piwik no script img

Macht der ImmobilienkonzerneBei der Wohnungsfrage geht es um Demokratie

Nur eine Demokratie, die liefert, darf sich so nennen. Gibt es zu wenige Wohnungen, erfüllt sie eine ihrer Grundvoraussetzungen nicht.

Systemisch denken: Aus einer könnte man zwei Wohneinheiten machen Foto: Marco Stepniak/imago

E s gibt wohl keine Frage, siehe Krippe, die weihnachtlicher ist als die Frage nach Wohnung und Unterkunft. Und es gibt kaum eine Frage, die relevanter ist für den gegenwärtigen politischen Diskurs und die Legitimation des demokratischen Systems. Nur eine Demokratie, die liefert, behält in Zeiten des autoritären Systemwettbewerbs ihre eigenen Überlebensbedingungen. Wenn es zu wenig Wohnungen gibt, erfüllt die Demokratie eine ihrer Grundvoraussetzungen nicht.

Zu lange wurde Demokratie vor allem als ein System von Prozessen und Entscheidungen diskutiert – und nicht genug nach der Lebenswirklichkeit der Menschen gefragt. Tatsache ist: Aktuell fehlen allein in Westdeutschland 1,2 Millionen Wohnungen, das ergab eine Studie des Pestel Instituts. Gleichzeitig gibt es einen massiven Leerstand in Bürogebäuden. Speziell die Innenstädte sind Schauplätze von tiefgreifenden strukturellen Verschiebungen – was fehlt, sind Lösungen und Antworten, die jenseits des gegenwärtigen Denkens liegen.

Dieses Denken ist linear, es ist mechanisch in der Logik und rigide in der Ausführung. Allzu oft und auch in der gegenwärtigen Regierung ist es ja so: Wenn die Politik Wohnungsmangel hört, dann ist die Antwort Bauen. Wenn die Politik merkt, dass die Wirtschaft absackt, dann ist die Antwort Steuersenkungen. Wenn die Politik jahrelang zu wenig in die Integration von Geflüchteten investiert hat, dann macht man halt die Grenzen zu. Es ist Hauruckpolitik oder Ritschratschaktionismus: Ein Problem, eine Lösung.

Eine Politisierung der Wohnungsdebatte würde bedeuten, dass man die politische Ökonomie der Immobilienstruktur angeht

Die Diskussion über Wohnungsmangel leidet deshalb auch daran, wie viele der gegenwärtigen Debatten, dass sie zu wenig politisiert ist und zu wenig systemisch geführt wird. Eine Politisierung der Wohnungsdebatte würde bedeuten, dass man sich um Dinge wie Eigentum und Verantwortung kümmert, dass man die politische Ökonomie der Immobilienstruktur in diesem Land angeht, dass man Initiativen wie die Berliner Abstimmung zur Demokratisierung des Wohnraums und gegen die Macht der Immobilienkonzerne ernst nimmt – und sie nicht in postdemokratischer Vergammeltheit einfach ins Übermorgen verschiebt, wie es der Berliner Senat gerade getan hat.

Den Ernst der Lage verstehen

Es scheint in solchen Momenten, als würden viele Handelnde nicht begreifen, wie ernst die Lage ist – sowohl auf der Straße, wo man fast täglich den Zuwachs an Wohnungslosen sieht, als auch in den Umfragen: Der Systemwiderstand wird einerseits von nationalistischen und rassistischen Kräften angetrieben, der Systemwiderstand wird aber auch von einem System selbst erzeugt, das nicht in der Lage ist, auf ökonomische Herausforderungen ökonomisch zu reagieren. Wenn sich Mietpreise in kurzer Zeit verdoppeln, liegt ein Marktversagen vor, das nicht einfach mit einem „Wir bauen doch“-Achselzucken hingenommen werden kann.

