Siedlungsbau im Westjordanland: Zwischen den Fronten
Im Westjordanland kämpfen christliche Palästinenser*innen dagegen, dass ihr Land enteignet wird. Ein Besuch bei Familien, die bleiben wollen.
D ort, wo Israelis und Palästinenser*innen noch Seite an Seite stehen, wird nicht viel gesprochen. Ein Teekocher, gestapelte Wasserflaschen, Plastikstühle. Eine an einem Kreuz befestigte Lichterkette beleuchtet ein schlichtes Zelt. Es stammt noch aus den Zeiten, als Familie Kisiya in ihrem Restaurant Veranstaltungen für Wochenendbesucher*innen aus Jerusalem ausgerichtet hat. Nun herrscht gespanntes Schweigen.
Vor dem Zelt steht Alice Kisiya, fester Blick, dunkelblonde Locken. Sie schaut hinunter in das Al-Makhrour-Tal, einen der wenigen Flecken tiefgrüner Vegetation im ansonsten ausgedörrten Westjordanland. „Seit dem 7. Oktober ist auch hier der Alltag unberechenbar geworden“, sagt die 30-Jährige. Eigentlich lebt Kisiya mit ihrer Mutter Michelle, ihrem Vater Ramzi und ihrem Bruder Jado auf dem gegenüberliegenden Hang. Ihr Lokal dort drüben in Battir lief gut, bis die israelische Armee es mit Bulldozern zerstörte. Auf dem mit hunderten Obst- und Olivenbäumen bepflanzten Grundstück haben jetzt jüdische Siedler das Sagen.
2014 hat die Unesco das Al-Makhrour-Tal zum Weltkulturerbe erklärt, die Häuser in Battir schmiegen sich an schattige Hänge. In dem kleinen Ort plätschern die Quellen des noch aus römischen Zeiten stammenden Bewässerungssystems für die Felder weiter unten. Vor dem 7. Oktober 2023 strömten Wochenendbesucher*innen aus dem nahen Ostjerusalem und Ramallah in die Restaurants und auf die Wanderwege in dieser Idylle. Während Tourist*innen Battir seit dem 7. Oktober wegen der Verschlechterung der Sicherheitslage meiden, zieht es nun Menschenrechtsaktivist*innen aus Ramallah und Tel Aviv zum anderen Ende des Tals, nach Beit Jala. Auf aramäisch bedeutet der Name „Grüner Garten“.
Im Zelt der Familie Kisiya diskutieren an diesem Oktobertag Israelis und Palästinenser*innen. Sie sind nach Beit Jala gekommen, um sich für die Rückkehr der Kisiyas auf ihr Land einzusetzen. Am 31. Juli wurde die palästinensische Familie von ihrem 5.000 Quadratmeter großen Grundstück in Battir vertrieben. Frühmorgens tauchte eine Gruppe junger Siedler auf, wortlos tauschten sie das Eingangstor des Grundstücks mitsamt Schloss aus und besetzten das Gelände. Soldaten begleiteten die Eindringlinge, ebenso der Bürgermeister der benachbarten jüdischen Siedlung Gusch Etzion. Anfang Oktober kamen sie mit Bulldozern wieder und rissen das Haus nieder.
Was Familie Kisiya widerfuhr, ist Teil eines größeren Vorhabens: Im Schatten des Gaza- und Libanonkriegs weitet die israelische Regierung den Siedlungsbau aus. Auf einer ultranationalistischen Konferenz an der Grenze zum Gazastreifen sagte der rechtsextreme Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, am Montag: „Wenn wir es wollen, können wir die Siedlungen im Gazastreifen erneuern.“ Auch Mitglieder der Likud-Partei von Benjamin Netanjahu waren dabei. Im Jordantal erklärte Finanzminister Bezalel Smotrich im September 1.270 Hektar, eine Fläche knapp viermal so groß wie der Central Park in New York, zu sogenanntem Staatsland.
Rund um Bethlehem stehen nun christliche Palästinenser*innen im Visier der Siedler. Denn ihre Grundstücke auf Berghängen und ertragreichen Böden stehen Smotrichs Plan im Weg, jüdische Siedlungen durch Expansion zu verbinden. In Beit Jala versuchen Familie Kisiya und ihre Unterstützer*innen, mit einer Kampagne und einem Protestcamp gegen die Konfiszierung des Landes vorzugehen.
