
Fast Fashion: Wie könnte eine faire Jeans ausssehen?
Die Textilindustrie ist einer der größten Treiber der Klimakrise. Wie sähe eine Jeans aus, die von der Herstellung bis zur Entsorgung fair wäre?
M odetrends im Internet sind heute Einmal-kurz-blinzeln-und-du-verpasst-sie-Momente. Da ist die Mob-Wife-Ästhetik, die sich am Stil italo-amerikanischer Frauen der 90er Jahre orientiert, und im Winter 2023/24 kurzzeitig populär war. Oder die Fischer-Ästhetik im Sommer dieses Jahres. Dank solcher Microtrends dreht sich das Modekarussell so schnell, dass einem schwindelt. Selbst beim Zusehen.
Um mit neuer Ware auf Microtrends zu reagieren, brauchen Hersteller wie der chinesische Modekonzern Shein oder das britische Unternehmen Asos mittlerweile nur noch wenige Tage. Die Industrie treibt den Überkonsum auf neue Spitzen, Ultra Fast Fashion nennt sich das. Der Markt wird nicht zwei- bis viermal im Jahr mit neuer Mode überschwemmt, sondern jeden Tag.
Wie das funktioniert? Der chinesische Modekonzern Shein, der 2022 seinen Sitz nach Singapur verlagert hat, veröffentlicht täglich bis zu 10.000 neue Designs. Zwar gibt der Konzern an, neue Stücke nicht vorab zu produzieren, sondern abhängig von der Nachfrage, um weniger wegwerfen zu müssen. Damit Sheins Modell – nur zehn Tage vom Design bis zur Lieferung – aufgeht, muss die Produktion jedoch auf extrem billige Materialien wie fossilen Polyester ausgelegt sein, und müssen die Kleider per Flugzeug transportiert werden.
Ultra Fast Fashion ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Bereits Fast-Fashion-Riesen wie H&M und Zara trieben die Umweltkosten der Branche in die Höhe. Insgesamt hat sich die Textilproduktion in den vergangenen zwei Jahrzehnten weltweit fast verdoppelt. Schätzungen zufolge ist die Branche für acht bis zehn Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Sie ist damit ein größerer Verschmutzer als der gesamte Flug- und Schiffsverkehr zusammen. Schafft die Modeindustrie nicht bald die Kehrtwende, könnte ihr Anteil bis 2050 sogar auf 25 Prozent steigen.
In Deutschland kauft eine Person jährlich im Schnitt 60 Kleidungsstücke. Viele davon landen nach kurzer Zeit in der Altkleidertonne oder im Restmüll. Jedes fünfte Kleidungsstück bleibt gar ungetragen. Insgesamt wandert von den global produzierten Textilien etwa ein Drittel direkt in den Müll. Nur ungefähr ein Prozent davon wird recycelt. All das hat seinen Preis. Und der wird nicht in Europa gezahlt.
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Beispiel Jeans: Die Baumwolle kommt oft aus Indien und China, wo die Felder mit Pestiziden und Insektiziden gespritzt werden und viel Wasser benötigen. Als nächstes wird sie zu Stoffen gewebt und gefärbt, mithilfe diverser Chemikalien – etwa am indonesischen Fluss Citarum, wo Hunderte Textilfabriken ihr mit giftigen Schwermetallen angereichertes Schmutzwasser in den Strom leiten, der früher mal als Trinkwasserquelle diente.
Danach wird genäht, zum Beispiel in Bangladesch. Der Einsturz der Rana-Plaza-Textilfabrik 2013 mit mehr als 1.000 Toten lenkte den Blick der Weltöffentlichkeit auf die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, unter denen die Arbeiterinnen dort arbeiten müssen.
Jetzt kann die Jeans nach Europa verschifft oder geflogen werden, um für eine kurze Zeit getragen zu werden oder gar direkt wieder im Altkleidercontainer oder Müll zu landen. Dieser wird dann schnell weiter exportiert, etwa nach Ghana.
Obwohl viele Menschen gerne nachhaltiger einkaufen würden, schlägt sich das beim Kleidungskauf kaum durch. Trotz diverser Nachhaltigkeitssiegel gibt es bisher kaum entsprechende Mode. Auch, weil die Siegel kaum richtig kontrolliert werden. Oft reicht es, wenn ein Produkt nur einen Faden aus Biobaumwolle enthält oder zu 20 Prozent aus Fasern aus recycelten Plastikflaschen besteht – ohne dass der Rest der Produktion nachhaltig ist.
