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Sparen über alles

An der Schuldenbremse zerbrach die Ampel, im Wahlkampf hält nur noch die FDP stur an ihr fest. Ex-Finanzminister Christian Lindner wird dafür von Neoliberalen und Libertären als „Rockstar“ gefeiert. Doch der Druck, das Instrument zu reformieren, wächst

Aus Berlin und Bremen Anne Fromm und Christian Jakob

Er könne „endlich wieder atmen“, sagt Christian Lindner, als preise er die gute Schweizer Bergluft. Es ist der 3. November 2023, ein Jahr vor dem Ampel-Aus, Lindner ist noch Finanzminister. Im dunklen Anzug und pinker Krawatte steht er im Hörsaal 1 der Uni Luzern und spricht zu Studierenden der Wirtschaftswissenschaften. Der Saal ist bis auf den letzten Platz besetzt. Weil der Andrang so groß ist, wird Lindners Rede nach draußen gestreamt, das Video steht bis heute im Netz.

Der FDP-Politiker soll eine öffentliche Vorlesung zur Finanzpolitik halten. Doch vorher schmeichelt er den Gastgebern: „Nachdem ich im staatsgläubigen Deutschland lebe und arbeite, bin ich gern in die freisinnige Schweiz gekommen. Und nachdem die politischen Realitäten mich zwingen, mit Sozialdemokraten und Grünen zu regieren, freue ich mich, die Luft der Freiheit zu atmen.“ Lacher und Applaus im Publikum, Lindner grinst.

Fast auf den Tag genau ein Jahr später wird er die Regierungskoalition in Deutschland platzen lassen. Nach einem monatelangen Streit über Geld für den Klimaschutz stößt Lindner mit einem Grundsatzpapier für eine „Wirtschaftswende“ seine Koalitionspartner vor den Kopf. Kanzler Olaf Scholz wird Lindner entlassen, später wird sich herausstellen, dass Lindners FDP den Bruch lange geplant hatte. Zentraler Streitpunkt: die Schuldenbremse. Und auch wenn CDU-Chef Friedrich Merz im Wahlkampf nun allen das Migrationsthema aufgezwungen hat, ist eine der größten Fragen nach wie vor offen: Woher kommt das Geld, das Deutschland so dringend braucht, um Brücken zu reparieren, die Bahn zu sanieren, die Ukraine zu unterstützen? Wie geht es weiter mit der Schuldenbremse?

Darum geht es auch ein Jahr zuvor in Luzern. Organisiert hatten den Abend Christoph A. Schaltegger, Professor der Wirtschaftswissenschaften, und René Scheu, Ex-Feuilleton-Chef der größten Schweizer Tageszeitung NZZ. Die beiden leiten das Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik, kurz IWP. Sie sind Teil eines weit verzweigten Netzwerks liberaler und libertärer Ökonomen, die sich dem Kampf für sinkende Staatsausgaben verschrieben und dabei engste Verbindungen auch ins deutsche Finanzministerium aufgebaut haben.

Obwohl Lindner nur für einen kurzen Redebeitrag angefragt war, hatte er „eine ganze Vorlesung geplant“ – so steht es in Mails zur Veranstaltung, die die Zürcher Wochenzeitung WoZ über ein „Öffentlichkeitsgesuch“ beschafft hatte. Für die Darstellung seiner These benötige er „schon etwas Zeit“, ließ Lindner Schaltegger wissen. Der sicherte dem Minister „alle Zeit der Welt“ zu. Am Ende spricht Lindner eine halbe Stunde über die Schuldenbremse als „ein Hauptelement der Ordnungspolitik.“ Das Publikum ist dankbar. Denn die Schuldenbremse ist eine Erfindung der Schweiz, die Deutschland sich zum Vorbild nahm.

„Rockstarwürdig“ nennt IWP-Chef Scheu Lindners Rede, als sie vorbei ist. Dann gibt es Apéro, einen Stehempfang und Flying Dinner im benachbarten Hotel für rund 50 Gäste.

