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Gegessen wird, was auf den Tisch kommt

Jetzt zum Fest hin sollte die Kartoffelsalatfrage doch geklärt sein. Aber manchmal lohnt es sich ja, über das, was einem aufgetischt wird, noch einmal ganz grundsätzlich nachzudenken. Eine kleine, persönliche Familiengeschichte

Von Nadine Conti

Deutsche gelten als legendär geizig, was Essen angeht. Im Gegensatz zu Franzosen oder Italienern hat niemand unsere Nation im Verdacht, den Genuss erfunden zu haben. Aber zu keinem anderen Zeitpunkt des Jahres wird hier so viel über Essen geredet und nachgedacht wie im Dezember.

Es wird ja auch immer schwieriger, nicht wahr? Patchworkfamilien, die aus einem halben Dutzend familiärer Traditionen ein neues Amalgam erfinden müssen, dazu die Komplikationen, die sich aus all den neuen Empfindlichkeiten, Unverträglichkeiten und moralisch aufgeladenen Essen-als-Lifestyle-Haltungen ergeben.

Einmal stand ich im Supermarkt hinter einer Nachbarin, die ich nur flüchtig kannte. „Oh, kommt dein Sohn?“, fragte die Kassiererin, während sie die veganen Produkte über den Scanner zog, die sonst eher nicht in ihrem Wagen landeten. Die Nachbarin nickte und strahlte für einen Moment. Mich berührte die Vorfreude und wie viel jünger sie plötzlich aussah. Ich fragte mich nur flüchtig, ob dazu wohl ein Mann gehörte, der hinter der veganen Lebensweise seines Sohnes noch etwas anderes witterte. Die Ablehnung all der Sommerabende, an denen er am Grill gestanden hatte, zum Beispiel.

Man kennt ja auch Familien, wo „ich koche dir auch was Schönes“ bedeutet, dass man auf ewig festgenagelt wird, auf dieses eine Lieblingsgericht, das man hatte, als man ungefähr zehn war.

Was Sie jedenfalls bis heute geklärt haben sollten, sind folgende Fragen: Kartoffelsalat mit Würstchen an Heiligabend, ja oder nein? Kartoffelsalat mit oder ohne Mayo? Vegane Würstchen?

Wenn Sie diese Streitfragen aus dem Weg geräumt haben und alle irgendwie satt geworden sind, lohnt es sich vielleicht, plaudernd ein wenig tiefer zu schürfen. Haben Sie je darüber nachgedacht, wer oder was Ihre Haltung zum Essen und zum Kochen wirklich geprägt hat? In diesem Warndreieck aus lästiger Care-Arbeit, ökonomischen und kulturellen Gegebenheiten, familiären und persönlichen Prägungen, die unsere Vorlieben und Abneigungen prägen? Ich fange mal an, folgen Sie mir, wenn Sie mögen oder lassen Sie es bleiben, diese Geschichte ist genauso besonders wie jede andere auch. Über Geschmack soll man nicht streiten.

Als meine Großmutter jung verheiratet war, konnte sie nicht kochen. Sie empfand das als großes Manko. Und als sie dem Opa einmal wieder irgendein zähes, misslungenes Stück Fleisch servierte, sagte der zu ihr: „Ich esse jetzt ein Jahr lang, alles was du mir vorsetzt. Aber dann hast du das bitte gelernt.“ So erzählt sie das jedenfalls immer wieder. Mein kleines Feministinnenherz tut dabei natürlich einen empörten Doppelschlag. Aber sie hat das als Liebeserklärung verstanden. Und so war es auch gemeint.

Dass sie nicht kochen konnte, hatte wohl etwas damit zu tun, dass sie das Alter, in dem Mädchen damals kochen lernten, in „der schlechten Zeit“ erreichte. Dieser Euphemismus umschreibt in ihrer Diktion die Kriegs- und Nachkriegsjahre, die Jahre der Knappheit, der Lebensmittelmarken, des Hungers. Und klar: Wenn Lebensmittel knapp und wertvoll sind, lässt man damit nicht unbedingt Anfängerinnen herumhantieren.

Sie schaffte sich dann über die Jahre ein solides Repertoire deutscher Hausmannskost drauf. Die Art von Gerichten, die bei mir bis heute dieses Warm-satt-sauber-Geborgenheits­ge­fühl auslöst. Hackbraten, Gemüse und Kartoffeln mit brauner Soße. Möhrensuppe. „Kappes“, der anders als im Ruhrgebiet, wo das ein ganzes Gericht war, bei uns einfach nur Weißkohl­schnetzel in weißer Soße meinte und als Beilage gegessen wurde. Milchreis, der im großen Schnellkochtopf gekocht und dann stundenlang in Wolldecken gewickelt und quellen gelassen wurde.

