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Satire kann zu weit gehenRassistische Gedankenspiele

Mitsuo Iwamoto
Kommentar von Mitsuo Iwamoto

In einem satirischen Text entwirft ein taz-Autor das Szenario eines „Gaza-Erlebnisparks“. Dabei bedient er rassistische Klischees und rechte Narrative.

Darüber, was Satire darf, wird nicht zum ersten Mal gestritten Foto: Markus Tollhopf/plainpicture

U m das voranzustellen: Ja, Satire darf vieles. Ihr enge Grenzen aufzuerlegen, widerspricht ihrem Wesenskern. Und doch sollte sich linke Satire immer wieder hinterfragen: Gegen wen richtet sie sich, welche Narrative bedient sie? Wann ist sie machtkritisch und wann reproduziert sie schlicht frauenfeindliche oder rassistische Klischees, wie es Blondinen- oder Polenwitze tun? Letztes Wochenende ist einem taz-Text diese Balance gründlich misslungen.

Die Grundidee: In der Lüneburger Heide eröffnet ein fiktiver „Gaza-Erlebnispark“. Mitarbeiter in israelischen Militäroutfits kontrollieren am Einlass der Kriegsgebietskulisse Taschen, bei per Sirene angekündigten „Verpflegungsausgaben“ kommt es zu inszenierten Prügeleien und bei Attraktionen wie „Hau die Fatima“ (angelehnt an „Hau den Lukas“) können Be­su­che­r:in­nen mit faustgroßen Steinen auf Gummipuppen mit Kopftuch werfen. Das Elternpaar Jassir und Annalena H. aus Hamburg wird zitiert: Für sie sei der Besuch die „ideale Gelegenheit, um den Antisemitismus ihrer Kinder zu fördern“.

Wer an dieser Stelle entsetzt aussteigt, dem mag versichert sein: Einem Teil der taz-Redaktion ging es ähnlich.

Denn die Idee, fremde Lebensrealitäten in deutschen Parks zu inszenieren, ist nicht neu. Ausgehend von Hamburg verbreiteten sich die sogenannten Völkerschauen ab den 1870ern in ganz Europa. In diesen „Menschenzoos“ ließen die Veranstalter „Wilde“ aus Südwestafrika, aus dem Sudan und aus Grönland zur Bespaßung der Massen auftreten. Fast sechzig Jahre lang trugen sie zur Verbreitung eines rassistischen Überlegenheitsdenkens in Deutschland bei.

Kolonial-rassistisches Denken wird fortgesetzt

Im „Gaza-Erlebnispark“ scheint dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte gänzlich vergessen. Munter dürfen sich hier deutsche Be­su­che­r:in­nen beim Steinewerfen auf eine Gummipuppe mit Kopftuch („Hau die Fatima“) vergnügen. Instrumentalisiert der Autor hier Gewaltfantasien gegen migrantisierte Frauen, um der palästinasolidarischen Szene die Unterstützung der islamistischen Hamas zu unterstellen? Unklar. Was bleibt, ist ein Szenario, das nichtweiße Menschen zum Objekt der eigenen Unterhaltung macht – und sich damit liest wie die Fortsetzung kolonial-rassistischen Denkens.

Der Text knüpft auch an Narrative an, die in der Gegenwart existieren. Denn die Vorstellung des „inszenierten“ Leids in Gaza ist keine Erfindung des Autors, sondern eine von der israelischen Regierung verbreitete Erzählung. Auf YouTube zeigt sie Videos von Supermärkten und Konditoreien in Gaza als angeblichen Beleg dafür, dass die „voreingenommenen Medien“ lügen würden.

Unabhängige Medien berichten seit langem über katastrophalen Hunger in Gaza. Ein taz-Team vor Ort ist den Vorwürfen nachgegangen und hat die Realität beschrieben, in der es für einige wenige zu überteuerten Preisen auch Schoko-Pfannkuchen geben mag – dies aber nichts daran ändert, dass ein Großteil der Menschen hungert. Von Machtkritik ist in dieser Satire, die der Realitätsverzerrung der israelischen Regierung in die Karten spielt, wenig zu spüren.

