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Rassistischer PolizeieinsatzGericht gastlich mit Rassismus

Ein Gericht will einen Polizisten für rassistische Aussagen bei einer Razzia nicht belangen. „Du bist hier Gast“ sei ja auch Tenor in der Politik.

Das rabiate Vorgehen dieses Polizisten bleibt vielleicht ohne Konsequenzen für ihn Foto: privat

Berlin taz | Es waren verstörende Szenen, die für Aufsehen sorgten: Im September 2022 rückte die Polizei zur Vollstreckung eines Haftbefehls und einer Gefährderansprache bei einer syrischen Familie an. In einem kurzen Videoausschnitt aus der Wohnung ist ein Polizist zu sehen, der eine Frau rassistisch beleidigt: „Das ist mein Land und du bist hier Gast!“, schreit er die Frau an – weil sie sagt, dass dies ihr Haus sei. „Halt die Fresse“, ruft er.

Auch der Mann, gegen den ein Strafbefehl wegen des Erschleichens von Leistungen samt einer offenen Geldstrafe in Höhe von 750 Euro vorliegt, wird angegangen: „Du bist hier in unserem Land. Ihr habt euch nach unseren Gesetzen zu verhalten.“

Mehr als zweieinhalb Jahre später kommt es nun am Dienstag vor dem Amtsgericht Tiergarten zum Prozess gegen den Beamten Jörg K. Doch befürchten muss er kaum etwas. Das Gericht hat lediglich einen Anklagepunkt zugelassen, wie aus dem der taz vorliegenden Beschluss hervorgeht: „Hinreichenden Tatverdacht wegen Beleidigung“ erfülle demnach einzig die Äußerung „Halt die Fresse, fass mich nicht noch mal an“. Das übrige Verhalten erfülle „keinen Straftatbestand“. Abgewiesen wurde auch die Nebenklage der Frau, die Strafantrag gestellt hatte, weil sie sich durch den rassistischen Gehalt der Aussagen herabgewürdigt fühlte.

Das Gericht widerspricht damit sowohl der Ersteinschätzung der Polizei als auch jener der Staatsanwaltschaft, die sich zumindest teilweise dem Strafantrag angeschlossen hatte. Nach dem Vorfall hatte die Polizei mitgeteilt, der Staatsschutz habe Ermittlungen infolge einer „fremdenfeindlichen Beleidigung durch einen Polizisten“ aufgenommen. K. wurde in den Innendienst versetzt, und es wurde ein Disziplinarverfahren eröffnet, das allerdings bis zum Abschluss des Verfahrens ruht. Auf die Strafanzeige der Familie hatten die Beamten mit einer Gegenanzeige wegen Widerstands, tätlichen Angriffs und versuchter Gefangenenbefreiung reagiert.

Schock für die Familie

„Wir wünschen uns an erster Stelle, dass der Polizist zur Rechenschaft gezogen wird“, hatte das Ehepaar einige Tage später auf einer Pressekonferenz im Neuköllner Wahlkreisbüro der Linken gesagt. Dabei schilderten sie auch den Schock, den sie erlitten hatten. Die Frau sagte, sie vermeide es, allein in der Wohnung zu bleiben, bei jedem Klingeln komme die Angst wieder hoch.

Laut Einschätzung des Gerichts sei es „äußerst zweifelhaft“, ob es sich bei Äußerung „Das ist mein Land und du bist hier Gast“ um „eine eindeutige Abwertung der Betroffenen“ handele. Zwar könne der subjektive Eindruck entstehen „sie sei als ‚Ausländerin‘ weniger wert als deutsche Staatsangehörige und habe nicht die gleichen Rechte wie diese“, doch darauf komme es nicht an.

Im weiteren Verlauf der Argumentation folgt eine Abhandlung über das Wort „Gast“, das „die erhebliche Herabsetzung einer Person nicht unbedingt nahelegt“. Angeführt wird zudem, „dass insbesondere in der Politik häufig die Rede davon ist, eine Person habe ‚ihr Gastrecht verwirkt‘“. Dies sei zwar problematisch, aber „schwerlich geeignet (…), ein ehrverletzendes Werturteil von einiger Erheblichkeit darzustellen“.

Lukas Theune, Geschäftsführer des Republikanischen An­wäl­t:in­nen­ver­eins und Zeugenbeistand der Frau, spricht gegenüber der taz davon, dass das Gericht das Erleben seiner Mandantin „bagatellisiert“ und sie erneut „viktimisiert“. Für Theune ist die Entscheidung „ein Schlag ins Gesicht für Opfer rassistischer Polizeigewalt und verbaler Übergriffe“. Der Polizist sei schon jetzt „überwiegend freigesprochen“ und werde womöglich bald auf seinen bisherigen Posten zurückkehren können.

