Bewegungstermine in Berlin: Deutschland, ein Ego-Albtraum
In der Pandemie hat sich ein egoistischer Freiheitsbegriff durchgesetzt. Auch ein Grund für die neuen Rechten, gegen die am Samstag protestiert wird.

E s ist der Versuch eines Comebacks, auf das wirklich niemand gewartet hat: Aus den Überbleibseln der Corona-Bewegung wird am kommenden Samstag unter dem Motto „Gemeinsam für Deutschland“ bundesweit zum Protest aufgerufen. Erinnern Sie sich noch? Die Corona-Bewegung, das waren Menschen wie der Berliner Verschwörungsideologe Michael Bründel, genannt Captain Future, der im Superheldenkostüm in der Polonaise zu „Ein bisschen Sars muss sein“ tanzte. Das waren Menschen, die sich Judensterne anhefteten, weil sie eine Maske tragen mussten und sich impfen lassen sollten.
Heute wird aus diesem Milieu etwa für „flächendeckende Grenzkontrollen“ und den „Schutz der Bevölkerung“ (wahrscheinlich vor den migrantischen Horden?) auf die Straße gerufen. Zu einer ersten Demo am 22. März erschienen Antifas zufolge bundesweit erstaunlich viele Neonazis. Antifa-Gruppen warnen deshalb: „Was vor zwei Monaten noch aus einem etwas verwirrten Querdenken-Spektrum zu kommen schien, muss man spätestens nach dem 22. März beim Namen nennen: Naziaufmärsche“.
Okay, dass Nazis zu Querdenken-Demos erscheinen und dort mit offenen Armen empfangen werden, ist nun nichts Neues – man denke etwa an die Bilder des Sturms der Reichstagstreppen im August 2020. Aber was ist das eigentlich für eine merkwürdige Symbiose? Warum können diejenigen, die seit 2020 gegen jegliche Einschränkung ihrer persönlichen Autonomie auf die Straße gehen, eigentlich so gut mit den Reichsflaggen-schwenkenden Neonazis, die von ihnen immerhin die völlige Unterordnung unter die Nation abverlangen?
Der Rechtsdrift von Querdenken
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Wie wäre es mit folgendem Erklärungsversuch: Die Coronapandemie war in erster Linie ein globales und nur kollektiv zu lösendes Problem. Das Virus verbreitete sich aber in kapitalistischen Gesellschaften, die gerade 50 Jahre neoliberalen Staats- und Gesellschaftsumbau hinter sich hatten. Und im Neoliberalismus sollte es bekanntlich so etwas wie Kollektivität gar nicht mehr geben: „There is no such thing as society“, hatte Margaret Thatcher berühmterweise gesagt.
Über Jahrzehnte hatte man also versucht, die Menschen zu reinen Ich-AGs umzuerziehen, ihnen jegliche Solidarität auszutreiben, sie zu perfekten Exemplaren des Homo economicus zu machen, der nur seinen eigenen Vorteil kennt. Im Zuge dieses Prozesses ist auch der Freiheitsbegriff von einem Verständnis à la Immanuel Kant (Wie müssen wir handeln, damit sich alle möglichst frei entfalten können?) hin zu einem „Ich darf machen, was ich will“ degeneriert.
Die erste Reaktion der neoliberalisierten Menschen bestand also darin: sich zu verweigern, in jeder Einschränkung schon die Diktatur zu erspähen. Wenn Linke in der Pandemie autoritäre Tendenzen (Ausweitung der Überwachungsapparate), Korruption (Maskendeals) oder Ungleichheit (die globale Verteilung der Impfstoffe) kritisierten, griff das nicht, weil dies eine Strukturkritik war, die nicht grundsätzlich die Notwendigkeit zum kollektiven Handeln in der Pandemie leugnete.
Auftritt: Die Neonazis
Doch mit der neoliberalen Zerstörung der Kollektivität ist es so eine Sache: sie kann nicht gelingen. Menschen sind soziale Wesen, der Wunsch nach Gemeinschaft, nach Solidarität, ist tief in unserer DNA verwurzelt – nur zusammen konnten wir als Spezies schließlich überleben. Da, wo die inklusive Gesellschaft verloren scheint, wächst deshalb auch der Bedarf nach einer „Ersatzgemeinschaft“ – die am besten auch noch eine Erklärung liefert für das eigene Gefühl der Wertlosigkeit, der Unterdrückung, der Erniedrigung.
Im Neoliberalismus wurden Institutionen der Solidarität wie Gewerkschaften oder Sozialstaat attackiert und vernichtet – in Ostdeutschland noch einmal mit wesentlich größerer Brutalität. Jobverlust, Wohnungsnot und Unsicherheit im Alter waren die Folgen. Das Vertrauen der Menschen wurden erschüttert, gleichzeitig wurde ihnen kommuniziert, sie selbst seien schuld an der Misere, Armut ist schließlich nur ein Mindset. Das Problem musste also entweder eines des individuellen Scheiterns sein – oder etwas Externes, eines der „fremden“ Einflüsse.
