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Debatte um die RenteMithalten im Privatisierungs-Bingo, aber richtig

Die Debatte um die Rente wird derzeit mit Tempo aus der verstaubten Ecke geholt. Gekonnt wird der demografische Wandel zum ­Sozialabbau genutzt.

Über die Rente mit 70 wird viel diskutiert Foto: Michael Gstettenbauer/imago

E s ist Rentendebatte, und da ist Bernd Raffelhüschen nie weit. Der Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Freiburg verfügt mit seinen hellen Locken und dem jungenhaften Grinsen über eine Dany-Cohn-Bendit-hafte Anmutung, was in interessantem Kontrast zu seiner politischen Mission steht. Die lautet seit Jahrzehnten: Abbau der Sozialsysteme zugunsten der privaten Versicherungswirtschaft.

So unterstützt Raffelhüschen aktuell auch Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU), die sich für eine Rente mit 70 ausgesprochen hat: „Es ist vernünftig, die Beiträge konstant zu halten und das Rentenniveau abzuschmelzen“, erklärt Raffelhüschen. Alles andere sei eine unfaire Belastung der „zukünftigen und jungen Generation“.

Dieses sogenannte Argument verblüfft mich jedes Mal. Sollte die „zukünftige und junge Generation“ nicht auch ein Interesse an einer Rente haben, von der man leben kann? Die Gemeinten werden jedoch stets so gehandelt, als dürften ihnen nur die Rentenbeiträge wichtig sein, denn Hoffnung auf eine Rente bräuchten sie sich ohnehin nicht zu machen. Auch in linken Kreisen wird oft schnodderig-cool behauptet, die Rente sei quasi nur noch eine Luftspiegelung, verlorene Sache.

Demografischer Wandel und der Sozialabbau

Warum eigentlich?, sollte speziell diese „zukünftige und junge Generation“ lieber fragen, finde ich. Schließlich hat sich das gesetzliche Rentensystem bisher als relativ elastisch erwiesen. Man muss es eben verbessern, um es stabiler zu machen. Und man muss es gegen seine VerächterInnen verteidigen.

wochentaz

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Ein Freund von mir hat sich genau das vorgenommen und schreibt gerade ein Buch da­rü­ber, wie der demografische Wandel zum ­Sozialabbau benutzt wird. Kolossal kann er sich über die Fernseh-Rhetoriktricks der RentenexpertInnen auf Kapitaldeckungsticket aufregen. Darunter: die Denunziation der Sozialsysteme durch erschröckliche Riesenzahlen, wie es zum Beispiel auch der Bochumer So­zial­öko­nom und Wirtschaftsweise Martin Werding bei der letzten Rentenreform gemacht hat.

Da werden dann Summen wie „500 Milliarden Beitragsmittel zusätzlich“, Ausrufezeichen!, „Wer soll das bezahlen?“, in den Raum geworfen – und es geht beinahe unter, dass ein Zeitraum bis 2039 beschrieben ist. Umgelegt aufs Jahr, sind 500 Milliarden dann gar nicht mehr so viel, gemessen daran, was die Rentenkasse so umwälzt.

Wer die Agenda-2010-Zeit unter Kanzler Gerhard Schröder noch im Gedächtnis hat, der wird im anlaufenden Privatisierungs-Bingo mühelos mithalten können: Die „zukünftige und junge Generation“ hatten wir schon. Damit untrennbar verbunden: „Wir werden alle immer älter.“ (Nur kurz: Nein – die Lebenserwartungen unterscheiden sich nach Einkommen.) Dazu gehören auch „explodierende Lohnnebenkosten“ und natürlich „gewerkschaftliche Betonköpfe“. Oh, Moment. Hat von den Gewerkschaften überhaupt schon jemand etwas gesagt? Gibt’s da noch SozialexpertInnen? Vielleicht denken sie alle: Das wird schon nicht so schlimm, wenn nach den Sommer­ferien die Umbaudiskussionen zu Rente, Gesundheit, Pflege so richtig losgehen.

Nach Lektüre des Koalitionsvertrags dachte ich auch (und schrieb es an dieser Stelle), dass die Kommissionen, die da befasst werden sollen, schon keinen allzu großen Druck aufbauen würden. Andererseits ist die 100-Tage-Bilanz des Kanzlers diese Woche derartig mies ausgefallen (abgesehen von der Außenpolitik), dass er auf Ideen kommen könnte. Nicht dass das Arbeitgeberlager noch von ihm abrückt. Ich wette, bei der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft prüfen sie schon die Entwürfe für eine dicke Herbstkampagne von der Sorte „Merz, mach uns den Schröder“.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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12 Kommentare

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  • Der demografische Wandel ist die schreckliche Chimäre, die nichts anderes ist, als der Wandel der demografischen Entwicklung, der schon immer stattgefunden hat und immer stattfinden wird. Die „Krise des Rentensystems“ kann er nur bedingt erklären, denn dafür gibt es mehrere Gründe.

