Rassistischer Polizeieinsatz: Gericht gastlich mit Rassismus
Ein Gericht will einen Polizisten für rassistische Aussagen bei einer Razzia nicht belangen. „Du bist hier Gast“ sei ja auch Tenor in der Politik.
Auch der Mann, gegen den ein Strafbefehl wegen des Erschleichens von Leistungen samt einer offenen Geldstrafe in Höhe von 750 Euro vorliegt, wird angegangen: „Du bist hier in unserem Land. Ihr habt euch nach unseren Gesetzen zu verhalten.“
Mehr als zweieinhalb Jahre später kommt es nun am Dienstag vor dem Amtsgericht Tiergarten zum Prozess gegen den Beamten Jörg K. Doch befürchten muss er kaum etwas. Das Gericht hat lediglich einen Anklagepunkt zugelassen, wie aus dem der taz vorliegenden Beschluss hervorgeht: „Hinreichenden Tatverdacht wegen Beleidigung“ erfülle demnach einzig die Äußerung „Halt die Fresse, fass mich nicht noch mal an“. Das übrige Verhalten erfülle „keinen Straftatbestand“. Abgewiesen wurde auch die Nebenklage der Frau, die Strafantrag gestellt hatte, weil sie sich durch den rassistischen Gehalt der Aussagen herabgewürdigt fühlte.
Das Gericht widerspricht damit sowohl der Ersteinschätzung der Polizei als auch jener der Staatsanwaltschaft, die sich zumindest teilweise dem Strafantrag angeschlossen hatte. Nach dem Vorfall hatte die Polizei mitgeteilt, der Staatsschutz habe Ermittlungen infolge einer „fremdenfeindlichen Beleidigung durch einen Polizisten“ aufgenommen. K. wurde in den Innendienst versetzt, und es wurde ein Disziplinarverfahren eröffnet, das allerdings bis zum Abschluss des Verfahrens ruht. Auf die Strafanzeige der Familie hatten die Beamten mit einer Gegenanzeige wegen Widerstands, tätlichen Angriffs und versuchter Gefangenenbefreiung reagiert.
Schock für die Familie
„Wir wünschen uns an erster Stelle, dass der Polizist zur Rechenschaft gezogen wird“, hatte das Ehepaar einige Tage später auf einer Pressekonferenz im Neuköllner Wahlkreisbüro der Linken gesagt. Dabei schilderten sie auch den Schock, den sie erlitten hatten. Die Frau sagte, sie vermeide es, allein in der Wohnung zu bleiben, bei jedem Klingeln komme die Angst wieder hoch.
Laut Einschätzung des Gerichts sei es „äußerst zweifelhaft“, ob es sich bei Äußerung „Das ist mein Land und du bist hier Gast“ um „eine eindeutige Abwertung der Betroffenen“ handele. Zwar könne der subjektive Eindruck entstehen „sie sei als ‚Ausländerin‘ weniger wert als deutsche Staatsangehörige und habe nicht die gleichen Rechte wie diese“, doch darauf komme es nicht an.
Im weiteren Verlauf der Argumentation folgt eine Abhandlung über das Wort „Gast“, das „die erhebliche Herabsetzung einer Person nicht unbedingt nahelegt“. Angeführt wird zudem, „dass insbesondere in der Politik häufig die Rede davon ist, eine Person habe ‚ihr Gastrecht verwirkt‘“. Dies sei zwar problematisch, aber „schwerlich geeignet (…), ein ehrverletzendes Werturteil von einiger Erheblichkeit darzustellen“.
Lukas Theune, Geschäftsführer des Republikanischen Anwält:innenvereins und Zeugenbeistand der Frau, spricht gegenüber der taz davon, dass das Gericht das Erleben seiner Mandantin „bagatellisiert“ und sie erneut „viktimisiert“. Für Theune ist die Entscheidung „ein Schlag ins Gesicht für Opfer rassistischer Polizeigewalt und verbaler Übergriffe“. Der Polizist sei schon jetzt „überwiegend freigesprochen“ und werde womöglich bald auf seinen bisherigen Posten zurückkehren können.
Die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Elif Eralp, die vor zweieinhalb Jahren die Familie im Rahmen der Pressekonferenz unterstützte, bezeichnet es als „schockierend, dass mal wieder ein Berliner Gericht den offensichtlichen Rassismus des Täters nicht erkennen will“. Dies aber wäre als „klares Signal an die Polizei sowie an die Gesellschaft und die Opfer von Rassismus“ notwendig. Eralp fordert „Antidiskriminierungsschulungen“ für den öffentlichen Dienst, insbesondere für Gerichte.
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