Wirklich nachhaltige Mode würde anders funktionieren: Sie verändert die Abläufe an jeder Stelle des Lebenszyklus eines Kleidungsstücks. Sie achtet auf Arbeits- und Umweltbedingungen. Sie hat das Ziel, den Konsument*innen qualitativ hochwertige Kleidung anzubieten, die nicht gleich wieder im Müll landet. Wie sähe also eine Jeans aus, die von der Herstellung bis zur Entsorgung fair wäre?
Anbau: Alte Sorten, lokale Kreisläufe
Fast wäre sie in Vergessenheit geraten, die Kala. So heißt eine alte regionale Baumwollsorte aus Kachchh, einer Region im Nordwesten Indiens, in der nur wenig Regen fällt. Die kurzfaserige Kala gedeiht dort trotzdem. Sie braucht keine zusätzliche Bewässerung, keine intensive chemische Düngung und ist resistent gegen Hitze und diverse Krankheiten. Damit widerspricht die Sorte all dem, was sonst über den Baumwollanbau bekannt ist, als wasserintensive, chemisch stark behandelte Pflanze.
Baumwolle ist die wichtigste Faser, um Jeansstoff zu weben, wobei für mehr Stretch manchmal auch ein Mischgewebe mit synthetischem Elasthan genutzt wird. Laut dem UN-Wasserbericht verbraucht eine Jeans allein über 7.000 Liter Wasser, wobei der Großteil auf den Baumwollanbau zurückzuführen ist. Zu Sowjetzeiten hat der intensive Wasserverbrauch etwa den Aralsee austrocknen lassen, dessen Wasser für den Baumwollanbau genutzt wurde.
In Indien dominiert heute die gentechnisch veränderte Bt-Baumwolle. Sie ist für besonders hohe Erträge gezüchtet. Zuvor gab es in Indien eine große Vielfalt an Baumwollsorten und die Textilproduktion war eng mit dem regionalen Ökosystem verbunden.
Die Kala Cotton Initiative baut darauf auf. Sie bringt seit 2008 lokale Produzenten, Landwirte und Weber*innen in Kachchh zusammen, um das Wissen um die Kala wiederzubeleben. Das Projekt findet mittlerweile Nachahmer im ganzen Land. Durch heimische Baumwollsorten und das Ausführen mehrerer Produktionsschritte am gleichen Orte könnte die Lieferkette wieder nachhaltiger und fairer werden.
Auch um zu verhindern, dass der Plastikfaseranteil in Jeanshosen weiter steigt, sind Strategien erforderlich. Kunstfasern auf Erdölbasis, allen voran Polyester, sind einer der größten Treiber der Fast-Fashion-Industrie. Wenn man sie vollständig durch natürliche Fasern wie Baumwolle oder Leinen ersetzen wollte, könnte das nur nachhaltig gelingen, wenn insgesamt weniger Textil produziert würde.
Produktion: Nicht nur schön, auch human
Die Schritte bis zur fertigen Jeans sind zahlreich und an jedem einzelnen kann geschraubt werden, um bessere Bedingungen für die Arbeiter*innen und die Umwelt zu schaffen. Als besonders umweltschädlich gelten die „veredelnden Verfahren“, allen voran das Färben und Waschen. Über alle Textilien hinweg sind sie nach Schätzungen der Weltbank für 17 bis 20 Prozent der weltweiten Wasserverschmutzung verantwortlich.
Auch Indigo, der typische Farbstoff von Jeans, wird in der industriellen Herstellung meist mit gesundheitsschädlichen Chemikalien versetzt. Weltweit wird nach Alternativen gesucht: So haben dänische Forscher*innen ein Verfahren entwickelt, bei dem Jeans mit dem ungefährlichen Vorläuferprodukt Indikan gefärbt werden, das beim Aufsprühen zu Indigo reagiert. Das kann bei Raumtemperatur und ohne beheizte Wasserbottiche erfolgen.
Würden weltweit alle Jeans mit Indikan gefärbt, könnte der Ausstoß an Treibhausgasen um 3,5 Millionen Tonnen CO₂ jährlich sinken, schätzen die Forschenden. Das entspricht den Emissionen der gesamten EU im Jahr 2021.
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Ein weiterer wichtiger Hebel sind die Arbeitsbedingungen. Mit dem Lieferkettengesetz wollte die Ampelregierung Wege dafür finden, dass Näher*innen existenzsichernde Löhne erhalten oder dass Chemikalien, die in der EU verboten sind, nicht woanders in der Produktionskette eingesetzt werden. Die große Schwierigkeit: Die Textilbranche produziert mit einem sehr komplexen Netz aus diversen internationalen Partnern.
