Demos gegen Rechts: Die autoritären Einschläge kommen näher
CDU-Fraktionsvize Mathias Middelberg stellt nach Protesten gegen Rechts die Gemeinnützigkeit von Vereinen infrage. Diese verteidigen sich.
![Demo gegen Rechts vor dem Bundestag: Insgesamt kamen über 160.000 Menschen, ein Demonstrierender hält eine Merz-Abbildung hoch, der einen AfD-Pfeil reitet Demo gegen Rechts vor dem Bundestag: Insgesamt kamen über 160.000 Menschen, ein Demonstrierender hält eine Merz-Abbildung hoch, der einen AfD-Pfeil reitet](https://taz.de/picture/7529288/14/dEMOS-gegen-rechts-CDU-Merz-UNion-AfD-Zivilgesellschaft-Vereine-Forderung-Gemeinnutzigkeit-geimeinnutzig-1.jpeg)
Organisiert und aufgerufen zu den Protesten haben gemeinnützige Vereine, aber auch zivilgesellschaftliche Initiativen, Nicht-Regierungsorganisationen, dezentrale Antifa-Gruppen, Fridays for Future, Gewerkschaften, Kirchen und viele mehr.
Seither macht nicht nur in extrem rechten Echokammern die absurde „Demogeld-Legende“ mal wieder die Runde, nach der sinngemäß die Antifa vom Staat finanziert würde. In ähnlicher Form mittlerweile wird sie nun auch von Erzeugnissen des Springer-Verlags und des rechtsradikalen Populismus-Portals „Nius“ propagiert.
Empfohlener externer Inhalt
Der „Ressortleiter Meinungsfreiheit“ der Welt schrieb gar – offenbar von Trumps autoritärem Durchgreifen inspiriert – von einem „Deep State“ der NGOs von verfassungswidrigen Institutionen, die man brechen müsste.
Das Problem an dem haltlosen Geraune: Es verfängt als willkommene Verschwörungslegende, nicht zuletzt sogar in gewissen Teilen der CDU, der im Wahlkampf alles daran gelegen ist, die breiten und bundesweiten Proteste umzudeuten oder gar zu diskreditieren – obwohl ja auch Kirchen, viele (ehemalige) CDU-Mitglieder mitlaufen oder sich wie die Ex-Kanzlerin Angela Merkel gegen den Merz-Deal mit der AfD ausgesprochen haben.
„Demokratie leben“ soll sterben
So könnte das Geraune sogar zu konkreten politische Maßnahmen nach der Wahl führen. So drohte Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) am Donnerstag tatsächlich in der Neuen Osnabrücker Zeitung, ohnehin prekär finanzierten gemeinnützigen Organisationen wegen „parteipolitischen Aktionen gegen CDU, CSU und den Kanzlerkandidaten Merz“ den Geldhahn abzudrehen: „Ein solches Agieren ist ganz sicher nicht mehr gemeinnützig und auch nicht förderungswürdig durch Steuermittel der Allgemeinheit“, sagte Middelberg.
Middelberg, selbst Haushaltspolitiker, kündigte an, entsprechende Förderprogramme des Bundes „sehr scharf“ prüfen zu wollen – „und gegebenenfalls auch ganz zu streichen“. Als Beispiel nannte er unter anderem das Programm „Demokratie leben“ des Bundesfamilienministeriums von Lisa Paus (Grüne). Das Programm unterstützt nicht nur zivilgesellschaftliche Initiativen in Gegenden Ostdeutschland, die längst unter einer antidemokratischen Hegemonie leiden.
Das Vorgehen erinnert an die AfD, die das Neutralitätsgebot seit Jahren überinterpretiert und gemeinnützige Vereine beim Finanzamt anzeigt, die sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus oder für Klima und jeweils damit auch die gegen AfD positionieren. Die Ampelregierung wollte das Gemeinnützigkeitsrecht zwar reformieren, um derartige Angriffe auf Vereine zu verhindern, ist damit aber gescheitert – unter anderem wegen der blockierenden FDP.
