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Experte über Aufrüstung Skandinaviens„Wir können uns nicht auf der Nase rumtanzen lassen“

Der Druck aus Russland wächst, die Trump-Regierung ist wankelmütig. Die nordischen Länder müssen ihre Sicherheitskonzepte neu aufstellen.

Norwegische Sol­da­t:in­nen bereiten sich auf die Teilnahme an der Militärübung „Nordic Response“ vor, am 6. 3. 2024 Foto: Heiko Junge/NTB/ picture alliance
Anne Diekhoff

Aus Härnösand

Anne Diekhoff

taz: Herr Allers, auf der Berliner Sicherheitskonferenz wird diese Woche die Sicherheitslage in Nordeuropa diskutiert. Wie würden Sie die Situation aktuell beschreiben?

Robin Allers: Die Sicherheitslage hat sich aus zwei Gründen sehr grundlegend verändert. Das eine ist die russische Aggression gegen die Ukraine und dadurch der Konflikt mit dem Westen allgemein. In diesem Kontext sieht Russland jetzt auch die nordischen Länder als „unfreundliche Staaten“ an. Hier gilt jetzt das, was man auch in Deutschland sagt: „Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im Frieden.“ Nordeuropa sieht sich permanent unter Angriff, was Desinformation, Sabotage und alle möglichen Arten von hybrider Störung angeht. Die Lage hat sich also auch konkret verschlechtert.

taz: Welche Rolle spielt der Nato-Beitritt von Finnland und Schweden 2023 und 2024?

Allers: Dadurch hat sich die ganze Sicherheitsarchitektur im Norden verändert. Die Länder können jetzt auf eine ganz neue Art und Weise zusammenarbeiten, können im Nato-Rahmen gemeinsam planen, nachrichtendienstliche Informationen austauschen und Übungen durchführen. Die neue Lage fordert natürlich auch die nordischen Länder heraus, etablierte Positionen zu überdenken. Norwegen etwa hat immer diese selbst auferlegten Beschränkungen gehabt. Seit 1949, also als es der Allianz beigetreten ist, war ein wichtiges Signal an die Sowjetunion und später an Russland, dass von Norwegen keine Bedrohung ausgeht. Zum Beispiel sollte keine alliierte militärische Aktivität östlich des 24. Längengrads stattfinden, in der Nähe von Russlands strategischen Atomkapazitäten und Nordmeerflotte. Diese Beschränkungen sind aber selbst auferlegt. Norwegen kann sie also auch selbst ändern.

Bild: Foto: IFS
Robin Allers

ist Sicherheits- und Verteidigungsexperte mit Fokus auf Norwegen, Deutschland und die EU. Er forscht und lehrt an der Verteidigungshochschule der norwegischen Streitkräfte in Oslo.

taz: Tut es das nun?

Allers: Es ist weiterhin Teil der norwegischen Sicherheitspolitik, das Gleichgewicht von Abschreckung und Beruhigung im Prinzip beizubehalten. Aber die neuen Nato-Partner Finnland und Schweden haben diese Restriktion nicht. Norwegen kann also nicht einfach sagen, wir machen keine gemeinsamen Übungen östlich des 24. Längengrads. Es bleibt wichtig für die norwegische Regierung, Russland gegenüber zu zeigen: Wir werden jetzt nicht zum Aufmarschgebiet für die Allianz in Nordeuropa. Gleichzeitig muss Oslo den Abschreckungsbereich hervorheben und sagen: Wir üben hier nach wie vor ganz transparent, aber wir können uns auch nicht auf der Nase rumtanzen lassen.

taz: Eine Frage, die ja ganz Europa beschäftigt, ist, wie sehr man sich eigentlich noch auf die USA verlassen kann in Zeiten von Trump. Hätte man früher drauf kommen können, dass man in zu großer Abhängigkeit von den USA steht?

Allers: Norwegen ist in dem gleichen Dilemma wie die EU-Mitgliedsstaaten. Zu sehen, wie die Trump-Regierung vorgeht, hat auch Norwegen schockiert, vor allem die Aussage, dass die Europäer selbst für ihre Sicherheit sorgen müssen. Norwegen hat sich wie die meisten anderen Länder in jeder Hinsicht sehr auf die amerikanische Sicherheitsgarantie verlassen. Das Land liegt an einer strategisch sehr wichtigen Stelle – Russland hat nicht so viele Orte, von denen aus es mit seinen U-Booten von seinen Häfen auf der Kola-Halbinsel in den Nordatlantik kommen kann. Deshalb geht man davon aus, dass die Amerikaner grundsätzlich Interesse daran haben, sich weiter in dieser Region zu engagieren. Aber plötzlich stellt man sich auch die Frage: Ist das wirklich so?

taz: Wie kann man sich auf diese neue Art Unwägbarkeit vorbereiten?

