Klinikclown über Pflege und Humor: „Weinen ist nur feuchte Traurigkeit“

Andreas Bentrup ist Klinikclown und Humortrainer. Ein Gespräch über Lachen in Extremsituationen, Singen auf der Demenzstation und rote Nasen.

Portrait von Andreas Bentrup

Findet sich selbst weder besonders lustig noch locker: Andreas Bentrup Foto: Franziska Gilli

wochentaz: Herr Bentrup, Sie arbeiten als Clown und Humortrainer mit Beschäftigten und Patienten in der Pflege, mit Dementen und Sterbenden. Wie kamen Sie auf die Idee?

Der Schauspieler und Theaterpädagoge (BuT) wurde 1972 geboren. Er ist Humortrainer und fachliche Leitung des Workshopbereichs der Stiftung „Humor Hilft Heilen“ von Eckart von Hirschhausen. Bentrup ist Teil der Geschäftsführung des Landes­verbands Theaterpädagogik Niedersachsen und lebt in Hildesheim.

Andreas Bentrup: Ich habe mit 19 Zivildienst gemacht in der Intensivpflege in einem Seniorenzentrum. Nach neun Monaten war ich ausgebrannt und hatte eine Belastungsdepression. Ich habe erlebt, dass Menschen neben mir gestorben sind und dass die Kolleginnen aus der Pflege keine guten Kompetenzen hatten, damit umzugehen. Bei der ersten Frau auf meiner Station, die verstorben ist, bin ich zur Beerdigung gegangen, das wurde ein bisschen belächelt. Als ich danach statt in der Pflege in der Betreuung gearbeitet habe, bekam ich Zettel von der Hausleitung zugesteckt mit Namen von Leuten, die ich besuchen sollte. Das hat meine Perspektive verändert: Plötzlich hatte ich Zeit, auf die Menschen einzugehen.

Wie kam es zur Clownerie?

Parallel zum Zivildienst habe ich Straßentheater gemacht. Daraus entstand die Klinikclownerie.

In Ihrer Vita steht Humortrainer H. H. H. – ist das ein Witz?

„Ich zeige mit einer Geste, mit einem verständnisvollen Blick: Ich bin an dir als Mensch interessiert“

Es steht für „Humor Hilft Heilen“, das ist die Stiftung von Eckart von Hirschhausen, die Clowns in Kliniken und Pflegeheime bringt und Workshops zum Thema Humor in der Pflege anbietet. Ich bin dort einer von vielen Humortrainern und leite den Workshopbereich. Ich entwickle Trainings etwa für „Humor in der Pflege“. Das Standardformat für solche Trainings stammt von Michael Christensen, einem der ersten Klinikclowns in den USA. Das Format hat drei tragende Säulen. Die erste ist Humor. Die zweite ist positive, wertschätzende Kommunikation. Und die dritte die Fähigkeit des Perspektivwechsels: Wie schnell gelingt es mir, mich in mein Gegenüber hineinzuversetzen? Das ist in der Pflege besonders wichtig. In einer krisenhaften Lage, bei einer schweren Erkrankung oder am Ende des Lebens geht es weniger darum, Humor zu versprühen. Sondern darum, mit den betroffenen Menschen zu kommunizieren, mit ihnen zu arbeiten.

Humor ist also Arbeit?

Ja, und ein ziemlich effektives Werkzeug. Wenn ich in eine Pflegestation komme, treffe ich auf Menschen, die unter hohem Zeitdruck und schwierigen Bedingungen arbeiten und als Team eine Art Schicksalsgemeinschaft bilden. Die haben sich einander nicht ausgesucht, müssen aber jeden Tag zusammen funktionieren und für die Pa­ti­en­t:in­nen da sein. Was ich in Workshops mit denen trainieren kann, ist: Wie gelingt es mir, in den ersten Sekunden, nachdem ich ein Zimmer betreten habe, einen positiven Kontakt herzustellen? Wie komme ich in die Haltung des sozialen Gastgebers? Die Menschen, die kommen, sind in irgendeiner Form in Not oder Verwirrung. Die brauchen jemanden, der bereit ist, ein gutes Setting herzustellen.

In der Pflege gibt es meist nur wenig Zeit für den einzelnen Menschen.

