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Klage gegen RundfunkbeitragEntscheidung mit Aussicht auf noch mehr Klagen

Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden: Wer ARD und ZDF mit guten Gründen für einseitig hält, kann nun gegen den Rundfunkbeitrag klagen.

Weglaufen kann man vor den Rundfunkgebühren nicht, aber dagegen klagen Foto: Sascha Steinach/imago
Christian Rath

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Christian Rath aus Leipzig

taz | Der Rundfunkbeitrag wird verfassungswidrig, wenn das Gesamtangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) über längere Zeit „gröblich“ das Ziel der Vielfalt und Ausgewogenheit verletzt. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig und eröffnete damit einen bisher nicht bestehenden Klageweg zu den Verwaltungsgerichten. Nun könnte eine Klagewelle von AfD- und BSW-nahen Kreisen folgen.

Geklagt hatte eine Frau aus Bayern, die anonym bleiben will. Sie engagiert sich in der Initiative „Leuchturm ARD“ und monierte die Einseitigkeit der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung etwa über die Corona-Maßnahmen und den russischen Krieg gegen die Ukraine. Die Frau war eine von bundesweit 200 Klä­ge­r:in­nen der Initiative. Die Initiative legt Wert darauf zu betonen, dass sie den Rundfunkbeitrag und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht generell ablehnt.

Vor den Verwaltungsgerichten in Bayern war die Frau zunächst abgeblitzt. Dort hieß es: Die Bür­ge­r:in­nen zahlen für die Möglichkeit, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu empfangen. Sie hätten aber keine Möglichkeit zu klagen, wenn sie glauben, dass der Rundfunk seinen Funktionsauftrag verfehlt, zu dem eine ausgewogene Berichterstattung gehört. Es genüge, dass die Bürger Programmbeschwerden bei Rundfunkräten der Sender einreichen können, die pluralistisch besetzt seien. Verwaltungsgerichte in anderen Bundesländern entschieden ähnlich.

Tatsächlich hat die Zahl der Programmbeschwerden in den letzten Jahren stark zugenommen, auch befeuert durch systemkritische zivilgesellschaftliche Initiativen. Beim ZDF sind 2024 zum Beispiel rund 2.000 individuelle Programmbeschwerden eingegangen, von denen rund hundert als substanziell angesehen wurden. In rund zehn Fällen räumte ZDF-Intendant Norbert Himmler Fehler ein und gelobte Besserung.

Klage geht nur mit wissenschaftlichem Gutachten

Dieser Weg direkt zu den Sendern bleibt bestehen. Daneben hat das Bundesverwaltungsgericht nun aber eine zweite Front bei den Verwaltungsgerichten eröffnet. Zwar sollen die Verwaltungsgerichte, die sonst über Baugenehmigungen und Asylbescheide urteilen, nicht den Rundfunkbeitrag kippen können. Wenn sie aber der Meinung sind, dass der ÖRR seinen Programmauftrag verfehlt, können sie das Bundesverfassungsgericht einschalten.

Und wenn dieses die Einschätzung teilt, würde es feststellen, dass die verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die Beitragspflicht entfallen ist, dass also der Rundfunkbeitrag verfassungswidrig wurde. Diese Feststellung können nur die Verfassungsrichter in Karlsruhe treffen.

Konkret sollen die Klageverfahren nun so ablaufen: Wenn Klä­ge­r:in­nen substantiiert vortragen – insbesondere durch ein wissenschaftliches Gutachten -, dass der ÖRR sein Pflicht zu Vielfalt und Ausgewogenheit über einen längeren Zeitraum evident und regelmäßig verletzt, dann müssen sich die Gerichte mit solchen Klagen beschäftigen und können nicht einfach auf die Möglichkeit der Programmbeschwerde verweisen.

Dem Bundesverfassungsgericht können die Gerichte den Fall aber nur vorlegen, wenn sie der Überzeugung sind, dass der ÖRR mindestens zwei Jahre lang mit seinem „Gesamtprogrammangebot“, also mit Fernsehen, Hörfunk und Internet-Angeboten, die Pflicht zu Vielfalt und Ausgewogenheit „gröblich“ verletzte.

Dass dies eine hohe Hürde ist, betonte an diesem Mittwoch auch der Vorsitzende Richter Ingo Kraft. Er verwies darauf, dass das Bundesverfassungsgericht 2018 den Rundfunkbeitrag grundsätzlich geprüft und für verfassungskonform eingestuft hatte. „Damals hat das Bundesverfassungsgericht das Programmangebot also nicht in Zweifel gezogen“, betonte Kraft. Und auch nach der aktuellen Argumentation der Klägerin fand Kraft es „überaus zweifelhaft“, ob sie eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht erreichen kann. Die Bayerin hatte vor allem auf Studien im Internet verwiesen, um die fehlende Ausgewogenheit zu belegen.