Meinem Eindruck nach blieb das Kochen aber für den Rest ihres Lebens mit Stress und Angst verbunden. Angst, das etwas misslingt. Stress, pünktlich etwas auf den Tisch zu bringen, an dem keiner rummault. Was gar nicht so einfach war, wenn man dazu die Schichtpläne der beiden Männer im Haus (ihres Mannes und ihres Vaters), ein schulpflichtiges Kind und den eigenen Halbtagsjob im Büro ausbalancieren musste.

Das Kind, meine Mutter, erbte dieses Problem und rebellierte auf ihre eigene Art. Zunächst einmal erbte sie die Haltung: Kochen war einer dieser Punkte auf der langen Liste der lästigen Pflichten. Einer, für den sie als Vollzeitberufstätige noch weniger Zeit und Geduld aufbrachte. Sie griff dankbar zu dem, was man heute vornehm „Convenience“-Produkte nennt und zu Rezepten aus der Brigitte, auf denen so etwas wie „schnell und lecker“ oder „in 20 Minuten auf dem Tisch“ stand.

Ich bin ihr da sehr ähnlich. Mir scheint – beim Kochen wie bei eigentlich allen Hausarbeiten – das Verhältnis von Aufwand und Ertrag irgendwie ungünstig. Zwei Stunden kochen für etwas, was in 20 Minuten verschwunden ist. Herrje.

Meine Mutter entwickelte außerdem einen unstillbaren Appetit auf alles, was anders war. Hauptsache, keine Kartoffeln dabei. Weil das Geld bei uns in der Familie nicht so locker saß (man ging auch nicht einfach so essen, das bedurfte eines höheren Anlasses), blieb der Radius allerdings beschränkt. Viel ins Ausland reisten wir gleichfalls nicht.

Manchmal suchten wir Imbisse heim. Ich erinnere mich vage an ein Abendessen in den Achtzigern, als Gyros-Pita ein großes Ding war. Das mit Gyros, Krautsalat und Tsatsiki gefüllte Fladenbrot ging der Erfindung des Döners voraus. Als Kinder kam uns das aufregend und verwegen vor.

Irgendwann übernahm Papa (der eigentlich mein Stiefvater war) das Küchenregiment. Er hatte ein entschieden leidenschaftlicheres Verhältnis zum Kochen und Essen, und als er aus gesundheitlichen Gründen in Frührente ging, erschien das alles nur allzu logisch. Es war allerdings auch zu der Zeit, in der Fernsehkochshows boomten und es irgendwie schick wurde.

Ich erinnere mich, dass zu dieser Zeit immer mehr Kantinengespräche von Kollegen bestritten wurden, die von komplexen Mehrgängemenüs schwärmten, die eine Messerspitze von diesem oder jenem Gewürz erforderten, für das sie durch drei Feingeistgeschäfte gejagt waren. Die Kolleginnen und ich dachten heimlich: „Ihr habt zu viel Tagesfreizeit. Schafft euch mal Kinder an.“

Der richtige Kartoffelsalat (süddeutsch)

Die gekochten Kartoffeln werden in dünne Scheiben geschnitten, die dann mit einer Brühe übergossen werden. Mittlerweile darf diese Brühe auch eine Gemüsebrühe sein. Dazu kommen Essig und Öl, Salz, Pfeffer, Senf (das mengenmäßig alles je nach Erfahrung und Geschmack), etwas Zucker, gern auch ein wenig Muskat. Alles durchmischen. Ein Schwäbischer Kartoffelsalat muss schmatzen, heißt es. Wer will, gibt auch noch fein geschnittene und leicht geschmelzte Zwiebeln dazu.

Mein Vater agierte ähnlich. Kinder hatte er ja, aber die waren da schon groß. Er schaffte stattdessen Unmengen von teurem Küchenequipment an, bestellte Gewürzmühlen und -mischungen bei diesem Steuerbetrüger aus München, schnippelte und rührte, was das Zeug hielt.

Was er da fabrizierte, war schon sehr lecker, hatte aber den Nachteil, dass man sich beim Essen längliche Vorträge über die besonderen Schwierigkeiten der Zubereitung anhören musste. Doch selbst mein Opa ließ das gern über sich ergehen und aß auf seine letzten Tage Dinge, die er bei der Oma noch strikt verweigert hatte. Die hatte ihn nicht einmal dazu bringen können, Spaghetti zu essen. Jetzt akzeptierte er sogar Knoblauch im Essen.

