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Schulferien in BayernDie globalisierte TK-Breze

Pünktlich wie der Stau kommt die Debatte über Bayerns Ferien-Sonderweg. Identitätspolitik? Beherrscht keiner so souverän wie Markus Söder.

Die globalisierte TK-Breze Foto: Yulia Reznikov/getty images

Identitäten sind volatil. Man bekommt sie übergestülpt bei Geburt – qua Staatsbürgerschaft – oder durch kulturelle Tradition – Taufe, Kommunion, Firmung. Plötzlich ist man Deutscher oder Katholik. Plötzlich ist man ein Mann, wird als solcher gelesen, zum Beispiel wenn man nachts eine Straße entlanggeht und auf einmal spannt, für die Frau vor mir bin ich jetzt eine konkrete Bedrohungslage.

Und so wie eine Erziehung der Gefühle zum Prozess des Erwachsenwerdens gehört, so auch eine Erziehung der eigenen Identitäten. Im aufgeklärten Kosmos steht das unter dem Leitstern der Emanzipation: Ich erfahre, ich lerne, die Person zu sein, die ich sein möchte, ich setze mich mit meinen Privilegien und strukturellen Benachteiligungen auseinander, ich konstituiere mich in einer, aber vor allem gegen eine Welt, die mir dauernd vorschreiben möchte, wer ich gefälligst zu sein habe.

Identitätszuschreibungen wirken aber auch integrierend, ermächtigend. Bayern ist dafür ein gutes Beispiel. Wer sich ein Dirndl oder eine Lederhose anzieht, wer eine globalisierte Weißwurst aus der eingeschweißten Verpackung zutzeln mag (samt TK-Breze) und simplen Rhythmen folgen kann, alle die dürfen auch in Berlin oder in Arnsberg Oktoberfest feiern – und bayerisch sein.

Dieses Bayerische ist heute sozusagen das einzige noch im Angebot befindliche positive gesamtdeutsche Identitätsangebot, nachdem Preußentum und Wirtschaftswunder-/Autoland sich erledigt haben. Bayern ist heute, gerade auch im Ausland, Deutschland – nicht umsonst trägt Friedrich Merz gern Trachtenanzug und hat ein „Häuserl“ mit Blick auf die gesamtdeutsche Eliteenklave Tegernsee.

„Nation Branding“

Diese identitätspolitische Integrationskraft, heute „Nation Branding“ genannt, hat Bayern – lange Zeit ein rückständiges Randgebiet der deutschen Nation – sich mühsam aneignen müssen.

„Das moderne Bayern“, sagt der Regensburger Professor für Bayerische Landesgeschichte Bernhard Löffler, beginnt vor gut 200 Jahren „mit dem Eingliedern der sogenannten neubayerischen Gebiete Schwaben und Franken. Da entsteht ein ‚Staatsbayern‘, das dann über die Brüche des 19. und 20. Jahrhunderts in erstaunlicher Konstanz bewahrt wird. Wenn man andere Bundesländer ansieht, ist es dort wesentlich komplizierter.“

Und Löffler erinnert im Gespräch mit der taz auch daran, wie man einen Staat macht: „Es gibt kein Bundesland, das ähnlich mit landeshistorischen Professuren ausgestattet ist wie Bayern, nicht mal annähernd. In Bayern ist an jeder Uni mindestens eine solche Professur vorhanden. Das ist ein sehr bewusstes Institutionalisieren.“

Womit wir bei der unabänderliche Terminierung der bayerischen Sommerferien sind, die – es ist wirklich schon oft gesagt worden und taucht deswegen erst jetzt in diesem Text auf – einer der zentralen Marker bayerischer und somit eben auch Söder’scher Identitätspolitik sind.

Söder ist, was das Beharren wie das Setzen solcher Marker angeht, ein Overachiever, weil er selbst ein „Neubayer“ ist. Von seiner fränkischen, evangelischen Herkunft her hat er mit den barocken, bedirndelt-lederbehosten „Altbayern“ nicht mehr zu tun als der Sauerländer Merz – der ist wenigstens katholisch.