Straßensperren und Kontrollpunkte
Wer einen israelischen Pass hat, in Ostjerusalem gemeldet ist oder aus dem Ausland kommt, erreicht das Camp über die Schnellstraße aus Jerusalem innerhalb von 15 Minuten. Palästinenser*innen, die aus der Westbank kommen, dürfen die in steile Karstfelsen gehauene neue Schnellstraße nicht nutzen. Für sie dauert die Fahrt über die mit Löchern übersäten Nebenstraßen aus Ostjerusalem fast eine Stunde, aus Ramallah einen Vormittag. Palästinenser*innen halten auf Reisen durch das Westjordanland ständig an, schauen auf Apps nach dem Status der Kontrollpunkte der israelischen Armee und vergewissern sich durch Berichte der Vorausfahrenden, ob die Straße überhaupt geöffnet ist.
Zum Protestcamp kommen sie trotzdem. An diesem Oktobertag sind Menschenrechtsaktivist*innen aus dem Norden der Westbank angereist, aber auch aus Tel Aviv. Auf Instagram hat Alice Kisiya den Protest ihrer Familie weltweit bekannt gemacht. Nun wartet die 30-Jährige zusammen mit Freunden und Aktivistinnen auf einen Beschluss des Distriktgerichts in Jerusalem. Dieser wird die Rückkehr der Familie ermöglichen – oder sie endgültig aus dem Tal vertreiben. Zur Zeit wohnt die Familie in einem angemieteten Haus.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Mehrere Nachbar*innen konnten dem Druck der nur wenige Kilometer entfernt lebenden Siedler*innen nicht standhalten. In den letzten Monaten tauchten immer wieder Bewaffnete oder Patrouillen der israelischen Armee auf ihren Grundstücken auf, berichten sie. Viele im Tal haben ihr Land daher verkauft, andere sind vorübergehend weggezogen. Doch das Grundstück der Kisiyas liegt wie ein Sperrriegel zwischen einem erst kürzlich von Israels Finanzminister Smotrich eröffneten, ausschließlich für Israelis gebauten Wohngebiet oberhalb von Battir und den alten, bereits zu Städten gewordenen Siedlungen aus den letzten Jahrzehnten.
Seelenruhig fahren einige Siedler, sie scheinen noch nicht volljährig zu sein, in einem elektrischen Golfwagen am Zelt vorbei. In Bethlehem decken sie sich mit Lebensmitteln ein. Nach den Handgreiflichkeiten der ersten Tage nach der Vertreibung setzen Besatzer und Vertriebene auf Distanz, denn wer im Tal das Sagen hat, ist eindeutig: Die Siedler haben automatische M16-Schnellfeuergewehre geschultert.
Dem Narrativ israelischer Radikaler im Weg
Alice Kisiya hofft, dass sie ihr Tal in absehbarer Zeit verlassen werden. Doch nichts deutet auf deren Abzug hin, im Gegenteil. Eine Anordnung der israelischen Armee verbietet der Palästinenserin auf unbestimmte Zeit, das Al-Makhrour-Tal zu betreten.
„Es geht mir nicht nur um unser Eigentum, wir sind nur ein Beispiel von vielen palästinensischen Christen, die gerade im Visier der Siedlerbewegung stehen“, sagt Alice Kisiya. Nach den großen Auswanderungswellen in der Folge der beiden Intifadas packen nun zum dritten Mal viele christliche Palästinenser*innen ihre Sachen und verlassen ihre Heimat. Ihr Bevölkerungsanteil im Westjordanland ist von 10 Prozent im Jahr 1967 auf ein Prozent gesunken.
Für Alice Kisiya persönlich ist Religion Nebensache, doch sie glaubt, dass Christ*innen nicht zufällig im Fokus der Siedler*innen stehen. Sie stünden dem Narrativ israelischer Radikaler im Weg, nach der alle Palästinenser islamistischen Ideologien folgen würden. „Das Zusammenleben von Christen und Muslimen zeigt doch, dass in Palästina kein religiöser, sondern ein politischer Konflikt herrscht“, sagt Alice Kisiya. „Auch weil wir von unseren muslimischen Nachbarn und christlichen Gemeinden aus aller Welt Zuspruch erhalten, sind wir für die Zionisten eine Gefahr“. Am 29. September fanden in mehr als 40 Ländern kleine Solidaritätsaktionen für die Vertriebenen des Al-Makhrour-Tals statt. Zu wenige, um die aktuelle Ausreisewelle der christlichen Palästinenser*innen zu stoppen.