Mein Vater war aber möglicherweise der erste Koch, bei dem mir dämmerte, dass man diesem Kochvorgang an und für sich so etwas wie Freude abgewinnen könnte.

Diesen Rang teilt er sich allerdings mit meiner Schwägerin S. Ich hatte mittlerweile nämlich auch in einen großen sizilianischen Clan eingeheiratet, was noch einmal völlig neue Perspektiven eröffnete. S. war die unbestritten beste Köchin. Mit einem Deutschen verheiratet, beherrschte sie ein ehrfurchtgebietendes Repertoire aus klassischer deutscher und italienischer Küche. In ihrer Küche lief italienisches Fernsehen, wurde gesungen, gequatscht und geraucht, während sie stundenlang in den Töpfen rührte. Wichtigstes Motto: „Wo zwei essen, essen auch drei.“ Wobei das die Untertreibung des Jahrhunderts war, denn so wenige Personen saßen bei ihr selten am Tisch.

Ich muss immer daran denken, wenn auf X (früher Twitter) mal wieder diese Kindheitserzählungen die Runde machen, in denen sich Migranten und Postmigranten darüber wundern, dass man es in Deutschland und Skandinavien früher offenbar für normal hielt, kleine Gäste im Kinderzimmer warten zu lassen, während die Familie zu Abend aß.

Ich kenne das auch so. Man war ja nicht eingeplant. Außerdem gehörte es sich nicht, sich in die Ernährungshoheit fremder Familien einzumischen. Man konnte damals ja auch nicht mal eben per Whatsapp nachfragen, ob das okay ist und wogegen das Kind allergisch ist.

Als meine Großmutter jung verheiratet war, konnte sie nicht kochen. Sie empfand das als großes Manko

In einer sizilianischen Familie ist so eine grobe Unhöflichkeit natürlich undenkbar. Was ich aber auch nie begriffen habe: Wie machen die das bloß, so aus dem Handgelenk, Essen zu zaubern für acht, neun, zehn Personen plus x? Wenn ich Gäste zum Essen einlade, habe ich zwei Wochen Stress und esse danach eine Woche lang Reste. Deshalb mache ich das nie.

Was mir auch exotisch vorkam, war der unglaubliche Kult ums Essen, den man in Italien betreibt. Im Urlaub diskutierte man schon beim Frühstück (der unwichtigsten Mahlzeit des Tages), was und wo man zu Mittag essen würde, beim Mittag, was abends auf dem Plan stand. Jeden Tag mussten die Zutaten frisch eingekauft werden, und zwar nicht einfach in einem Supermarkt, sondern an sechs verschiedenen Stationen im ganzen Dorf, weil es dort – und nur dort! – das beste Brot, Fleisch, Gemüse oder sonst etwas gab. Über die besten Zutatenlieferanten wurden genauso lange Streitgespräche geführt wie über die einzig wahre Art und Weise, Tomatensoße zuzubereiten, und die Qualität des Restaurants von Samstagabend.

Ich fand es heimlich primitiv, sich so viele Stunden am Tag mit der Nahrungsbeschaffung und Essenszubereitung zu befassen, genoss aber die Ergebnisse. „Du isst wie eine Deutsche“, sagte mal jemand zu mir. Und äffte mich nach, wie ich mit zackigen, kleinen Bewegungen den Teller leer räumte, als wäre das etwas, was zu erledigen ist. Ich versuche immer noch, mir das Genießen anzutrainieren. Ich fragte mich allerdings auch, wie all dieser Aufwand eigentlich mit einem Arbeitstag unter einen Hut zu bringen war. Aber gut, im Sommer musste man das ja nicht.

Unvergessen allerdings auch die Geschichte eines Bekannten, Fliesenleger von Beruf, der seinen Job in Deutschland hinwarf, weil man von ihm verlangte, die Mittagsmahlzeit aus einer Brotdose auf der Baustelle zu sich zu nehmen. So kann man nicht leben, befand er, er sei doch kein Schwein.

Als ob das die süditalienischen Bauern früher nicht ähnlich gemacht hätten.

Aber Brotdosen sind natürlich auch ein schwieriges Thema. Die Debatten darum im Kindergarten und der Grundschule lehrten mich mehr über die hässlichsten Seiten der deutschen Gesellschaft, als ich je wissen wollte.

Es ist ja so: Mit jedem Kind bekommst du von vorneherein ein riesiges, schlechtes Gewissen gleich mitgeliefert. Egal was du machst, es wird schon falsch sein. Natürlich war ich auch voller guter Vorsätze, schnippelte Biomöhrchen und -gurken in Tupperdosen und all so Zeug.

