New Yorks neuer Bürgermeister: Dieses Lächeln
Ein rhetorisches Narkotikum, eine Bitte um Welpenschutz oder schlicht Ausdruck des Feeldgood-Vibes? Was hinter Zohran Mamdanis Grinsen steckt.
W as versteckt sich eigentlich hinter diesem Vorzeigeschülerlächeln von Zohran Mamdani? Nein, ich meine nicht das Siegerlächeln, das Mamdani am Dienstagabend zu Recht aufsetzte, nachdem er von etwas mehr als der Hälfte der wählenden New Yorker zum neuen Bürgermeister ihrer Stadt bestimmt wurde. Immerhin der größten in den Vereinigten Staaten. Was ich meine, ist das Lächeln, über das in der amerikanischen Medienöffentlichkeit bis kurz vor der Wahl wild spekuliert wurde.
Zum Beispiel bei „Saturday Night Live“. Am Sonntag vor der Wahl veröffentlichte die Comedyshow einen Sketch. Eine Parodie auf das TV-Duell der Bürgermeisterkandidaten, dem Cringe-Republikaner Curtis Sliwa, dem parteilos angetretenen Demokraten Andrew Cuomo und dem sozialistischen Demokraten Zohran Mamdani. Darin persifliert Komiker Ramy Youssef auch Mamdanis Lächeln. Seine Augen zieht er zu undurchsichtigen Strichen zusammen, sodass sich kleine Lachfalten unter den Lidern abzeichnen, und bleckt dabei die geweißten Zähne, wie in einer Colgate-Werbung.
Als satirische Erklärung, warum Mamdani dieses Lächeln ständig zeige, sagt Youssef dann: „Erlauben Sie mir also, Sie zu beruhigen, indem ich nach jedem Satz so lächle, dass es mir körperlich wehtut.“
Zohran Mamdanis Lächeln, ein rhetorisches Narkotikum? Ein Mittel, um die übertriebenen Zweifel seiner Gegner, ihre Angst vor einem muslimischen Sozialisten als Bürgermeister einer der kapitalistischen und westlichsten Metropolen der Welt zu zerstreuen? Dass der Sketch nicht wirklich als Kritik gemeint ist, wurde spätestens klar, als Mamdanis Kampagnen-Account auf Instagram ein Video veröffentlichte, in dem Mamdani, mit dem als er verkleideten Ramy Youssef telefoniert, herzlich über sich selbst lacht, und Youssef, der Satiriker, Mamdani zur Verabschiedung sagt: „Ich liebe dich, Bruder!“
Teil einer selbstkritischen Elite
Weitaus härter urteilten hingegen Mamdanis politische Herausforderer über sein Lächeln. In KI-generierten Videos, die teilweise von Andrew Cuomos Kampagnenfonds finanziert und von kollaborierenden Politfluencern verbreitet wurden, wird das Bild von Mamdanis angespanntem Grinsen verwendet, um seine vermeintliche Doppelmoral zu enthüllen. Wehrlose Frauen werden in den KI-Videos in Käfige oder Hijabs gezwängt, Kriminelle entführen Kinder, betrunkene Sittenschweine schlagen ihre Ehefrauen, und all das passiert, während Zohran Mamdani lächelnd danebensteht und zuschaut. Die äußerst amoralische Botschaft dieser Clips ist klar: Mamdanis Lächeln ist eine Maske, hinter der sich die Abgründe seiner fatal falschen Politik verbergen sollen.
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Dabei repräsentiert Mamdanis Lächeln erstmal nur eins: den Feelgood-Vibe seiner popkulturell aufgeladenen Wahlkampagne. Die konnte man im vergangenen Jahr vor allem in den sozialen Medien verfolgen. In Tausenden von Videos, oft erstellt und geteilt von Volunteer-Gruppen, Influencern und Aktivisten, die Mamdani ihre Freizeit und Arbeit schenkten, um ihm zu seinem besonderen Vibe und damit zum bahnbrechenden Erfolg seines Wahlkampfs zu verhelfen.