Dennoch zeigen die politischen Anstrengungen Wirkung. Die Kampagne für Saubere Kleidung analysiert in einem Bericht 2024, dass Unternehmen als Reaktion auf das Gesetz neue Risikoanalysen durchgeführt und Beschwerdestellen auf- und ausgebaut hätten. Für bessere Arbeitsbedingungen müssten Unternehmen nun auch Gewerkschaften und die Zivilgesellschaft vor Ort stärker miteinbeziehen, fordert die NGO.
Konsum: Reparieren statt ersetzen
Wenn Kinderhosen Löcher haben, greifen viele Eltern ins Nähkästchen und flicken sie. Man kauft einfach einen bunten Bügelpatch, zum Beispiel mit einem kleinen Dino oder dem Zeichentrick-Schwein Peppa Wutz, pappt ihn an die richtige Stelle und schon ist die Hose noch cooler.
In der langfristigen Nutzung von Kleidung sehen Expert*innen einen der größten Hebel gegen die Überproduktion. Wer seine Jeans länger trägt, kauft weniger neue. Damit das nicht nur bei Kinderklamotten geschieht, muss ein Markt entstehen, der Tauschen und Reparieren attraktiv macht und nicht durch hohe Kosten für nachhaltige Produkte bestraft. Denn bisher ist es oft billiger, ein Kleidungsstück neu zu kaufen, anstatt es zu reparieren.
Dass das möglich ist, zeigt Frankreich. Dort gibt es einen Reparaturbonus unter anderem für Textilien und Schuhe. Bis zur Hälfte der anfallenden Reparaturkosten werden übernommen. In Deutschland gibt es einen solchen Bonus bisher nur in einzelnen Bundesländern, wie in Thüringen. Er ist dort aber vor allem auf Elektrogeräte ausgelegt.
Für die Finanzierung nutzt Frankreich das Geld aus einem Fonds, in den Textil- und Schuhhersteller einen Ökobeitrag zahlen. Gelder könnten aber auch aus der Sanktionierung von Fast Fashion genutzt werden, so wie es Frankreich in seinem Anti-Fast-Fashion-Gesetz vorsieht, das erst vor wenigen Wochen vom Senat verabschiedet wurde. Pro Teil sollen Konzerne 5 Euro für schlecht produzierte Textilien bezahlen.
Damit eine langfristige Nutzung von Kleidung attraktiv wird, braucht es eine Infrastruktur, die das Reparieren, Tauschen und Leihen ermöglicht: mehr günstige Secondhandläden, Reparaturwerkstätten und Tauschcafés. Auch große Unternehmen könnten durch wirtschaftliche Anreize und Regulation dazu gebracht werden, solche Services anzubieten und dadurch eine stärkere Kundenbindung aufzubauen.
Entsorgung: Wer herstellt, haftet auch
Bisher bereitet ihr eigener Müll den Textilunternehmen keine Sorge. Die hohen Kosten für die aussortierten, kaputten oder nur kurz getragenen Kleidungsstücke tragen andere. Mit der erweiterten Herstellerverantwortung, kurz EPR, soll sich das ändern. In Frankreich gibt es dieses Konzept bereits seit Längerem, hier sollen die Hersteller den Aufbau einer Recyclinginfrastruktur mitfinanzieren. Mit dem Geld sollen auch die Textilsammler*innen und -sortierer*innen bezahlt werden, die das Altkleidersystem bislang am Laufen halten. Im Herbst soll die EPR auch in der EU verabschiedet werden.
Das erklärte Ziel der EU ist es, eine Kreislaufwirtschaft für mehr Recycling von Textilien aufzubauen. Um das zu erreichen, müssen alle Schritte im Lebenszyklus eines Produkts mitbedacht werden, angefangen mit dem Design. Denn wie recycelbar eine Jeans ist, hängt vom Material ab. Aus einer Jeans aus reinen Baumwollfasern können leicht neue Stoffe und Kleidungsstücke entstehen. Bei Mischgewebe, zum Beispiel aus Baumwolle und synthetischen Fasern, ist das schon schwieriger. Sie können bislang nicht aufgetrennt werden.
Mit einem digitalen Produktpass – ein Teil der Ökodesignverordnung – soll nachvollziehbar werden, mit welchen Chemikalien ein Produkt behandelt wurde und wie es verwebt wurde. Das kann beim Recycling helfen. Ab Mitte nächsten Jahres darf in der EU Kleidung außerdem nicht mehr vernichtet werden. Egal, ob sie im Laden unverkauft liegen bleibt oder als Retoure an den Onlinehändler zurückgeht.
Alternativ können Stoffe auch zum Upcycling verwendet werden. Dabei nutzen Designer*innen die alten Stoffe als Rohstoff, um daraus neue Kleidungsstücke zu nähen.
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