Nahost-Konflikt in Berlin: Zahl der Straftaten explodiert

Aktuelle Daten der Innenverwaltung zeigen eine deutliche Zunahme bei politisch motivierter Kriminalität. Grüne sehen den Senat in der Verantwortung.

Überall Nahost-Konflikt – auch auf der diesjährigen Revolutionären 1. Mai-Demonstration Foto: Imago/Michael Handelmann

BERLIN taz | Berlin erlebt nach Angaben der Senatsinnenverwaltung einen massiven Anstieg von Straftaten mit politischem Hintergrund. So wurden im 1. Halbjahr 2024 im Rahmen des „Kriminalpolizeilichen Meldedienstes in Fällen politisch motivierter Kriminalität“ insgesamt 2.956 Fälle erfasst, rund 900 oder über 40 Prozent mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres. Das geht aus einer Antwort des Senats auf eine parlamentarische Anfrage des Grünen-Abgeordneten Ario Mirzaie hervor, die der taz vorab vorliegt.

Mit Besorgnis registriere er dabei das gestiegene Fallaufkommen in den Phänomenbereichen „religiöser Fundamentalismus“ und „ausländische Ideologien“, sagt Mirzaie zur taz. Regelrecht explodiert ist demnach die Zahl der Straftaten im Bereich „ausländische Ideologien“. Wurden im 1. Halbjahr 2023 rund 200 Taten registriert, hat sich deren Zahl auf etwa 1.200 Fälle versechsfacht. Darunter finden sich 240 Gewaltdelikte, nach gerade einmal 14 in den ersten sechs Monaten des Vorjahres.

Bei der Kriminalität aus dem islamistischen Milieu spielen Gewalttaten zwar so gut wie keine Rolle. Trotzdem verzeichnet die Statistik auch hier einen deutlichen Sprung um 250 Prozent auf 140 Straftaten, fast die Hälfte davon Sachbeschädigungen.

Die Gründe für den Anstieg in beiden Bereichen sind nicht schwer herzuleiten. Auch wenn es mit Blick auf die diffuse Palästina-Bewegung in Berlin eine gewisse Unschärfe bei der Zuordnung der Taten zu scheinen gibt: Die Entwicklungen im Nahen Osten seit dem Terrorangriff der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober vergangenen Jahres schlagen auch in Berlin voll durch.

Erkennbar wird das bei den antisemitischen Straftaten, deren Zahlen durch die Decke geschossen sind, von 170 im 1. Halbjahr 2023 auf nun 700 Fälle, wobei das Gros dem Bereich „ausländische Ideologien“ zugeordnet wird. Im Schnitt wurden so vier antisemitische Delikte pro Tag erfasst. Vor allem Volksverhetzung und Sachbeschädigung spielen an dieser Stelle eine Rolle.

Der Feind steht nach wie vor rechts

Was die Daten aber auch belegen: Die größte Bedrohung geht in Berlin immer noch vom deutschen Rechtsextremismus aus. Insgesamt zählte die Polizei zwischen Anfang Januar und Ende Juni in diesem Bereich über 1.240 Straftaten (Vergleichszeitraum 2023: rund 1.150), davon auch hier 130 mit antisemitischem Hintergrund.

Dass nicht zuletzt das Gewaltpotenzial der Rechten wächst, habe Anfang Juli der brutale Angriff von Neonazis auf An­ti­fa­schis­t:in­nen am Bahnhof Ostkreuz verdeutlicht, so Ario Mirzaie zur taz. Der Sprecher der Grünen-Fraktion für Strategien gegen rechts kritisiert angesichts der Entwicklungen insgesamt auch die Planlosigkeit des Senats: „Schwarz-Rot fehlt bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Antisemitismus ein schlüssiges Gesamtkonzept.“

Wichtige Bünd­nis­part­ne­r:in­nen aus der Zivilgesellschaft würden von CDU und SPD verprellt, so Mirzaie. Aber auch die von SPD-Fraktionschef Raed Saleh groß angekündigte Enquete-Kommission zur Prävention von Antisemitismus, Rassismus, Muslimfeindlichkeit und jeder Form der Diskriminierung lässt auf sich warten.

Mirzaie wurmt mit Blick auf den Rechtsextremismus noch ein weiterer Punkt: „Die Zahlen für das erste Halbjahr 2024 belegen einmal mehr, dass es ein Trugschluss ist, die Gefahr durch rechte und linke Straftaten auf eine Stufe zu stellen, wie es auch die CDU gerne tut.“

Tatsächlich ist laut Innenverwaltung die politisch motivierte Kriminalität von links stark zurückgegangen. Von 670 Fällen ging es herunter auf 390 Fälle. Auch in diesem Fall liegt die Erklärung auf der Hand: So hat die Polizei 2023 die Straßenblockaden und anderen Aktionen der Letzten Generation aus unerklärlichen Gründen als „linksextrem“ eingestuft. Und die Letzte Generation ist inzwischen nun mal – von wenigen Ausnahmen abgesehen – von den Berliner Straßen verschwunden.

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