Schalteggers Institut ist ein wichtiger Player in einer internationalen Szene liberal-libertärer Akteure, die vermeintlich übermäßige Staatsausgaben für die Wurzel allen Übels halten. Es produziert meinungsstarke akademische Papiere, Gastkommentare in diversen Medien und Verlagsbeilagen in der NZZ. Im September 2024 erscheint eine zwölfseitige NZZ-Strecke mit dem Titel „Sparen, Sparen, Sparen“. Schaltegger interviewt darin Lindner, sein Kompagnon Scheu spricht mit Lindners schweizerischer Amtskollegin Karin Keller-Sutter. Die nennt die Schuldenbremse eine „gute Freundin“, die von „linker Seite bekämpft“ werde. Die NZZ weist darauf hin, dass die Seiten „komplett von einem Kunden finanziert“ seien. „Redaktionsmitglieder des Unternehmens NZZ arbeiten freiwillig mit.“

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Rezession, Stellenabbau, Insolvenzen – ist Deutschland wirklich abgewrackt?Die taz schaut hin und fragt, welche Chancen in der Krise liegen könnten. Alle Texte zum Thema finden Sie hier:

Pure neoliberale Ideologie

Mitpubliziert hat die Beilage das Freiburger Werner Eucken Institut (WEI). Dessen Leiter ist der Ökonom Lars P. Feld. Den hatte Lindner im Februar 2022 zu seinem „Persönlichen Beauftragten für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung“ ernannt. Auch Feld ist im liberal-libertären Milieu eine wichtige Figur – er publiziert seit Langem zusammen mit Schalt­egger. Die beiden sind Vorstände des WEI. Feld ist außerdem Vorstand und Schaltegger Mitglied von Nous, einem am WEI angesiedelten Zusammenschluss neoliberaler Ökonomen, Philosophen und Historiker. Nous wiederum war zumindest bis Ende 2024 „Partner“ des Atlas Networks – der wohl weltweit einflussreichsten Sammelbewegung neoliberal-libertärer Akteure, inklusive Fossil-Konzernen und Klimawandel-Leugnern.

An einem Freitag im Januar erklärt Schaltegger der taz die Vorzüge der Schuldenbremse. Staaten seien stets verlockt, mehr Geld auszugeben als sie einnehmen, sagt er. Sie folgten den „süßen Klängen der Sirenen“. Schalt­egger verweist darauf, dass Deutschland heute eine Staatsquote von fast 48 Prozent habe.

Gemeint ist: Pro jeweils 100 Euro, die jährlich im Land erwirtschaftet werden, geben die öffentlichen Haushalte zusammen etwa 48 Euro aus, die sie über Steuern, Abgaben oder Kreditaufnahme beschafft haben. Damit liegt Deutschland fast genau im EU-Schnitt. Investiert werden vom Staat hierzulande indes nur unterdurchschnittliche rund 3 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Schaltegger findet es kaum nachvollziehbar, dass der Bund bei diesen großen finanziellen Spielräumen keine nötigen Ausgabenschwerpunkte setzen könne – etwa in der Sicherheitspolitik. Gewiss, so sagt er, gebe es in Deutschland einen Investitionsstau. Das Problem sei aber nicht das fehlende Geld. Ein handlungsfähiger Staat dürfe nicht „jede Interessengruppe, die ein Anliegen hat, mit Subventionen und Transfers“ bedienen. Interessenverbände seien oft „sehr partikular unterwegs“ und „Beutejäger auf die gesamte Staatskasse“. Die Verantwortung für diese „Allmende“, das Allgemeinvermögen also, nehme seitens der Politik „praktisch niemand ein.“ So sehe Schaltegger seine Aufgabe als Ökonom darin, die „Allmende“ zu hüten und den Zugang zu ihr „so zu regulieren, dass der Staat nicht zur Beute der Interessengruppen wird.“

Wer mehr öffentliches Geld, etwa für Soziales, Klima, Gesundheit, Entwicklungshilfe oder Bildung ausgeben will, verfolgt „Partikularinteressen“, vor denen man den Staat „schützen“ muss – das ist neoliberale Ideologie. Dass dahinter nicht selbst „Partikularinteressen“ stehen – nämlich jene von Vermögenden, die niedrige Steuern wollen –, ist zumindest zweifelhaft. Schalteggers Institut gibt auf seiner Website an, „in niemandes Interesse oder Dienst“ zu stehen. Doch von privaten Gebern bekommt es mehrere Millionen Franken pro Jahr. Auf die Frage, woher das Geld stammt, antwortet Schaltegger nebulös. In der Autorisierung zieht er die entsprechenden Zitate dann zurück – die Frage nach den Finanziers sei nicht das Thema.

