Atomprogramm in Iran: Das nukleare Gespenst
Einst lieferte der Westen Teheran die ersten Atomanlagen. Seitdem muss er mit der Angst vor einer iranischen Atombombe umgehen.

E s brauchte schon einen „Mitternachtshammer“ – so der Codename der US-Operation – zur Zerstörung der iranischen Atomanlagen: 14 Tonnen schwere, sechs Meter lange präzisionsgelenkte Bomben, die bis zu 60 Meter in den Fels eindringen, bevor sie explodieren.
Damit sind die iranischen Nuklearstützpunkte in Fordo, Natans und Isfahan dem Erdboden gleichgemacht worden. Aber schon zwei Tage danach sickerten Zweifel durch das tägliche Nahost-Nachrichtengewitter. Sind wirklich alle Atomanlagen komplett zerstört? Oder wurde das iranische Atomwaffenprogramm „nur“ zurückgeworfen? Wurden 400 Kilogramm hoch angereichertes Uran in Sicherheit gebracht? Wird der Iran die Uranbombe aufgeben und den Plutoniumpfad beschreiten, also waffenfähiges Plutonium aus seinen Reaktoren gewinnen?
Zweifel und Spekulationen bleiben. Sie gehören seit den 1950er Jahren zum Inventar des iranischen Atomprogramms. Das Gespenst einer iranischen Atombombe lässt sich selbst mit martialischen Militärschlägen nicht vertreiben. Die Unsicherheit wächst, seit Teheran angekündigt hat, die Kooperation mit der Internationalen Atomorganisation (IAEA) zu beenden. Die Inspektoren der Wiener Kontrollbehörde haben vorerst keinen Zutritt mehr.
Dass der Iran überhaupt fähig war, ein geheimes militärisches Atomprogramm in unterirdischen Festungen voranzutreiben, ist die Folge westlicher Unterstützung. USA, Deutschland und Frankreich heißen die drei Gehilfen, die Irans Atomprogramm in Gang setzten. Die Gefahr der Proliferation, also der unfriedlichen Nutzung der Atomkraft, war im Preis inbegriffen, als erste Forschungseinrichtungen errichtet wurden. Später leisteten Russland und Pakistan Schützenhilfe.
Ziel der rein zivilen Nutzung verfehlt
Auch im Iran zeigten die Atombombe und die Atomenergie ihre enge Verwandtschaft. Die propagandistische Trennung von ziviler und militärischer Nutzung sollte den Bau und Verkauf von Atomkraftwerken voranbringen, doch sie konnte Naturgesetze nicht außer Kraft setzen. Ein Missbrauch ist immer möglich. Er gehört zu dieser Technologie wie der Tanz der Neutronen.
Irans Herrscher, Schah Reza Pahlavi, hatte sich in den 1950er Jahren von der Euphorie des neuen Atomzeitalters anstecken lassen. „Atoms for peace“ versprachen die USA. Die zivile Nutzung mit ihren unendlichen Möglichkeiten sollte eine Art Wiedergutmachung für die Leichenberge in Hiroshima und Nagasaki sein. USA und Iran unterzeichneten 1957 einen nuklearen Kooperationsvertrag. Washington lieferte dem Verbündeten einen Forschungsreaktor, Ausrüstung, Labore und Trainingsprogramme. Der Iran wurde atomtauglich gemacht.
Auch Deutschland und Frankreich bemühten sich, Atomtechnologie zu verkaufen. „Ein Land, das keine Kernkraftwerke verkauft, wird irgendwann keine Staubsauger mehr verkaufen“, hatte in den 1960ern Siegfried Balke, Bundesminister für Atomfragen, verkündet. Tatsächlich machten die Deutschen im Nuklearwettstreit das Rennen. Die Siemens-Tochter KWU baute 1974 in Buschehr das erste von zwei geplanten AKWs.
Die deutsche Exportgier taugte Irans Atomprogramm
Mehr noch: „Die Regierung Helmut Schmidt war willens, dem Iran die Lieferung zweier Urananreicherungsanlagen zu offerieren“, schreibt der Historiker Otfried Nassauer. Iran hatte den Atomwaffensperrvertrag, heute bekannt als Nichtverbreitungsvertrag, im Juli 1968 unterzeichnet. Damit war die Risikoabwehr formal erledigt worden. Die deutsche Exportgier überwog, weil der Iran während der Ölkrise ein wichtiger Partner war.
Nach dem Sturz des Schahs zeigte Ajatollah Chomeini erst wenig Interesse am Atomprogramm. Siemens-KWU zog sich vom halbfertigen AKW in Buschehr zurück, das in den Jahren 1987 und 1988 vom Irak bombardiert und beschädigt wurde.
Nach dem Ende des Iran-Irak-Kriegs nahm das Atomprogramm wieder Fahrt auf. Pakistan und Russland, dessen Firma Rosatom den Atommeiler Buschehr fertig baute, unterstützten den Iran. Wer genau was lieferte, war unklar. Dass die Zentrifugen zur Urananreicherung aus Pakistan kamen, wurde indes bestätigt.
Es gelang dem Iran, vielfältige nukleare Anlagen aufzubauen. Aber erst als 2002 der Exilrat National Council of Resistance of Iran enthüllte, dass in Arak ein militärisch besonders relevanter Schwerwasserreaktor existiert und eine Urananreicherungsanlage in Natans, schreckte der Westen auf. 2009 bestätigte der Iran Geheimdienstberichte, wonach in Fordo eine zweite größere Urananreicherungsanlage existierte.
Alle Einrichtungen dienten nach Lesart Irans ausschließlich der friedlichen Nutzung. Doch Fakt ist: In dem ölreichen Land deckt Atomkraft gerade 1,7 Prozent der Stromversorgung. Strom ist dort billig, Atomkraft wirtschaftlich fraglich.
Immer wieder durfte die IAEA nicht rein
Seit mehr als 20 Jahren laufen die Verhandlungen mit Teheran. Seitdem versucht die IAEA vergeblich, die umstrittenen Atomanlagen zu überwachen. Zwar saß Iran am Verhandlungstisch, aber immer wieder wurde IAEA-Kontrolleuren der Zugang verwehrt, Überwachungssysteme wurden abgebaut. Ab und an waren Teilinspektionen erlaubt. Der Westen verhängte vergeblich Sanktionen und wusste gleichzeitig nicht, wie weit der Iran von einer nuklearen Massenvernichtungswaffe entfernt war. Tage, Monate, Jahre?
Jetzt geht das Spiel wieder los. Doch der Krieg mit Israel und die Bombentrichter des „Mitternachtshammers“ haben die Lage verändert. Irans Vertreter gehen geschwächt in die Verhandlungen, die Europäer ringen um Einfluss, die USA haben das Drohpotenzial und den Triumph der Bombennacht auf ihrer Seite. Schon aus Selbsterhaltungstrieb dürfte Iran keinen weiteren Anlass für US-Interventionen bieten. Dafür aber weiter auf Zeit spielen, nachdem der Trümmerhaufen – die Überreste des Atomprogramms – inspiziert ist.
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