Allers: In Norwegen achtet man nun noch mehr darauf, wie man sich bilateral an wichtige europäische Alliierte bindet, also etwa Großbritannien, Deutschland, Niederlande, Polen. Etwa mit langfristigen, sogenannten strategischen Partnerschaftsabkommen, wie bei der Anschaffung neuer U-Boote in Kooperation mit Deutschland und zuletzt dem Fregatten-Auftrag an Großbritannien.

taz: Die anderen skandinavischen sowie die baltischen Länder sind gezwungen, sich vor allem auf die Sicherheitslage im Ostseeraum zu fokussieren. Welche Rolle spielt Norwegen da?

Allers: Norwegen hatte traditionell zwei wichtige Rollen in der Nato. Die nachrichtendienstliche Überwachung zwischen der Barentssee und dem Nordatlantik, und das wird weiterhin wichtig bleiben. Die andere wichtige Rolle ist die des Aufnahmelandes für alliierte Verstärkung, also eine der wichtigsten Rollen bei einer Krise in Europa oder an der Nato-Nordflanke. Verstärkung käme dann in Norwegen an. Wenn man nun davon ausgeht, dass die Ostsee in einer Krisensituation unzugänglich ist, kommt Norwegen eine wichtige Rolle als Transitland zu. Durch den Nato-Beitritt seiner Nachbarn muss Norwegen jetzt also einen neuen Blick auf die ganze skandinavische Halbinsel haben.

taz: Wenn die Ostsee unzugänglich wäre, wie ginge es dann dem Baltikum?

Allers: Man würde dann auch von Schweden und Finnland unterstützen müssen. Die Nato hat neue Pläne aufgestellt, in denen Schweden und Finnland gemeinsam mit den anderen nordischen Staaten im Nordwesten der Allianz integriert sind. Das beunruhigt natürlich die Balten, nach dem Motto: Kümmert ihr euch nicht mehr um uns? Es ist wichtig für die baltischen Länder, dass man den Ostseeraum als Gesamtes denkt.

Welche Rolle nimmt Dänemark ein?

Allers: Dänemark ist auch ein sehr interessanter Fall. Nicht nur, dass die Dänen so viel aufrüsten und sehr aktiv in der Unterstützung der Ukraine sind. Sie haben wieder entdeckt, dass sie auch ein arktisches Land sind. Über die nordische Zusammenarbeit als auch im gesamten europäischen Kontext sind sie auf einmal ein aktiver Partner für die kollektive Sicherheit geworden.

taz: Dänemark ist wohl auch durch Trumps Grönland-Ambitionen aufgewacht?

Allers: Ja. Es gibt dieses berühmte Foto von Mette Frederiksen, mit Finnlands Präsident Alexander Stubb, Norwegens Ministerpräsident Jonas Gahr Støre und Schwedens Ulf Kristersson an ihrem Küchentisch, wo sie sich nach Trumps Grönland-Aussagen getroffen haben. Es gibt ein neues Interesse auch an nordischer Zusammenarbeit. Aber die muss immer zusammen mit den wichtigsten europäischen Prozessen gedacht werden und mit der Frage, wie man gleichzeitig die USA interessiert hält.

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7 Kommentare

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  • Mein Landsmann hätte ruhig auch die russischen Propagandaaktivitäten in der Finnmark und Troms erwähnen können. Die sind nämlich mittlerweile nicht mehr zu übersehen. Im Gegensatz zu den russischen U Booten die höchstens die Fischer mit ihrem Radar ausmachen können, wenn überhaupt.

    Kardinafehler aus Oslo seit jeher zu übersehen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung besonders in der Finnmark für russische Narrative empfänglich ist. Der Befreiungsmythos durch die Rote Armee ist hier noch lebendig. Vergessen hat man auch nicht, dass zu Zeiten des Kalten Krieges im Ernstfall die Finnmark nicht verteidigt sondern als Rückzugsgebiet dienen sollte. Das ist in den Köpfen vieler Menschen noch präsent und da helfen auch Beteuerungen oder der Aufbau einer neuen Brigade wenig, um die Skepsis gegenüber Oslo zu beseitigen.

