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Polen rüstet massiv auf. Sollten die USA die Kapitulation der Ukraine forcieren, wird sich das Landnach anderen Sicherheitspartnern umsehen

US-ameri­ka­nische F-16- Kampfjets bei der jährlichen Militärparade zu Ehren der polnischen Armee im August 2024 in Warschau Foto: Omar Marques/getty images

Aus Warschau Gabriele Lesser

Die Schockstarre will nicht weichen. Zum ersten Mal seit ihrem Nato-Beitritt 1999 fürchten viele Polen, bei einem russischen Angriff allein dazustehen. Denn auf die Schutzmacht USA scheint unter Präsident Donald Trump kein Verlass mehr zu sein. Und: Die anderen Nato-Staaten würden das Land an der Weichsel wohl genauso halbherzig wie jetzt die Ukraine verteidigen. So die Vermutung.

Polen, das 1989 als erstes Land im früheren Ostblock seine Freiheit und Souveränität wiedererlangt hatte, richtete seine ganze Sicherheits- und Rüstungspolitik auf die USA aus. Denn die Erfahrungen, die Polen in seiner Geschichte mit den europäischen Staaten gemacht hatte, waren einfach zu schlecht. Immer wieder wurde das Land kriegerisch überfallen. Ende des 18. Jahrhunderts sogar vom Zarenreich, Preußen und dem Habsburgerreich drei Mal aufgeteilt, bis Polen vollständig von der Landkarte Europas verschwunden war. Erst 123 Jahre später erlangte die Republik Polen ihre Souveränität zurück – auch dank der Fürsprache vieler Amerikaner. Die USA waren auch der erste Staat, der das unabhängige Polen 1919 offi­ziell anerkannte.

Im September 1939 wiederum, als die alten Teilungsmächte, das Deutsche Reich und die Sowjetunion, den polnischen Nachbarn erneut überfielen, erwarteten die Polen, dass die Garantiemächte Großbritannien und Frankreich Hitlerdeutschland den Krieg erklären und Polen dann militärisch verteidigen würden. Doch die europäischen Westalliierten waren auf den Zweiten Weltkrieg gar nicht vorbereitet und ließen Polen im Stich. 1945 wiederum, als die Siegermächte USA, UdSSR und Großbritannien auf den Konferenzen von Jalta und Potsdam über die künftige Weltordnung verhandelten, durfte Stalin seine Kriegsbeute aus dem Hitler-Stalin-Pakt behalten, während Polen, dessen Soldaten in allen Armeen gegen Hitlerdeutschland mitgekämpft hatte, nicht einmal eingeladen wurde.

Den Frieden musste Polen 1945 teuer bezahlen: rund die Hälfte seines Territoriums fiel an die Sowjetunion. Statt der erhofften Freiheit gab es Repressio­nen, Zensur, sozialistische Planwirtschaft und eine nicht abwählbare Einparteienherrschaft von moskauhörigen Kommunisten.

Das nach Westen verschobene Land – Polen erhielt zum Ausgleich für seine Verluste die deutschen Ostgebiete – musste Gründungsmitglied des Warschauer Paktes werden und verschwand für fast 50 Jahre hinter dem Eisernen Vorhang. Für viele Polen endete der Zweite Weltkrieg erst 1989 mit den ersten noch halbdemokratischen Wahlen oder erst 1993, als die letzten russischen Soldaten aus Polen abzogen.

Daher überrascht es wenig, dass die meisten Polen mit großem Entsetzen reagierten auf die live übertragene Demütigung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj durch Donald Trump und seinen Vize J. D. Vance im Weißen Haus. Ausdruck gab diesem Gefühl Lech Wałęsa, legendärer Anführer der polnischen Freiheits- und Gewerkschaftsbewegung Solidarność in den 1980er Jahren, Friedensnobelpreisträger und später auch Präsident Polens, in einem offenen Brief an Trump: „Wir haben die Übertragung Ihres Gesprächs mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit Entsetzen und Abscheu verfolgt.“

Trumps Forderung an Selenskyj nach mehr Dankbarkeit für die bisher geleistete amerikanische Hilfe empfinde er als „beleidigend“. Dank gebühre vielmehr „den heldenhaften ukrainischen Soldaten, die zur Verteidigung der Werte der freien Welt ihr Blut vergossen haben“, so Wałęsa. „Sie sind diejenigen, die seit über elf Jahren im Namen dieser Werte und der Unabhängigkeit ihres von Putins Russland angegriffenen Heimatlandes an der Front sterben.“

Wałęsa gelang es, zahlreiche ehemalige Dissidenten und politische Häftlinge um sich zu scharen, die den Protestbrief an Trump mit unterschrieben. Darunter auch Adam Michnik, der langjährige Chefredakteur der linksliberalen Gazeta Wyborcza. „Entsetzt sind wir auch darüber, dass die Atmosphäre im Oval Office während dieses Gesprächs an diejenige erinnerte, die wir noch gut aus der Zeit der Verhöre durch den Geheimdienst und aus den Gerichtssälen kommunistischer Gerichte kennen“, schreiben sie und erinnern daran, dass ihnen auch „Staatsanwälte und Richter im Auftrag der allmächtigen kommunistischen politischen Polizei erklärten, dass sie alle Trümpfe in der Hand hielten und wir keine“.