    Da sind zunächst einmal die systemischen Gründe: Wer zahlt wie viel ein und wer bekommt davon wie viel. Andere Länder z. B. Österreich oder die Schweiz machen vor, wie es vielleicht besser gehen würde. Wenn alle Einkommen ohne Obergrenze einzahlen würden, wäre eine auskömmliche Grundrente für alle wohl besser abgesichert.

    Dann sind da noch die sozioökonomischen Gründe. (Nicht nur) Deutschland durchläuft eine anhaltende Konjunktur- und Strukturkrise. Gründe dafür sind u.a. die Globalisierung und der technologische Wandel. Investitionen in neue Technologien und Geschäftsmodelle treffen auf die ökologischen, sozialen und ökonomischen Grenzen des Wachstums. Zu den Symptomen gehört, dass die Produktivitätszuwächse pro geleisteter Arbeitsstunde seit Jahren stagnieren oder sinken. Die Ungleichverteilung erwirtschafteter Einnahmen zu Gunsten von Unternehmen, Investoren und Staat hat auch zugenommen.

  • Bernd Raffelhüschen behauptet, es sei ungerecht, wenn junge Menschen über 22% in die Rentenkasse einzahlen müßten, während die Vorgänger um 18% einzahlten, daß Arbeitnehmer, die 1980 in Rente gegangen sind idR. 45 Jahre gearbeitet und im Schnitt nur 10 Jahre Rente bezogen hätten. 4,5 Jahre Arbeit für 1 Rentenjahr. Heute gehen gerade die Gutverdienenden früher in Rente und Leben noch 20 Jahre. Sie hätten für einen Rentenjahr nur bis 2 1/2 Jahre gearbeitet. Auch wenn das Niveau der monatlichen Rente sinkt, so hat sich die Gesamtleistung der Rente bereits verdoppelt. Finanzielle Probleme gibt es für Bezieher geringer Renten, die aufgrund ihrer korrelierenden höheren Sterblichkeit im Verhältnis Einzahlung/Auszahlung zusätzlich draufzahlen.







    Fraglich, ob der Plan aufgeht, durch steigende Beiträge die versprochene Rente decken zu können. Wenn die Sozialversicherungsbeiträge Richtung 50% laufen, werden parallel Arbeitsplätze weiter automatisiert, gestrichen und ins Ausland verlagert. Wer ausländische Fachkräfte beschäftigen möchte, wird diese erfolgreicher in englischsprachigen Ländern mit geringeren Abgabenquoten besetzen können. Hier sinkt der Anteil der hohen Facharbeitergehälter.

  • Hinzu kommen versteckt die Erhöhungen bei den Krankenkassenbeiträgen, die eben auch natürlich sind, wenn der Anteil an Menschen in einem hohen Alter steigt, weil dann statistisch gesehen eben mehr Krankheiten anfallen.



    Solange die Beitragssätze steigen, wird die Rente nicht kollabieren, aber die Möglichkeit der Jüngeren, sich ein Vermögen wie z.B. ein Haus zu leisten, schrumpft potenziell. Schon jetzt sehen es manche nicht ein, in Vollzeit zu arbeiten. Dadurch sinkt auch das Volumen, das ausgeschüttet werden kann.

    Es fehlt mir im Diskurs auch das Verständnis dafür, dass es sich um eine Sozialleistung handelt. So wie sie konzipiert ist, spiegelt sie aber auch immer die sozialen Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt ab. Leistung sollte in einem gesellschaftlich finanzierten System nicht einzig in Gehältern bemessen werden. Leute aus Bereichen wie Handwerk oder Pflege, die traditionell weniger verdienen, leisten gesellschaftlich deutlich mehr als andere Berufsgruppen bei höheren Gehältern. Wer ein hohes Vermögen hat, könnte auf der anderen Seite in manchen Fällen auch mit einer kleineren Rente gut leben.



    Eine Privatisierung heizt diese Ungleichheiten nur an.

  • Um 1970-1980 war der Beginn des Arbeitslebens inkl. Ausbildung bei 17-18 Jahren, nach Studium 22-24 Jahre. In der jetzigen Zeit Beginn des Arbeitslebens locker erst ab 20-22 Jahren, mit Studium 25-28 Jahre.