Wut auf die Besatzer*innen ihres Grundstücks spürt Alice Kisiya nicht. „Es sind minderjährige Jungs“, sagt Kisiya, die vom Anführer der Gruppe, einem Argentinier namens Gacha, benutzt würden. „In den ersten Tagen der Besetzung haben sie uns nach Essen gefragt, oft waren sie betrunken“.
Wütend sei Kisiya vielmehr auf die Lobbyorganisation „Jewish National Fund“ (JNF), die weltweit Spenden für Umwelt- und Naturschutz in Israel sammelt. „Tatsächlich aber finanziert der JNF über Tochterfirmen im Westjordanland den Ausbau der Siedlungen“, sagt Kisiya.
„Gesetze sind machtlos gegenüber den Plänen der Nationalisten“
Im Februar hatten israelische Medien berichtet, dass das Management des JNF nun vorhabe, Grundstücke im Westjordanland für die Erweiterung von jüdischen Siedlungen anzukaufen. Nach ähnlichen Vorwürfen israelischer Menschenrechtsorganisationen hat die kanadische Regierung im Sommer den JNF auf ihre Sanktionsliste genommen.
Die Besetzer von Familie Kisiyas Land begründen ihre Übernahme mit einem vermeintlichen Richterspruch. „Sie sagen, sie hätten ein Gerichtsurteil, das ihnen nach über 55 Jahren ihren Besitz wieder gebe“, sagt Alice Kisyia. „Sie behaupten, meine Familie hätte das damals von der JNF gekaufte Grundstück besetzt, aber konnten weder uns noch unserem Rechtsanwalt irgendwelche Beweise dafür vorlegen. Wir hingegen haben unsere Besitzdokumente offengelegt.“
Als Palästinenserin mit israelischem Pass habe sie sich bisher irgendwie geschützt gefühlt, sagt Alice Kisiya. „Aber nun zeigt sich, wie machtlos die Gesetze gegenüber den Plänen der Nationalisten sind.“
Den gesamten August hat Alice Kisiya zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in dem provisorischen Camp am Ortsausgang von Bethlehem verbracht. Ihr Vater und Bruder halten sich aus Angst vor einer Verhaftung durch die Armee mit öffentlichen Äußerungen zurück. Ramzi Kisiya können die Soldaten, ohne Gründe zu nennen, in eine sechsmonatige Verwahrungshaft nehmen. Auch gegen Alice und ihre Mutter, die beide einen israelischen und französischen Pass haben, wird der Ton schärfer. Weil sie aggressiv gegenüber der Armee und den Siedlern aufgetreten sein soll, verbrachte Alice Kisiya eine Nacht im Gefängnis.
Zum Protestzelt der Kisiyas ist auch Mai Shahin gekommen. „Finanzminister Smotrichs Plan für das Tal ist eine Miniaturversion für den des gesamten Westjordanlandes“, sagt die Aktivistin der „Combatants for peace“, einer jüdisch-palästinensischen NGO, die sich für Verständigung und Frieden einsetzt. Die 33-jährige Palästinenserin, muslimisch, Kurzhaarschnitt, will zusammen mit israelischen Aktivistin*innen der Besatzung mit friedlichem Widerstand ein Ende setzen. „Es geht nach einem Jahr Krieg in Gaza hier um die Frage, wie Israelis und Palästinenser zukünftig zusammenleben können“, sagt die Aktivistin aus Jenin. „Im Protestzelt sind Menschen verschiedener Herkunft, die sich für die Rechte von Christen einsetzen. Das bricht die Narrative all derer, die alle Palästinenser als Terroristen sehen.“
Weitere Gebiete von Palästinenser*innen sollen geräumt werden
Da drei Viertel von Beit Jala gemäß den Osloer Friedensverträgen von 1993 im Gebiet C des Westjordanlandes liegen, steht der größte Teil der Stadt unter vollständiger israelischer Zivil- und Militärkontrolle. Im Al-Makhrour-Tal beanspruchen die Siedler inzwischen 196 palästinensische Grundstücke für sich, meist Weideland ohne Zäune. Der Regionalrat des israelischen Siedlungsblockes Gush Etzion will noch in diesem Jahr weitere Gebiete von Palästinenser*innen räumen lassen.