Das hat wenig mit Zeitdauer zu tun, sondern mit Intensität. Wenn Sie sich erinnern, dann gab es auch in Ihrer Biografie sicher Menschen, die Ihnen in einem bestimmten Moment mit einem körpersprachlichen Signal oder nur einem Satz etwas mitgegeben haben, was sich heute noch warm anfühlt.

So etwas wie eine ausgestreckte Hand oder ein aufmunterndes Wort zur richtigen Zeit?

Ja, ich trainiere mit den Leuten, sich die Frage zu stellen: Wer möchte ich gerade im Leben meines Patienten, meiner Patientin sein? Möchte ich die Sonne ins Zimmer lassen oder den Stress? Das ist keine Frage von Zeit, das ist die Kraft des Augenblicks. Ich zeige mit einer Geste, mit einem verständnisvollen Blick: Ich bin an dir als Mensch interessiert. Ich bin auch Teil des Systems, ich mache aber das Beste daraus.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Im Internet gibt es Clips von Ihnen als Klinikclown. Zusammen mit einer Partnerin sieht man Sie auf der Kinderkrebsstation, in der Palliativ­station. Geht es gar nicht darum, jemanden zum Lachen zu bringen, sondern schlicht Trost zu spenden?

Alle Gefühle wollen wertgeschätzt werden. Wenn Sie gerade traurig sind, dann ist Ihr Bedürfnis, das gespiegelt zu sehen. Das tue ich als Clown. Einmal habe ich einer älteren Frau „Die Gedanken sind frei“ auf einer alten Spieluhr vorgespielt. Da hat sie sehr geweint. Ihr Sohn hat mir erklärt, dass ihr Grundschullehrer in der Nazizeit in einem Vernichtungslager umgebracht wurde, weil er seinen Kindern „Die Gedanken sind frei“ beigebracht hat. Das war damals für mich kein Fettnäpfchen. Sondern ein schöner Moment des Gedenkens. Weinen ist ja nur feuchte Traurigkeit. Für den Moment ist das völlig in Ordnung. Die Frage ist, ob es mir dann auch gelingt, dem eine gewisse Leichtigkeit zu geben: Wie schön, dass wir das Lied zusammen gehört haben, und wie schön, dass es so eine intensive Erinnerung gibt an diesen Menschen.

Sie kennen normalerweise die Leute nicht persönlich, die Sie als Clown besuchen. Wie bekommen Sie es trotzdem hin, schnell die richtige Stimmung zu schaffen? Haben Sie einen Requisitenkoffer dabei, aus dem Sie bei Bedarf die passenden Dinge ziehen?

Wenn ich Kinderkliniken besuche, habe ich Dinge wie Luftballons und Handpuppen dabei. Wenn jemand sehr scheu ist, dann zeige ich mit einer Kollegin erst mal eine Clownswelt. Und schaue dann, wie wir zur Kommunikation einladen können. In einem Zimmer mit 4-Jährigen kommt ­derber Humor an, Pupswitze, Ver­stecken. Im nächsten Zimmer liegen 16- oder 17-Jährige, da braucht man vielleicht nur ein Handy, um einen Contest zu inszenieren. Für eine klassische Rot-Weiß-Show braucht man eigentlich nur zwei Clowns: Der rote schummelt, benimmt sich daneben und testet Grenzen aus, und der weiße muss das Spiel zusammenhalten.

Rote und weiße Clowns?

Rot und Weiß ist die Kraft zwischen Clowns, die man bei vielen berühmten Paaren findet: Ernie und Bert, Dick und Doof. Im klassischen Zirkus ist es der melancholische Pierrot und der dumme August. Abstrakt gesehen geht es um das Theaterprinzip Push und Pull. Ein Spielprinzip, um das Gegen­über ins Spiel zu bekommen. Wenn wir mit Älteren singen, dann sind sie ganz wach im Augenblick, das gelingt auch mit Menschen, die schon sehr weit in sich versunken sind. Gerade demen­ziell veränderte Menschen haben eine Affinität zu Clowns, diese Generation kennt nur positiv besetzte Clowns.

