Weite Welt in Moabit

In Berlin-Moabit erinnert eine Statue an Zwangsprostituierte im Zweiten Weltkrieg. Und während Anwohnende sie längst in ihren Alltag integriert haben, möchte man sie im fernen Japan am liebsten weghaben

Strahlkraft in die internationale Politik: Denkmal für koreanische „Trostfrauen“ in Berlin-Moabit Foto: Miriam Klingl

Aus Berlin Marina Mai

Ich soll hier weg“, steht an einer kleinen bronzenen Statue im Berliner Stadtteil Moabit, einem zentral gelegenen Wohngebiet, umgeben von Industrie. Die Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Mitte, Stefanie Remlinger (Grüne), habe gefordert, das Denkmal, das seit 2020 an einer unscheinbaren Straßenkreuzung steht, bis Ende September zu entfernen, steht dort. Wer im Bezirk wohne und die Skulptur dort behalten wolle, könne einen Anwohnerantrag an die Bezirksverordneten unterschreiben, heißt es weiter. Mehr als 2.000 Personen haben das bereits getan.

Mehr als 2.000 Menschen haben damit nicht nur für den Erhalt eines Denkmals in ihrem Kiez votiert, sondern auch ein Stück Weltpolitik betrieben.

Um was für ein Denkmal geht es? Ein Mädchen sitzt auf einem Stuhl, daneben lädt ein freier Stuhl ein, sich neben es zu setzen. Das Mädchen trägt eine traditionelle koreanische Tracht, seine Hände sind zu Fäusten geballt. Auf seiner Schulter sitzt ein Vögelchen. Hinter dem Mädchen ist auf der Bodenplatte der Schatten einer gebückten alten Frau abgebildet.

Anwohner bringen immer wieder frische Blumen zum Denkmal, das eine koreanische Zwangsprostituierte aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs darstellt. Das ist auf der Tafel neben der Skulptur zu lesen. Bis zu 200.000 Frauen und Mädchen aus den von Japan besetzten asiatischen Staaten wurden bis 1945 in Militärbordelle verschleppt. Geschätzt wird, dass nur 30 Prozent von ihnen den Krieg überlebten, die vielen anderen starben an Hunger, Krankheiten und Folter. Zwangsprostitution war Teil der Kriegsführung des mit Hitlerdeutschland verbündeten Japans.

Der Umgang Japans mit dem Thema ist bis heute schwierig. Japans Rechte leugnen die Zwangsprostitution und behaupten stattdessen, die Frauen hätten sich freiwillig in den Dienst der Kaiserlichen Armee begeben. Die japanische Regierung leugnet die Verbrechen zwar nicht, aber sie steht unter Druck. Ein Sprecher der japanischen Botschaft bestätigt gegenüber der taz das Unrecht, sagt aber, seine Regierung habe Wiedergutmachung geleistet. ­Damit sei da ein Schlussstrich gezogen.

Erst im Jahr 1991 hatte ein erstes Opfer sein Schicksal öffentlich gemacht. Viele Frauen im hohen Alter forderten danach eine Entschuldigung Japans und eine Entschädigung. Die halbherzige Entschuldigung, die schließlich nach vielen Jahren auf öffentlichen Druck erfolgte, akzeptierte nur ein kleiner Teil der betroffenen Frauen. Viele lehnten auch die geringen Entschädigungsgelder ab, die nicht vom japanischen Staat kamen, sondern aus privaten Quellen. 2011 stellten koreanische Frauenrechtlerinnen daraufhin die erste Trostfrauenstatue vor der japanischen Botschaft in Seoul auf – gegen den Widerstand der koreanischen Regierung. Es folgten weitere weltweit (siehe Text nebenan).

Frauen aus anderen Kriegsregionen, aus Bosnien, Afghanistan, Äthiopien, und Jesidinnen griffen das Thema auf und identifizierten sich damit. Doch wo immer eine Statue stand, bekamen es die Akteure mit dem japanischen Staat, seinen diplomatischen Vertretungen und rechten Kräften aus Japan zu tun. Denn in Japan ist das mit der Erinnerungskultur auch fast 80 Jahre nach Kriegsende schwierig.