Fragt man die israelische Verwaltung, ist das Al Makhrour-Tal Teil von Gush Etzion. Ein Sprecher des Regionalrates sagt der taz auf Anfrage, dass es seit 1969 einer Tochtergesellschaft des JNF gehöre: „Vor zwanzig Jahren sind die Kisiyas illegal dort eingedrungen“.
Die Familie Kisiya baute ihr Restaurant nach erzwungenen Abrissen in den Jahren 2013 und 2015 wieder auf. Mit ihrem Versuch, ihr Recht endgültig geltend zu machen, scheiterten sie 2023, als ein Jerusalemer Zivilgericht die Enteignung bestätigte. „Wir setzen dennoch auf die Gerichte“, sagt Alica Kisiya, „und auf friedlichen Widerstand.“
Doch für die Gegenseite ist der Fall bereits entschieden, auch das Wohnhaus der Familie ist seit September nur noch ein Trümmerhaufen. Obgleich bekannte Priester, die „Rabbiner für Menschenrechte“ aus Israel und französische Diplomaten in den letzten Wochen das Al-Makhrour-Tal besuchten und Unterstützung versprachen, herrscht im Protestzelt inzwischen Ernüchterung.
Originaldokumente aus der Kolonialzeit
Den Kampf der Familie Kisiya kennt Familie Nassar nur allzu gut. Eine halbe Autostunde vom Al Makhrour-Tal entfernt, bangt die christlich-palästinensische Familie um ihr Land und ihre Existenz. Eine schmale Straße windet sich zu dem 800 Meter hohen Berg oberhalb des Dorfes Nahalin hinauf. Links und rechts der Straße ziehen die unverputzten Häuser von palästinensischen Bauern vorbei. Schlaglöcher verlangsamen die Fahrt auf einen der letzten von Palästinenser*innen bewohnten Gipfel der Region.
Einige Häuser sind verlassen.„Dahers Weingarten“ hat das Ehepaar Nassar ihr 10 Hektar großes Grundstück hier oben genannt. Namensgeber war der Urgroßvater von Daoud Nassar, der das Grundstück 1924 bei den britischen Behörden registrieren ließ. Die Nassars sind eine der wenigen Familien im Westjordanland, die Besitzdokumente im Original aus osmanischer und britischer Kolonialzeit vorweisen können.
Dennoch müssen sich die Nassars vor israelischen Militärgerichten gegen ihre Enteignung wehren, seit 30 Jahren. Die israelische Behörde COGAT, die für „Palästinenserangelegenheiten“ zuständig ist, hat das Gebiet rund um Nahalin verstaatlicht. „Ziel ist es, die umliegenden Siedlungsblöcke aus kleineren Einheiten zu einer zusammenhängenden Stadt zu formen,“ glaubt Daoud Nassar.
Immer wieder tauchen Siedler aus der direkt unterhalb von „Dahers Weingarten“ gebauten Tora-Schule auf und beschimpfen das Ehepaar und ihre drei Kinder. „Manchmal schaue ich nachts in die Gewehrläufe einer Armeepatrouille, die sich auf unser Privatgrundstück verirrt hat“, sagt die 50-jährige Amal Nassar, Daouds Frau und Mitstreiterin. Über 50 Gerichtstermine hat die Familie bereits hinter sich. Die nächste Entscheidung darüber, ob das Grundstück wieder auf ihren Namen registriert werden kann oder ob sie gehen müssen, findet am 18. Dezember vor einem Militärgericht statt.
Amal Nassar wirkt ähnlich entschlossen wie Alice Kisiya. Die Angst vor Angriffen durch Siedler*innen ist auf „Dahers Weingarten“ Alltag. „So profan es klingt: Wir halten dem Druck nur deswegen stand, weil wir uns weigern, Feinde zu sein“, sagt die gläubige Christin und zeigt auf das Kreuz, das über der Veranda ihres Steinhauses hängt. „Wir weigern uns, den Hass zu empfinden, der uns von den Siedlern entgegenschlägt. Als unsere Olivenbäume von einem Bulldozer zerstört wurden, haben wir eben neue gepflanzt.“
Beim Gang über das von Oliven- und Obstbäumen bewachsene Grundstück bleibt der Blick an mehrstöckigen Neubauten auf den gegenüberliegenden Hängen kleben. „Wir sind von fünf jüdischen Siedlungen eingekreist“, sagt Amal Nassar. „Und sie kommen jedes Jahr näher.“
Besitzverhältnisse meist mit Handschlag geregelt
Die radikalen Parteien der israelischen Regierungskoalition haben es auf die strategischen Anhöhen des Westjordanlands abgesehen. Wenn diese in jüdischer Hand seien, wäre eine Zweistaatenlösung Vergangenheit, prophezeite Israels Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir im Februar. Die Siedler nutzen den Umstand aus, dass die Besitzverhältnisse in Palästina bis 1967 meist mit Handschlag geregelt wurden. „Weil sie glaubten, vor Gericht keine Chance zu haben, sind viele unserer Nachbarn bereits gegangen“, sagt Amal Nassar.