Dass die Schuldenbremse heute immer mehr Schützenhilfe von wirtschaftsnahen Akteuren bekommt, hat auch damit zu tun, dass ihre Akzeptanz bröckelt. Zum ersten Mal meint eine Mehrheit der Bevölkerung, die Schuldenbremse müsse „angepasst“ werden, wie gerade eine Forsa-Studie ergeben hat.

Auch die Grünen wollten die Schuldenbremse damals unbedingt einführen

Das war nicht immer so. Lange Zeit waren viele Deutsche Fans der Schuldenbremse. Kritik gab es nur vereinzelt – bis zum 15. November 2023. Da erklärt das Bundesverfassungsgericht den zweiten Nachtragshaushalt der Ampel-Regierung für verfassungswidrig. 60 Milliarden Euro, die für Klimaschutz vorgesehen waren, fehlen damit plötzlich im Budget. Die Ampel hatte Geld, das sie während der Corona-Pandemie an der Schuldenbremse vorbei aufgenommen, aber nicht ausgegeben hatte, für Klimaschutz umgewidmet. Das lehnten die Verfassungs-Richter*innen ab. Es war der Anfang vom Ende der Koalition.

Seitdem steht die Schuldenbremse deutlich stärker als zuvor in der Kritik. Ökonomen verschiedenster Denkschulen fordern eine Reform. Bundesbank-Chef Joachim Nagel sagte jüngst auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, das „Gesamtkonzept der Schuldenbremse“ müsse überarbeitet werden. Selbst Angela Merkel, in deren Amtszeit die Schuldenbremse ins Grundgesetz kam, plädierte zuletzt für eine Reform.

Gegner und Befürworter der Schuldenbremse begründen häufig mit demselben Begriff ihre Ab- beziehungsweise Zuneigung: Generationengerechtigkeit. Wer die Schuldenbremse befürwortet, meint, die Gesellschaft dürfe Kindern keine Schulden hinterlassen. Doch viele interpretieren Generationengerechtigkeit heute anders: Wir dürfen unseren Kindern keine kaputten Straßen hinterlassen – und erst recht keinen zerstörten Planeten.

Nach Berechnungen zweier Wirtschaftsinstitute braucht Deutschland bis 2035 rund 600 Milliarden Euro, um seine Infrastruktur zu sanieren: Um Brücken und Schuldächer zu reparieren, Gebäude energetisch zu sanieren, den ÖPNV zu modernisieren. Mit der Schuldenbremse wie sie heute ist, ist das nicht zu machen.

2009, als die Schuldenbremse ins Grundgesetz getackert wurde, sahen das nur wenige kommen. Man mache die Schuldengrenze für die Seniorin, die sich Sorgen um ihre Rente mache,und für die jungen Leute, die morgen Verantwortung für Deutschland übernehmen wollten, sagte etwa eine CDU-Abgeordnete im März 2009. „Denn allen ist klar: Die Schulden von heute sind die Steuererhöhungen von morgen.“

Gebracht hatte die Schuldenbremse die sogenannte Förderalismusreform. Die Große Koalition von Angela Merkel setzte im Dezember 2006 eine Kommission ein, um die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu zu regeln. Einige Länder und Kommunen waren damals hoch verschuldet. Die rot-grüne Vorgängerregierung unter Gerhard Schröder hatte zwar eine Steuer nach der anderen gesenkt und damit Milliarden zu Gunsten der Reichen verteilt, die europäischen Fiskalregeln hatte sie dabei aber vernachlässigt: Die Staatsverschuldung war seit der Wiedervereinigung explodiert. Allein für die Zinsen zahlte der Bund damals 40 Milliarden Euro pro Jahr. Eine Schuldenbremse schien die Lösung und die Föderalismuskommission II sollte sie entwickeln.

Einstürzende Brückenbauten: die Carolabrücke in Dresden im September 2024 Foto: Filip Singer/epa

Knapp drei Jahre debattierte die Kommission. Dokumente aus dieser Zeit zeigen viel Begeisterung – aber auch harte Auseinandersetzungen über Details der Schuldenbremse. Soll ein gänzliches Schuldenverbot her? Welche Regeln gelten für den Bund, welche für die Länder? Wie sollen das finanzstarke Bayern, wie das hoch verschuldete Bremen, Saarland und Schleswig-Holstein behandelt werden?