Nahost-Debatten

Der Israel-Palästina-Konflikt wird vor allem in linken Kreisen kontrovers diskutiert. Auch in der taz existieren dazu teils grundverschiedene Positionen. In diesem Schwerpunkt finden Sie alle Kommentare und Debattenbeiträge zum Thema „Nahost“.

Narrativ des „importierten Antisemitismus“

Was könnten arabische Kinder auch anderes sein als Antisemiten in Kinderschuhen? Oder kleine Paschas, wie Friedrich Merz es ausdrücken würde

Kommen wir zum Elternpaar Jassir und Annalena H., für das der Besuch des „Gaza-Erlebnisparks“ Gelegenheit sei, „den Antisemitismus ihrer Kinder zu fördern“. Dass die Kinder des fiktiven Arabers Jassir bereits vor Antritt des Parkbesuchs antisemitisch denken, scheint hier Teil des Humors. Was könnten arabische Kinder auch anderes sein als Antisemiten in Kinderschuhen? Oder „kleine Paschas“, wie Friedrich Merz es ausdrücken würde.

Das Klischee des „antisemitischen Arabers“ funktioniert dabei ähnlich wie das Stereotyp des „kriminellen Ausländers“. Es reduziert eine Gruppe auf ein ihnen zugeschriebenes Merkmal und lässt daneben wenig Menschlichkeit zu. Die Kunstfigur Jassir und sein angeblich antisemitischer Nachwuchs bedienen damit das von CDU bis AfD propagierte Narrativ des „importierten Antisemitismus“, der Antisemitismus in Deutschland vor allem migrantischen Communities zuschiebt – und damit von dem in Deutschland zur Genüge verankerten Antisemitismus und Rassismus ablenkt.

Die Presse- und Kunstfreiheit ist ein hohes Gut. Sie schützt auch diese pietätlose und von rassistischen Klischees und rechten Narrativen gespickte Satire, die erscheint, während die israelische Regierung in Gaza mutmaßlich einen Völkermord verübt. Aber als linke Zeitung muss man sich fragen, ob man diesen diskriminierenden Humor publizistisch verstärken will. Oder ob man es einfach lässt.

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Mitsuo Iwamoto
Redakteur
Studium mit Schwerpunkt Internationale Beziehungen in Oxford, danach Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. 2025 mit dem Zukunftsressort der wochentaz zu den "Top 30 bis 30" des "Medium Magazin" gewählt. Schreibt oft über soziale Bewegungen und Lösungsansätze in der Klimakrise.
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12 Kommentare

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  • Mal ehrlich, Satire ist eine bewusst stark überzogene, schmerzhafte, ja, Satire, der Wirklichkeit. Das genau ist dieser Text. Wer dem Autor Rassismus unterstellt, hat Satire nicht verstanden. Auch darf Satire geschmacklos sein, denn die Realität, die sie aufs Korn niimmt, ist nicht minder geschmacklos. Sie ist eine Kritik dieser Realität.



    Eine satirische Darstellung des Nationalsozialismus beinhaltet natürlich eine Überzogene Darstellung eines Hitler oder Göbbels. So darf eine satirische Darstellung der Situation in Gaza, auch als ein Erlebnispark dargestellt werden. Zumal aus diesem Land wenig mehr kommt, als ein mahnender Zeigefinger, um das unaussprechliche Elend dort, zu beenden.



    Von daher, volle ustimmung zu dieser Satire.



    Und auch volle Zustimmung zu dem Recht, sie nicht zu mögen.

  • Falsch ist, daß Satire zu weit gehen kann. Richtig ist, daß nicht jeder Satire versteht oder verstehen muß.

  • Die taz hat einen derart rassistischen Text veröffentlicht, den sich selbst die Springer-Presse nicht getraut hätte.

