Migrationsdebatte: Kommunen fordern „Task-Force“
Der Städte- und Gemeindebund will eine „Task-Force“ für mehr Abschiebungen. CSU-Chef Markus Söder will Asyl-Erstanträge zudem auf unter 100.000 reduzieren.
Söder sagte am Sonntagabend in der ARD, Deutschland sei „mit den Folgen und der Integration überfordert“. Die AfD-Bundestagsfraktion beschloss derweil ein Positionspapier, in dem sie den Kampf gegen „illegale Masseneinwanderung“ als Thema Nummer eins vor der Bundestagswahl benennt.
Ende August hatte der Messeranschlag von Solingen mit drei Toten die Debatte über die Migrations- und Abschiebepolitik angeheizt. Vergangene Woche nahm die Ampel-Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Gespräche mit der Union und den Ländern über die Einwanderungspolitik auf. Für Dienstag ist ein weiteres Treffen geplant, CDU-Chef Friedrich Merz stellt allerdings Vorbedingungen.
Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Söder forderte am Sonntag in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ mit Blick auf die jährlichen Asyl-Erstanträge hierzulande: „Insgesamt muss die Zahl deutlich auf weit unter 100.000 auf Dauer reduziert werden, weil wir tatsächlich überfordert sind“ – und dies „nicht nur, was Kitas betrifft und Schulen und Wohnungen“.
„Kulturell überfordert“
Deutschland sei „auch zum Teil kulturell überfordert“, fügte Söder hinzu. „In vielen deutschen Städten fühlen sich auch die deutschen Einwohner gar nicht mehr zu Hause.“
FDP-Chef Lindner sagte im „Bericht aus Berlin“ zu den Forderungen, die Zahl der Asyl-Erstanträge auf unter 100.000 zu reduzieren: „Die Zahl kann ich mir zu eigen machen.“ Er sei in der Migrationspolitik bereit, „dass wir alles tun, was politisch, rechtlich und logistisch möglich ist“. So müsse es „eine Form der Zurückweisung geben“.
Lindner beharrte auf ein Mitspracherecht seiner Partei in der Migrationsdebatte. Auf die Frage, inwieweit Scholz zur Durchsetzung von Zurückweisungen an der Grenze seine Richtlinienkompetenz einsetzen sollte, antwortete er: „Das wird nicht funktionieren, in Koalitionsregierungen mit ‚Basta‘-Argumenten zu arbeiten.“
Gemeindebund für mehr Abschiebungen
Der CDU warf der FDP-Chef mit Blick auf die Migrationsdebatte vor, „dass da versucht wird, parteipolitischen Gewinn zu erzielen, dass da taktisch gearbeitet wird“. Die CDU werde beim Thema Einwanderung jedoch nichts gewinnen, sagte der Bundesfinanzminister. „Sie kann höchstens die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht stärken.“
Für mehr Abschiebungen sprach sich zudem der Deutsche Städte- und Gemeindebund aus. Hauptgeschäftsführer André Berghegger sagte der Rheinischen Post, es sei richtig, die Anstrengungen zu verstärken, dass Menschen ohne Bleiberecht in ihre Herkunftsländer zurückkehrten. Zur Beschleunigung der Prozesse solle eine „Task Force Abschiebungen“ des Bundes eingerichtet werden, regte Berghegger an. Außerdem erscheine es „sinnvoll, die deutschen Grenzen so lange zu kontrollieren, bis die europäische Asylreform in Kraft ist“.
Berghegger kritisierte es als „unverständlich“, dass die Kommunen in die Gespräche zwischen Regierung und Opposition nicht unmittelbar einbezogen würden, obwohl sie die Entscheidungen umsetzen müssten.
Auch Gewerkschaft der Polizei für Zurückweisungen
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sprach sich in der Rheinischen Post für Zurückweisungen von Asylbewerbern an den Grenzen aus, wenn den Beamten der Bundespolizei daraus „im Nachgang keinerlei rechtliche Probleme entstehen“. Der GdP-Vorsitzende für die Bundespolizei, Andreas Roßkopf, verwies zugleich darauf, dass „die Bundespolizei bereits jetzt am Limit arbeitet und eine weitere Belastung nicht auf Dauer zu leisten wäre“.