Die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Elif Eralp, die vor zweieinhalb Jahren die Familie im Rahmen der Pressekonferenz unterstützte, bezeichnet es als „schockierend, dass mal wieder ein Berliner Gericht den offensichtlichen Rassismus des Täters nicht erkennen will“. Dies aber wäre als „klares Signal an die Polizei sowie an die Gesellschaft und die Opfer von Rassismus“ notwendig. Eralp fordert „Antidiskriminierungsschulungen“ für den öffentlichen Dienst, insbesondere für Gerichte.

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24 Kommentare

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  • Ist nicht das Duzen schon eine Beleidigung?

  • Gab es e'lich gegen evtl "Lügenbullen" schon Mal einen Prozess wegen Verleumdung, falscher Anschuldigung oder Meineids ?

    Mir ist keiner bekannt ...

  • Alberichs Mantel, nicht wahr ?

  • "Auf die Strafanzeige der Familie hatten die Beamten mit einer Gegenanzeige wegen Widerstands, tätlichen Angriffs und versuchter Gefangenenbefreiung reagiert."

    Wenn die Gegenanzeige tatsächlich eine _Reaktion_ war, dann ist das der eigentliche Skandal.

  • "In einem kurzen Videoausschnitt aus der Wohnung ist ein Polizist zu sehen, der eine Frau rassistisch beleidigt: „Das ist mein Land und du bist hier Gast!“ (...) Auch der Mann, gegen den ein Strafbefehl wegen des Erschleichens von Leistungen samt einer offenen Geldstrafe in Höhe von 750 Euro vorliegt, wird angegangen: „Du bist hier in unserem Land. Ihr habt euch nach unseren Gesetzen zu verhalten.“"



    Was an diesen beiden Aussagen ist bitte rassistisch?



    Ich verstehe die Kritik an der Einsatzhärte und auch die Beleidigung" halt die Fresse" ist absolut ungebührliches Verhalten eines Beamten gegenüber Zivilisten. Dementsprechend hat das Gericht diesen Punkt auch zugelassen.



    Aber Rassismus weil Gäste als Gast bezeichnet werden und Gesetzestreue verbal eingefordert wird?



    Das hat nichts mit Rassismus zu tun. Das Erste ist eine zutreffende Feststellung und das Zweite das Mindeste, was man von Gästen erwarten kann denen man kostenlos Obdach und Versorgung gewährt.

    • @Farang:

      Volle Zustimmung. Vielen Dank!

    • @Farang:

      Die Frau war aber kein Gast in der Wohnung, sondern die Hausherrin. Gästin ist sie nur in der fremdenfeindlichen oder von mir aus rassistischen Denke dieses Polizeibeamten, weil er sie wegen ihres Aussehens und ihrer Haarfarbe oder eines fremd klingenden Namens als "nicht hierher gehörig" identifiziert und entsprechend herabwürdigt.

    • @Farang:

      Syrische Geflüchtete haben ein Recht hier zu sein und Schutz zu erhalten. Sie sind deshalb auch keine Gäste wie beispielsweise ein regulärer Arbeitsmigrant. Rassismus wird es dann, wenn die Ansprache bei anderer Hautfarbe anders ausgefallen wäre, was ich hier aber nicht beurteilen kann. Fast sicher wäre bei Ukrainern aber anders reagiert worden zum Beispiel.

      • @Šarru-kīnu:

        Ich wäre nicht sicher, dass die Ansprache bei Ukrainern anders ausgefallen wäre, wenn man den Grund des Einsatzes berücksichtigt. Der Ehemann hatte eine Geldstrafe offen (über Monate nichts bezahlt), so dass sie in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt wurde und er festgenommen werden sollte. Die Frau bekam eine "Gefährderansprache", weil sie sich - nach meiner Erinnerung mit Nachbarn - verbal nicht unter Kontrolle hatte und sich die betreffenden Leute an die Polizei gewandt haben. Es gab als 2 Gründe für den Einsatz, jeder Elternteil hat je einen geliefert.

        Wenn diese Konstellation bei Ukrainern, Rumänen oder Somaliern oder wem auch immer vorgelegen hätte, wären die Beamten vermutlich auch mit negativer Grundstimmung dort erschienen.

    • @Farang:

      Dem ist nichts hinzuzufügen.

  • Das bei einem offenen Haftbefehl die Polizei erscheint ist doch normal. Und bis die Polizei kommt hat man ja auch genügfend Möglichkeiten diesen Besuch zu vermeiden.

  • Das Gericht hat nach geltendem Recht geurteilt.



    Ob das aus moralischer Sicht richtig ist, steht auf einem anderen Blatt.

  • Klassisches Fehlurteil eines vom Sachverhalt überforderten Richters /Gerichts.

    Wenn auch natürlich nachvollziehbar. Aus normalisiertem rassistischen, chauvinsitsichen Reflex. STIMMUNG!



    Mainstream halt. In der Rechtlosigkeit und Willkür.