Bild: Leander von Thien
Georg Diez

ist Autor und Journalist. Er ist Mitarbeiter beim Thinktank ProjectTogether, Fellow beim Max-Planck-Institut für religiöse und ethnische Diversität in Göttingen und er schreibt auf Substack den Newsletter „Überleben im 21. Jahrhundert“. Frisch im Aufbau-Verlag: „Kipppunkte. Von den Versprechen der Neunziger zu den Krisen der Gegenwart.“

Und das ist das zweite Problem der aktuellen Diskussion über Wohnraummangel: Sie wird nicht systemisch geführt. Wo es ein Zuwenig gibt, ist die Antwort fast immer: Mehr. Was aber, wenn die bessere Antwort wäre: Anders? Oder: Unterschiedlich? Was, wenn es viel mehr Experimente gäbe, wie sich vorhandener Wohnraum neu verteilen und nutzen ließe? Die Ein- und Zweifamilienhäuser an den Rändern der Städte etwa, die oft von Eltern oder Großeltern genutzt werden, deren Kinder längst ausgezogen sind, und die auf viel zu viel Wohnfläche leben – wie kann man Modelle finden, um hier zusätzlichen Wohnraum etwa durch Umbauten zu schaffen?

Rund 16 Millionen solcher Stadtrandhäuser gibt es in Deutschland, wenn man allein bei 10 Prozent aus einer Wohneinheit zwei machen würde, so hat es Andreas Hild von der TU München vorgerechnet, hätte man rasch 1,6 Millionen Wohnungen, viermal so viele, wie die Politik Jahr um Jahr verkündet zu bauen, mit jeweils gebrochenen Versprechen. Und was ist mit Baurecht, Föderalismusreform, anderen Eigentums- und Finanzierungsmodellen? Anders gesagt: Die Wohnungsfrage lässt sich, wie jede politische Frage heute, nur lösen, wenn man systemisch denkt und kommuniziert.

Das Logo der taz: Weißer Schriftzung t a z und weiße Tatze auf rotem Grund.
taz debatte

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Wenn man das nicht tut, droht die viel beschworene „Mitte“, die präziser als Mittelschicht bezeichnet werden könnte, ihr Vertrauen in die Leistungsfähigkeit oder besser: Gerechtigkeit des Systems zu verlieren. Interessant dabei ist, dass es immer noch eher vermieden wird, von „dem System“ zu reden, als ob das heute primär oder originär eine rechte oder verschwörerische Konnotation hat – dabei lässt sich ein System nicht verändern, ohne es zu benennen.

Der Lerneffekt wäre groß

In New York hat der progressive Kandidat Zohran Mamdani seine Wahl zum Bürgermeister unter anderem wegen der „Wohnungsfrage“ gewonnen, wie eine Schrift von Friedrich Engels von 1872 heißt. In der ersten Industrialisierung wurde die Not durch Klassenkonflikte ausgetragen, in der zweiten Industrialisierung, die wir erleben, fehlen diese harten, klaren Kategorien – dabei gibt es jenseits des rückwärtsgewandten „fossilen Denkens“, wie ich es nenne, genug Wege und Möglichkeiten, im Bestehenden das Neue zu finden und zu definieren.

Die Wohnungsfrage, die auch zentral war in zwei der wohl einflussreichsten Büchern von 2025, „Abundance“ von Ezra Klein und Derek Thompson und „Breakneck“ von Dan Wang, ist damit nicht nur die soziale Frage unserer Zeit und besitzt explosive Energie – die Wohnungsfrage hat enormes Innovationspotenzial, weil sie alle Aspekte von Leben, Alltag, Wirtschaft, Auf- und Abstieg, politischer Architektur und Prozesse betrifft.

So gut wie alle Fragen unserer Zeit lassen sich entlang dieser Querschnittsherausforderung diskutieren, von Klima bis Kapitalismus (manche würden sagen, dass auch das zusammengehört). Nicht alles lässt sich an dieser Frage lösen. Aber der Lerneffekt für andere Probleme wäre enorm.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • Normale Einfamilienhäuser sind strukturell bedingt in der Regel nicht teilbar. Das Ergebnis wäre eher eine WG.

    Einfacher umsetzbar wäre ein Maximalwohnraum (pro Person) bei Neuvermietung. Mein Bruder bewohnt als Single eine 140 qm Altbauwohnung in berliner Innenstadtlage.

    Zuständig wären übrigens die Länder. Es könnte also jedes Bundesland unterschiedlich reagieren.

