Epstein-Affäre: Ultimativer Sündenpfuhl
Eine Freigabe der Ermittlungsakten in der Causa Epstein steht weiter aus. Anstatt Licht in die Affäre zu bringen, werden immer neue Mythen verbreitet.

I ch kenne Jeffrey Epstein. Nicht persönlich, umso besser. Vor etwa acht Jahren habe ich während der Recherche für den Roman „Doppelte Spur“, der sich mit Donald Trump, Wladimir Putin und den Grauzonen zwischen Verschwörung und Verschwörungstheorie beschäftigt, fast alles über Jeffrey Epstein gelesen, was im Internet zu finden war. Es ergab sich ein grausig- bizarres Bild und zugleich eine faszinierende Moritat über das perverse Ökosystem der nahezu allmächtigen Überreichen und Oligarchen.
Ein beispielhaftes Versagen der Justiz und ein herzzerreißender Skandal angesichts all der missbrauchten Mädchen und jungen Frauen, denen keine Gerechtigkeit widerfahren ist. Am Ende legte ich eine Liste an mit den Namen all der prominenten Männer, die privaten sowie professionellen Umgang mit Epstein hatten, sei es auf seiner Insel und in seinem Privatflugzeug, in seiner Villa in Florida, seiner Ranch in New Mexiko oder seinem Stadthaus in Manhattan.
Schließlich blickte ich auf ein veritables Who is Who, darunter Präsidenten von Staaten und Universitäten, Prinzen und Professoren. Die wenigsten Namen musste ich googeln. Einer aus diesem Freundeskreis war Donald Trump. Wenig erstaunlich, dass sich das Misstrauen gegenüber den wirtschaftlichen und politischen Eliten an diesem Fall entzündete, der in der Folge von der MAGA-Bewegung massiv instrumentalisiert wurde. Nicht nur rhetorisch bei Wahlkampfreden, sondern auch ökonomisch.
Der windige Finanzier Epstein war ein gefundenes Fressen für eine dubiose Truppe von Verschwörungsgewinnlern, die schneller als die BILD-Zeitung erkannte, dass sich der Cocktail aus Korruption + Missbrauch + Privatinsel + Privatjet erheblich besser verkauft als Nahrungsergänzungsmittel oder Werde-schnell-reich-Tipps. Statt Vitaminpräparate und Kryptowährungen zu verschachern, waren just die zwei heute dem FBI vorstehenden Männer eifrig beteiligt am Epstein-Skandalgeschäft.

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Lukrative Einnahmen
Kash Patel, der im Sumpf stets am lautesten unkt, forderte wöchentlich die Entlarvung der Mitverschwörer, denn die Epstein-Akten seien der „ultimative Beweis für kriminelle Machenschaften der Elite“. Und sein Stellvertreter Dan Bongino, ein MAGA-Medienstar, hat nun erhebliche Schwierigkeiten, sein einst hysterisches Narrativ den veränderten realpolitischen Notwendigkeiten anzupassen.
Die offensichtliche Vertuschung im Sinne einiger der mächtigsten Menschen der USA (weiterhin bleiben viele Fragen über das weitreichende Netzwerk von Epstein und den darin Verstrickten unbeantwortet) stellte sich für unzählige Podcasts und Blogs als eine wahre Goldgrube an Phantasmagorien heraus. In einem derart gewinnbringenden Kreislauf werden schmutzige Geschäfte medial noch schmutziger gewaschen.
Viele profitieren davon, so auch (indirekt) die Justizministerin: Pam Bondi verdient saftig an ihrer Beteiligung bei Truth Social, der Social-Media-Plattform der Trump Media & Technology Group (TMTG). Als juristische Beraterin erhielt sie Aktien und Optionsscheine, die im Dezember 2024 einen Wert von über 3,9 Millionen Dollar hatten. Im April 2025 verkaufte Bondi an einem einzigen Tag TMTG-Aktien im Wert von 1 bis 5 Millionen Dollar.
Der Gewinn aus solchen Verkäufen wird nie präzise angegeben, sondern als Spanne eines möglichen Werts. Reihum Reibach für Trumps Lobbyistin. Seit Epsteins „angeblichem“ Suizid im Jahre 2019 hat das Justizministerium die Akten zu diesem Fall unter Verschluss gehalten. Und nun, nach eingehender Prüfung der Unterlagen auf ihrem Schreibtisch, verkündet die Justizministerin, dass es diese Akten nicht gibt. Gemäß solcher Logik würde die Obduktion feststellen, dass die Leiche gar nicht existiert.
Verschwörung am helligten Tage
Was für ein Affront gegen die MAGA-Bewegung, nicht etwa wegen Lügen und offenkundiger Inkompetenz, sondern weil ihr der Sauerstoff entzogen wurde, mit dem sie Verschwörung einatmet und Verschwörungsgespinst ausatmet. Besonders bei dieser Groteske aus den höchsten Kreisen von Politik, Finanzen und Wissenschaft ist, dass sie nicht als Kabale munkelnd im Dunkel stattgefunden hat, sondern – und das ergab eine einfache Internet-Recherche –, im gleißenden Licht des helllichten Tages.
Ganz anders als bei früheren Verschwörungen, wie etwa Ablenkungsmanöver mit Außerirdischen. Wie das Wall Street Journal im Juni publizierte, wurde die UFO-Mythologie durch handfeste Desinformation des Pentagons angeheizt. Das US-Militär fabrizierte Beweise für außerirdische Technologie und streute Gerüchte, um die eigenen Waffenprogramme geheimzuhalten.
In den 1980er Jahren verteilte ein Oberst der Air Force gefälschte Fotos von „fliegenden Untertassen“ an einen Barbesitzer in der Nähe des geheimen Stützpunkts Area 51 in Nevada, der sie eifrig verbreitete, um die Tarnkappenflugzeuge, etwa den F-117 Nighthawk Jet, zu verheimlichen. Um die gegenwärtige Aufregung zu begreifen, muss man sich den Hauptunterschied zwischen linker und rechter Systemkritik vor Augen führen.
Während der linke Blick die systematischen Privilegien im Rechtssystem und den Modus Operandi von Macht und Herrschaft analysiert, um eine zutiefst ungerechte Welt zu erklären, benötigen die Rechten in ihrer gegenwärtigen Psychotisierung ein Spinnennetz düsterer Mythen. Eine gängige Definition behauptet, eine Verschwörungstheorie entsteht, wenn machtlose Menschen der frustrierenden Welt einen Sinn zu geben versuchen, indem sie eine Geschichte (weiter)spinnen, die ihnen ein Gefühl der Orientierung im Labyrinth der Welt vermittelt.
Und da beim Epstein-Fall so viel von dem Skandal sichtbar war, muss noch viel mehr unter der Oberfläche verborgen sein. Deswegen ist dies der ultimative Sündenpfuhl und der heilige Ritter Trump entzaubert, wenn er just vor dieser Prüfung kneift. Um Theodor Adornos berühmtes Verdikt zu paraphrasieren: „Der Verdacht, dass die Verschwörung, die man serviert hat, nicht jene sei, für die sie sich ausgibt, wird wachsen.“
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