Weitere Klagen angekündigt

Harald von Herget, der Anwalt der Klägerin, sprach nach der Urteilsverkündung dennoch von einem „Sieg“. Er, die Klägerin und die Leuchtturm-Initiative um den Filmemacher Jimmy C. Gerum wollen die Herausforderung annehmen und weiter gegen den Rundfunkbeitrag klagen. Der Anwalt von Herget regte allerdings an, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof gleich selbst ein Gutachten zur Ausgewogenheit des ÖRR in Auftrag geben soll.

Sabine Mader, Leiterin der Rechtsabteilung des Bayerischen Rundfunks, sagte in Leizig: „Das Bundesverwaltungsgericht hat klargestellt, dass man nicht den Rundfunkbeitrag verweigern kann, wenn einem bestimmte Sendungen nicht gefallen.“

Die Leipziger Entscheidung traf der sechste Senat des Bundesverwaltungsgerichts, der jüngst mit mehreren Entscheidungen Aufsehen erregte. Im Juni hatte er das Verbot der rechtsradikalen Postille Compact für rechtswidrig erklärt. Im Juli lehnte er die Beschwerde der AfD gegen ihre Einstufung als rechtsextremistischer Verdachtsfall ab.

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23 Kommentare

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  • Dieser ganze Vorwurf, die öffentlich-rechtlichen Medien seien zu links, ist einfach nur hirnverbrannt. Man muss doch nur einmal eine Programmzeitschrift aufschlagen und sieht, wie vielfältig die Programme sind: Sendungen über Wohnen, Gartenbau, Krimis und Spielfilme aus dem In- und Ausland, Rateshows ohne Ende, Kochsendungen auf allen Kanälen, Reiseberichte, Kulturmagazine und politische Magazine, in denen auch Konservative zu Wort kommen. OK - die AfD ist da nicht häufig Gast. Macht aber nichts, da ich auf deren Phrasendrescherei getrost verzichten kann.

  • Bei einer ausgewogenen und fairen Berichterstattung wird es also keine Probleme geben, gut so. Die Berichte sollten sich auf Tatsachen beziehen und das Erzieherische weglassen. Dass grundsätzlich geklagt werden kann ist o.k., wenn auch mit sehr hohen Hürden.

  • Ich empfinde das Urteil eher als sinvoll.

    1. Wird es durch die hohen Hürden hoffentlich viele Einzelklagen verunmöglichen, die stumpfes Lügen-/Systemmedien-Bashing betreiben

    2. Freue ich mich darauf, die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen zu lesen um endlich mal zu erfahren, was diese Leute denn nun unter links und grün verstehen. Das wird den Diskurs hoffentlich vereinfachen und vieleicht dem einen oder anderen einen gewissen aha-Moment beschehren.

    3. Sollte unser System an allen potentiellen Einfallspunkten der Rechtsextremisten auf gerichtsfeste Grundlagen gestellt werden. Wenn die einmal auch auf Landes- oder Bundesebene in Machtpositionen sind, gelten keine Spielregeln, keine Absprachen, kein Wertekonsens und kein "das hat bisher gut funktioniert" mehr.

  • Ob die Position eines anderen -hier die ÖR Sender- linkslastig ist, das dürfte doch für alle ! die sich rechts herumtummeln klar sein, da ist jede Position "links" die nicht rechts sein will - auch die Mitte ist von rechts aus betrachtet links - und umgekehrt.

  • Der ZDF Fernsehrat hat 77 Mitglieder. Die größte Oppositionspartei ist nicht vertreten. Merkwürdiges Verständnis von Pluralismus.

    • @DiMa:

      Die größte Oppositionspartei ist in Deutschland die Armut. Insoweit stimme ich gerne zu.

      • @Gerhard Krause:

        Es sind 4 Vertreter der Wohlfahrtspflege für die Armen benannt.

        Ungeachtet der Fraglichkeit der Definition als Oppositionspartei (ich beziehe mich ausschließlich auf den Bundestag), passt Ihre Aussage nicht.

  • Das wird spannend (ich erinnere den Gag "In den USA schließen 18 Uhr die Wahllokale. Mal sehen ob sie in vier Jahren wieder aufmachen."), weil wir so erfahren werden, ob Demokratie- und Menschenverachtung wie und in welcher Gestalt daherkommend im ÖRTV zur Vielfaltsverpflichtung, oder zum Humor gehört.

  • ... wenn das Gesamtangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) über längere Zeit „gröblich“ das Ziel der Vielfalt und Ausgewogenheit verletzt ...



    Das sollte sich doch statistisch nachweisen lassen? Zumindest die Sprachkanäle des Westdeutschen Rundfunks kennen seit Jahren nur vier Themen: Flüchtlinge, Umwelt, arme Leute, Nazis.

