Münchner Sicherheitskonferenz: Selenskyjs letzter Strohhalm
In München beschwört der ukrainische Präsident die europäische Idee. Viel mehr als verbale Solidaritätsbekundungen gibt es für ihn jedoch nicht.
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„Keine Entscheidung über die Ukraine ohne die Ukraine, keine Entscheidung über Europa ohne Europa“, ruft Selenskyj in den Saal. Aber dass er damit auch noch bei der neuen US-Administration Gehör findet, ist mehr als zweifelhaft. Donald Trump macht jedenfalls nicht den Eindruck, als würde er sich bei seinen angekündigten „Friedensverhandlungen“ groß um die Ukraine scheren.
Selenskyj versucht, sich seine zunehmende Verzweiflung angesichts der schwierigen Lage seines Landes nicht allzu sehr anmerken zu lassen. „Wenn die USA entscheiden, diesen Weg zu gehen, sich zurückzuziehen, ist das nicht gut“, sagt er. „Aber darauf müssen wir uns einstellen.“ Noch setzt er seine Hoffungen auf die EU, an die er inbrünstig appelliert, in ihrer Unterstützung nicht nachzulassen.
„Jahrzehnte der alten Beziehungen zwischen Europa und Amerika kommen nun zu einem Ende“, sagt Selenskyj mit Blick auf den Auftritt von US-Vizepräsident James David „JD“ Vance am Freitag. „Von nun an werden die Dinge anders sein, und Europa muss sich daran anpassen.“ Er sei sich „sicher, auch Sie glauben an Europa, und ich kann Sie nur dazu aufrufen, zu handeln, zu Ihrem eigenen Wohl.“
Manche würden nicht verstehen, was in Washington vor sich gehe, so Selenskyj. „Doch wir müssen zuerst verstehen, was in Europa passiert.“ Die EU brauche eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und müsse damit international selbstbewusst auftreten. Das Ende des Kriegs in der Ukraine müsse ein europäischer Erfolg werden.
„Moskau wird Europa auseinanderreißen, wenn wir als Europa einander kein Vertrauen entgegenbringen“, sagt Selenskyj. Bei aller weitverbreiteten Skepsis gegenüber Brüssel habe Europa die Wahl zwischen Entscheidungen, die dort getroffen würden – oder jenen aus Moskau. Als er das sagt, wird es still im Saal des Hotels Bayrischer Hof. Ein leichtes Raunen ging durch die Reihen der zahlreichen Politiker:innen und Militärangehörigen.
Selenskyj hält aber nicht nur die bislang stärkste pro-europäische Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Der ukrainische Präsident ist auch der einzige, der am Samstag den Angriff auf die Schutzhülle des havarierten Atomreaktors in Tschernobyl adressiert, der sich kurz vor der Konferenz ereignet hatte. „Das ist nicht nur eine Verrücktheit“, sagte der Präsident. „Putin möchte keinen Frieden, er bereitet sich nicht auf einen Dialog vor.“
Eine stabile Lösung könne es nur mit langfristigen Sicherheitsgarantien für die Ukraine geben, mahnt Selenskyj. „Ich werde die Nato-Mitgliedschaft nicht vom Verhandlungstisch nehmen“, sagt er auch noch. Die aber hat Trump bereits vom Tisch genommen. Daran dürfte sich auch kaum mehr etwas ändern.
Scholz will keinen „Diktatfrieden“
Vor Selenskyj stand Olaf Scholz auf dem Programm. „Der russische Krieg gegen die Ukraine muss enden, so schnell wie möglich“, sagte der Bundeskanzler in seiner Rede. Wenn nun unter Einbeziehung der Ukraine auch direkt mit Russland gesprochen wird, sei das daher richtig.
Er sei „sehr froh darüber, dass die amerikanische Regierung unser gemeinsames Ziel bekräftigt hat, die souveräne Unabhängigkeit der Ukraine zu erhalten“, sagte Scholz. Denn Frieden werde es nur geben, wenn die Souveränität der Ukraine gesichert sei. „Ein Diktatfrieden wird deshalb niemals unsere Unterstützung finden“, sagte Scholz.
Aber was folgt aus seiner vollmundigen Ankündigung, wenn genau das eintreten sollte? Darauf blieb der Kanzler eine Antwort schuldig. Die Europäer würden die Ukraine unterstützen „so lange, wie dies nötig ist“, sagte Scholz bloß. So sei auch Deutschland „in der Lage, die Ukraine auf dem bisherigen hohen Niveau weiterhin zu unterstützen“. Das jedoch, und das weiß auch Scholz, würde niemals reichen, um den möglichen, ja wahrscheinlichen Ausfall der USA zu kompensieren.