  • taz: *Nur eine Demokratie, die liefert, darf sich so nennen. Gibt es zu wenige Wohnungen, erfüllt sie eine ihrer Grundvoraussetzungen nicht.*

    Die Wohnungsnot in Deutschland verschärft sich immer weiter. Es werden deutlich weniger bezahlbare (Sozial)-Wohnungen fertiggestellt als benötigt.

    Unser BlackRock-Lobbyist - der auf dem Kanzlerstuhl sitzt - interessiert sich aber nicht für kleine Bürger ohne Wohnung. Er möchte ja jetzt sogar die Arbeitslosen mit Obdachlosigkeit bedrohen, wenn die nicht für ein Ei und ein Butterbrot jeden Hilfsarbeiterjob annehmen.

    Angesichts einer prognostizierten Neubaulücke von bis zu 720.000 Wohnungen fordert 'Die Linke' einen radikalen Kurswechsel in der Wohnungspolitik. Aber dafür müssten die Bürger endlich mal aufhören Neoliberale, Konservative, Rechtskonservative und Rechte zu wählen.

    Im November 2025 rief 'Die Linke' offiziell den „Mieten-Notstand“ aus und startete eine bundesweite Kampagne, nachdem ihre Anträge im Bundestag zur Deckelung illegal hoher Mieten abgelehnt worden waren.

    ***Wohnen ist ein Menschenrecht - 'Die Linke'*** www.youtube.com/shorts/LoDx1bw2-Vo

  • Ein Problem bei der Misere ist zudem, dass die Profiteure und Profiteurinnen (Vermieter, Eigentümer) mehr politisch/ökonomischen Einfluss ausüben können als die Menschen des marginalisierten und systematisch vereinzelten 'unteren' Teils der Gesellschaft.



    Dort wo, wie in Berlin, mal kollektives Handeln praktiziert wird, ist des der 'politischen Klasse', die zugleich ja Teil der besitzenden Klasse ist, in 'unseren' postdemokratischen Vollzügen leicht möglich den demokratisch formulierten Willen der Betroffenen vom Tisch zu wischen.



    Ein Aufstand hülfe, ist aber nicht in Sicht, da das Protestpotential sein Heil längst systemkonform Rechts sucht, dabei im vermeintlichen Erfolgsfall rechter Regentschaft vom Regen in die Traufe kommend.



    Die zusätzlichen Treiber der Misere sind vielfältig. Ein Faktor dabei dürfte der passive Schulterschluss der Halblinks-Grün-Liberal 'Progressiven' mit der profitierenden bürgerlichen Mitte im 'Kampf gegen Rechts' sein.



    Systemimmanent (->Kapitalverwertungszwänge) wird sich die Misere jedenfalls wohl nicht lösen lassen, es sei denn es würde bundesweit auf 'Rotes Wien' gesetzt, was aber s.o. am Widerstand der 'Mitte' scheitert.

  • In DE hat als einzige die Linkspartei das Thema Wohnen und Miethöhen als Wahlkampfthema gehabt. Ich kann leider nicht erkennen dass es nennenswert geholfen hat.

    • @dator:

      Was ganz bestimmt nicht an der Die Linke liegt.

      • @Andreas J:

        Das war auch nicht behauptet worden. Das Wahlvolk selbst, die Medien (außer natürlich der TAZ), die bösen anderen Parteien, alle sind sie mitschuld.

    • @dator:

      Immerhin könnte es sein, dass das Thema geholfen hat, die Partei in den Bundestag zu bringen, was die Marktpartei FDP nicht geschafft hat. Das Problem dürfte eher sein, dass die wenigsten Mitglieder des Bundestages und anderer Parlamente sich jemals mit ernsten persönlichen Wohnungsproblemen beschäftigen mussten oder aktuell müssen. Ich wüsste gern mal, wie viele von denen selber vermieten und dadurch an hohen Mieten/Profiten interessiert sind.

  • "Nur eine Demokratie, die liefert, darf sich so nennen."



    Genau so ist es. Der Eröffnungssatz ist die Quintessenz. Und genau deshalb regiert die Politik so:



    "Wenn die Politik Wohnungsmangel hört, dann ist die Antwort Bauen. Wenn die Politik merkt, dass die Wirtschaft absackt, dann ist die Antwort Steuersenkungen. Wenn die Politik jahrelang zu wenig in die Integration von Geflüchteten investiert hat, dann macht man halt die Grenzen zu."