Das zeigte sich auch gleich nach Aufstellung der Statue 2020 in Berlin durch den privaten Korea-Verband. Schon einen Tag später kündigte ein japanischer Regierungssprecher in japanischen Medien an, Tokio werde darauf hinarbeiten, dass die Statue verschwindet. Es folgten Telefonate mit dem Auswärtigen Amt in Berlin, war in japanischen Medien zu lesen.

Doch das Auswärtige Amt ist für Denkmäler in Berlin-Moabit nicht zuständig, sondern das Bezirksamt Berlin-Mitte. Als dieses auf dem Dienstweg von der Brisanz des zuvor als harmlos eingeschätzten Denkmals erfuhr, kuschte der damalige Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel vor Tokio. Der grüne Kommunalpolitiker forderte den Korea-Verband auf, das Denkmal binnen weniger Tage abzubauen. Nur die „Entfernung der Statue aus dem öffentlichen Raum“ könne die „diplomatischen Probleme“ ausräumen, heißt es in dem Schreiben des Bezirks an den Korea-Verband. Städtepartnerschaften seien gefährdet. Berlin unterhält eine Städtepartnerschaft mit Tokio.

Von nun an waren die Kommunalpolitiker in Berlin-Mitte, die sich normalerweise um Themen wie Hygiene in Gaststätten, lokale Bebauungspläne oder die Anpflanzung neuer Bäume kümmern, in der Weltpolitik angekommen: in einem historisch beladenen Konflikt zwischen Japan und seinen ehemaligen besetzten Gebieten im Zweiten Weltkrieg.

Immerhin einige Tausend Koreanerinnen und Koreaner leben in Berlin, die ersten kamen bereits Mitte der 1960er Jahre als von der BRD angeworbene Krankenschwestern aus Südkorea. Inzwischen sind ihre Enkel erwachsen. Viele haben sich in dem koreanisch-deutschen Korea-Verband zusammengeschlossen, der sich neben anderen Thema auch der sexualisierten Gewalt in kriegerischen Konflikten angenommen hat. Und das weit über den Zweiten Weltkrieg in Fernost hinaus. Sie haben ein privates Museum zu diesem Thema gegründet und machen Bildungsprojekte in Schulen. Dazu arbeiten sie auch mit Jesidinnen und mit Forscherinnen zu Wehrmachtsbordellen zusammen. Sie thematisieren, dass koreanische Soldaten im Vietnamkrieg vietnamesische Frauen sexuell ausgebeutet haben.

Diese breite Aufstellung des Korea-Verbands ermöglichte ihm in dieser Situation, große Öffentlichkeit zu schaffen. Der Verband überreichte dem Bezirk eine Unterschriftenliste zum Erhalt des Denkmals. Es gab eine Kundgebung vor der Statue. Dort ergriff dann auch der damalige grüne Bezirksbürgermeister das Wort. „Ich habe in den letzten Tagen viel gelernt über den Streit zwischen Japan und Korea über die sogenannten Trostfrauen“, sagte er. Die Aufforderung, die Statue abzubauen, war vom Tisch. Vorerst.

Die Bezirksverordnetenversammlung, in der SPD, Linke und Grüne eine Mehrheit hatten, positionierte sich 2020 eindeutig für die Statue. Kritik gab es allerdings am Begleittext, der sich zu einseitig auf den japanisch-koreanischen Konflikt fokusiere. Der Korea-Verband wurde aufgefordert, den Text zu überarbeiten und auch andere Opfergruppen sexualisierter Gewalt in Kriegen in den Blick zu nehmen. Derzeit sind die Mehrheitsverhältnisse nicht mehr so klar, weil die Grünen zu dem Thema gespalten sind.

