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Die Beziehung der Grünen zu den sozialen Bewegungen ist traditionell gut, doch die Ampel-Zeit brachte einiges an Enttäuschung. Was sich Vize-Grünenchef Sven Giegold und Carla Reemtsma von Fridays for Future jetzt noch zu sagen haben, zu Klimaschutz, Asyl und der Macht von gesellschaftlichem Engagement

Vor den Toren des Parteitags protestieren Fridays for Future – und Carla Reemtsma ist mittendrin

Von Sabine am Orde und Tobias Schulze (Interview) und Piotr Pietrus (Fotos)

taz: Frau Reemtsma, Herr Giegold, das Verhältnis zwischen den Grünen und den sozialen Bewegungen war schon mal besser. Immerhin waren Sie jetzt auf derselben Demo gegen den Rechtsruck in Berlin. Wie war’s?

Sven Giegold: Ich stand da mit meiner grünen Europafahne und meinem Friedenslicht und fand großartig, dass so viele gekommen sind. Das zeigt: Die Leute spüren, dass es jetzt um was geht. Das habe ich als klaren Auftrag an uns verstanden.

Carla Reemtsma: In den USA gewinnt Trump, in Europa werden die Rechten stärker, und dann passiert so was: Friedrich Merz macht Politik mithilfe der Stimmen der rechten AfD. Und das, obwohl man weiß, dass man rechte Populisten und Extremisten nicht bekämpft, indem man ihre Politik nachmacht – dadurch verschafft man ihnen vielmehr politische Macht. Merz beweist damit, dass er bereit ist, aus Wahlkampftaktik unsere Demokratie mit Verachtung zu behandeln. Deswegen sind die Proteste der Zivilgesellschaft so wichtig – und wie die gescheiterte Abstimmung am Freitag gezeigt hat: Sie wirken auch.

taz: Wird die Mobilisierung sich jetzt bis zur Wahl verstetigen?

Reemtsma: Das ist eine hypothetische Frage, aber bei den Demos gegen rechts vor einem Jahr haben wir gesehen, dass eine sehr breite Mobilisierung möglich ist. Jetzt waren in großen und kleinen Städten Menschen von alt bis jung, Ver­tre­te­r*in­nen von Kirchen und Gewerkschaften auf den Straßen. Die Zivilgesellschaft zeigt Haltung, die die Politik vermissen lässt.

taz: Gefolgt ist aus den Demos vor einem Jahr aber nichts.

Giegold: Das habe ich auch häufig gehört, aber das stimmt nicht. Die Umfragen für die AfD sind eine ganze Weile runtergegangen. Wenn es jetzt zu einer neuen Mobilisierungswelle kommt, kann die auch eine große Wirkung entfalten.

taz: Diejenigen, die voriges Jahr gegen Rechtsextreme demonstriert, haben von der Ampel politische Unterstützung erwartet. Die ist ausgeblieben und daran waren die Grünen beteiligt. Das Asylrecht wurde mit Ihren Stimmen verschärft.

Giegold: In vielen Fragen der Migration wollen Menschen zu Recht sehen, dass die praktischen Probleme gelöst werden. Wenn jemand ausreisepflichtig ist und eine Behörde weiß das und handelt nicht, ist das ein Problem. Das frustriert Bürgerinnen und Bürger und überträgt sich zum Teil auf die allgemeine Haltung zum Schutz von Geflüchteten. Doch unser Ansatz orientiert sich immer an humanitärer Vernunft: Egal ob auf diesen Demos, im Parlament oder der Regierung. Generell gilt, in der Regierung muss man auf Probleme reagieren und als Grüne können wir dabei in Bundestag wie Regierung nur mit 15 und nicht mit 100 Prozent im Rücken verhandeln.

Reemtsma: Die aktuelle Debatte setzt gezielt auf Spaltung und sucht Feindbilder. Diese Diskursverschiebung hat Folgen. Schon jetzt steigen Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte und in Magdeburg trauen sich migrantische Eltern nicht mehr, ihre Kinder alleine draußen zu lassen. Den eigentlichen Herausforderungen nimmt sich die Debatte an vielen Stellen aber gar nicht an. Dafür bräuchte es andere Lösungen als mehr Abschiebungen oder Zurückweisungen an den Grenzen, nämlich mehr psychologische Beratung, Integrationskurse oder Zugang zu Bildung. Da wärt ihr Grünen gefragt.