CDU-Chef Merz macht für das Treffen mit der Bundesregierung am Dienstag zur Voraussetzung, dass das Bündnis aus SPD, Grünen und FDP davor auf seine Forderungen insbesondere bei den Zurückweisungen eingeht. Kanzler Scholz entgegnete, die von Merz geforderten Zurückweisungen an der Grenze gebe es schon. Er zeigte sich aber offen für Nachschärfungen. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums vom Freitag wurden seit Oktober 2023 an den deutschen Grenzen mehr als 30.000 Menschen zurückgewiesen.
Unterdessen gab es zwei Wochen vor der Wahl in Brandenburg beim Wahlkampftalk von acht Spitzenkandidaten der Parteien einen Eklat im Streit über Migration und Sicherheit: AfD-Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt verließ nach etwas mehr als einer halben Stunde den Saal des Gesprächs von Tagesspiegel und Potsdamer Neuesten Nachrichten im Hans-Otto-Theater. Berndt war der Ansicht, er sei bis dahin zu selten an die Reihe gekommen, obwohl alle nach und nach befragt wurden. „Warum haben Sie nicht nur Herrn Woidke eingeladen? Warum haben Sie uns dann noch als Ornament dahingesetzt?“, fragte Berndt.
„Irreguläre Migration begrenzen“
Regierungschef Dietmar Woidke forderte mehr Anstrengungen, um ausreisepflichtige Ausländer abzuschieben. „Da geht es darum, geltendes Recht umzusetzen“, sagte der SPD-Spitzenkandidat. Er forderte: „Wir müssen irreguläre Migration begrenzen.“ AfD-Fraktionschef Berndt warf ihm vor, bisher untätig gewesen zu sein und forderte, ein Betretungsverbot öffentlicher Veranstaltungen für Asylbewerber nach der tödlichen Messerattacke in Solingen durch Zugangskontrollen durchzusetzen. Die AfD Brandenburg wird vom Verfassungsschutz des Landes als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft.
CDU-Landes- und Fraktionschef Jan Redmann attackierte Woidke mitunter scharf und warf ihm vor, seinen Kurs mit der Forderung nach Grenzkontrollen gedreht zu haben. „Wie bei so vielen Themen haben sie das Ufer gewechselt“, sagte er. Das wies Woidke zurück. FDP-Landesvorsitzende Zyon Braun kritisierte, Abschiebehaftplätze fehlten im Land. Linksfraktionschef Sebastian Walter warf den übrigen Kandidaten vor: „Alle rücken nach rechts.“
Grünen-Spitzenkandidat Antje Töpfer warnte, es sei nicht zielführend, Grenzen zu schließen. Woidke entgegnete, es sei kontraproduktiv, gar nichts zu machen. Freie-Wähler-Landeschef Péter Vida forderte klare Regeln für straffällige Asylbewerber, wenn „eine winzig kleine Minderheit sich so verhält“.
Wie viele Stimmen bekommt die AfD?
Der Regierungschef bekräftigte seinen Rückzug, falls die AfD und nicht seine SPD stärkste Kraft werden sollte. „Meine größte Herausforderung ist, zu verhindern, dass Menschen, die mindestens des Rechtsextremismus verdächtig sind, in diesem Land jemals etwas wieder zu sagen haben“, sagte er. Auf die vorgelesene Frage einer Leserin, wer seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger werden solle, antwortete er nicht direkt. „Wir werden dann uns entsprechend unterhalten.“
Der BSW-Landesvorsitzende Robert Crumbach wies den Vorwurf zurück, dass Parteigründerin Sahra Wagenknecht den Kurs vorgebe: „Wir reden miteinander, wir machen Politik aus einem Guss, aber es ist nicht so, dass da Befehle erteilt werden.“ Der Ukraine-Krieg müsse aus seiner Sicht bei möglichen Koalitionsgesprächen angesprochen werden, er sei eine entscheidende Frage an Wahlständen. Bei der Talkrunde ging es zudem unter anderem um Bildungspolitik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen