Asyldebatte bei den Grünen: Abschieben mit Herz und Verstand
Die Grünen ringen um ihre Rolle in der nach rechts ausufernden Migrationsdebatte. Eine Dreifachstrategie soll ihnen auf ihrer Klausurtagung helfen.
Berlin taz | Immerhin: Noch können sie lachen. Seit Mittwoch läuft in Berlin die Klausur des Grünen-Fraktionsvorstands, und als dessen Mitglieder am Vormittag gesammelt ins Tagungshotel marschieren, zeigten sie für die Fotografen am Eingang ihr schönstes Lächeln. Strahlendes Wetter, strahlende Grüne.
Dabei gibt das Klausurprogramm keine gute Laune her. Auf der Tagesordnung stehen unter anderem die Nachlese zu den Landtagswahlen und die eigene Rolle in der Abschiebedebatte. Erst am Dienstagabend endete ein Migrationstreffen zwischen Ampel und Union ohne Beschlüsse.
CDU-Chef Friedrich Merz klagte hinterher, die Koalition sei nicht bereit, Flüchtlinge an den Grenzen zurückzuweisen. Unter Journalist*innen wurde gestreut, die Grünen seien das Problem. Die Partei selbst, in Vertrauen auf die vereinbarte Verschwiegenheit, sagte erst mal nichts – und steht nun wieder als Blockiererin da.
Die Grünen frustriert diese Erfahrung zunehmend. Seit vergangenem Jahr haben sie unter Schmerzen zig Asylrechtsverschärfungen mitgemacht. In der öffentlichen Debatte werden sie aber nicht daran gemessen, was sie gemacht haben, sondern daran, wo sie in Relation zu den anderen Parteien stehen. Und weil die immer weiter nach rechts rücken, kommen sie selbst nicht hinterher: Ihre Migrationspolitik erscheint immer noch zu weich und mit den eigenen Themen dringen sie nicht durch.
Kitas, Busse, Abschiebungen
Auf ihrer Klausur versuchen sie es kommunikativ mit einer Dreifachstrategie. Erstens probieren sie, eigene Inhalte doch irgendwie zu setzen. „Wir wollen ein Land, das einfach funktioniert“, sagt Fraktionschefin Katharina Dröge am Nachmittag. Sie nennt funktionierende Kitas, bezahlbare Wohnungen in den Städten und verlässliche Busverbindungen auf dem Land. Als Lehre aus den verlorenen Wahlen dieses Jahres könnten das auch zentrale Themen für den Bundestagswahlkampf werden. Die Partei, so Dröge, müsse „die Lebensrealität der Menschen“ stärker in den Mittelpunkt stellen.
Zweitens zählen die Grünen explizit auf, welche Verschärfungen in der Migrationspolitik sie schon mitgetragen haben und noch mittragen wollen – ein neuer Ton für eine Partei, die bisher selten mit Abschiebungen hausieren gegangen ist. Von „mehr Klarheit auch in Fragen, die für uns nicht die leichtesten sind“, spricht Dröge. „Wir müssen konsequent Recht durchsetzen und Vollzugsdefizite auflösen“, sagt ihre Co-Vorsitzende Britta Haßelmann.
Drittens grenzen sie sich aber auch von den heftigsten Vorschlägen in der Debatte ab. „Wir prüfen alle Vorschläge offen, die helfen und mit Grundgesetz und europäischem Recht vereinbar sind“, sagt Haßelmann. Das ist freundlich für: Die Merz-Forderung nach Rückweisungen ist populistischer Unsinn. Wir schieben auch ab, aber mit Herz und Verstand – so könnte man die Botschaft der Grünen in der Migrationspolitik zusammenfassen.
Über den richtigen Kurs in der Frage gibt es intern aber auch Diskussionen. „Leute aus migrantischen Communities fühlen sich in der aktuellen Debatte komplett vernachlässigt“, sagt ein Fraktionsmitglied. „Die sagen: Ich werde jetzt komisch angeschaut, sobald ich auf die Straße gehe. Dieses Gefühl sollten wir angehen, statt Schnellschüsse zu machen, die gesellschaftlich langfristig mehr schaden als nutzen.“
In der Fraktion umstritten ist unter anderem das sogenannte Sicherheitspaket, dem in der Koalition vergangenen Woche der grüne Vizekanzler Robert Habeck zugestimmt hat. Dublin-Flüchtlingen sollen zum Beispiel in vielen Fällen die Sozialleistungen gestrichen werden. Final beschließen müsste das aber der Bundestag. Und dass die Abgeordneten das Paket eins zu eins mittragen, so heißt es, ist zweifelhaft.
Leser*innenkommentare
Walterismus
"Zweitens zählen die Grünen explizit auf, welche Verschärfungen in der Migrationspolitik sie schon mitgetragen haben und noch mittragen wollen – ein neuer Ton für eine Partei, die bisher selten mit Abschiebungen hausieren gegangen ist. "
Eine Partei wird nicht gewählt, weil Sie etwas mitträgt, was sie vorher eher blockiert hat. Eine Partei wird gewählt, weil Sie Lösungen anbietet für drängende Probleme. Hier liefern die Grünen keine Vorschläge und tragen es auch nur zähneknirschend mit.