Die Horrorclowns aus Filmen haben dem Beruf sicher geschadet …

Ja, die Clownsfigur lädt überhaupt zu allerhand Missverständnissen ein. Neulich habe ich bei einem Workshop wieder gehört: Manche Menschen werden eben mit so einer Leichtigkeit geboren! Das ist Quatsch. Ein Clown zu sein ist keine angeborene Wesensart, sondern eine Kommunikationstechnik, die man lernen kann. Ich selbst bin weder ein besonders lustiger noch lockerer Mensch. Ich habe halt im Lauf meines Berufslebens gelernt, in kürzester Zeit mit den allermeisten Menschen eine intensive Beziehung herzustellen, sei es mit Musik, einem kleinen Zaubertrick, ein paar Tanzschritten oder einer Umarmung.

Die Clownsfigur löst auch Abwehr aus. Als meine verstorbene Tante auf der Demenzstation Besuch von einer Clownin bekam, die Ballons zu Tieren formte, fanden das alle lustig, nur sie zischte: Die soll weggehen mit ihrer roten Nase. Wie erklären Sie sich, dass Clowns so polarisieren?

„Ein Clown zu sein ist keine angeborene Wesensart, sondern eine Kommunikationstechnik, die man lernen kann. Ich selbst bin weder ein besonders lustiger noch lockerer Mensch“

Ich glaube, es kommt darauf an, ob die Figur angemessen eingesetzt wird. Ich kenne fantastisch ausgebildete Clowns, aber auch Menschen, die ins Fettnäpfchen treten und das selbst nicht merken. Bei Ihrem Beispiel hat die Kollegin offensichtlich nicht gespürt, dass diese Luftballonkneterei für die betagte Frau nicht angemessen war. Das fand die vielleicht kindisch. Es gehört zum Beruf, zu spüren: Wie nah darf ich ran? Das Gegenüber entscheidet, wie weit es geht. Wenn ich diese Resonanz nicht spüre, bin ich falsch.

Haben Sie auch schon mal eine Grenze überschritten?

Sicher. Und dann ist es an mir, das mitzukriegen und um Entschuldigung zu bitten. Auch dafür haben wir dieses Prinzip von Rot und Weiß. Die Weiße muss erkennen, wenn der Rote zu weit gegangen ist, und sagen, Andreas, das war ein bisschen dolle gerade. Wir sind ja keine Faschingsfiguren, sondern machen das beruflich. Ich hab natürlich ein Clownskostüm mit Hosenträgern, aber das ist sehr dezent. Meine Nase ist nur rot geschminkt, Se­nio­r:in­nen und Kinder mögen das in aller Regel. Ich habe zweieinhalbtausend Clownbesuche gemacht in 20 Jahren, in Einrichtungen mit Tausenden von Menschen, und ja, es gab auch mal ein schreiendes Kind, da ist es mir nicht gelungen, Nähe und Distanz ausreichend zu gestalten, wie es meine Aufgabe ist.

Als Humortrainer werden Sie auch von Unternehmen engagiert. Wie ­gehen Sie damit um, dass Ihr Publikum nicht unbedingt freiwillig da ist?

Vielfach nehmen Mit­ar­bei­te­r:in­nen verpflichtend an den Workshops teil. Wenn ich zum Beispiel beim Träger eines Seniorenzentrums engagiert bin, dann kann es sein, dass da eine Kollegin sitzt mit 30 Jahren Berufserfahrung in der Pflege, die denkt: Es wird alles immer schlimmer, und jetzt schicken sie mir einen Clown?! Ihr muss ich klarmachen, dass es nicht darum geht, künstlich zu lachen oder Wellness in einem problematischen Arbeitsumfeld zu liefern. Sondern dass wir uns gemeinsam vergegenwärtigen, worum es uns eigentlich geht. Um das, was uns Menschen im Alltag immer wieder verloren geht: bestimmte Rituale wie zusammen essen, regelmäßig den Austausch pflegen. Viele finden in den Workshops Entlastung, manchmal fließen Tränen. Nach Corona saßen da Pflegedienstleitungen, die zum ersten Mal in einem lockeren Austausch darüber sprechen konnten, wie sie bestimmte Situationen ausgehalten haben.

Klinikleitungen setzen Clowns ein, um ein besseres Miteinander zu schaffen – wirksamer wäre wohl ein verbesserter Personalschlüssel.

Clowns sind nicht die Lösung, aber sie sind ein Impuls, der wertvoll sein kann, wie auch Tiere in Kliniken und andere Angebote, die Menschen auf nichttherapeutischer Ebene erreichen und eine bessere Atmosphäre schaffen. Und das ist doch was!

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