Giegold: Es stimmt, diese Diskursverschiebung hat fatale Konsequenzen. Aber wenn umgekehrt radikalere Gruppen „Grenzen auf für alle“ fordern, dann klingt das, als wenn man über die eigentlichen Probleme gar nicht reden will. Dass es kaum Termine für soziale Dienste gibt und der Wohnraum knapp wird, hat ja auch damit zu tun, dass wir aus gutem Grund viele Menschen aufgenommen haben. Dass die Lösungen dafür bislang nicht gekommen sind, ist eine ganz harte Ressourcenfrage. Wir wollen auch wegen solcher Herausforderungen Steuerschlupflöcher schließen und an die Schuldenbremse ran­gehen. Dazu gab es in der Koalition aber keine Bereitschaft.

taz: Carla Reemtsma hat auch gesagt, dass sich die Grünen diesem Diskurs zu wenig entgegenstellen. Sehen Sie das Problem?

Giegold: Wir sind doch diejenigen im Parteiensystem, die sich dem entgegenstellen. Und deshalb kriegen wir kübelweise Hass und Hetze ab, wie die Fridays auch. Und trotzdem werden wir es weiterhin tun.

Reemtsma: Es wäre die Aufgabe der Grünen, da mehr zu tun. Ihr seid in der Regierung. Wenige andere Institutionen haben so eine Diskursmacht. Und dann stellt sich Robert Habeck hin und sagt: Syrer, die nicht arbeiten, müssen halt zurück. Das ist keine lösungsorientierte Antwort. Auch die Grünen sind Teil einer Empörungsmaschinerie, die möglichst harte Forderungen in den Raum stellt, um den Leuten einfach nur das Gefühl zu geben, dass etwas passiert. Damit bestärkt man am Ende nur ein Unsicherheitsgefühl, auf dem die Rechten ihre Politik aufbauen.

Giegold: Das Interessante ist, und das ist symbolisch für das Verhältnis zwischen Grünen und sozialen Bewegungen: Die Empörung ist immer besonders groß, wenn Grüne unter dem Druck von Kompromissbildung Positionen einnehmen, die nicht dem entsprechen, was man sich in der Bewegung wünscht. Dabei verliert man leicht aus dem Blick, wo sich diese Gesellschaft gerade hinbewegt. Es gibt nun mal Mehrheiten, die meinen, das Boot sei voll. Beim Klima geht es leider in eine ähnliche Richtung.

Reemtsma: Trotzdem ist der Rechtsruck Ergebnis eines Diskurses, dem auch die Grünen hinterherrennen. Je mehr in Wahlkampfreden über Migration gesprochen wird, desto mehr glauben Leute, Migration sei unsere größte Herausforderung. Umgekehrt heißt es jetzt, das Klima interessiere keinen mehr, weil es nicht mehr auf dem ersten Platz in den Umfragen steht. Das liegt aber auch daran, dass selbst die Grünen den Klimaschutz aus vermeintlicher Wahlkampfstrategie kommunikativ hinten anstellen.

taz: Tatsächlich sprechen die Grünen in diesem Wahlkampf sehr zweckdienlich über Klimaschutz. Er kommt vor allem vor, wenn er der Wirtschaft hilft oder zur Unabhängigkeit von autoritären Regimen führt.

Giegold: Viele Menschen treibt derzeit die Frage um: Hält Deutschland seine wirtschaftliche Stärke? Für uns ist klar: Wir werden unsere wirtschaftlichen Probleme nur lösen, wenn wir im Bereich erneuerbare Energien und dem Umbau der Industrie schneller werden. Das ist kein Verrat an den ursprünglichen Zielen, sondern der Versuch, Mehrheiten für unsere Kernthemen zu finden.

Reemtsma: So entsteht aber der Eindruck, dass Klimaschutz nur sinnvoll ist, wenn er irgendwelche anderen Vorteile bringt. Dabei ist Klimaschutz unabhängig davon moralisch, ökologisch und juristisch geboten. Es ist ein kolossaler Fehler, das auszusparen, wie die Grünen es momentan tun. Und es ist doch eine absurde Vorstellung, dass man Mehrheiten für die ökologische Transformation schafft, ohne über die ökologische Transformation an sich zu reden – und über den Zeitdruck, der ja durch die Klimakrise gegeben ist. Die Grünen und die Klimaschutzpolitik allgemein haben massiv von unseren Protesten profitiert, die genau das getan haben: Klimaschutz eben nicht nur als Nebenvorteil in den öffentlichen Raum zu tragen.