Die Debatten wurden emotional geführt und immer wieder wurde auf das 2003 in Kraft getretene Schweizer Modell geschaut: „Einige von uns bekommen leuchtende Augen, wenn sie davon hören“, sagt eine SPD-Abgeordnete damals. Mitglieder der Kommission reisten nach Bern, um mehr über die Schweizer Schuldenbremse zu erfahren. Die Grünen beauftragten Zürcher Professoren mit einem Gutachten zur Frage, ob das Schweizer Modell auf Deutschland übertragbar sein könnte. In einer Sachverständigenanhörung im Juni 2007 traten dann 17 Experten auf. Zwölf davon sprachen sich für die Schuldenbremse aus – darunter waren neben Lars P. Feld auch zwei Wirtschaftsprofessoren aus der Schweiz, die beide mit Christoph Schaltegger und Feld publizierten. Sie priesen die Schweiz als Vorbild an.

Auch die Grünen beteiligten sich mit großem Eifer an den Diskussionen. Als erste Bundestagsfraktion legten sie im Sommer 2007 einen Gesetzentwurf vor, plädierten für eine Schuldenbremse, die Investitionen zulässt. Sie wollten das Instrument unbedingt. Doch als die Finanzkrise 2008 die Diskussionen ins Wanken brachte, fürchtete Fritz Kuhn, damals Fraktionsvorsitzender der Grünen, die Schuldenbremse könne nicht mehr durchsetzbar sein. Die Grünen seien überzeugt, schrieb er, dass diese „jetzt noch dringender erforderlich“ sei. Auf taz-Anfrage will sich Kuhn heute nicht dazu äußern. Er habe keine Erinnerung an die Zeit, schreibt er.

„Sterbehilfe“ für die Bundesländer

Einer, der sich gut erinnert, ist Bodo Ramelow. Er saß als Vertreter der Linken in der Föderalismuskommission II. Die Schuldenbremse lehnte er von Anfang an ab, einmal nannte er sie „Sterbehilfe“ für die überschuldeten Bundesländer, ein anderes Mal ein Modell „profunder Schlichtheit“. Fragt man ihn heute danach, redet er sich in Rage. „Allen war klar, dass eine Schuldenbremse nicht funktioniert, wenn die drei Bundesländer, die strukturell in der Finanzfalle saßen, nicht vorher entschuldet werden“, sagt er. „Aber zur Entschuldung von Bremen, dem Saarland und Schleswig-Holstein war der Bund nicht bereit.“ Vor allem die CDU-CSU-regierten Staaten Hessen, Baden-Württemberg und Bayern hätten das blockiert, aus Eigeninteresse. Ramelow fühlt sich in seiner Haltung durch die Diskussionen von heute bestätigt.

Aktuell will eine Mehrheit, dass die Schuldenbremse angepasst wird

Tatsächlich machte die Schuldenbremse später nicht nur dem Bund, sondern auch ärmeren Ländern wie Bremen das Leben schwer. Der junge Grüne Ökonom Jan Fries wurde 2007 Leiter des Referats Haushaltspolitik in der Bremer Senatskanzlei. „Die Linie war damals: Wir sind für eine Schuldenbremse – aber für eine, die wir auch einhalten können“, sagt Fries. Bremen wollte sich zunächst entschulden lassen, um sich künftig kein neues Geld leihen zu müssen. Der Schuldenstand lag 2005 bei 13,4 Milliarden Euro – rund der Hälfte der bremischen Jahreswirtschaftsleistung. „Erdrosselnd“ nennt Fries das heute. „Die Verschuldung habe so eine „natürliche Grenze erreicht, das hatte so seine Richtigkeit, diese Mechanismen einzuziehen.“ Bremens oberstes Verhandlungsziel sei gewesen, dass eine „unverschuldete Haushaltsnotlage“ anerkannt wurde.

Doch den Pleite-Ländern die Schulden komplett abzunehmen, kam für die Kommission nicht infrage. Und Horst Seehofer setzte als frisch gewählter Ministerpräsident von Bayern letztendlich durch, was vorher nicht verabredet war. Der Bund darf von nun an pro Jahr 0,35 Prozent des BIP neu an Krediten aufnehmen, für die Länder gilt eine schwarze Null. Sie sollen sich ab 2020 überhaupt nicht mehr verschulden dürfen. „Erpressung“ nennt Bodo Ramelow das heute. „Den Tag, an dem wir die Schuldenbremse beschlossen haben, habe ich als einen der traurigsten Tage in meiner politischen Karriere in Erinnerung.“

Seit dem 1. August 2008 regelt ein neuer Artikel 115 im Grundgesetz fortan die engen Grenzen der erlaubten Schuldenaufnahme.