    Den rapiden Kurswechsel kann auch nicht jeder nachvollziehen. Von der staatlich geförderten Völkerverständigung mit Austauschprogrammen zurück in die Zeit des Kalten Krieges. Der von der Völkerverständigung im Norden damals gar nicht so kalt war, wie er es jetzt zu werden scheint. Aber, nicht der Norden zittert, sondern der Süden.

    • Anne Diekhoff , des Artikels, Nordeuropa-Korrespondentin

      @Sam Spade:

      Hallo und Danke für Ihre Anmerkungen! Zum Hintergrund: Eine Stunde Gespräch ergibt so viel Text, das können Sie sich nicht vorstellen. Deshalb kann kein Interview mit restlos allen gemachten Aussagen erscheinen, sondern wird für die schriftliche Form gekürzt. Dabei fallen manchmal auch Aspekte raus, die man gerne drin behalten hätte, man muss das sorgsam abwägen. Propaganda ist ja Teil einer hybriden Kriegführung, und dafür stand hier repräsentativ die Aussage: "Wir sind nicht im Krieg, aber auch nicht mehr richtig im Frieden". Robin Allers hat dazu u.a. Desinformation als ein Beispiel genannt. Für den Platz im Epaper war das genau der eine Satz zu viel, für die Online-Fassung habe ich jetzt darum gebeten, dass er wieder reingenommen wird.

  • Ob Wladimir ahnte, wie sich die europäische Sicherheitsarchitektur durch seinen Überfall auf die Ukraine seinen Ungunsten verändern würde? Wohl kaum, er dürfte sich einfach in eigener Selbstüberschätzung geirrt haben. Wie schon so viele Autokraten vor ihm.

    • @vieldenker:

      Was heißt denn zu seinen Ungunsten? In vielen europäischen Ländern wie Deutschland, Slowakei, Ungarn, Finnland, Norwegen ist die Bevölkerung gespalten über den richtigen Weg mit Russland umzugehen.

      Die Europäer geben Milliarden für "totes Kapital" in Form von Aufrüstung aus, was an anderen Stelle in den Staatshaushalten zu Kürzungen führt, besonders im sozialen Bereich und bei Investitionen in die Infrastruktur. Schwächt die Wirtschaft und trägt zu sozialen Spannungen in der Bevölkerung bei.

      Vom Erstarken der Rechtspopulisten in Europa ganz zu schweigen. Der Anteil russischer Propaganda daran ist nicht unerheblich. Gilt auch für den russischen Beitrag zur illegalen Migration.

      Destabilisierung ist Putins Agenda, da braucht es keine militärische Eroberung um an Einfluss auf gewisse europäische Staaten zu gewinnen und genau darum geht es Moskau. Dominanz auf dem Kontinent auszuüben. Erst im östlichen Teil und nach Zerfall der EU auf den Rest Europas.

      Auf dem Weg dahin spielt er Katz und Maus mit den Europäern. Und die Springen über jedes Stöckchen.

      Putin ist ein Taktiker der genau weiss welche Taste er zu welchem Zeitpunkt drücken muss um die gewünschte Reaktion zu erzeugen.

    • @vieldenker:

      Sein Plan war ja die Ukraine in wenigen Tagen zu besetzen, die Zivilgesellschaft auszulöschen und dann die Ukraine und Belarus einzugliedern und dann aus einer Position der Stärke den Rückzug der NATO aus Osteuropa zu erzwingen und damit Russland wieder als Weltmacht zu etablieren.

    • @vieldenker:

      "zu seinen Ungunsten"

      Diese Formulierung trägt allerdings bereits die Sichtweise der russischen Regierung in sich. Russland hat die Sicherheit Europas zu Ungunsten seiner Nachbarn verändert.

      Die NATO stellt keine Bedrohung des russischen Territoriums dar. Insofern hat sich real gar nichts für Russland geändert.



      Eine Verschlechterung kann man nur dann sehen, wenn man die russischen Ansprüche auf dessen Nachbarstaaten als legitim ansieht.

      • @Chris McZott:

        Ja, diese Formulierung spiegelt die Sichtweise Russlands wider.

        Deshalb muss man die Ansprüche abwr nicht für legitim halten.

        Wenn ein Staat Hegemonialansprüche über Nachbarstaaten geltend macht und diese Nachbarstaaten sich daraufhin zu einem Verteidigungsbündnis zusammenfinden und aufrüsten, kann man das so durchaus formulieren.

        "Zu Ungunsten" Russlands bedeutet hier: zu Gunsten seiner westlichen Nachbarstaaten.

        Ohne es für gerechtfertigt zu halten, dass die russische Einflusssphäre bis Portugal reichen sollte.