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In den ersten Videos, Ende 2024, trat Zohran Mamdani noch als unbeholfen süßer Nobody auf. Als ein damals noch 33-jähriger Abgeordneter im Unterhaus des Bundesstaats New York, der als sozialistischer Streber im Arbeiterbezirk Queens in einer überteuerten Einzimmerwohnung lebt, und dem man unter die Arme greifen muss, damit er sich entfalten kann.
Klar, schon damals war das nur Inszenierung. Mamdani stammt selbst aus den wohlhabenden Verhältnissen, die er als Mitglied der Democratic Socialists oft kritisiert. Seine Eltern, die oscarnominierte Filmemacherin Mira Nair und der Columbia-Professor Mahmood Mamdani, sind Teil der Kulturelite New Yorks. Und das ist nicht per se verwerflich. Mamdani als politische Figur mag das sogar geholfen haben. Teil einer selbstkritischen Elite zu sein, spiegelt den Wunsch vieler gut- und großbürgerlicher Millennials und Gen Zs wider, denen trotz Ivy-League-Abschluss und wegen Donald Trumps gewaltvoller Machtübernahme der gesellschaftliche Bedeutungsverlust droht.
Ein neuer Obama?
Auch das steckt also bei genauerem Hinsehen in Mamdanis Lächeln: eine leichte Unsicherheit, die signalisiert, man solle seine Aussagen, seine politischen Argumente und utopischen Vorschläge, nicht zu doll kritisieren. Schließlich gelte ja der Welpenschutz.
Aber nochmal: geschadet hat ihm auch das nicht. Ganz im Gegenteil, genauso passte diese subtile Verletzlichkeit in die optimistisch-authentische Grundstimmung seiner Kampagne. Die setzte sich damit bewusst von der politischen Doomsday-Stimmung ab, die Trumps Abrissbirnenpolitik gerade im gesamten Land verbreitet – zumindest unter Linken, Liberalen und vernunftbegabten Konservativen.
Gleichzeitig unterschied sich Mamdanis Auftritt gewaltig von den Kampagnen seiner Kontrahenten Andrew Cuomo und Curtis Sliwa. Denn beide, und das dürfte an deren betagtem Alter liegen, setzten sie, ähnlich, wie Trump und andere rechte Apokalyptiker, auf negative Emotionen, um Stimmung für sich zu machen. Ständig ging es dabei um Sicherheit, nicht um Zukunft, was vor allem bei jungen Wählergruppen nicht gerade gut ankam.
Jede mieslaunige Störung in der Kommunikationsklaviatur – zum Beispiel Trumps Wahlempfehlung für Cuomo – konnte Mamdani mit seinem triumphierend positivem Lächeln weggrinsen und daraus Energie für seine Feelgood-Kampagne ziehen. Frei nach dem berühmten Satz von Michelle Obama im US-Wahlkampf 2016: „When they go low, we go high.“ Gerne und oft wurde Mamdanis optimistisches Kult-Momentum auch mit der von Barack Obamas „Yes We Can“-Kampagne von 2008 verglichen.
Er ist eine Projektionsfläche
Nur seine Spötter setzten ihn online lieber mit dem iranischen Rebellenführer Ajatollah Chomeini gleich, sprachen von einem „Mullah-Grinsen“, und zogen Parallelen zwischen New York 2025 und Teheran 1979, kurz bevor die islamische Revolution aus der liberalen Stadt eine klerikal-faschistische No-go-Area machte. Doch das Einzige, was all diese Vergleiche zeigen, ist, wie schwer sich viele Kommentatoren damit tun, Zohran Mamdanis besonderen Massenappeal auf einen angemessenen Begriff zu bringen.
Dabei wäre das gar nicht so schwer. Mamdani ist schlichtweg ein postmodernes Chamäleon. In seinem Lächeln steckt weder das heimliche Genie eines bösen Masterminds, noch das spontan sprühende Charisma eines Barack Obama. Vielmehr zeigt sich darin eine Leere, die harmlos genug erscheint, um von Mamdanis Anhängern mit deren begründeter Hoffnung auf politischen Fortschritt oder auf einen unkomplizierten Ausweg aus ihrer Alltagsmisere aufgefüllt zu werden. Mamdani ist kein Führer, und er ist kein Ideologe. Er ist eine Projektionsfläche.