Giegold: Ich finde schon, dass wir – als einzige große Partei – oft über den Klimaschutz um seiner selbst willen reden. Aber ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen, bei dem ich mit Freunden aus der Zivilgesellschaft immer wieder aneinandergerate. Da heißt es oft: Ihr Grünen seid dafür da, Mehrheiten für bestimmte Positionen zu besorgen, und wir stellen auf volle Lautstärke. Das Problem mit den Mehrheiten ist aber ein gemeinsames.

taz: Gibt es keine Aufgabenteilung zwischen Bewegungen und Partei?

Reemtsma: Doch. Wir können ganz viel machen auf der Ebene der Mobilisierung und wir können von außen Druck machen. Aber die Forderungen in einen parlamentarischen Prozess zu übersetzen und dafür zu streiten, das ist eure Aufgabe. Dafür habt ihr als Partei ganz andere Möglichkeiten und Ressourcen als ein paar Studis und Schülerinnen und Schüler, die Proteste organisieren.

Giegold: Genau diese strikte Aufgabenteilung existiert aus meiner Sicht nicht. Wir können uns gegenseitig befruchten oder runterziehen. Ich hätte einfach gerne mehr Momente wie 2019, als wir durch euren Druck in der EU den Green Deal und das Ziel Klimaneutralität 2050 durchsetzen konnten. Und weniger Momente, wie wir sie nach den Straßenblockaden der Letzten Generation oder nach Lützerath gesehen haben – wo wir nicht liefern konnten und wollten, was ihr gefordert habt.

taz: Die Bewegung hatte das Dorf besetzt. Am Ende musste es aber mit Zustimmung der Grünen dem Kohleabbau weichen. War das der Tiefpunkt in der Beziehung zur Partei?

Reemtsma: Es gab immer wieder Momente der Enttäuschung. Etwa die Aufweichung des Klimaschutzgesetzes. Die Grünen haben aus Verhandlungsschwäche eine Entscheidung getroffen, die klimapolitisch nicht zu rechtfertigen ist, und dann haben sie das auch noch als Erfolg kommuniziert. Das finde ich einfach unehrlich – und unfair denjenigen gegenüber, die dafür monate- und jahrelang gekämpft haben. Lützerath war natürlich auch ein Symbol. Die Bewegung hat einen Kristallisationsmoment gebraucht, an dem sie nach der Pandemie wieder zusammenfindet und deutlich machen kann: Das Abbaggern von Dörfern für den klimaschädlichsten Energieträger, den wir hier in Deutschland haben, ist einfach nicht mehr zu rechtfertigen.

Giegold: Das konkrete Dorf zu erhalten und die Enttäuschung in der Bewegung zu vermeiden, hätte Milliarden an Entschädigungen für RWE gekostet. Die wollten wir aus guten Gründen nicht zahlen. Das heißt: Die Wahl der Symbole entscheidet über Erfolg oder Enttäuschung. Dagegen geht unter, wie viel eigentlich erreicht wurde. Wie gesagt: Dass der Green Deal gekommen ist, hat im Wesentlichen eine Jugendbewegung geschafft. Die meisten, die da auf der Straße waren, wissen das leider gar nicht. Ich würde mir wünschen, dass soziale Bewegungen ihre Erfolge lauter stellen. Sonst entsteht kollektiver Frust, und der ist gefährlich.

Reemtsma: Natürlich, es gab in den letzten Jahren Fortschritte, auch wenn das gefühlt gerade alles in Abrede steht. Das wäre nicht möglich gewesen ohne eine Partei, die bereit ist, Impulse aus der Zivilgesellschaft aufzunehmen – aber auch nicht ohne eine Zivilgesellschaft mit Anspruchshaltung. Beides ist wichtig.

taz: Herr Giegold, Sie wollen als neuer Vizeparteichef das Verhältnis zu Bewegung wieder verbessern. Wie?

Giegold: Es ist eine Unart in der Politik, das, was einen an einem Kompromiss selbst ärgert, als Erfolg zu verkaufen. Diese Kritik von Carla nehme ich an. Als das Klimaschutzgesetz verhandelt wurde, war ich im Raum. Das war eine schwierige Situation für uns Grüne. Koalitionspartner haben gesagt: Wenn ihr den Kohleausstieg und den Green Deal wollt, dann brauchen wir eine Abkehr von der Sektorverantwortung im Klimaschutzgesetz. Unterm Strich war es richtig, dass wir zugestimmt haben. Aber das war ein harter Kompromiss und kein grüner Erfolg – das darf man auch so benennen.

Im Streitgespräch

Sven Giegold

geboren 1969, ist seit November 2024 stellvertretender Bundesvorsitzender der Grünen. Zuvor war er seit 2021 Staats­sekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Er saß über 10 Jahre im Europaparlament und war im Jahr 2000 Mitbegründer der deutschen Sektion des globalisierungskritischen Netzwerks Attac.