Das Söder’sche McBayern

Unvergessen jedenfalls in Bayern ist das sogenannte „Dirndl-Gate“. Marga Beckstein, als Ehefrau des damaligen (fränkischen, evangelischen) Ministerpräsidenten Günther Beckstein weigerte sich trotz ihrer inoffiziellen Rolle als „Landesmutter“ beim Oktoberfest Dirndl zu tragen. Sie sei in Nürnberg aufgewachsen und da gebe es keine Tracht, zitierte sie die SZ.

Das ist 15 Jahre her und wirkt angesichts des Söder’schen Identitässtaubsaugens so ehrenfraumäßig wie hoffnungslos altmodisch. Dass die aktuell von Gebilden wie NRW und Thüringen vorgebrachten Forderungen, die Bayern mögen sich doch ferienmäßig den anderen Bundesländern anpassen, auch diesmal wieder gescheitert sind, verstärkt diese Identitätsblase nur noch: Bayern ist in dieser Lesart nicht nur ein sehr stures, sondern auch ein sehr starkes Land – und wie gesagt, das Angebot steht: Tendenziell können alle Söder-Bayern sein.

Dass das gar nicht alle sein wollen – schon klar und geschenkt, es geht ja hier um Mehrheitstrends. Die Sache hat aber eine noch traurigere Seite: Eine bayerisch-obstinate, un- und antideutsche Identität jenseits des Söder’schen McBayern ist, wenn überhaupt, nur noch in Reservaten zu finden, die Marke ist einfach zu stark.

Aber zum Glück sind nicht nur Identitäten volatil, sondern auch die Macht. Mag ja sein, dass die August- und September-Sommerferien „fest verankert“ sind in der „DNA der Bayern“, wie Söder nun sagt – seine Herrschaft aber dauert genauso lang, wie er seine Netzwerke zufriedenstellt. Und mit denen ist es ähnlich wie mit den Ferien: Die gehen immer schneller vorbei, als man sich das zu Beginn hat vorstellen können.

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14 Kommentare

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  • Was mich immer wieder überrascht, ist die Rückgratlosigkeit der verbleibenden 14 Bundesländer. Warum setzen sich nicht Berlin und Brandenburg zusammen und beschließen ihre Sommerferien. Und die bleiben dann. Der Vorteil ist klar, die Schuljahre sind einheitlich lang. Mitte Juli bis Ende August wäre doch eine gute Ferienzeit.

  • Ich war 1977 in Bayern auf einer Hotelfachschule, wohnte aber in Schleswig - Holstein und sollte am 1. August in Hamburg in die Lehre.



    Das ging dann erst zum 1. Sept. .

    • @Captain Hornblower:

      Aha..?? Schön, dass sie das der Klasse nun mitgeteilt haben aber dieser Unterrichtsbeitrag hat nichts mit dem Thema zu tun.

      • @Schwabinger :

        Doch durch die späten Ferien endete die Schule später



        und ich konnte nicht regulär anfangen.

  • Und wo liegt jetzt genau das Problem?



    Zeitversetzte Ferien sind doch super, dann verreisen nicht alle auf einmal.



    Aber verständlich, dass die taz das gerne nach einem zentral gesteuerten Plan gelebt haben möchte 😉

  • Sollten die Kultusminister der sich beklagenden Bundesländer nicht erst mal vor der eigenen Türe kehren.



    Mit Erfahrungen durch die eigenen Kinder und als Elternsprecher in den Schulsystemen von RLP und NRW (die Bezeichnung Katastrophe ist hier noch zu harmlos, Saustall wäre passender) sowie jetzt in Bayern, kann ich über den Bayerischen "Sonder"-Weg nur froh sein. Das bessere Abschneiden der sächsischen und bayerischen Schüler im Vergleich der Bundesländer kommt ja nicht von ungefähr.



    Und wenn die besagten Bundesländer, plus z.B. Bremen und Berlin, hier gleichgezogen haben, kann man auch mal über solche "Kleinigkeiten" wie den beginn der Sommerferien verhandeln.

  • Wenn sich Bayern und Baden Württemberg nicht mit den anderen Bundesländern abstimmen wollen, was hindert diese daran, ihre Ferientermine nach eigenen Erfordernissen festzulegen.



    Verkehrschaos am Ferienbeginn und -ende gibt es ohnehin.

  • Musste jetzt auf mehrere Links klicken (Und dann noch googlen), um nachzuvollziehen können, was jetzt überhaupt so anders sein soll. Auch wenn es "schon so oft gesagt wurde" wäre es doch schön gewesen , darüber 1-2 Sätze zu verlieren. Und noch immer ist mir nicht klar, was der Sonderweg jetzt ist. Der Start unterscheidet sich kaum von BW, Berlin, Brandenburg, Hamburg, MV und SH (maximal eine Woche). Eine Woche längere Ferien als im Saarland zu haben, ist allerdings schon ein kauzig anmutender Auswuchs des Föderalismus. Sprich: Mücke und Elefant?

    • @Höhlen!=:

      Bayern und BaWü haben immer den spätesten Ferienbeginn, die anderen Bundesländer haben einen jählich wechselnden Beginn, von zeitig bis spät.

    • @Höhlen!=:

      alle rotieren, nur der Markus und ein faszinierend schönes McBayern nicht... eher Mücke als Elefant?

      • @Köppen Robert:

        Baden-Württemberg unterscheidet sich bei den Sommerferien kaum von Bayern.



        Übrigens, gefunden in der Stuttgarter Zeitung, 15.07.2025:

        "Historisch wurde die späte Lage der Sommerferien in Baden-Württemberg und Bayern damit begründet, dass viele Schülerinnen und Schüler früher auf landwirtschaftlichen Betrieben mitarbeiten mussten – vor allem bei der Ernte. Deshalb sollten sie erst dann Ferien haben, wenn die Mithilfe auf dem Feld am wichtigsten war. Diese Begründung wird heute kaum noch angeführt, ist aber der Ursprung der Regelung."

    • @Höhlen!=:

      Wenn man sich mal den Ferienkalender Jahr für Jahr ansieht, dann ist zu erkennen, dass Baden-Würtemberg immer von Ende Juli (habe als frühesten Termin der letzten Jahre den 25.07. gefunden) bis Anfang September für reichlich sechs Wochen Sommerferien macht. Bayern fängt wenige Tage später an, für reichlich sechs bis sieben Wochen.

      In allen anderen Bundesländern ist der Ferienbegin frühestens in der zweiten Junihälfte und spätestens ab >Mitte Juli, für sechs Wochen. D.h. in diesen Ländern kann es sein, dass Anfang August das neue Schuljahr beginnt. Das empfinde ich als absoluten Mist.

      Meine Vorschlag für eine neue Ferienregelung für alle: die beiden Monate Juli und August, was dann ca. neun Wochen wären. Da können wir gerne bei den Winter- und Herbstferien sparen, aber 12 Wochen pro Jahr sollten nicht unterschritten werden.

      Es wäre auch noch was völlig anderes möglich, wenn wir Schule mal völlig neu denken. Und zwar flexible Ferien, so wie es mit Urlaub in Unternehmen gemacht wird. Das bedingt allerdings auch völlig andere Unterrichtskonzepte. Ideen dazu gibt es inzwischen sehr gute.

  • Bayern hat späte Sommerferien und den Söder, dafür isses dort insgesamt blöder.

  • Die anderen Bundesländer könnten ja ähnlich obstinat sein und die Sommerferien auf den gleichen Termin legen. Warum sind alle immer so kompromissbereit im Angesicht der Sturheit?