Dafür, wie weitreichend diese Entscheidung ist, gab es nur wenig öffentliche Kritik. Rund 60 Öko­no­m*in­nen unterschrieben einen offenen Brief, der mit „Die Schuldenbremse gefährdet die gesamtwirtschaftliche Stabilität und die Zukunft unserer Kinder“ überschrieben war. Auch aus den Gewerkschaften kam ein leises Murren. In den Medien hingegen blieb es auffallend still. Als der Bundestag am 29. Mai 2008 die Schuldenbremse beschloss, brachte die Tagesschau einen kurzen Beitrag als dritte Meldung. In den Zeitungen erschien kaum ein kritischer Kommentar, auch nicht in der taz. Kaum jemand, so schien es, erkannte die Tragweite der Entscheidung. Sparen war der Zeitgeist, Krisen und Kriege schienen weit weg.

Das Land Bremen hatte sein Ziel zwar erreicht – seine „unverschuldete Notlage“ wurde anerkannt. Doch die von den übrigen Ländern zugesicherten Sanierungshilfen fielen mit zunächst 300 Millionen Euro pro Jahr deutlich zu niedrig aus, als dass Bremen sich tatsächlich hätte entschulden können. Gerettet hatte Bremen in den Folgejahren die günstige Konjunktur: Niedrige Zinsen, hohe Steuereinnahmen. Heute hat das Bundesland satte 23,4 Milliarden Euro Schulden – rund 10 Milliarden Euro mehr als zu Beginn der Verhandlungen in der Föderalismuskommission. Unter anderem für Corona-Folgen und für den Klimaschutz hatte sich das Land erneut Geld geliehen.

Wer viel spart, hat schwer zu tragen Foto: Adobe Stock, Montage: taz

Das Beispiel zeigt, dass die Schuldenbremse allein keineswegs dazu führen muss, dass sich ein Haushalt stabilisiert. Die Gefahr von Zinserhöhungen bedroht die Zahlungsfähigkeit. „Bei 2 Prozent mehr strecken wir alle viere von uns“, sagt Jan Fries heute. Steigende Zinsen würden schnell jeglichen politischen Handlungsspielraum einengen und hätten wahrscheinlich auch Leistungseinschränkungen zur Folge. Trotzdem sei es richtig gewesen, dem Deal damals zuzustimmen.

Im Bund aber lägen die Dinge anders, sagt Fries, der heute als Staatsrat in der Umweltbehörde unter anderem für die Klima-Investitionen zuständig ist. Um „das Staatsmodell tragfähig zu machen“, brauche es Investitionen in Wirtschaft und Gesellschaft. „Beim Bund ist die Kreditwürdigkeit da. Es gäbe Spielräume, Kredite aufzunehmen.“ Fries plädiert für neue Schuldenregeln, die „vermögensneutrale“ Investitionen ermöglichen. „Die sollten nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden.“

Ungefähr das will auch Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck. Noch-Kanzler Olaf Scholz will die Schuldenbremse für die Ukraine-Hilfen aussetzen, im SPD-Wahlprogramm ist ebenfalls von einer „Reform“ zugunsten von Investitionen die Rede. Die Linke will das Instrument ohnehin in die Tonne treten. Die Union gelobt in ihrem Wahlprogramm zwar, an der Schuldenbremse festzuhalten, im November allerdings sagte Kanzlerkandidat Friedrich Merz, man könne diese „selbstverständlich“ reformieren, wenn es „wichtig für Investitionen, wichtig für Fortschritt, wichtig für die Lebensgrundlage unserer Kinder“ sei.

Nur Christian Lindner lässt nicht los. Im November verkündete er, er habe sich „nicht für die Schuldenbremse auf die Straße setzen und öffentlich herabwürdigen lassen, um mich danach an ihrer Aufweichung zu beteiligen.“ Auf Wahlplakaten der FDP steht nun der Slogan: „Schulden: Kinder haften für ihre Eltern“.

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