Carla Reemtsma

geboren 1998, ist Mitbegründerin und Sprecherin von Fridays for Future in Deutschland. Reemtsma hat in Münster Politik und Wirtschaft studiert. Sie ist die Cousine von Luisa Neubauer. 2022 bekam sie den Umweltmedienpreis der Deutschen Umwelthilfe.

taz: Was wollen Sie noch tun, um die Beziehung zu verbessern?

Giegold: Ich habe mir vorgenommen, dass unsere zentralen Akteure wieder regelmäßiger Gespräche mit den verschiedenen Gruppen führen. Und zwar, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. An den Abwägungen und Nöten, in denen man in so einer Regierung steckt, müssen wir sie frühzeitig beteiligen. Das gilt nicht nur für die Klimabewegung, sondern auch für Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen, die Friedensorganisationen oder die Flüchtlingsbewegung.

Reemtsma: Schön, dass ihr das eingesehen habt. Das Gespräch hilft. Es muss ehrlich sein und bestenfalls stattfinden, bevor alles brennt.

taz: Das war nicht immer so?

Reemtsma: Nicht immer. Es gibt aber auch Momente, in denen es nicht mehr reicht, Entscheidungen nur besser zu erklären. Sollte es Schwarz-Grün geben, müsste klar sein: Was sind die roten Linien?

Giegold: Ich bin überhaupt kein Freund von roten Linien. Meine Erfahrung ist: Wenn man so in die Kompromissfindung geht, verbaut man sich in Verhandlungen viele Möglichkeiten und erreicht im Ergebnis weniger.

taz: Streben Sie nach den Ereignissen der letzten Woche überhaupt noch schwarz-grüne Kompromisse an – oder sollten Sie diese Option nicht so langsam ausschließen?

Giegold: Man muss darum werben, dass sich in der Union diejenigen durchsetzen, die sich glasklar von der AfD abgrenzen, die für den Klimaschutz sind, die Europa stärken wollen und die noch wissen, dass „Christdemokratie“ mit „Christ“ anfängt. Eine Koalition mit Demokraten auszuschließen, wäre unverantwortlich – so treiben wir sie ja regelrecht zur AfD. Es ist auch gegenüber der Öffentlichkeit stärker, die Union an ihren eigenen Widersprüchen zu messen, als sie zu dämonisieren.

Reemtsma: Das finde ich richtig. Die Abstimmungen mit der AfD waren eine Grenzüberschreitung sondergleichen. Aber für viele Leute, die sich nicht täglich mit Politik auseinandersetzen, ist die Debatte über die Brandmauer wahrscheinlich weit weg. Es ist jetzt auch für die demokratische Zivilgesellschaft die zentrale Aufgabe, die CDU an ihre demokratische Verantwortung zu erinnern und klarzumachen, dass sich dieser Fehler niemals wiederholen darf.

taz: Vielleicht wäre der Bewegung und ihrer Diskursmacht aber ohnehin mehr geholfen, wenn die Grünen wieder in der Opposition säßen, statt in einer schwarz-grünen Regierung.

Grauer City Cube und graues Pflaster bilden das Ambiente, als Sven Giegold und Carla Reemtsma am Rande des Grünen-Parteitags im januartrüben Berlin aufeinandertreffen

Reemtsma: Farbspiele bringen uns als Bewegung nichts. Mir geht es darum, dass eine Regierung bezahlbaren und konsequenten Klimaschutz macht. Dafür werden wir uns unabhängig der Konstellation einsetzen. Offensichtlich ist das leichter, wenn die Regierung nicht vor allem aus Parteien besteht, die Klimaschutz rückabwickeln wollen.

taz: Wie würden Sie die Beziehung von Partei und Bewegung eigentlich betiteln? Sind Sie Bündnispartner?

Reemtsma: Wir sind Menschen, die sich auf unterschiedliche Arten und an unterschiedlichen Orten für ähnliche Ziele einsetzen. Darin liegt eine Stärke. Parteien sind nichts, wenn ihre Anliegen zivilgesellschaftlich nicht aufgegriffen werden. Aber Zivilgesellschaft hat es auch schwer, wenn niemand ihre Anliegen in einem politischen Prozess durchsetzt.

Giegold: Zwischen den Zielen der progressiven Zivilgesellschaft und der Grünen gibt es große Übereinstimmungen. Aber wir können am meisten durchsetzen, wenn die Zivilgesellschaft sich nicht hauptsächlich an die Grünen wendet, sondern an alle. Wir haben gar kein Interesse an einer Zivilgesellschaft, die denkt, nur die Grünen sind ihre Vertretung.

