Abschaffung der Familienreservierung: Wie kriegt die Bahn das bloß immer hin?
Die DB hat sich selbst ein Aufregerthema ins Nest gelegt: Seit Sonntag zahlen Familien mehr für reservierte Sitzplätze. Was reisende Eltern dazu sagen.

Für die Sicherheit, zusammensitzen zu können, müssen Familien ab sofort deutlich mehr zahlen. Mit dem Fahrplanwechsel am 15. Juni hat die Deutsche Bahn die sogenannte Familienreservierung abgeschafft. Bisher konnten Familien mit bis zu fünf Personen für 10,40 Euro Plätze reservieren. Jetzt kostet der sichere Platz für jedes einzelne Kind 5,50 Euro. Eine vierköpfige Familie zahlt also 22 Euro für Sitzplätze statt wie bisher 10,40 Euro. 44 Euro sind das für Hin- und Rückweg – losgefahren ist man für das Geld noch nicht.
Vor der Eingangshalle des Bahnhofs schreit ein Amateurmusiker in sein Mikrofon, während am Himmel die Sonne brennt. Um 11 Uhr sind es bereits beinahe 30 Grad, die Fahrgäste eilen ins Innere. Flixtrain plakatiert auf einem Banner: „Janz entspannt reisen mit garantiertem Sitzplatz.“ Beim Deutsche-Bahn-Konkurrenten ist die Reservierung fest ins Ticket eingepreist, ohne irgendwelche Rabatte.
Haben die Menschen hier von den Änderungen bei den Familienreservierungen gehört? Eine Gruppe Frauen antwortet mit ratlosen Blicken. „Wo ist die Spree?“, fragen sie stattdessen, sie wollen das Mädelswochenende noch ausklingen lassen. Ein Vater hockt mit seiner Tochter auf dem am Boden liegenden Koffer, von den Änderungen habe er nichts mitbekommen. „Wir nehmen lieber das Auto“, sagt er und guckt, als würde er die Entscheidung, seine Tochter diesmal mit der Bahn vom Sportevent abgeholt zu haben, schon bereuen, ehe er in den Zug gestiegen ist.
Der nächste Mann mit Kind an der Hand winkt gleich ab, als er von den Preisänderungen hört. Bahn fahren mit der Familie? „Ganz ehrlich, den Stress würde ich mir nicht antun“, sagt er und zeigt auf die ältere Frau vor sich. „Ich bringe nur meine Tante zur Bahn.“ Man bekommt den Eindruck, der Bahnhof ist voller Leute, die gar nicht hier sein wollen.
Ein Vater am 15. Juni am Berliner Hauptbahnhof
Eigentlich will die Deutsche Bahn attraktiver werden, neue Fahrgäste gewinnen. Die Auslastung in den ICEs und ICs lag in den ersten vier Monaten des Jahres bei 44 Prozent. Angestrebt sind 50 Prozent. Der Konzern wirbt deshalb mit Rabattaktionen für Jung, Alt oder Geschäftsreisende um neue Kunden. In den letzten Jahren wurde die Bahn immer wieder gezielt als familienfreundliches Verkehrsmittel angepriesen. Auf einem Plakat schmusen Mutter und Tochter innig im ICE. „Diese Zeit gehört Dir“, lautet der Slogan. Auf einem anderen starrt ein Junge aus dem Fenster. „‚Ah!‘ und ‚Oh!‘ statt ‚Wann sind wir ’n da?‘“, verspricht die Bahn. Schlecht, wenn Familien sich jetzt überlegen, lieber das Auto zu nehmen, weil Zugfahren teurer ist als die Tankfüllung.
Der Vater am Aufzug des Berliner Hauptbahnhofs fährt mit seinen zwei Kindern zurück nach Hamburg. Er sagt, die ständigen Preissteigerungen auch bei den Tickets könne sich der Konzern nur leisten, weil es keine wirkliche Konkurrenz gebe. „Im Endeffekt ist das mit den Sitzplätzen eine Preiserhöhung für Familien.“ Macht ihn das wütend? Schulterzucken, seine Erwartungen an die Deutsche Bahn seien eh gering.