Obwohl die Ukraine das Opfer der Aggression Putins geworden war, warf Trump Selenskyj vor laufenden Kameras vor, „keine guten Karten in der Hand“ zu halten und „mit dem Dritten Weltkrieg zu spielen“. Polens Intellektuelle und Ex-Dissidenten, von denen viele als moralische Autoritäten gelten, schreiben: „Wir sind schockiert, dass Sie Präsident Wolodymyr Selenskyj so behandelt haben.“ Sie belassen es aber nicht nur bei den harten Vorwürfen gegen Trump und Vance. Vielmehr appellieren sie an die Vereinigten Staaten und Großbritannien, die im Budapester Memorandum von 1994 gegebenen Sicherheitsgarantien gegenüber der Ukraine einzuhalten.

„Darin wird ausdrücklich die Verpflichtung zur Verteidigung der Unverletzlichkeit der ukrainischen Grenzen festgehalten, wenn das Land im Gegenzug seine Atomwaffenressourcen aufgibt.“ Diese Garantien seien an keine weiteren Bedingungen geknüpft worden. Mit keinem Wort sei aber davon die Rede, dass diese Hilfe als wirtschaftlicher Austausch zu betrachten sei.

Während Polens links-liberale Regierung unter Donald Tusk versucht zu retten, was zu retten ist, und nach außen hin beteuert, wie wichtig nach wie vor die Bündnispartnerschaft zwischen den USA und Polen innerhalb der Nato ist, überprüft sie intern, welche amerikanischen Waffensysteme im Ernstfall auch ohne laufende Unterstützung der USA funktionieren würden.

Eventuell müssen langfristig geplante Rüstungsaufträge an US-Waffenschmieden storniert und durch europäische ersetzt werden. Schon 2024 hat Polen knapp 4 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes (BIP) für die Modernisierung seines Militärs und die Aufstockung der Truppen ausgegeben. 2025 sollen es sogar bis zu 5 Prozent werden. Die Zahl der Berufssoldaten soll auf bis zu 500.000 Personen ansteigen. Zudem soll die gesamte Bevölkerung auf den Ernstfall vorbereitet und – auf freiwilliger Basis – auch militärisch geschult werden.

Die Maßnahmen haben ihren Grund. Polen grenzt unmittelbar an die Ukraine, Belarus und die russische Exklave Kaliningrad. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine sind mehrere fehlgeleitete Raketen in Polen eingeschlagen. Eine davon tötete zwei polnische Bauern in einer Scheune in Ostpolen, eine andere konnte durch halb Polen bis nach Bydgoszcz (Bromberg) in Nordwestpolen fliegen und ging dort in einem Wald nieder. Ganz in der Nähe der Absturzstelle befindet sich nicht nur das Wohnhaus von Außenminister Radosław Sikorski, sondern auch eine bedeutende Nato-Militärbasis mit mehreren Schulungszentren und Werkstätten für F-15-Kampfflugzeuge.

Die meisten Polen reagierten mit großem Entsetzen auf die Demütigung Selenskyjs im Weißen Haus

Und es tut sich eine weitere Front auf. Als der Multimilliardär und Trump-Berater Elon Musk auf seiner Plattform X behauptete: „Wenn ich das Satellitensystem Starlink abschalten würde, bräche die gesamte Front der Ukraine ein“, fassten viele Polen das als Drohung auf. Außenminister Sikorski wies Musk wie auch die Weltöffentlichkeit in scharfen Worten darauf hin, dass Polen für den ukrainischen Starlink-Zugang jährlich 50 Millionen US-Dollar an Musks Firma SpaceX zahle.

„Wenn sich aber SpaceX als unzuverlässiger Anbieter erweisen sollte, müssen wir uns nach Alternativen umschauen.“ Musk reagierte erbost: „Sei still, kleiner Mann! Ihr bezahlt nur einen kleinen Teil der Kosten. Es gibt keinen Ersatz für Starlink.“ Später lenkte der Milliardär ein und versicherte: „Egal, wie sehr ich mit der Ukraine-Politik nicht einverstanden bin, Starlink wird seine Terminals niemals abschalten.“

Auch der US-amerikanische Außenminister Marco Rubio, der Sikorski auf X aufforderte, „Danke“ zu sagen, da die ukrainische Front ohne Starlink längst zusammengebrochen wäre und die „russische Grenze schon heute wieder an die polnische grenzen würde“, bekam postwendend sein Fett weg.

Sikorski nämlich dankte ihm überschwänglich für die Feststellung, dass die tapferen ukrainischen Soldaten weiterhin den Internetservice Starlink nutzen dürften, der von den USA und Polen bezahlt werde. Polens Regierungschef Tusk postete seine Kritik an der US-amerikanischen Führung ebenfalls auf „X“: „Wahre Führung bedeutet Respekt gegenüber Partnern und Verbündeten. Auch gegenüber den kleineren und schwächeren. Niemals Arroganz. Liebe Freunde, denkt darüber nach.“

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