    Finde den Unterschied bzw. den Fehler.



    Selbstverständlich muss das Rentenalter angepasst werden, daran führt leider kein Weg vorbei.

  • Fakt: Meine Privatvorsorge übersteigt meine gesetzliche Rente bei weitem, sowohl absolut als auch relativ zur Einzahlungssumme.



    Derlei Fakten sind aber nicht gewünscht, denn die Rente ist erstaunlich stabil lese ich. Außerdem sind Versicherungen böse und Eigenvorsorge schwierig.



    Ja dann, weiter ins marode System einbezahlen und hoffen das es nicht so schlimm wird. Lustig für mich, wenn progressive Menschen zu vielen Themen modern argumentieren, bei Altersvorsorge aber erzkonservativ agieren.

  • Die umlagefinanzierte Rentensystem wird immer mal wieder schlecht geredet, und von der Überlegenheit von Aktien, Fonds usw. geschwafelt. Kann mich noch gut erinnern, war auch vor 2008 so, dann wurde es plötzlich sehr still. Ist wohl alles schon wieder vergessen, mittlerweile sehen Fondsmanager ihre Chance, ihre Verdienstmöglichkeiten auszubauen. Die FDP war da ja auch maßgeblich dabei,



    Wie schon im Text erwähnt, unser Rentensystem ist doch überraschend stabil.



    Mein Rat an die Politik ist: Sorgt für eine vernünftige Zuwanderung von Fachkräften und damit Beitragszahlern und bildet die Geflüchteten aus, die hierbleiben und arbeiten wollen. Dann wird es schon nicht so schlimm kommen mit der Alterspyramide.

    • @celcon52:

      Das mit der vernünftigen Zuwanderung von Fachkräften im Verhältnis zur Armutseinwanderung ist der Schlüssel. Ob er funktioniert kann man schlecht sagen. Eher nicht bei den politischen Verhältnissen.

      Thema Aktien und Fonds: Natürlich muss das verstärkt zur Rente genutzt werden. Leider sind gerade linkere Kräfte dagegen.

    • @celcon52:

      Zuwanderung zu nutzen um die Lebensarbeitszeit kurz zu halten führt in eine Art strukturellen Rassismus: Die alternde weiße Mehrheitsgesellschaft gönnt sich nochmal einen kräftigen Schluck aus der Pulle mit kurzer Lebensarbeitszeit und hoher langer Rente; bezahlen sollen das die Neubürger. Scheitern wird es daran, dass so ein System für gut verdienende hochqualifizierte Einwanderer unattraktiv ist, denn die sind ja auch nicht dumm.

    • @celcon52:

      Es wird keine nennenswerte Zuwanderung von Fachkräften geben, weil alle anderen Länder diese auch haben wollen, und dafür mehr bieten mit weniger Rassismus.



      Deutschland hat ein gutes Ausbildungssystem (natürlich optimierbar, aber immerhin), daher macht es Sinn zusätzlich zu den Asylsuchenden auch reguläre Immigration zu ermöglichen und die Menschen allesamt Vorort auszubilden .



      Aber ausgehend von der rechten Stimmung im Land, gepusht durch rechte und rechtsextreme Medien/Politikerinnen etc., wird das nicht passieren.



      Insofern wäre die Alternative alle, aber auch wirklich alle, dazu zu verpflichten in die gesetzliche Rentenkasse einzuzahlen, abhängig vom Einkommen und Vermögen.

  • Bislang habe ich von keiner Bundesregierung wirkliche Bemühungen um sozialen Ausgleich und gar Fairness in der Lastenverteilung wahrnehmen können. Einzig Willy Brandt war eine Ausnahme, wurde jedoch auch recht kräftig eingebremst. Die derzeitige Regierung hat das genaue Gegenteil von Fairness oder Ausgleich im Sinn - und sagt das auch etwa bei der Forderung Rente mit 70 oder der unantastbaren Privilegien der Superreichen. Die SPD ist ein kümmerliches Überbleibsel einer einst hehren Gesinnung und mutigen Zielen. csdU sind ebenso längst im Sog der Macht versunken und haben ihre christlichen Grundlagen zu Grabe getragen. Die Rechten nutzen diese Schwächen der eiernden Pseudo-Sozial-politiker*innen nach Kräften aus und haben Erfolg damit. Freilich sind deren Ziele sehr sicher keineswegs sozial - im Gegenteil. Nur lässt sich der Pleb gerne täuschen . . .

  • Und was sagen Die Grünen zum Thema?

  • Danke, Frau Winkelmann.