Krise bei VW: Warum der Motor stottert
Mit der Ankündigung von möglichen Werksschließungen hat Volkswagen für Aufruhr gesorgt. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Volkswagen-Chef Oliver Blume schließt bei der Kernmarke VW betriebsbedingte Kündigungen in Deutschland nicht länger aus und erwägt sogar Werksschließungen. Blume hat deswegen diese Woche bereits Tarifverträge gekündigt. Stehen damit Massenentlassungen unmittelbar bevor?
Massenentlassungen sind mit der Kündigung der entsprechenden Tarifverträge frühestens Mitte 2025 möglich. Doch allein dass die Konzernleitung die 30 Jahre geltende Beschäftigungssicherung aufkündigte, wurde von den Angestelltenvertreter*innen schon als Eskalationsschritt wahrgenommen. Betriebsratschefin Daniela Cavallo sprach von einem „historischen Angriff auf unsere Arbeitsplätze“, dem man sich „erbittert“ zur Wehr setzen werde.
Wie viele Arbeitsplätze sollen wegfallen?
Wie viele Angestellte und Werke betroffen sind oder ob Alternativen gefunden werden können, werden Verhandlungen zwischen der Gewerkschaft IG Metall, dem Betriebsrat und der Konzernspitze entscheiden. Dabei wird auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil ein Wörtchen mitreden, der sich in den letzten Tagen wiederholt gegen Werksschließungen ausgesprochen hat. Das Land hält 20 Prozent am Konzern, deshalb sitzt der SPD-Politiker in dessen Aufsichtsrat.
Dass die regulären Tarifverhandlungen nun bereits am 25. September beginnen und nicht erst im Oktober wie ursprünglich geplant, ist ein Zeichen, dass das VW-Management nun etwas auf die IG Metall zugeht. Die Gewerkschaft hatte nach Bekanntgabe der Kürzungspläne zügige Verhandlungen gefordert. „Werksschließungen und Massenentlassungen wird es mit uns nicht geben“, teilte IG-Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger mit.
Ist die wirtschaftliche Lage bei VW wirklich so dramatisch?
Schaut man sich den Konzernabschluss an, dann stellt sich die Lage anders dar. 2023 konnte der Wolfsburger Autobauer seinen Absatz insgesamt um 10,4 Prozent auf 9.362.000 Fahrzeuge steigern. Der Gewinn erhöhte sich gar um 13,1 Prozent auf knapp 18 Milliarden Euro. Bei der Kernmarke VW lief es noch besser. Der Absatz stieg um 16,3 Prozent auf 3.016.000 Pkw, der operative Gewinn wuchs um ein Drittel auf über 3,5 Milliarden Euro. VW ist also durchaus noch profitabel.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Was ist dann das Problem von Volkswagen?
Die Zukunft ist elektrisch, das könnte für VW ein Problem werden. Das liegt nicht am von der EU beschlossenen Verbrenner-Aus ab 2035. Weltweit geht der Trend Richtung Elektromobilität. Vergangenes Jahr stieg der globale Absatz von Elektroautos um mehr als ein Drittel auf 14,5 Millionen neu zugelassene Pkw. Äthiopien hat schon ein Importverbot für Verbrenner. Volkswagen müsste sich jetzt in Stellung bringen, um auch in Zukunft noch zu den größten Autobauern der Welt zu gehören.
Wer verkauft die meisten Elektroautos?
Mit rund 70.000 Neuzulassungen war VW zwar hierzulande die beliebteste Elektroautomarke. Global betrachtet sieht es aber ganz anders aus. Es führt mittlerweile der chinesische Autobauer BYD, gefolgt vom US-Konzern Tesla. Der Elektro-SUV VW ID.4 verkaufte sich letztes Jahr nur knapp 193.000 Mal. Tesla verkaufte sein vergleichbares Model Y über 1,2 Millionen Mal.
