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Antisemitismus-ResolutionGefährdete Diskursräume

Die Antisemitismus-Resolution ist gut gemeint, aber nicht in jedem Fall gut gemacht. Sie schränkt die Debatten- und Wissenschaftsfreiheit ein.

Antisemitismus-Resolution gegen Wissenschaftsfreiheit? Demo vor der Humboldt-Universität in Berlin im Oktober 2024 Foto: Florian Boillot

D er Bundestag hat am Mittwoch einen Antrag von Union, SPD und Grüne und FDP debattiert, dessen Titel unstrittig klingt: „Antisemitismus und Israelfeindschaft an Schulen und Hochschulen entschieden entgegentreten sowie den freien Diskursraum sichern“. Wer möchte bestreiten, dass Antisemitismus an deutschen Schulen und Universitäten mit Entschiedenheit entgegengetreten werden sollte? Doch wer den Antrag genau liest, wird feststellen, dass er freie Diskursräume nicht schützt, sondern die Wissenschaftsfreiheit beschränkt.

Das liegt in erster Linie an der Verwendung der Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die die Bundestagsentschließung, wie schon bei der BDS-Resolution 2019 und bei vielen anderen Gelegenheiten, als alleinverbindlich erklärt, ob Antisemitismus vorliegt oder nicht. Die IHRA definiert Antisemitismus zunächst vage als „eine bestimmte Wahrnehmung von Juden“. Laut der Definition richtet sich Antisemitismus gegen jüdische oder nichtjüdische Menschen, deren Eigentum sowie gegen jüdische Einrichtungen oder Institutionen der jüdischen Gemeinschaft.

Bild: Grit Siwonia
Dörthe Engelcke​

ist kommissarische Leiterin des Kompetenzzentrums für das Recht arabischer und islamischer Länder am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht. Sie forscht zu Recht, Politik und Gesellschaft in Westasien und Nordafrika.

Mit Rückgriff auf die IHRA können sich also auch nichtjüdische Menschen als Opfer von Antisemitismus darstellen. Sich als Opfer einer spezifischen Form von Diskriminierung zu inszenieren, ohne selbst zu der betroffenen Gruppe zu gehören, ist ein Ausdruck weißen Privilegs. Es werden „neue“ Antisemitismusopfer konstruiert, die dem Kampf gegen Antisemitismus wertvolle Ressourcen entziehen. Die vagen und mehrdeutigen Formulierungen der IHRA-Definition öffnen der Willkür Tür und Tor, Kritik an der israelischen Politik als Kritik an Institutionen der jüdischen Gemeinschaft zu interpretieren und damit als antisemitisch zu diskreditieren.

Der Antrag arbeitet weiterhin mit dem Begriff der „Israelfeindschaft“, der „entschlossen entgegengetreten“ werden soll. Aber auch dieser Begriff ist unbestimmt. Wie soll das an Hochschulen umgesetzt werden? Wird es als antisemitisch oder als israelfeindlich oder als nichts von beidem gewertet werden, wenn eine Professorin den jüngsten Bericht von Amnesty International zitiert, der nach aufwendigen Recherchen zu dem Ergebnis kommt, dass Israel im Gazastreifen Völkermord begeht? Der Antrag schafft eine Grauzone für Willkürakte, weil nicht klar ist, was erlaubt und was verboten ist.

Wis­sen­schaft­le­r*in­nen werden diffamiert

Aus Sorge davor, als Antisemiten diffamiert zu werden, vermeiden Wis­sen­schaft­le­r*in­nen in ihrer Lehre, im kollegialen Gespräch und auch in der Forschung Reizthemen wie Völkermord, Apartheid und alles, was den Nahostkonflikt berührt. Diskussionen werden aus dem öffentlichen Raum in das Private verlagert. Das passiert ausgerechnet zu einer Zeit, in der wir in Deutschland mehr, nicht weniger Wissen über diese Themen benötigen. Die Bundestagsentschließung wird sehr wahrscheinlich Auswirkungen auf die Vergabe von Fördermitteln für die Forschung haben.

Aus Sorge vor Diffamierung, vermeiden Wis­sen­schaft­le­r*in­nen oft alles, was den Nahostkonflikt berührt

Zwar betont der Antrag zunächst, dass die Fördermittel des Bundes ausschließlich nach Kriterien wissenschaftlicher Exzellenz vergeben werden sollen, doch dieser Grundsatz wird im weiteren Verlauf aufgeweicht. Es wird auf einen Konsens unter Ent­schei­dungs­trä­ge­r*in­nen in Wissenschaft und Forschung verwiesen, „dass wissenschaftliche Exzellenz und Antisemitismus einander ausschließen“. Das stimmt zwar, doch die Verwendung der IHRA-Definition als alleiniges Kriterium für Antisemitismus lässt befürchten, dass entweder die Haltung der For­sche­r*in­nen zur israelischen Politik oder der Untersuchungsgegenstand selbst Einfluss auf die Vergabe der Fördergelder haben werden.

