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Prinzip HoffnungHoffnung entsteht durch Beharrlichkeit

Die UN rügt Deutschland dafür, einen Geflüchteten auf die Straße gesetzt zu haben. Das ist nicht nur ein juristischer Sieg.

Es lohnt sich, für die eigenen Rechte zu kämpfen: Demonstrierende von Sea Watch, Amnesty International und Pro Asyl am 9. 6. 2023 Foto: Stefan Boness/picture alliance

I n Deutschland, einem Land, das sich gern auf Menschenrechte beruft, musste ein junger Geflüchteter bis zu den Vereinten Nationen gehen, um sie einzuklagen. Der UN-Sozialausschuss hat die Bundesregierung gerügt, weil sie Menschen auf die Straße setzt – Geflüchtete, die im sogenannten Dublin-Verfahren sind, also in ein anderes EU-Land abgeschoben werden sollen. Ihnen dürfen laut Gesetz Unterkunft, Essen, Kleidung, medizinische Versorgung gestrichen werden.

Der Fall, um den es jetzt ging, betrifft einen 20-jährigen Syrer im Thüringer Ilm-Kreis. Er wurde im Winter 2024 aus seiner Unterkunft geworfen. Unterstützt von Pro Asyl, dem Flüchtlingsrat Thüringen, einem Anwalt und der Gesellschaft für Freiheitsrechte, klagte er bis nach Genf und bekam Recht: Der UN-Sozialausschuss fordert, dass Deutschland ihn wieder unterbringt und mit dem Lebensnotwendigen versorgt. Zum ersten Mal in der Geschichte hat das Gremium Deutschland wegen eines Verstoßes gegen soziale Menschenrechte gerügt. Eine Ohrfeige für eine Regierung, die von sich behauptet, sie verteidige Humanität.

Diese Entwürdigung ist politisch gewollt: Im Oktober 2024 beschloss die Ampel (SPD, Grüne, FDP) ihr sogenanntes „Sicherheitspaket“. Nach dem Anschlag von Solingen wollte die selbsternannte „Fortschrittskoalition“ Deutschland sicherer machen, indem es Geflüchtete entrechtete und obdachlos machte. Eine menschliche Bankrotterklärung. Von Anfang an warnten Expert*innen, Jurist*innen, Menschenrechtsorganisationen, Sozialverbände, Kirchen – alle sagten: Das ist rechtswidrig. Das verstößt gegen die Menschenwürde. Doch die Regierung hört, wie so oft, nicht zu.

Seither haben Pro Asyl zufolge mehr als 60 Gerichte in Deutschland den Betroffenen, die gegen den Leistungsausschluss geklagt hatten, Recht gegeben. Und nun auch die Vereinten Nationen. Das ist mehr als ein juristischer Sieg: Es ist ein Signal an unsere Gesellschaft, dass es sich lohnt, für die eigenen Rechte zu kämpfen. Wenn Ungerechtigkeit und Entrechtung politisch beschlossen wird, macht es Hoffnung, dass es eine Zivilgesellschaft gibt, An­wäl­t*in­nen und Aktivist*innen, die Gerechtigkeit erkämpfen. Der Rechtsstaat wird von unten verteidigt.

Es ist leicht, sich ohnmächtig zu fühlen in Zeiten, in denen selbst eine Regierung, die sich „progressiv“ nennt, Schutz zum Risiko erklärt. Vor allem jetzt, wenn mit Union und SPD eine Regierung an der Macht ist, die bewiesen hat, dass sie sich über Gerichtsentscheidungen hinwegsetzt, beispielsweise mit den Zurückweisungen an der deutschen Grenze. Aber dann sieht man Menschen, die nicht aufgeben und ihre Rechte einklagen, und man begreift: Hoffnung entsteht durch Beharrlichkeit.

Was bleibt, ist eine Frage, die je­de*r für sich selbst beantworten muss: Was tun, wenn Gesetze Menschen entrechten? Wegsehen oder widersprechen? Schweigen oder handeln? Aus Prinzip Hoffnung zu haben bedeutet, in der Ungerechtigkeit nicht zu verharren, sondern sich seiner Rechte bewusst zu sein und für sie zu streiten.

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Daniela Sepehri
Jahrgang 1998, lebt in Berlin. Freie Social Media Beraterin, Autorin und Journalistin mit den Schwerpunkten Iran, Migration, Antirassismus und Feminismus. Bachelorabschluss in Geschichte, Publizistik und Kommunikationswissenschaften an der Freien Universität Berlin.
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12 Kommentare

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  • "Ein junger Afghane sollte keine Leistungen mehr erhalten, weil Rumänien für seinen Asylantrag zuständig sei. Der Generalanwalt am EuGH hält das Vorgehen für europarechtswidrig. Der junge Mann müsse einen angemessenen Lebensunterhalt bekommen."



    Es gibt wohl ein Verfahren bei EuGH, aber die Bundesregierung möchte den Ausgang wohl nicht abwarten und kürzt schon mal Leitungen. Wie soll jedoch ein Migrant, der sich in einem monatelangen Dublin-Verfahren befindet, überleben? Das ist alles ganz schön unmenschlich - und die SPD macht da mit.

  • Eine Ohrfeige für die deutsche Antflüchtlings- und Antimigrationspolitik der Ampel, die von der schwarz-roten Regierung fortgeführt und dazu noch stetig verschärft wird.