Insbesondere die chinesische Konkurrenz setzt Volkswagen zu. Zum einen gibt es neben BYD andere stark wachsende Marken, die mittlerweile auch auf den europäischen Markt drängen. Zum anderen spielt Volkswagen in China selbst, dem weltweit größten Markt für Elektroautos, mit 190.820 verkauften Elektrofahrzeugen kaum eine Rolle. Dabei ist die Bedeutung von China für VW nicht zu unterschätzen. Insgesamt setzt VW dort jedes dritte produzierte Fahrzeug ab, allerdings fast ausschließlich Verbrenner.
Was hat Volkswagen falsch gemacht?
Volkswagen wird nachgesagt, zu lange auf Verbrennermotoren gesetzt zu haben. Der ehemalige VW‑Chef Martin Winterkorn setzte lange vor allem auf den Dieselmotor. Mittlerweile muss er sich wegen des 2015 aufgeflogenen Skandals um manipulierte Abgaswerte vor Gericht verantworten. Trotz des Dieselskandals schwenkte der Konzern danach zu zaghaft um. Zuletzt war noch nicht mal jedes zehnte ausgelieferte Auto elektrisch. Insbesondere bei der Batterieproduktion gibt es Nachholbedarf. Die chinesische Konkurrenz kann mittlerweile günstiger und besser produzieren.
VW ist kein Einzelfall, die gesamte deutsche Automobilindustrie hat derzeit Probleme. Im Juli kappte Mercedes die Prognose seiner Gewinnmarge, auch BMW wird pessimistischer. Große Zulieferer wie Bosch, Continental und ZF haben bereits vor einiger Zeit einen Stellenabbau angekündigt.
Ist die Bundesregierung an der VW-Misere schuld?
Die EU-Kommission hat im Juli Sonderzölle auf Elektroautos aus China verhängt. Sie wirft Peking unfaire Subventionierungen vor. Aus Angst vor einem Handelskrieg sind diese Strafzölle in der deutschen Automobilindustrie aber unbeliebt.
Gleichzeitig sind in Deutschland die Verkaufszahlen für Elektroautos massiv eingebrochen. Im August wurden nur noch 40.600 Pkw mit Elektroantrieb neu zugelassen. Das waren 60 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Ein Grund dafür ist das Aus für den Umweltbonus für Elektrofahrzeuge. Als Maßnahme zur Stützung von VW ist daher eine neue Kaufprämie für Elektroautos im Gespräch.
Haben die Gewerkschaften zu viel gefordert?
Zuspruch für seine Sparpläne bekam VW-Chef Oliver Blume bereits von seinem Vorgänger Herbert Diess. „Die Produktivität der meisten deutschen Standorte der Marke VW reicht nicht, um die hohen Lohnkosten zu kompensieren, und auch in der Verwaltung ist viel Potenzial für Optimierung“, sagte Diess in der Wirtschaftswoche. Die IG Metall sieht dies naturgemäß anders. Sie verweist darauf, dass die Entgelte vor rund 30 Jahren auf das Niveau der Branche gesenkt wurden. Damals steckte VW schon mal in einer Krise. Um Kündigungen zu vermeiden, wurde sich auf die Einführung einer Viertagewoche ohne vollen Lohnausgleich geeinigt, die nun auch wieder im Gespräch ist. Vor 20 Jahren wurde dann laut IG Metall die Arbeitszeit ohne Entgelterhöhung angehoben. Zudem verweist die Gewerkschaft darauf, dass man sich bei früheren Gehaltsverhandlungen zurückgehalten und sich auf die Forderungen in der übrigen Metall- und Elektrobranche beschränkt habe, obwohl es dem Konzern besser ging als dem Rest.
Übrigens könnte die Kündigung der Tarifverträge laut IG Metall paradoxerweise dazu führen, dass knapp die Hälfte der Belegschaft mehr Gehalt bekommt, weil für sie nun ältere, bessere Regeln wieder in Kraft treten. „Insgesamt wirkt der Schritt Volkswagens völlig unbedacht, schließlich können die neu entstehenden Kosten an der Milliardengrenze kratzen“, kommentierte deshalb IG-Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger die Kündigung der Tarifverträge.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen