Schwarz-rote „Asylwende“: Symbolische Grenzpolitik
Die groß angekündigte Asylwende fällt ziemlich klein aus. Die Union hat sich in eine Sackgasse manövriert, aus der sie nicht herauskommt.
B undesinnenminister Alexander Dobrindt ist also an die polnische Grenze gefahren, um zu zeigen, dass in der Asylpolitik ein neuer Wind weht. Stattdessen wurde deutlich, dass die so groß angekündigte „Asylwende“ erstaunlich klein gerät. Gerade 40 Zurückweisungen Asylsuchender gab es bisher.
Schon Dobrindts Ankündigung der Zurückweisungen vergangene Woche war ja auffallend verdruckst. Der Termin wurde erst verschoben und fand dann erst so spät statt, dass er bei vielen unter dem Radar lief. Erstaunlich – schließlich geht es doch um die Umsetzung des zentralen Wahlversprechens der Union. Genauso kläglich ging es weiter. Zunächst war nicht einmal bekannt, ob die Zurückweisungen tatsächlich stattfinden oder nur theoretisch ermöglicht wurden. Die Aussagen von Dobrindt, Kanzler Friedrich Merz, der Bundespolizei widersprachen sich. Das große Signal, als das die Zurückweisungen angekündigt waren, wurden sie so nicht.
Es wäre falsch, darin Unfähigkeit oder gar plötzliche Gewissensbisse zu sehen. Das Wirrwarr ist eher Ergebnis der Zwänge, in denen sich die Union befindet. An den Grenzen alles zu lassen, wie es ist, ist keine Option, weil Merz im Wahlkampf viel zu laut von der „Asylwende“ getönt hat. In großem Umfang zurückzuweisen geht nicht, weil die Bundesregierung es sich nicht leisten kann, den wichtigen außenpolitischen Verbündeten Polen zu verärgern. Und die Kapazitäten der Bundespolizei geben langfristig verschärfte Kontrollen an den Grenzen eigentlich auch nicht her.
Bislang versuchen Merz und Dobrindt diese Widersprüche zu lösen, indem sie einfach jedem erzählen, was er hören will. Zu den ausländischen Verbündeten heißt es: Alles bleibt beim Alten. Zu den Wähler*innen: Es wird in großem Maßstab zurückgewiesen. Und konkrete Fragen, etwa nach der rechtlichen Grundlage der Rückweisungen, beantworteten die beiden einfach gar nicht.

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Dass Merz und Dobrindt sich in eine Sackgasse manövriert haben, ist offensichtlich. Mit jedem Tag wird fraglicher, wie sie – und die ganze Bundesregierung – da unbeschadet herauskommen wollen.
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