  • Ich wünsche Jimmy C. Gerum viel Spaß bei der Zusammenstellung von Belegen für die Unausgewogenheit in Rundfunk und Fernsehen - es sind ja nur 21 TV und 69 Radiosender (die Podcasts nicht mitgezählt) zu sichten und zu beurteilen - und das über zwei Jahre. Ist doch ein Klacks!

    • @Il_Leopardo:

      21 TV-Sender und 69 Radiosender lassen sich im Kollektiv gut auswerten. Ein Verein zur Vorbereitung weiterer Klagen dürfte sich schon zusammengefunden haben. Dabei ist die Abhilfe ganz einfach: Bunteres Personal und mehr Vielfalt in den Themen.

  • "Sie moegen ja Recht damit haben, dass Nachrichten, Talkshows und Politmagazine stark linkslastig sind, aber vergessen Sie nicht das Internetangebot. Da finden sie auf dieser nichtverlinkten Unterunterunterseite auch einen konservativen Kommentar, von daher ist doch alle in Ordnung."

  • ich habe seit ca. 30 jahren keinen fernseher mehr. rundfunkbeitrag würde ich gerne zahlen - das gab es früher mal, ohne tv.

    • @Brot&Rosen:

      Kein Live stream oder Beitrag in den Mediatheken der Anstalten?

  • Die Studien, wie stark linkslastig der öffentliche Rundfunk ist, gibt es schon zuhauf.



    Hinzu kommt die Besetzung in den Talkshows. Das heißt jetzt müssen Taten folgen.

    • @Yannis Pappas:

      Das Ergebnis "Linkslastigkeit im TV" ist ja an Lächerlichkeit nicht zu überbieten.

    • @Yannis Pappas:

      Heute wird von interessierter Seite ja schon das kompromisslose Eintreten für § 1 Grundgesetz (Schutz der Menschenwürde) als "links" gelabelt. In dieser Logik ist ein ÖRR, der einen kritischen Beitrag zur AfD bringt, natürlich "linkslastig".



      Nicht umsonst sprechen AfD und Konsorten von "System-Medien", die sie am liebsten ganz abschaffen wollen.

    • @Yannis Pappas:

      Könnten Sie da bitte Beispiele geben? "Studien [...] zuhauf" finde ich ein wenig dünn bei dem Thema.

      • @drum:

        Im Zeitalter von Google und Internet ist nichts leichter, als sich selbst zu informieren, wenn man es denn möchte.

  • Wie auch immer man zum Rundfunkbeitrag stehen mag: mit diesem Urteil hat das Gericht die Tore zur Klagehölle weit aufgestoßen. Das ist auch eine Form von Steuerverschwendung.

    • @Heideblüte:

      "mit diesem Urteil hat das Gericht die Tore zur Klagehölle weit aufgestoßen."



      Das zum einen. Hinzu kommt: irgendwann wird mit Sicherheit jemand angesichts der zu erwartenden Klagewelle (Querulanten und Nicht-zahlen-woller gibt's ja nun wahrhaftig genug) die Berechtigung einer öffentlichen Medienversorgung insgesamt in Frage stellen.



      Schlussendlich werden wir nur noch von SAT1-News, Russia Today(*) oder ähnlichem über die Welt informiert.

      (*) keinerlei Gleichstellung der genannten intendiert.

    • @Heideblüte:

      Was meinen Sie mit Klagehölle ?

      Gegen jeden Bußgeldbescheid und jede Gemeindegebühr steht mir ein rechtstaatlicher Klageweg offen.



      Nur beim ÖRR war das bisher nicht so.



      Stattdessen wurde man auf interne Beschwerdeinstanzen verwiesen, die vollkommen intransparent waren und die den ÖRR nicht kontrollieren sollen, sondern Teil des Systems sind.

      Gut, daß das Gericht endlich mal den Rechtstaat in den ÖRR rein läßt. Allerdings befürchte ich, daß die unteren Instanzen, die jetzt ihre eigenen Fehlurteile überprüfen sollen, diese nicht wirklich revidieren werden. Sie werden sich nur etwas mehr Mühe bei der Ablehnung solcher Klagen machen müssen.

    • @Heideblüte:

      Das ist auch gut so.



      Denn das hat sich die Politik selbst eingebrockt.

      Denn sie war es die 1985 mit dem werbefinanzierten Free-TV und einem dualen Finanzierungssystem uns diese ganze Scheiße eingebrockt hat. Wer dem Kapital viele Stimmen gibt darf sich nicht wundern, wenn der andere Part nach links rückt. Klassenkampf ist aber nicht die Aufgabe des ÖRR.



      Wobei für mich noch hinzu kommt, dass die Zwangsabgabe einem mündigen Bürger und der Demokratie nicht gerecht werden. Hier hat die Politk einst Geister gerufen, die sie jetzt nicht mehr los wird.