    Ein Polizeiamtmann ausgestattet mit hoheitlichen Rechten hat keinen Unterschied zwischen einem sogenannten Gast, oder angeblich berechtigt Ansässigen zu machen. Das spielt nämlich für die Ausübung, sowie die Eingrenzung seiner beruflich-handwerklichen Aufgabe keine Rolle.



    Ob er jemanden als "Gast" liest, ihn als "Gast" empfindet, um dann aus dieser strukturellen Willkür ein bestimmtes



    Verhalten, eine bestimmte Demut ihm gegenüber einzufordern,



    hat keine Rolle zu spielen. Ist er dazu nicht in der Lage, hat er dafür kein Bewusstsein, so ist er im falschen Beruf.

    Die Tatsache, dass ein Gericht solches Verhalten /Praxis nicht kriminalisiert, stellt einen veritablen, wirkmächtigen, geradezu willkürlichen Unsicherheitsfaktor, ein Unrecht für alle Menschen dar, die ein schlecht ausgebildeter, handwerklich und charakterlich nicht geeigneter Polizist eigenmächtig, überfordert, oder weltanschaulich als "Gast" empfindet.

    • @Elise Hampel:

      Ein Gericht hat nicht das Recht, Verhalten zu "kriminalisieren". Was kriminell ist, bestimmt das StGB.

      Es ist ein großer Fortschritt, das man heute Gesetze hat, die sagen, was man darf und was nicht und nicht ein Richter aus seiner eigenen Vorstellung von Recht und Moral entscheiden kann.

      • @Dr. McSchreck:

        Was als Beleidigung zu werten ist bestimmt aber nicht das StGB. Darüber entscheiden die Gerichte.

        • @Francesco:

          Die Auslegung bestimmt das Gericht, allerdings ist die Rechtsprechung des BVerfG zu beachten, wonach der Begriff eng auszulegen ist….und das Wort „Gast „ ist in dem gewählten Zusammenhang keine Beleidigung im Sinne des StGB. Das hat das Gericht sehr gut erklärt

          • @Dr. McSchreck:

            Das Wort an sich ja kaum. Aber doch die Intention, mit der es ausgesprochen wird. Wird der Frau damit doch der Schutz ihrer Wohnung aberkannt.

  • Das Gericht hat sich nun mal an die Gesetze zu halten und danach ist a) Beleidigung kein Delikt, bei dem die Nebenklage zugelassen wäre und b) der Beleidigungsparagraph nach der Rspr. des BVerfG eng auszulegen. Insowiet ist die Begründung des Gerichts äußerst überzeugend.

    • @Dr. McSchreck:

      Rechtlich eine ganz falsche Vorstellung, gerade Beleidigung ist ein typisches Delikt, das je nach Schwere oft sogar nur durch die Nebenklage allein (nennt sich dann Privatklage) verfolgt wird, wenn die Staatsanwaltschaft kein öffentliches Interesse sieht (was sie hier aber tat). Selbstverständlich gibt es auch im Beleidigungsprozess die Möglichkeit der Nebenklage, wenn es zur Wahrnehmung der Interessen des Geschädigten geboten erscheint, was hier offensichtlich der Fall war (sonst hätte sie nicht abgewiesen werden können).



      www.lg-duisburg.nr...I_nebenklaeger.pdf

      • @Günter Picart:

        Nebenklage und Privatklage sind etwas völlig verschiedenes. Kein Bürger kann begeistert sein, wenn die Staatsanwalt ihn auf den Privatklageweg verweist, im Gegenteil.

        • @Dr. McSchreck:

          In diesem Fall ist das ja auch nicht passiert. Und auch die Privatklage kann natürlich zur Verurteilung führen.



          Und eine Nebenklage im Beleidigungsprozess kann eben durchaus zulässig sein, und deshalb wurde sie erhoben. Dass das Gericht sie für unbegründet oder unzulässig hält, weil es keine gravierenden persönlichen Folgen der Tat bei den Verletzten erkennen will, ist Sache des Gerichts, macht die Klageerhebung aber nicht rechtlich falsch.

          • @Günter Picart:

            Mich würde interessieren, ob es jemals einen Fall gegeben hat, wo diese extreme Ausnahme der Nebenklage tatsächlich zugelassen wurde. Mein Beitrag bezog sich darauf, dass es Delikte gibt, wo die Nebenklage von Gesetzes wegen zuzulassen ist und andere, wo es besondere Gründe braucht, die fast nie anerkannt werden, weil man eben den Vergleich zieht zu den Folgen der gesetzlichen Nebenklagedelikte.

    • @Dr. McSchreck:

      Mag zwar sein, dass man juristisch auf eine verrenkte Weise durchkommt, aber ob das sinnstifted für die Gemeinschaft ist, ist natürlich eine andere Frage.

      • @Ice-T:

        Stimme zu, siehe auch ACAB-Komplex.