Scharf wies der Kanzler die Einmischung der US-Regierung in den Bundestagswahlkampf zugunsten der AfD zurück. „Das gehört sich nicht – erst recht nicht unter Freunden und Verbündeten“, sagte Scholz zu dem skandalösen Auftritt von US-Vize Vance und dessen Treffen mit der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel am Freitag. Er werde nicht akzeptieren, wenn Außenstehende zugunsten dieser Partei in unsere Demokratie, in unsere Wahlen, in die demokratische Meinungsbildung eingreifen“, so Scholz weiter. „Wie es mit unserer Demokratie weitergeht, das entscheiden wir selbst.“
Er sei dankbar, dass der US-Vizepräsident bei einem Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau am Donnerstag betont habe, dass sich solche Menschheitsverbrechen nie wiederholen dürften. Eine überwältigende Mehrheit in Deutschland stelle sich „jenen hart entgegen, die den verbrecherischen Nationalsozialismus verherrlichen oder rechtfertigen“. Das sei jedoch in den Reihen der AfD der Fall. Ein Bekenntnis zum „Nie wieder'“ sei „daher nicht mit der Unterstützung für die AfD in Einklang zu bringen“, sagte Scholz.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sagte der taz, sie sei Scholz „sehr dankbar dafür, dass er deutlich gemacht hat: Wir werden Einmischungen in unsere Demokratie weder durch russische Propaganda noch durch die illiberale Trump-Administration hinnehmen“.
Sie stellte sich auch hinter die Äußerungen von Scholz zur Ukraine. Der imperialistische Angriffskrieg Putins auf die Ukraine habe die europäische Friedensordnung „in den Staub getreten“. Es dürfe nicht zugelassen werden, dass diese völkerrechtswidrige Aggression „durch einen Diktatfrieden in einen Erfolg“ verwandelt werde, sagte Esken.
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, der an einer Diskussionsrunde zur Ukraine auf der Konferenz teilnahm, nannte es „absolut inakzeptabel“, dass Russland und die USA „ohne die Ukraine und die Europäer am Tisch verhandeln“. Anlässlich der Rede von Vance am Freitag verbat sich Merz zudem eine Einmischung der USA in den deutschen Bundestagswahlkampf.
Linken-Chef van Aken warnt vor Anbiederung an Trump
Die Linkspartei hat keine Vertreter:innen nach München geschickt. Aber ihr Vorsitzender Jan van Aken meldete sich aus Berlin zu Wort. Die neue US-Administration betreibe ein „gefährliches Machtspiel“, sagte der frühere UN-Biowaffeninspekteur. Ihr Auftreten ließe keinen Zweifel, dass es der USA gehe darum, dass die drei Supermächte USA, China und Russland künftig die Welt unter sich aufteilen und ihre Einflusszonen abstecken.
„Die Bundesregierung und die EU dürfen dieser Rückkehr zur Hinterhofpolitik keinen Millimeter nachgeben“, forderte der Linken-Politiker. Sie müssten unmissverständlich klarstellen: „Nicht selbsternannte Großmächte, sondern die Vereinten Nationen – die Gemeinschaft aller Länder – sind der einzige legitime Rahmen, um globale Herausforderungen zu lösen.“ Jede Anbiederung an die neue US-Regierung in der Hoffnung, noch ein paar Krümel vom Tisch der Supermächte zu ergattern, treibe die Welt hingegen weiter in ein brandgefährliches Blockdenken.
Zum Ukraine-Krieg sagte van Aken, dass die panischen Warnungen europäischer Politiker vor einem möglichen Trump-Putin-Deal auf Kosten der Ukraine „geradezu naiv“ wirkten. Es sei längst absehbar gewesen, dass Trump nach seinen eigenen Regeln verhandeln würde. Statt eine eigenständige diplomatische Strategie zu entwickeln, habe die EU jedoch fast ausschließlich auf Waffenlieferungen gesetzt.
Das sei ein „historischer Fehler mit katastrophalen Folgen“ gewesen. Denn jetzt übernehme Trump und er werde den Krieg auf seine Weise beenden – mit „Deals“ und Zugeständnissen an Putin, die Europa am Ende machtlos hinnehmen müsse. „So groß die Erleichterung über das Kriegsende auch wäre, ebenso sicher würde in Europa sofort eine neue Abschreckungsdebatte entbrennen“, befürchtet van Aken, der von einem „Desaster auf ganzer Linie“ sprach.
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