Bei der Familie aus Saarbrücken auf Gleis 5 ist das ähnlich. Sie sitzen noch nicht im Zug, aber machen sich schon Sorgen, dass sie den Anschluss in Mannheim verpassen. „Das ist ein Nadelöhr, wenn da was passiert, läuft im Süden nichts mehr“, sagt der Vater. Beruflich sei er viel mit der Bahn unterwegs, aber mit der Familie nehme er lieber das Auto. An diesem Wochenende sind sie für ein Kinderkonzert mit der Bahn quer durchs Land gefahren. Dikka, ein rappendes Nashorn, ist in Berlin aufgetreten. Mit den neuen Sitzplatzpreisen werden sie jedes Mal abwägen, welches Verkehrsmittel günstiger ist, Bahn oder Auto, sagt er.
Die Deutsche Bahn teilt mit, dass sie ihre Angebote angesichts der angespannten Lage wirtschaftlich tragbar gestalten müsse. Kinder und Jugendliche bis 14 Jahren sollen in Begleitung ihrer Eltern weiterhin kostenlos fahren dürfen – aber eben nicht mehr kostenlos sitzen. Fünf Prozent der Gäste im Fernverkehr hätten die Familienreservierung bislang genutzt. Davon seien ein großer Teil Erwachsene, die ohnehin nur mit einem Kind reisen würden. Für sie ändere sich rechnerisch nichts. Laut Bahn treffen die Änderungen also nur eine kleine Gruppe der Reisenden. Kann die Bahn mit der Abschaffung der Familienreservierung dann überhaupt ihre leeren Kassen auffüllen? Oder haut sie sich mit dieser Sparmaßnahme nur eine weitere Delle in ihr miserables Image?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Familie Manka auf Gleis 5 hat heute Morgen zum ersten Mal den neuen Sitzplatztarif bezahlt. Wie fühlt sich das an? Herr Manka streckt den Daumen in die Luft: „Finden wir super!“ – Er versucht es mit Ironie. Sie seien wegen der Sportwettkämpfe der drei Töchter oft mit der Bahn unterwegs. Auch an diesem Wochenende haben sie ihre älteste Tochter beim Schwimmen in Berlin angefeuert. Fahren sie dann bald mit dem Auto durchs Land? Vater Manka schüttelt den Kopf. Vier Stunden Fahrzeit statt sechs Stunden mit dem Auto. „Da ist die Bahn unschlagbar.“ – „Aber auf dem Hinweg hatten wir eine Verspätung“, erinnert ihn seine Frau.
Die Bundesregierung reagierte empört auf die Streichung der Familienreservierungen. Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) nannte die Entscheidung gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland ein „falsches Signal“, gerade in der Haupturlaubszeit und während viel getan werde, um das Bahnfahren attraktiver zu machen. Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) sagte der Funke Mediengruppe: „Da ist die Bahn völlig falsch abgebogen.“ Für die Umwelt sei es wichtig, dass Bahnfahren attraktiv sei. Er forderte die Bahn auf, den Schritt noch mal zu überdenken.
Auf Gleis 5 kommt Unruhe auf, die Sitzplatzreservierungen wurden für den gesamten Zug aufgehoben. Doch die Mankas sind eingespielt. Frau Manka sagt, dass sie sich das Geld zurückholt. Die Tochter klemmt sich ihre Tasche unter den Arm und gibt den Koffer ihrer Mutter, um vorzupreschen, sobald der Zug einfährt und Plätze für ihre Familie zu sichern.
Der ökologisch orientierte Verkehrsclub Deutschland hat gegen die Streichung der Familienreservierung eine Petition gestartet. Die höheren Kosten könnten Familien abschrecken, für die nächste Reise die klimaschonende Bahn zu nehmen. Gerade Familien mit wenig Einkommen träfen die Änderungen besonders hart, heißt es darin. Bis Mittwoch hatten bereits über 100.000 Menschen die Petition unterzeichnet.
Dann wird ein spontaner Gleiswechsel angekündigt. Eltern mit Kindern, vorne umgebunden, hinten drangeschnallt, an Händen festgehalten, stürzen die Rolltreppen hoch, Richtung Gleis 7. Ihnen bleiben vier Minuten bis der Zug abfahren soll.
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