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Nachdenken über Bullshit„Es geht um die Kulturtechnik des Differenzierens“

Die Philologin Gyburg Uhlmann schlägt vor, Rhetorik-Theorie der Antike zu nutzen, um Bullshit, Fake News und KI-Fälschungen zu begegnen.

Einer, der nicht immer die Wahrheit spricht: US-Präsident Donald Trump vor Journalist*innen im November Foto: Jose Luis Magana/dpa

Interview von

Wilfried Hippen

taz: Frau Gyburg Uhlmann, Sie halten einen Vortrag darüber, wie antike Rhetorik und Philosophie uns in Zeiten von Fake News und "Bullshit" helfen können. Was meinen Sie mit "Bullshit"?

Gyburg Uhlmann: Der amerikanische Philosoph Harry Frankfurt hat schon 1986 zu dem Thema einen Text geschrieben und ihn dann 2005 als Buch veröffentlicht, das sehr populär wurde. Sein Konzept von Bullshit hilft uns, Phänomene, bei denen manipuliert wird, besser zu verstehen. Das ist heute in vielen Wissenschaftsbereichen ein viel benutzter Ansatz.

taz: Und was ist nun dieses Konzept „Bullshit“?

Uhlmann: Frankfurt sagt, dass es eine Kommunikationsweise ist, bei der es nicht darum geht, ob etwas wahr oder falsch ist. Stattdessen soll mit ihr eine gewisse Botschaft vermittelt werden. Wie zum Beispiel „Ich bin der tollste Präsident aller Zeiten“ oder „Wir machen alles, damit Amerika wieder groß dasteht.“ Dahinter steht also eine strategische Kommunikation, die über die einzelne Falschinformation hinausgeht.

Bild: privat
Im Interview: Gyburg Uhlmann

geboren 1975, ist Professorin für klassische Philologie mit Schwerpunkten in der antiken Philosophie, Rhetorik und Wissensgeschichte. 2019 veröffentlichte sie das Sachbuch „Rhetorik und Wahrheit – ein prekäres Verhältnis von Sokrates bis Trump“

taz: Und wie sieht Ihre akademische Betrachtung dieses aktuellen Problems aus?

Uhlmann: Ich stelle die Frage: Hilft es uns bei der Analyse und der Kritik dieser manipulativen Kommunikation im Sinne einer Abwehrstrategie wirklich davon abzusehen, ob etwas wahr oder falsch ist? Ich denke, es gibt da einen Aspekt, der mit dem Prinzip Bullshit nicht abgearbeitet werden kann. Und da komme ich mit meiner Expertise dazu, weil diese Problematik ganz gut mit der klassischen Rhetoriktheorie erfasst werden kann.

taz: Können Sie das an einem Beispiel erklären?

Uhlmann: Donald Trump oder die AfD beziehen sich ja immer wieder auf den common sense, indem sie sagen, was wir da machen, ist eigentlich gar nichts Besonderes, sondern das ist das, was jeder normale Mensch eigentlich wirklich denkt. Und sie suggerieren damit, dass das alles so evident ist, dass man nicht mehr darüber nachdenken muss. Alle Diskurse, Differenzierungen und Konzepte, mit denen wir heute in der Rhetoriktheorie arbeiten, kommen ja aus der Antike. Deshalb gehe ich dahin zurück und ich habe festgestellt, dass die sich mit diesem Thema sehr intensiv beschäftigt haben.

taz: Und zu welchen Ergebnissen sind sie dabei gekommen?

Uhlmann: In der Antike haben die einen gesagt, die Wahrheit ist sowieso nicht erreichbar und es reicht darum völlig aus, wenn man auf solche plausiblen Konzepte wie den common sense verweist. Und dann gibt es jene wie Aristoteles, die sagen: Die Aufgabe der Rhetorik muss es sein, dass der Redner seine Position mit den besten Argumenten darstellt. Er muss also mehr machen als nur andere zu etwas zu überreden.

Online-Vortrag „Bullshit, Fake News und Manipulation – wie antike Rhetorik und Philosophie helfen können“, kostenlose Anmeldung über die VHS Lübeck, 3.12., 19.30 Uhr

taz: Wie lässt sich diese Erkenntnis heute anwenden?

Uhlmann: Ich meine, es lassen sich mit diesen Ansätzen aus der Antike Schutzmechanismen dagegen entwickeln, dass man auf Manipulationstechniken hereinfällt.

taz: Es geht also um das Erlernen von Kulturtechniken und um Medienkompetenz?

Uhlmann: Genau, es geht um die Kulturtechnik des Differenzierens. Und auf einer weiteren Ebene auch um Phänomene wie Deep Fakes und von KI generierte Bilder. Da reicht es ja nicht, Fälschungen zu erkennen. Sondern man sollte auch wissen, was diese Bilder überhaupt mit uns machen. Also, welche Botschaften transportieren und insinuieren, also unterstellen sie?

taz: Und um das zu vermitteln, halten Sie jetzt einen populärwissenschaftlichen Online-Vortrag bei der Volkshochschule?

Uhlmann: Ja, ich mag es gerne, wenn sich meine Vorträge und Texte an verschiedenen Publika richten.

taz: Haben Sie in der Richtung schon positive Erfahrungen gemacht?

Gyburg Uhlmann: Ja, ich habe eine ganze Reihe von Projekten mit Schülern und Schülerinnen gemacht. Und obwohl diese keinerlei Vorbildung in der Hinsicht haben, interessieren sie sich dafür, weil sie merken: „Da gab es schon in einer ganz anderen Zeit Leute, die über ähnliche Dinge nachgedacht haben wie ich heute.“

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