Energiewende und Klimaschutz: „Wir dürfen nichts unversucht lassen“
Unter Obama hat Steven Chu die Energiewende der USA mitgestaltet, jetzt zerstört Trump sie. Ein Gespräch über Klimaflüchtlinge, Kernkraft und Kompromisse.
taz: Herr Chu, Sie sind Physiker und verfolgen die weltweite Energiepolitik seit Jahrzehnten. Was prognostizieren Sie: Auf welche Welt steuern wir zu?
Steven Chu: Angesichts des zögerlichen Handelns glaube ich, wir bewegen uns auf mindestens drei Grad Erderwärmung zu. Die Frage ist: Was passiert dann? Viele Menschen in reichen Ländern argumentieren, sie könnten sich an den Klimawandel anpassen und dass es nicht so schlimm kommen wird, wie es Menschen in ärmeren Ländern vorhersagen. Das ist eine schwere Fehleinschätzung.
taz: Worin liegt die Fehleinschätzung?
Chu: Wenn Extremwetter Ernten zerstört oder anhaltende Dürre die Wasserversorgung bedroht, können soziale Strukturen und Regierungen zusammenbrechen. Dann verlassen verzweifelte Menschen ihr Zuhause, um sich einen neuen Ort zum Leben zu suchen. Das bedeutet Migration auf einem bisher unbekannten Niveau. Die Weltbank erwartet bis Mitte des Jahrhunderts mehr als 200 Millionen Klimaflüchtlinge. Viele Leute scheinen noch nicht verinnerlicht zu haben, dass es sehr viel Sinn macht, Menschen auf der anderen Seite der Welt zu unterstützen.
77, ist Professor für Molekular- und Zellphysiologie sowie für Energiewissenschaft und -technik an der kalifornischen Stanford University. 1997 erhielt er für seine Grundlagenforschung zum Einfangen von Atomen den Nobelpreis in Physik. Von 2009 bis 2013 wechselte er als Energieminister unter Präsident Obama in die Politik.
taz: Und zwar wie?
Chu: Zunächst muss es darum gehen, die negativen Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen, indem man den Menschen dabei hilft, sich so gut wie möglich anzupassen. Ziel muss es sein, die Gesellschaftsstrukturen intakt zu halten. Beim Ausbruch des Zika-Virus’ 2016 hätten die USA ihre Grenzen gegenüber Menschen aus Afrika schließen können. Stattdessen schickte Präsident Obama Hilfsteams, um den Ausbruch vor Ort zu bekämpfen.
taz: Aktuell setzten USA und EU auf Abschottung.
Chu: Das ist völlig falsch, es wird nicht funktionieren. Ich erinnere mich an eine Unterhaltung aus meiner Zeit als US-Energieminister: Meine Kollegen in Indien machten sich Sorgen über mögliche Klimaflüchtlinge aus Bangladesch. Dort leben 90 Prozent der Menschen nur wenige Meter über dem Meeresspiegel. Wenn der Meeresspiegel weiter steigt, könnten vorwiegend Muslime aus Bangladesch in das nicht muslimische Indien strömen. „Was sollen wir dann machen?“, fragten meine Kollegen. „Wir können sie doch nicht an der Grenze erschießen.“ Natürlich nicht! Man muss den Menschen in Bangladesch helfen, sich zu schützen, ehe eine Katastrophe eintritt. Andernfalls landet das Problem bei Ihnen vor der Haustür.
taz: Hat Ihr rationales Argument eine Chance gegen Ideologie und die aktuelle Stimmung, das Thema Klimawandel lieber zu verdrängen?
Chu: Ich mache mir große Sorgen über die aktuelle Entwicklung. Trump zum Beispiel bremst alle Fortschritte aus, die in den USA gemacht wurden. Er versucht sogar, Projekte zu stoppen, die schon finanziert sind. Denken Sie an die Windparks an der Atlantikküste: Die Hälfte der Anlagen steht bereits, die übrigen liegen im Hafen bereit. Aber der Weiterbau wird verboten, weil Trump es so will. Es ist ähnlich wie bei den Medikamenten des Hilfsprogramms USAID, die in Lagerhäusern bereitliegen, aber jemand in der Regierung sagt: „Nein, wir verteilen sie nicht.“ Das ist wirklich total verrückt.
taz: Könnte das zum Bumerang für die USA werden?
Chu: Natürlich kann Trump versuchen, alles zu stoppen, was ihm nicht passt – aber die Welt dreht sich weiter, und der Klimawandel ist eine Tatsache. China wird weiterhin in erneuerbare Energie, in Batterieforschung und Elektromobilität investieren, und auch Europa wird nicht sagen: „Oh, der Präsident der Vereinigten Staaten glaubt nicht daran, dass es den Treibhauseffekt gibt, also gibt es ihn auch nicht.“ Im Gegenteil. Das Investieren in grüne Technologien wird zu wirtschaftlichen Vorteilen führen. Wer eine führende Rolle dabei spielt, diese Technologien zu entwickeln, wird auch mehr Wohlstand ernten.
taz: Auch Deutschland tut sich schwer mit der Energiewende. Haben Sie Tipps für Friedrich Merz?
Chu: Ihre beste Ressource für erneuerbare Energie ist die Windkraft, und je mehr Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee existieren, umso billiger wird Strom werden. Das große Problem, das ich sehe, ist der Widerstand der Menschen gegen den Bau neuer Hochspannungsleitungen. Die muss es aber geben, um die Energie in den Süden, zu den energiehungrigen Branchen zu transportieren. Andernfalls wird die Energiewende zum Handicap.
taz: Die Lösung unserer Ministerin für Energie und Wirtschaft ist es, neue Gaskraftwerke zu bauen.