Ein Grund, warum das Ehepaar Nassar noch in Nahalin ausharrt, ist ihr Projekt „Zelt der Nationen“, mit dem sie aus ihrem landwirtschaftlichen Betrieb ein internationales Austauschprojekt gemacht haben.
2001 haben die Nassars damit eine lang gehegte Idee von Amals Vater umgesetzt, erzählt sie: „Als mein Vater 1976 starb, hatte er Jahrzehnte lang nur Konflikte erlebt. Es war seine Idee, einen Ort zu schaffen, an dem Dialog und Versöhnung auf lokaler und internationaler Ebene stattfinden kann.“
Über ihre Webseite „Tent of Nations“ melden sich seitdem Freiwillige aus der ganzen Welt und verbringen zwischen ein und drei Wochen mit den Nassars. Fünf Gäste aus den Niederlanden, Frankreich, Belgien und Kanada helfen derzeit beim Bewässern der Felder.
„In den ersten Jahren organisierten wir Seminare über das friedliche Miteinander der Religionen in Palästina“, erinnert sich Amal. „Jetzt geht es darum, dass die Nassars nicht vertrieben werden“, fällt ihr Marianne aus Rotterdam ins Wort. Die 64-Jährige ist das dritte Mal in „Dahers Weingarten“.
Die Nassars sind sich sicher: Ohne die Anwesenheit internationaler Gäste hätten die Siedler das Gelände bereits übernommen. Die An- und Abreisen organisieren die Gäste mittlerweile unter sich. „Die Nassars dürfen keine einzige Minute hier alleine sein“, sagt Marianne.
„Auch die jungen Siedler sind Opfer“
Die meist aus westlichen Ländern kommenden Freiwilligen treiben unterschiedliche Motive nach Nahalin. Einige sind gläubige Christen, andere haben palästinensische Eltern oder wollen sich gegen das Unrecht der Besatzung einsetzen. Bert aus Amsterdam war einst glühender Zionist, „bis ich bei einem Besuch in Bethlehem miterlebte, welches Unrecht den Palästinensern angetan wird.“
Mit Gießkannen bewässern Freiwillige junge Pflanzen an Orten, die gerade erst von Bulldozern der Siedler planiert wurden oder im Fadenkreuz von Scharfschützen liegen. Nicht nur die Besuche der schwer bewaffneten Soldat*innen und Siedler*innen machen den Alltag zur Strapaze. Gästinnen und Gastgeber können nur dreimal pro Woche duschen, mit gesammeltem Regenwasser. Das Leitungswasser rund um Nahalin wird in die Siedlungen geleitet. Bert, der ehemalige Zionist, fasst die Stimmung auf der Farm so zusammen: „Ich erlebe täglich die erdrückende Übermacht der Siedlungen, mit ihrem Ausbau wird der Konflikt immer intensiver.“
Amal Nassar will trotzdem nicht aufgeben. „Wir können uns der Intoleranz nicht beugen“, sagt sie. Sie hat Hoffnung. „Unser Projekt soll ein Beweis dafür sein, dass in Palästina alle friedlich zusammen leben könnten, wenn es den Willen der politisch Verantwortlichen gäbe.“
In Beit Jala will auch Alice Kisiya weiter protestieren. Ab und zu beobachtet sie im Morgengrauen die Besatzer ihres Hauses aus der Ferne: „Ich sehe auch die jungen Siedler nicht als meine Gegner, auch sie sind Opfer. Sie werden im Namen einer Ideologie instrumentalisiert, die sich gegen alles richtet, was diesen Flecken Erde so einzigartig gemacht hat.“
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