    Es ist unverzeilich und eine Gegenmeinung zu veröffentlichen macht es auch nicht besser. Ich werde das nie vergessen.

  • Naja, als linke Zeitung muss man sich auch noch ein paar andere Dinge fragen. Beispielsweise, dass eine extreme Verbreitung des Antisemitismus in arabischen Kulturkreisen eben nicht abzustreiten ist - genausowenig wie der immer noch verankerte Antisemitismus in westlichen und christlichen Kulturen.

    Es ist die Frage, wie man damit hier umgehen und verhindern will, dass sich da zwei antisemitische Traditionen munter zu etwas sehr Gruseligem vereinen...

  • Ich möchte nicht wissen, wie viele Leser die Satire für bare Münze genommen haben.

  • Herr Iwamoto, vielen Dank für diese Gedanken.

    Sie haben nur bei Ihrer Frage am Ende die offensichtliche - aber offensichtich unangenehme - dritte Option ausgelassen: Dass man sich als Zeitung mit dem Anspruch links zu sein fragt, ob man denn überhaupt noch eine linke Zeitung ist.



    Mich persönlich hat die besprochene Ausgabe der "Wahrheit" nicht überrascht: So ist die taz halt.

  • Danke!

  • Political Correctness kann auch zu weit gehen. Was passiert wenn linksidentitäre Zensurversuche rechts gewendet werden sieht man gerade in den USA.

    Der Autor des kritisierten Textes wird sich der Existenz von Menschenzoos wie Hagenbeck anno 1900 wohl gerade bewusst gewesen sein, als er seine Satire schrieb. Und man muss mit Linken wie Zizek immer wieder betonen, dass wer eine grausame Wahrheit nicht in einer satirischen Fiktion ertragen kann, wohl mit der Realität überhaupt niemals klarkommen wird. Jonathan Swift lässt grüßen.

  • Schön, dass ihr euch dem Thema stellt. Ich habe den Artikel nur überflogen, weil platt...



    Ansonsten - Satire darf ALLES

  • Also ich habe mir den Text gerade durchgelesen. Ein extrem bissiger Text, der dem gemeinen Mitteleuropäer auf satirische Art seinen Umgang mit den Krisen dieser Welt vor Augen führt. Darunter seine rassistischen Klischees und den Nervenkitzel, den viele verspüren, wenn sie Grausamkeit sehen. Und genau das soll Satire tun.

    Vielleicht ist einigen Lesern entgangen, dass es diesen Park nicht wirklich gibt und der Autor ihn auch nicht gründen will.

  • Wertet die taz eigentlich aus, wie oft die "Wahrheit"-Artikel überhaupt gelesen werden? Also wirklich gelesen, nicht nur aufgrund der Überschrift angeklickt, bis die (quasi unfreiwillig) Lesenden merken, dass es sich um einen Satire-Text handelt und das Fenster dann flugs wieder geschlossen wird? Mir persönlich geht es jedenfalls hin und wieder so.



    Auch wenn Satire irgendwie zur DNA der bildungsbürgerlichen Linken in 'Schland zählen mag - ich brauche sie nicht auf einer Seite für Nachrichten und gesellschaftspolitische Debatten.

    Was düsteren Humor angeht bin ich auch nicht zu zart besaitet, aber als ich den betreffenden Beitrag jetzt eben gelesen habe, dachte ich mir auch nur "ei der Daus... über wen sagt dieser Text nun mehr Erschreckendes aus? Über das Objekt der Satire oder über den Autoren?"

  • Danke für diesen Artikel. Ich kann bis heute nicht fassen, dass die TAZ den Artikel „Mit Gänsehaut auf die Geiselbahn“ veröffentlicht hat. Etwas derartig ekelhaftes hätte ich nicht mal in der Bild erwartet. Nach diesen Artikel hatten wir lange überlegt, ob wir die TAZ kündigen sollten. Ich hoffe es bleibt bei diesem Einzelfall. Eine Entschuldigung gegenüber allen, die durch den Besagten Text beleidigt wurden, wäre angemessen.