Chu: Erdgas ist eine Übergangslösung, aber langfristig muss Deutschland die Stromerzeugung dekarbonisieren. Ich hoffe weiterhin, dass es gelingen wird, Kernkraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen. In den USA akzeptiert mittlerweile die Mehrheit der Erwachsenen Kernkraft als Teil unseres Energiemixes. Ich habe jahrelang versucht, Deutschland davon zu überzeugen, dass es ein Fehler ist, Atomkraftwerke abzuschalten, die man noch 15 oder 20 Jahre lang hätte weiterbetreiben können.
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taz: Das Thema ist in Deutschland erst recht kontrovers – und viele Forscher*innen halten eine Energiewende auch ohne Atomkraft für möglich.
Chu: Was bleibt noch, wenn Sie sich gegen alles sperren? CO2 abzuscheiden und unterirdisch zu speichern, das wollen Sie auch nicht, weil die Menschen Angst haben, dass diese Technik Erdbeben auslösen könnte. So weitermachen wie bisher geht auch nicht, das ist die schlechteste Alternative. Alles, was wir beobachten, entspricht den Prognosen zu den Auswirkungen des Treibhauseffekts. Seit Jahren häufen sich außergewöhnliche Ereignisse. Starkregen mit Überflutungen, lange Dürrephasen, Rekordhitze – die Lage ist wirklich sehr ernst.
taz: Da würden auch nur wenige widersprechen.
Chu: Den meisten Menschen ist klar, dass wir etwas gegen den Klimawandel unternehmen müssen. Also brauchen wir Kompromisse. Bei Kernkraft gibt es vielversprechende neue Ansätze für das Problem der Endlagerung und auch das Reaktordesign. Moderne Reaktoren sind oft kleiner, modular aufgebaut und deutlich sicherer. Man nennt sie auch „walkaway safe“, weil sie keine Gefahr darstellen, selbst wenn der Zugang zu Strom und Kühlwasser verloren geht und das Personal keine aktive Kontrolle mehr über den Reaktor besitzt.
taz: Das klingt nicht gerade vertrauenerweckend.
Chu: Als ich Energieminister war, haben wir nur unter dieser Bedingung Fördergelder vergeben: Die neu entwickelten Reaktoren mussten unter allen Umständen sicher sein – keine Gefahr einer Kernschmelze oder Kontaminierung. Es wird Zeit brauchen, Menschen davon zu überzeugen, dass das gelingen kann. Aber die Gesundheitsgefahr, die von Kohlekraftwerken ausgeht, ist um ein Vielfaches höher, weil Feinstaub erwiesenermaßen zahlreiche Krankheiten auslösen kann, von Lungenkrebs bis zu Schlaganfällen.
taz: Wären Batteriespeicher für erneuerbare Energien nicht die bessere Alternative zu neuen Kernkraftwerken?
Chu: Ich bin ein großer Fan von solchen Speichern. Die Frage ist, wie schnell sich die Kosten senken lassen. Bislang sind sie immer noch etwa fünfmal höher als beim Bau einer Erdgasanlage ohne CO2-Abscheidung. Mein Rat ist, Forschung und Entwicklung von Batteriespeichern für den industriellen Einsatz mit aller Macht voranzutreiben, so schnell es nur geht. Denn es stimmt natürlich: Wenn wir an den Punkt kommen, dass grüne Energie extrem billig und immer verfügbar ist, können wir auch auf Kernenergie verzichten.
taz: Reicht das Tempo, oder ist vielleicht alles schon zu spät?
Chu: Goldene Regel Nummer eins: Man darf niemals sagen, dass es zu spät ist. Zu sagen, dass es zu spät ist, bedeutet, dass man seine Kinder und Enkelkinder ansieht und sagt: „Ihr seid auf euch allein gestellt. Ich gebe auf.“ Deshalb dürfen wir nichts unversucht lassen.
taz: Zählt dazu auch Geoengineering, also technische Eingriffe zur Manipulation des Klimas?
Chu: Vermutlich schon. Es gibt ja verschiedene Ansätze, etwa den Versuch, die Wolkenbildung gezielt zu fördern. Oder das Einbringen von Aerosolen in die oberen Schichten der Atmosphäre, wo sie das Sonnenlicht reflektieren. Das Problem dabei ist, dass wir nicht wissen, ob diese Ansätze funktionieren und welche unbeabsichtigten Folgen sie womöglich haben. So könnten zum Beispiel große Mengen an Schwefeldioxidpartikeln die Ozonschicht schädigen oder das biologische Gleichgewicht der Ozeane stören. Mir sind landwirtschaftliche Lösungen lieber; das ist ohnehin Geoengineering, aber es lässt sich viel besser kontrollieren.
taz: Woran denken Sie dabei?
Chu: Beispielsweise an die Produktion und Einlagerung von mehr Biomasse. Oder an den gezielten Anbau von Pflanzen, die CO2 aus der Atmosphäre in Biomasse umwandeln. Die ungenutzte Biomasse kann in Form von Biokohle in den Boden zurückgeführt werden, der Rest sollte sicher isoliert werden. Die Photosynthese ist eine sehr wirkungsvolle Methode, um CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen. Auch Gesteinsverwitterung ist ein sehr vielversprechender Ansatz, um Kohlenstoff zu binden und zugleich den Ertrag der Böden zu steigern. Ich habe immer gesagt: Geoengineering der oberen Atmosphäre oder der Ozeane ist ein Akt der Verzweiflung. Ich hoffe, dass wir diesen Punkt der Verzweiflung nicht erreichen.
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