    Ein Armutszeugnis auch für die thüringische Justiz, wie der Bericht von Pro Asyl deutlich macht:

    "Der Beschwerde vor dem UN-Sozialausschuss war ein Eilverfahren vor dem Sozialgericht Gotha und dann vor dem Thüringer Landessozialgericht vorausgegangen. Beide Thüringer Gerichte hatten aber den Leistungsausschluss nicht gestoppt – im Gegensatz zu zahlreichen anderen Sozialgerichten bundesweit, die unter anderem unions- und verfassungsrechtliche Bedenken geäußert hatten. Das daraufhin angerufene Bundesverfassungsgericht hatte den Rechtsstreit inhaltlich nicht entschieden, sondern auf das aufenthaltsrechtliche Verfahren am Verwaltungsgericht verwiesen. Als auch dieses scheiterte, blieb nur der Weg zur UN-Beschwerde."

    In viel zu vielen Bereichen gewinnt man den Eindruck, dass der deutschen Regierung Gesetze und Völkerrecht inzwischen völlig gleichgültig sind.

  • Ich kann die Rüge nicht nachvollziehen. Die EU hat eindeutig geregelt, welches Land für den Mann zuständig ist. Dieses Land muss ihm Unterkunft und sonstige Versorgung geben. Er wird von Deutschland also eben NICHT in die Obdachlosigkeit gedrängt, sondern nur dazu angehalten, sich in dem EU-Land aufzuhalten, das für ihn zuständig ist. Das ist nun wirklich nicht zuviel verlangt und auch nicht unmenschlich. Es steht ja NICHT zur Debatte, ihn irgendwohin abzuschieben, wo Krieg und Verfolgung herrscht. Es geht vielmehr um eine geregelte Organisation innerhalb der EU.

    • @Winnetaz:

      Er hat doch nicht einmal die Möglichkeit, in das zuständige Land auszureisen.

    • @Winnetaz:

      Das Dublin-Verfahren ist offensichtlich noch nicht abgeschlossen. Und so lange muss er angemessenen Lebensunterhalt bekommen.

  • Gut gesagt und gut, dass solche Informationen weiter gereicht werden: Nicht aufgeben!Gerade versuchen Rechte& Rechtsextreme&etablierte Kolaborateure alle erkämpften Menschenrechte, Frauen-, LGBTI -, Patientenrechte, soziale Rechte und sogar die wissenschaftlich begründete ökologische Vernunft abzuschaffen, das geht gar nicht! Sich weiter wehren und sich vernetzen hilft gegen die "Deutsche Krankheit" des ängstlichen fürchtens, dass es wieder die autoritären Mächte sein werden, die siegen und mensch will nur gehorchen, um durch zu kommen...Das geht nur andersrum: Zukunft haben wir nur als Menschheit und Demokratie muss durch ökonomische Demokratie erweitert werden, damit alle Wege finden, gut zu leben! Wir brauchen ja Migration sowieso viel mehr, warum nicht sichere Willkommens Infrastruktur schaffen mit den Geldern, die derzeit für das Sterben lassen der Menschen bezahlt werden. Interpol könnte ja auch so die rausfiltern, die vom Iranischen Geheimdienst sind, oder bei Assad Kriegsverbrechen begangen haben, oder von der Nigerianischen Mafia sind. Migration ist kein Verbrechen! Das ist gerade zum 9. Nov. hin ganz dringend zu erinnern in der EU & den USA!Lernen aus der NS Geschichte!!

  • Das Verhalten der deutschen Politik und Verwaltung ist niederträchtig.



    Aber wie soll man (theoretisch) 1.5 Jahre auf der Strasse überleben bis man Recht bekommt?



    Wo kam der Kläger in diesem Zeitraum unter?



    Hätte mal erwähnt werden sollen im Artikel..

  • Der betroffene Syrer hatte bereits in einem anderem EU-Land (Malta) erfolgreich Asyl beantragt, ist dann aber trotzdem nach Deutschland weitergereist. Genau diese Dublinfälle will Deutschland jetzt mal irgendann unterbinden. Deshalb sollen den Betreffenden auch keine vollen Regelleistungen mehr ausgezahlt werden. Diese sollten nämlich einfach nur ausreisen und ihre Ansprüche im zuständigen Zielland verfolgen statt bei uns.

    • @Šarru-kīnu:

      Ganz offensichtlich sehen einige Gerichte das anders:

      „Obwohl § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG zum 01.11.2024 in



      Kraft getreten ist, dürfen alle Asylbewerberleistungsempfänger darauf vertrauen, dass der



      gesetzeskräftige Leistungsausschluss weder von



      Asylbewerberleistungsbehörden noch von Sozialgerichten



      angewandt wird. Gerichte und Behörden sind gemäß Art. 20



      Abs. 3 GG nicht nur an Gesetze, sondern zuvörderst an



      hierzu vorrangiges Europarecht und Verfassungsrecht



      gebunden. Gegen höherrangiges Recht verstößt § 1 Abs. 4



      Satz 1 AsylbLG offenkundig, weil die Norm sowohl evident



      europarechtswidrig als auch evident verfassungswidrig ist.“

      www.einwanderer.ne...bLG-Ausschluss.pdf

    • @Šarru-kīnu:

      Wie soll denn eine so kleine Insel mit all den Flüchtlingen klarkommen?

      • @Il_Leopardo:

        Und wie soll der Mann nach Malta ausreisen?

        • @Francesco:

          Selbstverständlich kann das BAMF mal in Malta anklopfen und fragen, ob die ihn aufnehmen. Wenn die nein sagen, dann muss er halt hier bleiben dürfen.



          Dieses Dublin-Abkommen ist einfach nur ungerecht. Es war doch von Anfang an klar, dass die meisten Migranten über die Mittelmeerstaaten kommen würden.