Auftritt: die Neonazis. Mit der „Volksgemeinschaft“ haben sie ein attraktives Angebot: Sie bieten Stolz, Zugehörigkeit und Schutz. Und sie erklären die Probleme nicht in strukturellen Zusammenhängen, sondern personalisiert auf bestimmte Personengruppen: Migrant:innen, „Globalisten“, „die EU“, „linke Eliten“, „Gender-Ideologen“. Das Kollektiv schlägt also zurück, dieses Mal jedoch als Fiebertraum, der die Entledigung all jener erforderlich macht, die dem Kollektiv im Weg stehen.
Antifa bleibt notwendig
Nicht alle machen diese Radikalisierungsprozesse bis zum Ende mit. Aber so ist eben zu erklären, dass einige der Maskenpflicht-ist-Faschismus-Fraktion plötzlich keine Probleme mehr sehen, wenn neben ihnen wirkliche Faschist:innen stehen. Was man dagegen tun kann? Nun, in erster Linie Widerstand leisten. Was wieder bewiesen werden muss, ist Kraft der Solidarität als emanzipatives Projekt. Und das geht nicht mit Worten, sondern nur mit Taten.
Ein erster Schritt ist es, sich den Rechten entgegenzustellen, ihnen deutlich zu machen, dass sie in Berlin-Mitte nicht willkommen sind. Die Rechten rufen um 13 Uhr zum Neptunbrunnen am Alexanderplatz, Ecke Spandauer Straße, auf. Von dort aus soll die Demo bis zum Potsdamer Platz und wieder zurückziehen.
Der große Gegenprotest startet um 12:15 Uhr an der Südseite des S-Bahnhof Friedrichsstraße. Unter dem Motto „Berlin bleibt Antifa“ rufen Initiativen wie Widersetzen, Aufstehen gegen Rassismus, die North East Antifa und Geradedenken dazu auf, sich dem rechten Aufmarsch entgegenzustellen. Der Protest zieht zum Neptunbrunnen, also zum Auftaktsort der Rechten. Bei einer Zwischenkundgebung am Bebelplatz (13 Uhr) gibt es jedoch die Möglichkeit, sich einem Protest der Gruppe Queermany anzuschließen, die stattdessen in Richtung Holocaust-Mahnmal, russische Botschaft und Bundestag ziehen wird.
Antifaschistische Pre- und Afterparties
Den Demoabend ausklingen lassen, lässt sich zum Beispiel beim Riot Grrrl Tresen in der Kneipe Kleinod (Niemetzstraße 24). Da gibt es feinsten Punk und Hardcore – sowie Infos zur bald beginnenden Pride-Saison in Ostdeutschland. Nachdem es im vergangenen Jahr viele Naziangriffe auf Pride-Paraden gegeben hat, sollen in diesem Jahr gemeinsame Anreisen und die Unterstützung der Strukturen vor Ort besser organisiert werden. Los geht es ab 20 Uhr.
Um den historischen Antifaschismus geht es bei der Vorführung des Films „Die Mörder sind unter uns“ am Sonntag (27.4.) im Regenbogenkino (Lausitzer Str. 21a, 14 Uhr). Der Film wird vom VVN-BdA Friedrichshain-Kreuzberg im Rahmen der Veranstaltungsreihe „8. Mai – Befreiung, was sonst?“ gezeigt. Gedreht wurde er von Wolfgang Staudte im Jahr 1946 in den Trümmern von Friedrichshain und Mitte, mit Hildegard Knef in einer der Hauptrollen. Anschließend gibt es ein Gespräch über den Film.
Wer sich im Vorfeld der Proteste am Wochenende darüber informieren will, welche Faschos am Samstag auftauchen könnten, kann dies schon am Donnerstag (24. 4.) beim Antifaschistischen Infotresen im Café Freiraum in der Alice Salomon Hochschule tun. Im Rahmen der Kritischen Einführungswochen gibt es dort ab 17:30 Uhr bei kalten Getränken einen Vortrag über rechte Vorfälle in Marzahn-Hellersdorf – und was dagegen getan werden kann.
Wer am Vorabend der Proteste (Freitag, 25. 4., Am Berl 13, 20 Uhr) antifaschistische Strukturen mit ein bisschen Pogo unterstützen will, darf gerne in Hohenschönhausen auf dem Solikonzert der Feminist Red und Anarchist Skinheads für das dortige Offene Antifa Treffen erscheinen. Es spielen Produzenten der Froide (Antifascist Oi! aus Stuttgart), Profilachse (HC Punk), BetterGut.Industries ((Punkrock aus der Platte) und ROi!m- & StrOi!- FahrzOi!ge (Oi! aus Hohenschönhausen).
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