Stefan Diefenbach-Trommer ist der Vorstand der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ aus mehr als 200 Vereinen und Stiftungen. Er setzt sich seit Jahren für eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts ein. Angesichts des autoritären Sounds in den letzten Tagen und Wochen machten sich die gemeinnützigen Vereine große Sorgen um die Demokratie, sagt er:
„Mir tut das Herz weh, wenn ich solchen Vorschlägen zuhöre. Die Einschläge vom autoritären Regieren kommen näher. Das fasst mich wirklich an – auch als Mensch“, so Diefenbach-Trommer zur taz am Telefon, hörbar bewegt.
„Die treten uns in die Beine“
Man kenne die Angriffe der AfD schon lange, aber besonders besorgen Diefenbach-Trommer nun die heftigen Gegenreaktionen auf die Demos von CDU und FDP: „Die treten uns in die Beine, anstatt uns inhaltlich zu kritisieren. Anstatt mit Argumenten auf die legitime Kritik durch Demos einzugehen, wollen sie uns offensichtlich mundtot machen.“
Die aktuellen Demos gegen Rechts nimmt er in Schutz: „Natürlich darf ich als gemeinnütziger Verein für meine Interessen demonstrieren. Wenn ein Bürgermeister einer Partei Radwege in meiner Stadt abreißt, kann ich doch auch als Verein für die Verkehrswende gegen dessen Politik protestieren – und natürlich muss ich benennen, wer diese Politik macht.“
Auch Zuspitzungen gegen die CDU seien gemäß Rechtsprechung erlaubt – solange die Kritik sachlich zu rechtfertigen sei. Das gelte insbesondere für die hunderttausenden Menschen, die derzeit auf die Straße gingen: „Im Kern sind das Demonstrationen gegen ein bestimmtes Verhalten und für unserer Demokratie. Sie kritisieren die CDU inhaltlich und sachlich für eine gemeinsame Abstimmung mit der AfD.“
Die Union müsse inhaltlich darauf eingehen und mit den Argumenten auseinandersetzen, fordert Diefenbach-Trommer – „stattdessen schießen Leute wie Middelberg in ihrer Parteilogik scharf zurück und vergaloppieren sich dabei völlig: Sie ziehen gemeinnützige Organisationen in einen Parteienstreit hinein. Und bei derartigen politisch einschüchternden Drohungen muss man sich schon fragen, ob man sich damit eigentlich noch auf dem Boden des Rechtsstaates befindet“, so Diefenbach-Trommer.
Zur freiheitlichen Demokratie gehöre die Kritik zivilgesellschaftlicher Organisationen an inhaltlichen Entscheidungen und politischen Plänen – noch mehr sogar, wenn Prinzipien der Verfassung geschliffen werden. „Die Fachleute nennen das die Wächterfunktion der Zivilgesellschaft. Diese Kritik macht die Demokratie stabil und lebendig“, so Diefenbach-Trommer.
„Sowas kennen wir sonst nur aus autoritären Staaten“
Ähnlich äußerte sich Felix Kolb, Vorstand der Kampagnen-Plattform Campact, die mit einer riesigen Mailing-Liste zu Kundgebungen aufruft: „Die Drohungen der Union, NGOs bei einer Beteiligung an Merz-kritischen Demos den Gemeinnützigkeitsstatus aberkennen zu wollen, sind finstere Methoden. Sowas kennen wir sonst nur aus autoritären Staaten wie Ungarn.“
Man erlebe hier zutiefst „undemokratische Einschüchterungsversuche gegenüber einer engagierten Zivilgesellschaft“, so Kolb: „Mit ihrer Hetze gegen die aktuellen Kundgebungen versucht die CDU/CSU, die Meinungsfreiheit – ein demokratisches Grundrecht – massiv einzuschränken.“ Auch gemeinnützigen Vereinen stehe es zu, das Handeln von Parteien und ihren Vertreter*innen zu kritisieren.
Doch es gibt auch kritische Stimmen gegen das Geraune innerhalb der CDU: Der ehemalige Generalsekretär Ruprecht Polenz kritisierte auf Bluesky den Welt-Herausgeber Ulf Poschardt für die Verbreitung des raunenden Artikels: „Deep state – die Standard-Geschichte der Verschwörungsmythologen, neu erzählt vom Herausgeber der Welt. Mit dieser Geschichte soll das Vertrauen in die Demokratie des Grundgesetzes erschüttert werden. Trump hat damit vorbereitet, was er jetzt macht: einen Staatsstreich.“
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