Merz gegen Regenbogenfahne: Wir sind keine Freakshow!
Merz will keine Pride-Flagge am Bundestag. Der sei ja kein „Zirkuszelt“. Was für eine verächtliche Sprache gegen queere Sichtbarkeit!

F riedrich Merz offenbart erneut sein wahres Gesicht: „Der Bundestag ist ja nun kein Zirkuszelt“, erklärt er bei „Maischberger“, um zu rechtfertigen, warum am Christopher Street Day keine Regenbogenflagge auf dem Reichstagsgebäude wehen darf. Damit degradiert er die queere Community zur Freakshow, zum Kabinett der Kuriositäten, das man dem rechten Mob auf den Straßen vorwerfen kann. Wenn wir die Freakshow sind, Herr Merz, dann sind Sie der unlustige Clown, der mit abwertenden Worten die Show auf unsere Kosten macht.
Merz’ „Zirkuszelt“-Vergleich ist kein Versehen, sondern ein Statement voller Verachtung. Er benutzt erneut verächtliche Sprache, um queere Sichtbarkeit im Bundestag zu verhindern. Die Regenbogenflagge zum CSD sei „beliebig“ und passe nicht zum „Ernst“ des Parlaments. Tatsächlich zeigt, wer queere Menschen als Freakshow abtut, wie wenig er von Demokratie, Respekt und Vielfalt versteht.
Er macht queere Sichtbarkeit zum Spektakel, das im Bundestag nichts verloren habe. Die Regenbogenflagge steht jedoch für Menschenrechte, Respekt und den Kampf gegen Diskriminierung – demokratische Werte, die laut Julia Klöckner auch aus der deutschen Flagge abzuleiten sind. Wo ist dann das Problem, eine Flagge zu hissen, die den Werten unserer Demokratie entspricht? Sichtbarkeit kostet in diesem Fall nichts – außer Haltung und Nächstenliebe.
Wer glaubt, Merz tappt hier nur ins Fettnäpfchen, irrt. Er hat sich mehrfach queerfeindlich geäußert. 2020 verknüpfte er Homosexualität in einem Interview mit Pädophilie, als er auf die Frage nach einem homosexuellen Bundeskanzler antwortete: „Solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft – an der Stelle ist für mich allerdings eine absolute Grenze erreicht.“
Ein Paradebeispiel für die Selbstüberschätzung vieler cis-hetero Männer
Diese Aussage bedient ein gefährliches Narrativ, das queere Menschen als gleichwertige Bürger*innen disqualifizieren soll. Auf das Coming-out von Klaus Wowereit reagierte er 2001 so: „Solange der Wowereit sich mir nicht nähert, ist mir das egal.“ Ein Paradebeispiel für die Selbstüberschätzung vieler cis-hetero Männer, die glauben, jeder schwule Mann würde auf sie anspringen – als wären wir permanent auf der Jagd nach dem nächsten dahergelaufenen Clown. Das ist keine Ally-Haltung, das ist Distanzierung und Abwertung.
Mit seinem „Zirkuszelt“-Ausfall klebt Merz der queeren Community erneut eine Zielscheibe auf den Rücken. Er macht uns angreifbar für rechte Hetze und Gewalt. Was glauben Konservative eigentlich, was rechtsextreme Gewalttäter in ihrer Haltung bestärkt? Er zeigt, dass die demokratischen Instanzen nicht an unserer Seite stehen. Klöckner könnte durch die Flaggenordnung die Regenbogenflagge hissen, wie es seit 2022 gehandhabt wurde – und wie es Unionskollegin Ilse Aigner im Bayerischen Landtag vormacht. Aber Klöckner will es nicht, vermutlich weil es nicht in ihre Ideologie passt. Gemeinsam treiben sie und Merz einen unnötigen rechten Kulturkampf voran, der die Gesellschaft spaltet.
Auf die SPD können wir uns in diesem Fall auch nicht verlassen. Die Wortbekundungen von Ex-Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) sind zwar stark: „Die Regenbogenflagge ist kein Symbol für einen Zirkus. Sie steht für Menschen, die es heute wieder viel schwerer haben als noch vor Jahren.“ Doch der Koalitionsvertrag bedeutet für queere Rechte nur Stillstand oder Rückschritt. Taten zählen mehr als Worte. Politiker*innen mit Bauchschmerzen sollten zum Arzt gehen und aufhören, sich über die Ungerechtigkeiten dieses Landes zu beklagen, die sie selbst zementieren.
Wir sind keine Freakshow. Wir sind Bürger*innen dieses Landes. Wir lassen uns nicht verdrängen. Wir fordern Respekt, Sichtbarkeit und Gleichberechtigung – auch im Bundestag, dem Zentrum der Demokratie.
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