Eine Eigenschaft, die auch erklärt, warum die Mamdani-Euphorie religiöse Züge angenommen hat. Die konnte man erleben, wenn man eine der vielen Zohran-Wahlpartys am Wahltag in New York besuchte. Zum Beispiel die der Kampagnen-Fundraiser „Hot Girls 4 Zohran“ in Brooklyn. Circa 300 Fans waren deren Einladung in eine queere Stand-up-Comedy-Bar gefolgt. Viele der Partygäste hatten über Monate hinweg Straßenwahlkampf für ihr Politidol gemacht.
Was sie dabei antrieb: „Radikale Hoffnung“, wie Cait Camelia, eine der Gründerinnen von Hot Girls 4 Zohran, auf der Bühne sagte. Andere sprachen von einem „Gefühl der Ohnmacht“, das man dank Mamdanis Kampagne überwunden habe. Vieles an diesem Abend klang nach Offenbarung. Zohran Mamdani der Erlöser? Die letzte Rednerin auf der Wahlparty sagte es so: „Es geht nicht um die Person, sondern um die Bewegung.“
Auch Daniel Kehlmann ist Fan
Und folgte man dem Stimmungsbarometer der Publikumsreaktionen, schien es vor allem einen gemeinsamen Nenner zu geben, der die Mamdani-Bewegung im Inneren zusammenhält: der Hass auf Israel. Den meisten Applaus bekam an diesem Abend der Slogan: „Get AIPAC out of the city!“ AIPAC ist die größte proisraelische Lobbyorganisation der USA. Mit New Yorker Lokalpolitik hat die zwar wenig zu tun, trotzdem bewog dieser Slogan hier mehr als das legendäre „Tax the rich!“
Und das ist ein riesiges Problem. Nicht nur für New Yorker Juden mit guten Beziehungen zu Israel. Auch für Zohran Mamdani und seine Anhänger. Es macht ihre scheinbare moralische Überlegenheit, mit der sie sich von den rechten, amoralischen Apokalyptikern abheben wollen, unglaubwürdig. Ihr Charisma wird so zum bedrohlich falschen Spiel; Zohrans Lächeln zur Farce.
Wie tief der Glaube an Mamdanis moralische Makellosigkeit trotzdem ist, kann man sogar in Deutschland erleben. Am Tag vor der Wahl gab der in New York lebende deutsche Autor Daniel Kehlmann – ein Intellektueller mit jüdischer Familie – dem Deutschlandfunk ein Interview. Gefragt wurde er dort nach seiner persönlichen Sicht auf Mamdani.
Und die fiel äußerst euphorisch aus. Fast so, wie die von einem der „Hot Girls“ in Brooklyn. Jede Kritik an Mamdani, die möglicherweise hätte aufkommen können, insbesondere an dessen antizionistischer Grundhaltung, wehrte Kehlmann bereits zu Beginn des Interviews als „Fehlinformation“ und Schmierenkampagne mächtiger Establishment-Milliardäre ab.
Selbst Mamdanis ungebrochenes Festhalten an gewaltverherrlichenden Protestparolen wie „Globalize the Intifada“ entschuldigte Kehlmann. Die reale, historische Bedeutung einer Intifada – der Mord an israelischen Zivilisten – ersetzte er durch seine ganz eigene Erklärung: Mamdani habe ja selbst gesagt, „dass mit Intifada nichts Gewaltsames gemeint ist“.
Glauben kann man so einem Täuschungsmanöver nur, wenn man nicht zwischen publikumswirksamer Moralperformance und echter Moral unterscheidet. Und hier zeigt sich, was hinter Zohran Mamdanis Lächeln tatsächlich steckt, was sich in der Rhetorik des neuen Bürgermeisters von New York widerspiegelt: der Wunsch seiner Anhänger nach Zerstreuung. Nach Moralgefühl, ohne Klarheit, Gewissen und Widerspruch.
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