Die Gemeinschaftsverpflegung in pädagogischen Einrichtungen hat dabei einen unbestreitbaren Vorteil: Hier essen die Kinder plötzlich Dinge, die sie zu Hause mit großem Äh-bäh wieder ausgespuckt hätten.

Zahlreiche Elternabende in der ostwestfälischen Provinz, in die es mich verschlagen hatte, lehrten mich allerdings auch: Es ist ein Minenfeld. Obwohl die Zusammensetzung für einen Vorort erstaunlich divers war, herrschte rigoros das, was ich Mittelschichtsfaschismus nenne, verzeihen Sie die Übertreibung.

Die Norm setzten jedenfalls die biodeutschen Vorstadtmuttis, alle anderen wurden misstrauisch beäugt. Wer seltsames ausländisches Zeug in der Brotdose hatte, Abgepacktes oder Zuckerhaltiges, wurde beschämt und vorgeführt. Ich erinnere mich an die Empörung eines Kollegen, als sein Kind weinend aus dem Kindergarten kam, weil seine Brotdose ein „Rot“ erhalten hatte. Man verteilte dort Bewertungen nach dem Ampelsystem. Auch in unserem Kindergarten wurden Praktikanten angehalten, die Inhalte der Brotdosen zu kommentieren: „Oh Kevin, hat dir die Mama wieder nur ein Nutella­brot eingepackt?“ Unter dem Deckmantel der Ernährungslehre kehrte die gute alte schwarze Pädagogik wieder ein.

Der richtige Kartoffelsalat (norddeutsch)

Pellkartoffel mit ein wenig Salz und Kümmel kochen. Draußen abkühlen lassen. Weitere Zutaten in kleine Würfel schneiden. Dazu gehören unbedingt: Zwiebeln, Gürkchen, nach Belieben auch hartgekochtes Ei oder Fleischwurst. Die Zwiebeln andünsten, mit ordentlich Gemüsebrühe ablöschen, dann mit Salz, Pfeffer, etwas Gurkenwasser und Senf abschmecken. Das auf die gepellten und in Scheiben geschnittenen Kartoffeln gießen und ordentlich ziehen lassen. Erst dann die restlichen Zutaten und die Mayonnaise hinzufügen und noch mindestens eine Stunde im Kühlschrank durchziehen lassen.

Als es bei einem Elternabend um eine moderate Erhöhung der Essensbeiträge ging, weil der Kindergarten zwischendurch ein paar gesunde Snacks anbieten wollte, fragte eine Mutter pikiert: „Ich soll hier also mehr Geld bezahlen, damit andere Kinder mal etwas Gesundes zu essen kriegen?“ Das sind die gleichen Leute, die später bei der Schulwahl als erstes auf den „Ausländeranteil“ gucken. Weil sie die Privilegien ihrer Kinder schützen und ausbauen wollen. Wobei hier jetzt auch nicht von irgendeiner urbanen, bildungsbürgerlichen Elite die Rede ist.

Das war schon sehr kleinbürgerlich und keineswegs rigoros öko. Auf Kindergeburtstagen gab es dort immer noch Chicken Nuggets, Softdrinks, Schokoküsse. Ich führe seither eine Liste von Lebensmitteln, die mir nicht mehr ins Haus kommen, wenn meine Kinder ausgezogen sind: Bananen. Muffins. Fischstäbchen.

Der neue Mann in meinem Leben ist zum Glück ein großer Hedonist. Ich nenne ihn meinen persönlichen Genuss- und Exzessbeauftragten. Wenn wir essen gehen, schmeckt meine ungeschulte und totgerauchte Zunge nur ungefähr die Hälfte der Nuancen, von denen er redet, aber ich freue mich, wenn jemand über gutes Essen so aus dem Häuschen geraten kann.

Er kann auch sehr gut kochen, tut das aber selten. Wenn er es doch tut, stehe ich ihm dabei gern im Weg herum, weil ich mich daran nicht satt sehen kann. Ich tue dann so, als würde ich assistieren, und wir kabbeln uns, weil ich zu früh anfange, Kram in die Spülmaschine zu räumen. Insgeheim hoffe ich, dass irgendwas davon auf meine Söhne abfärbt. Bitte sehr, liebes Schwiegerkind in spe. Du kannst mir dann Weihnachten 2034 danken.

Beim Kartoffelsalat übrigens, aber ohne Mayo bitte. Ich bin zwar Norddeutsche, aber nicht so militant.

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