Reemtsma: Das stimmt, deswegen protestieren wir als Fridays for Future im Moment auch bei Parteitagen aller Parteien, die an der Regierungsbildung beteiligt sein könnten. Trotzdem haben wir natürlich eine andere Anspruchshaltung an die Grünen. Wenn sie die Latte in der Klimapolitik niedrig legen, können sich die anderen Parteien zurücklehnen. Je ambitionierter die Grünen sind, desto mehr sind auch die anderen Parteien gefordert.

Giegold: Nein, Maximalismus ist nicht immer der beste Weg. Wenn wir so viel fordern, dass wir die Gesellschaft gegen uns aufbringen, führt das am Ende zu weniger Klimaschutz. Das ist ein gemeinsames Problem von Partei und Zivilgesellschaft. Die Letzte Generation hat genau diesen Fehler gemacht. Die haben Widerstände gegen den Klimaschutz erzeugt, die wir uns jetzt anhören müssen.

Reemtsma: Ich habe nicht gesagt, die Grünen sollen den Kohleausstieg übermorgen fordern. Aber es ist zum Beispiel so wichtig, dass die Grünen den Gasausstieg in ihr Wahlprogramm aufgenommen haben, weil das überhaupt erst den politischen Möglichkeitsraum schafft, dass darüber irgendwann diskutiert wird. Die CDU wird das nicht anstoßen.

Giegold: Wir haben eben nicht den Gasausstieg aufgenommen! Wir wissen ja, dass viele Leute schon Bedenken haben, dass wir den Kohleausstieg schaffen. Was wir beschlossen haben, ist eine Gasunabhängigkeitsstrategie mit der Frage: Wie kommen wir vom Gas weg? Und wenn ich noch etwas sagen darf: In der Diskussion über die Transformationsmüdigkeit, die sich in den letzten zwei Jahren eingestellt hat, hat mich eines wirklich gestört. Wir haben zwar Fehler gemacht. Aber es war auch verdammt einsam in der Regierung. Als es ums Heizungsgesetz ging, habe ich von keiner großen Organisation den Aufruf gesehen: Baut euch Wärmepumpen ein, reduziert die Nachfrage nach Gas! Geht weg von den Verbrennerautos! Da war eine erstaunliche Schweigsamkeit.

taz: Meinen Sie auch die Fridays?

Die Zeiten ändern dich

Schon 2002 lud die taz zum Streitgespräch, um über das Verhältnis der Grünen zu sozialen Bewegungen zu diskutieren. Die Parteivertreterrolle nahm Daniel Cohn-Bendit ein, die der Bewegung Sven Giegold, zu dieser Zeit aktiv im noch jungen globalisierungskritischen Netzwerk Attac. „Ich weiß doch, dass eine Siebenprozentpartei nicht alle ihre Forderungen durchsetzen kann“, sagte Giegold damals. „Doch die Grünen reden ihre Erfolge schön – anstatt ehrlich zu sagen: Das wollten wir, das haben wir erreicht.“ Daniel Cohn-Bendit beendete das Streitgespräch mit dem Satz: „Es sprach Sven Giegold, der künftige Finanzminister.“ Den ganzen Text finden Sie unter: www.taz.de/giegold2002

Reemtsma: Die ganzen Schü­le­r*in­nen mit ihren Wärmepumpen …

Giegold: Vor allem bei den Umweltorganisationen habe ich solche Aufforderungen vermisst. Da war die Koordination zwischen grünem Regierungshandeln und Zivilgesellschaft verbesserungsfähig.

taz: Haben Sie denen schon gesagt, dass es beim nächsten Mal anders laufen sollte?

Giegold: Ich würde nicht so mit der Zivilgesellschaft reden. Aber ich bin für einen offenen Austausch, in dem nicht a priori die Grünen als Regierungspartei immer böse sind und die Zivilgesellschaft immer perfekt ist. In meiner Brust schlagen noch immer zwei Herzen. Ich bin durch die Bewegungen in die Politik gekommen und deshalb wurmt es mich, wenn da Dinge falsch laufen. Genauso wie es ja offenbar Carla wurmt, wenn bei den Grünen irgendwas anders ist. Obwohl du, glaube ich, gar nicht bei uns Mitglied bist?

Reemtsma: So ist es.

taz: Wählen Sie am 23. Februar trotzdem die Grünen?

Reemtsma: Schauen wir mal.

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