ziemt.



          Ein Ehrentag für Veteranen:



          Viel Lametta und bunte Fahnen.



          /



          youtu.be/4ZKtqz4fz...i=UHcejHi_4OkHRcY9

          youtu.be/4ZKtqz4fz...i=Lg2fn2LoO78dLJG7

  • "Jedenfalls war auch ich inzwischen gesamtdeutsch genug, um die zärtlichen Ironieattacken genießen zu können, die Loriot auf den ganzen (west-)deutschen Spießerwahnsinn abfeuerte, vom Spieleabend über die Hausmusik bis zum Date beim Lieblingsitaliener – „sagen Sie jetzt nichts, Hildegard“! Ganz zu schweigen von seinen genialen Persiflagen auf bildungsbürgerliche Rituale wie die Dichterlesung („Krawehl, Krawehl!“) oder die Tiersendung mit pädagogischem Anspruch („Die Steinlaus“)."

    ------------------

    Hier fehlt noch zur Vervollständigung der Benimmschule-Sketch ("Die Toiletten liegen separat").

    • @SeppW:

      Waschräume!

    • @SeppW:

      ...ach, wohl auch - wie ich - mit Loriot sozialisiert worden - schmunzel 🙃

  • Im letzten Absatz sprechen Sie das an, was ich hätte einwerfen wollen: Nämlich die beiden Kinofilme. Die sind für mein Gefühl besser gealtert als viele der Sketche. Einfach weil der Gegenstand der Sketche vielfach nicht mehr existiert, darum wirken sie etwas museal (und dafür kann der arme Loriot nichts). Aber die Kinofilme haben irgendwie etwas Universelleres.

  • Ja, so ist das mit dem Humor,



    Manchem schwillt der Kamm wie Tumor,



    Sprachlich kommt dann mal der Rumor,



    Es wäre vielleicht gar Horror.



    Loriots Figuren Calor,



    Evelins schamvoller Rubor,



    Kamen uns im TV so vor:



    Werk eines Spiritus Rector.



    /



    Für die AlpenländerInnen als Empfehlung:



    www.dw.com/de/geor...3%BCbel/a-15550344

  • Oder kurz gesagt - Danke für den Schwanzhund!

    Darauf eine Oberföhringer Vogelspinne. Wohlsein!

    • @Der dreckich Katz:

      Und ich werde mir mal wieder die Bundestagsrede anschauen :-)



      RIP, lieber Herr von Bülow!

  • Schön, dass Sie als emigrierte Bajuwarin geläutert sind. In ihrem Genre sind natürlich Karl Valentin (mit Vogel-V) und Gerhard Polt (ich hatte sogar als französischer Preiss das Riesenglück im Früjahr einen Platz in der ersten Reihe zum mitkämpfen bei " A scheene Leich" zu ergattern) in Bayern die Grössten, aber Loriot braucht sich hinter ihnen gesamtdeusch nicht zu verstecken. Ist ja auch nicht ganz das selbe. Äpfel und Birnen...

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      👍👍🙃

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      schön gesagt - anschließe mich

      • @Lowandorder:

        Ach …

      • @Lowandorder:

        Wenn meine Gattin Klöse kocht, sind sie leicht und bekömmlich...

  • "Loriot nicht witzig zu finden, das heißt sich von der deutschen Mehrheitsgesellschaft lossagen. Zumindest vom Spaßkonsens auf deutschem Boden. Denn wer, bitte, findet die Sketche von Loriot nicht witzig?" - die wahren Probleme unserer Zeit. Kann jeder halten wie er will, geht die Welt nicht von unter ...

    • @Lee Ma:

      Doch, davon geht die Welt sehr wohl unter. Bei deutschem Humor hört der Spaß bekanntlich auf. Da war der große Loriot eine der wenigen guten Ausnahmen.