Logisch das die Zustimmung rapide sinkt.
Grüne müssen auch die Themen Proaktiv angehen, die Sie ungerne diskutieren. Sonst ist man Millieupartei und keine Volkspartei.
Nafets Rehcsif
„Wir sollten im Hinterkopf behalten, dass gut 26% der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben. Die haben eine gänzlich andere Perspektive auf diese Debatte.“
Meine Nachbarn sind aus Polen, Bosnien und Italien. Was die dazu zu sagen haben, kann ich nicht wiederholen, ohne mich der Volksverhetzung schuldig zu machen.
Wir sollten vielleicht auch im Hinterkopf behalten, dass nur sehr wenige der 26% ein Herz für Islamisten, Kriminelle und Arbeitsunwillige haben…
Sonnenhaus
Da es beim Thema Abschiebung auch um das Dublin-Abkommen geht, welches ein europäisches Abkommen ist, und es überwiegend an der Rücknahme der Flüchtlinge durch die Erststaaten scheitert, stellt sich mir die Frage, warum zu diesem Thema die Europa-CDSU Granten von der Leyen, Weber und Co. nichts unternehmen, und die blockierenden Staaten in die Schranken weisen. Oder bekommen wir davon nur nicht`s mit, weil die Medien da nicht genauer hinsehen?
Gerade die CDSU sollte doch in Ihrer rechten Parteifamilie beste Beziehungen zu z.B. Melonie, u.a. haben, um hier endlich eine Durchsetzung der europäischen Regeln zu ermöglichen.
Das populistische Getöse von Friedrich M. soll wohl nur davon ablenken, das die CDSU bei diesem Thema schon seit Jahrzehnten könnte, aber nicht will; siehe Seehofer! Denn eine nationale Grenzüberwachung wird nicht gelingen. Die verweigerte Einreise wird denn 5 km weiter über die grüne Bergwiese in Bayern erfolgen. Aber an so etwas denkt der Franke Markus nicht, bei dem zuhause gibt es die nicht, und der Hubsi kommt eh vom bayerischen Tiefland (Niederbayern).
Lowandorder
Ja wie? “Asyldebatte bei den Grünen: Abschieben mit Herz und Verstand“
Diese geronnene Zynikersentenz - aus der HerzHirnlosenkammer vert! Gelle
Erinnert mich an die 1. Aufl. einer Diss mit der ersten konzisen Grundrechtstheorie!
Die ein Kommilitone völlig zu recht anschließend dahingehend kritisierte:
“Wenn selbst das Sitzen im Knast eine Verwirklichung von Grundrechten sein soll!
Ist an der Theorie was faul!“
unterm——-
Die 2. Aufl. enthielt sojet Passagen nicht mehr.
kurz - Rate den Grünen dringend ihre Schreiberlinge zu feuern! Woll
Besser ist das & sojet zeigt - wie abgehoben realitätsfern diese mal fortschrittliche Personenansammlung war! Long time ago •
Normal
Sam Spade
Endlich auch einmal ein Artikel, der die Perspektive der migrantischen Communitys berücksichtigt. Dieser Aspekt kommt in der Debatte zu kurz.
Dieses "auf der Straße komisch angeschaut werden" ist der Anfang. Die "asoziale" Art in der die Asyldebatte geführt wird, trägt nur dazu bei das die gefühlte Bedrohung sich in den Köpfen der Menschen verfestigt. Das mündet dann in einem solchen Verhalten, die Abwertung von Menschen die einem äußerlich als fremd erscheinen.
Der langfristige Schaden wird sich noch für lange Zeit in der Gesellschaft bemerkbar machen, denn der Vertrausverlust in den migrantischen Communitys ist nicht zu unterschätzen. Wir sollten im Hinterkopf behalten, dass gut 26% der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben. Die haben eine gänzlich andere Perspektive auf diese Debatte.
Wenn die Vollzugsdefizite angegangen werden, ist schon viel erreicht. Über 200.000 Menschen sind hierzulande ausreisepflichtig. Diesen Menschen eine Zukunftsperspektive zu bieten, ob in Deutschland oder anderswo, sollte Priorität haben.
Und eine Neuregelung des Dublin-Abkommens sowie die Einführung eines Einwanderungssystems wären auch nicht verkehrt.
Hinkelstein
Ein bißchen gebe ich der linken Bubble daran Mitschuld, weil sie - gefühlt - das Thema gewalttätiger Asylinhaber so tabuisiert hat, anstatt es selber zu benennen. Auf jede Straftat folgen reflexhaft Verweise auf die große Mehrheit Nichtkrimineller. Das hilft ja nicht… Ich glaube, die meisten Leute zweifeln nicht dran, daß die meisten Asylinhaber gute Leute und Opfer sind. Aber wenn man aus dysfunktionalen Kriegsgebieten Menschen kommen läßt, können einfach auch Täter dabei sein. Wie begegnet man dem?