Misstrauisch macht außerdem, dass der Antrag „den Einsatz“ von Ex-Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger lobt. Geleakte E-Mails aus ihrem Haus zeigen, dass geprüft werden sollte, ob Wissenschaftlerinnen, die das Recht der Studierenden der Freien Universität Berlin auf friedlichen Protest verteidigt hatten, Fördermittel entzogen werden können. Nun unterstützt der Antrag nachträglich dieses Vorgehen und provoziert damit Fragen zum Umgang mit und Respekt vor der Wissenschaftsfreiheit.

Wissenschaft soll objektiv und neutral sein

Wie soll der Wissenschaftsstandort Deutschland in Zukunft entwickelt werden? Soll für nicht-deutsche Kollaborationspartner die IHRA-Definition ebenfalls maßgeblich werden, falls das Forschungsprojekt mit öffentlichen Geldern finanziert wird? Der Antrag sagt, dass Unterstützer der BDS-Bewegung „keinen Platz“ an deutschen Wissenschaftseinrichtungen haben sollten. Aber viele Wis­sen­schaft­le­r*in­nen in arabischen Ländern unterstützen die BDS-Bewegung wenigstens teilweise, weil sie sie als das letzte gewaltfreie Mittel sehen, sich für Menschenrechte von Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen und ein Ende der israelischen Besatzung einzusetzen. Das sehen auch viele jüdische und auch israelische Wis­sen­schaft­le­r*in­nen so.

In Deutschland besteht eine große Skepsis gegenüber dem öffentlichen Intellektuellen. Wissenschaft soll objektiv und neutral sein und sich nicht in die Politik einmischen. Aber können sich Wis­sen­schaft­le­r*in­nen wirklich hinter Fußnoten verstecken? Es sollte nicht reichen, in zehn Jahren bei einer Konferenz Häppchen essend über die Durchführung und Konsequenzen eines dann womöglich durch den IGH bestätigten Völkermords an den Palästinensern zu debattieren. Forschung, die sich von der Lebensrealität abkoppelt, verliert ihre Relevanz.

Es darf auch nicht sein, dass sich Wis­sen­schaft­le­r*in­nen der Selbstzensur hingeben, sondern vom Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch machen. Ein Recht, das nicht eingefordert wird, ist ein Recht ohne Bedeutung. In der aktuellen Lage benötigen Wis­sen­schaft­le­r*in­nen den Mut, kontroverse Diskussionen zuzulassen. Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen können hier einen wichtigen Beitrag leisten. Sie sollten Orte sein, an denen auch schwierige Themen offen, respektvoll und fundiert verhandelt werden. Die Flucht ins Private ist eine Sackgasse.

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8 Kommentare

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  • Gut gemeint, sicher. Nur wenige werden sich einfach mit einmal Abstimmen das Etikett des guten Nicht-Antisemiten anheften wollen, die meisten wollen, dass bei aller Wissenschaftsfreiheit nicht Antisemitismus die Fratze wieder hebt.

    Doch wäre es so zielführend? Wenn das Ergebnis ist, dass Israel und Judentum teils verwirbelt werden, sich Palästinenser zum Schweigen gebracht fühlen, wenn sie auch nur bekannte Tatsachen referieren: Die Besatzung ist völkerrechtswidrig, der Stand der UN-Resolutionen, die Vertreibung/Diskriminierung. Und ja, der aktuell herrschende Strang des Zionismus unterscheidet nach Ethnie/Religion sogar innerhalb derselben Staatsbürgerschaft.







    Hat mit Antisemitismus erst mal null-nüscht zu tun, mit einem da amoralischen Netanyahu umso mehr. Können wir vor gut gemeinten, aber kontraproduktiven Resolutionen doch zuerst angehen. Wie den täglichen Rassismus incl. Antisemitismus auch.

  • Kann mir irgendjemand erklären, warum das hier ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit sein soll, aber z.B. Zivilklauseln nicht?

    Erstgemeinte Bitte.

  • Ich bedanke mich für diesen wichtigen Kommentar. An einer Stelle möchte ich aber widersprechen: ich glaube nicht, dass man in Deutschland grundsätzlich an öffentlichen Intellektuellen Anstoß nimmt – nur an denen, die anderer Meinung sind. Die Richtigkeit der eigenen Politik lässt man sich gerne auch mit akademischen Ehren bestätigen. Nun ist das ein Problem, das man in allen politischen Lagern findet. Wir leben leider in einer Zeit, die es verlernt hat, Dissens als konstitutiven Teil einer demokratischen Diskussionskultur zu verstehen. Oder, salopp formuliert: man will nicht mit Einwänden belästigt werden. Allerdings wird diese Geisteshaltung dann noch einmal gefährlicher, wenn es nicht nur um Forentrolle geht, sondern um Entscheidungsträger, die Karrieren beenden und Existenzen zerstören können. Und leider wird das von vielen nur dann als Problem erkannt, wenn sie gerade selbst betroffen sind. Man muss immer daran erinnern: demokratische Rechte haben einen Eigenwert – auch wenn sie gerade von Andersdenkenden in Anspruch genommen werden.

  • Möchte Frau Engelcke die IHRA-Definition von Antisemitismus falsch verstehen? Oder ist ihr einfach das Phänomen fremd, dass nichtjüdische Menschen in der Öffentlichkeit teilweise als jüdisch dargestellt werden in einer Form, welche klassische antisemitische Narrative reproduziert? Spontan fällt mir hier Bill Gates ein. Ich halte es für extrem unwahrscheinlich, dass als weiß gelesene Personen, die keine Juden sind, auf einmal grundlos behaupten, antisemitisch diskriminiert zu werden, weil ihr “weißes Privileg” ihnen das ermöglicht und es irgendwelche Vorteile bringt…?

    Übrigens ist es immer noch nicht der Fall, dass die IHRA-Definition Kritik an der israelischen Regierung unmöglich oder zumindest riskant macht. Es ist ganz einfach: Sachliche Kritik ohne Dämonisierung und doppelte Standards werden niemanden den Ruf oder den Job kosten. Und sollte ein wissenschaftlicher Diskurs nicht sachlich und mit gleichen Standards für alle verlaufen?

    Thema BDS: Wird gerne als “letzte gewaltfreie Möglichkeit des Widerstands” verkauft, hat aber auch das Ziel, die Existenz Israels zu vernichten. Sollte Frau Engelcke auch wissen, will sie aber vielleicht nicht.

  • Ich finde diese Resolution richtig und bin erleichtert, dass alle Fraktionen, außer die Linke und BSW (lt. DIE ZEIT) dafür gestimmt haben.

    Ob diese Resolution im Alltag dabei hilft, Antisemitismus an Schulen und Universitäten zu unterbinden kann ich noch nicht einschätzen, aber es ist für mich ein wichtiges Zeichen, dass "wir" Antisemitismus auch an Schulen und Universitäten nicht wollen. Antisemiten sind in vielen Ländern herzlichst willkommen, aber bitte nicht und "nie wieder" in Deutschland, nicht nach dem Mord an sechs Millionen jüdischer Menschen.

  • "Es werden „neue“ Antisemitismusopfer konstruiert, "

    Der Aussage muss ich widersprechen, es gibt leider tatsächlich Fälle in denen Menschen Opfer antisemitischer Gewalt werden ohne selbst jüdisch zu sein. Beispielsweise sind Kinder jüdischer Väter und nicht-jüdischer Mütter (meistens) keine Juden, werden aber trotzdem von Rassisten für ihre Herkunft angefeindet.



    Auch gibt es Fälle in denen durch antisemitisch motivierte Anschläge nicht-jüdische Menschen gestorben sind, beispielsweise beim Anschlag auf die Synagoge in Halle. Das sind keine konstruierten Opfer.

    Wobei es natürlich dann schon eine ganz andere Hausnummer ist, wenn gerade rechte Deutsche sich hinter Juden oder Israel verstecken um gegen andere Minderheiten/Nationen zu hetzen. Da wird tatsächlich eine falsche Betroffenheit inszeniert und Menschen zum persönlichen Profit gegeneinander aufgespielt.

  • Es ist schon irgendwie bezeichnend, dass ausgerechnet diejenigen, die sonst bei jeder Petitesse von Mikroaggressionen reden und jedwede andere Meinung niederbrüllen beim Thema Antisemitismus dann doch der Meinung sind, dass bitte alles gesagt wegen darf ohne dass man sich als antisemitisch bezeichnen lassen oder gar auf staatliche Förderung verzichten müsse. Klar das in dem Sprech auch der Verweis auf die weißen Privilegien nicht fehlen darf; ersetzt er doch jegliche inhaltliche Auseinandersetzung.

  • Und der nächste Artikel, der die fehlende Wissenschaftsfreiheit beklagt, nur weil angeblich "Israelkritik" nicht in gewünschten Ausmaß ausgelebt werden kann. Es scheint kein Thema zu geben, das Wissenschaftler mehr aufrührt und bis ins Mark trifft.