    Ja was denn sonst? Eine Demokratie ist das Gegenteil von Willkür. Eine Demokratie ist dazu da, dass Regeln eingehalten werden, die im Konsens errungen wurden und nicht durch Willkür oder absolutischtisches Gehabe von oben kamen.



    Büros stehen leer, ja. Sie gehören aber jemandem. Sie wurden erbaut und bezahlt von ihren Besitzern. Das ist kein Freiwild.



    Und Firmen sind nicht verpflichtet hier zu investieren. Sie sind frei in ihrem Willen. Wer Arbeitsplätze will muss Attraktivität schaffen, also günstige Steuern oder Standortfaktoren bieten.



    Enteignen, kollektivieren von Unternehmen oder 'die Überwindung des Kapitalismus' hat nichts mit Demokratie zu tun. Das sind ideologische Ideen die eine Minderheit durchdrücken will und sich als demokratisch framt.

  • Haben wir zuwenig Baumaterial? Nein.



    Haben wir zuwenig Handwerkskapazität? Im Neubau eher nein.



    Haben wir zuwenig Kapital? Nein, energieeffizienter Neubau muss aber dauerhaft Mieten ermöglichen, die Bodenpreise, Baukosten, -nebenkosten, Instandhaltung und Zinsen vergüten.



    Der wesentliche Engpass ist die Verfügbarkeit von Grundstücken mit Baurecht. Da lange von einem mittelfristigen Bevölkerungsrückgang auf unter 70 Mio. Einwohner ausgegangen und auf Basis dieser Fehlannahme die Ausweisung neuen Baulandes gesetzlich erschwert wurde, haben wir heute die Folgen. Da Bauland Sache der Kommunen ist, muss das kommunal diskutiert werden.



    Zur Aufteilung von Einfamilienhäusern müssen bei unrentablem ÖPNV zusätzliche Stellplätze geschaffen werden. Haustechnik und Brandschutz werden oft teuer.



    Die Umwandlung von Bürohäusern ist eine gute Idee, allerdings sind Gebietscharakter, Immissionsschutz und Infrastruktur herausfordernd.



    Die Vergesellschaftung nützt Wenigen, kostet viel und lädt zu Korruption ein (habe ich live erlebt).



    Mietregulierung erschwert ausgerechnet den Schwächsten Zugang zu Wohnraum.



    Und systemisch gedacht: Es kann nur bereitgestellt werden, was auch angemessen bezahlt wird.

  • Ich wäre gerne mit den großen Worten vorsichtig. Wir haben ja genügend Wohnraum pro Person, sofern wir es nur wieder fertigbrächten, dass z.B. Familien mit Work-from-Home-Arbeitsplätzen bei Oma auf dem Land einzögen, WGs die Infrastruktur gemeinsam nützen, Kinder wieder draußen auf der Straßen spielen können und kein riesiges Zimmer "brauchen". Weniger Krempel, Garage, Individualnutzungen und mehr öffentliche Bücherei, Rad und öffentliche Bäder. Wie viel Quadratmeter "braucht" es und mit wie vielen ging es vor ein, zwei Generationen?



    Wichtiger als Individualverhalten sind wohl noch richtige Anreize und Regeln.



    Dann die Verteilungsfrage: Wenn die Drittwohnung zum gelegentlichen Opernbesuch in München existiert oder Studikinder erst mal eine große Wohnung für eine Person in der Unistadt gekauft bekommen, sollten diejenigen auch mal wieder angemessen Steuern zahlen, oder? Eine wieder gleichere Verteilung entspannt sehr viel mit.

  • Die Lösung der Wirtschaft wird sein dass die sogenannte Unterschicht statt ein WG Zimmer nur noch eins der 2-3 Betten pro Raum bekommt.



    Man kann in Kalifornien gut beobachten wie das Problem auf Kosten der Armen gelöst wird indem man die Armen bei Wohnungsmangel dichter stapelt.



    In der Wirtschaft hat's bei der Profit spalte keine bonuspunkte für Menschenwürde.

    • @Todesfister:

      Schon mal was von den Käfigwohnungen in Hongkong gehört?