Die Bezirksverordnetenversammlung ist ein ehrenamtliches Gremium, das sich normalerweise um die kleinen Themen vor der Haustür kümmert. Nunmehr bekamen Bezirksverordnete Mails von weit her. Aus Japan und aus vielen anderen Orten der Welt. Drei bis vier Mails bekomme er pro Woche, in denen das sofortige Verschwinden der Statue gefordert werde, sagt der linke Bezirksverordnete Thilo Urchs der taz. „Das sind keine wortgleichen Spams, aber ich habe schon den Eindruck, dass das organisiert ist.“

Für Urchs Kollegin Anad Awale von der SPD sei es zunächst nichts Ungewöhnliches, dass sie sich so plötzlich in der Weltpolitik wiederfinde, sagt die Sozialwissenschaftlerin, die im Hauptberuf bei einem Wirtschaftsunternehmen arbeitet. „Ob es um die Integration von Geflüchteten geht oder um konkrete Klimaprojekte vor Ort, da schwingt immer ein wenig die Weltpolitik mit“, sagt sie der taz. Schwierig sei es für sie als Ehrenamtlerin aber, die Argumente, die seit diesem Mai wieder vom Bezirksamt für den Abbau der Statue ins Feld geführt werden, juristisch zu prüfen. „Da wird von der Zivilgesellschaft verlangt, Rechtsvorschriften zu studieren.“ Die SPD-Frau findet es wichtig, „dass das Thema sexualisierte Gewalt in Kriegskonflikten in der Öffentlichkeit diskutieren wird“. Und dazu biete die Statue eine gute Möglichkeit, sagt sie.

Seit 2020 wurde die Trostfrauenstatue in Moabit geduldet, die Duldung immer wieder verlängert. Der Korea-Verband war mit dem Bezirksamt zu Details der Begleittafel im Gespräch, deren Text ja geändert werden sollte. Man feilte gemeinsam daran. Doch im Mai 2024 brach der Dialog plötzlich ab.

Plötzlich waren Kommunalpolitiker, die sich sonst um Hygiene in Gaststätten, lokale Bebauungspläne und die Anpflanzung von Bäumen kümmern, in der Weltpolitik angekommen

Das war der Monat, als Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) zu Besuch in Berlins Partnerstadt Tokio war. Es ging um Investitionen von Mitsubishi Electric in ein neues Quartier in Berlin-Tegel, um nachhaltige Energieversorgung. Und – um die Trostfrauenstatue. Die Bronzefrau auf einer unscheinbaren Berliner Straßenkreuzung hängt in Tokio so hoch, dass Japans konservative Außenministerin Yoko Kamikawa den Gast darauf ansprach.

Ob die für Berlin wichtige Investition in Tegel in einem Zusammenhang mit der Entfernung des Denkmals steht, ist nicht bekannt. Kai Wegner stellte in ­einer offiziellen Senatsmitteilung eine „Lösung“ für das umstrittene ­Denkmal in Aussicht. „Es ist wichtig, dass wir zu Veränderungen kommen.“ Eine „einseitige Darstellung“ dürfe nicht mehr stattfinden. Was eine „­einseitige ­Darstellung“ von Zwangsprostitution ist, steht in der Erklärung nicht.

Gegenüber der taz begründet Sprecher Jascha Sallmann vom Bezirksamt Mitte die Forderung nach einem Abbau der Trostfrauenstatue bis Ende September mit der grundsätzlichen Temporalität von privater Kunst im ­öffentlichen Raum. Ein Kunstwerk, das dauerhaft im öffentlichen Raum stehen könne, müsse aus einem Kunstwettbewerb hervorgehen. Das sei bei der Trostfrauenstatue nicht der Fall gewesen. Er schreibt aber auch, das Bezirksamt habe im Genehmigungsverfahren darauf hingewiesen, „dass der Korea-Verband durch das Aufstellen der Skulptur nicht nur eine öffentliche Diskussion über die sexuellen Gewaltverbrechen der japanischen, sondern auch der deutschen Soldaten anstoßen würde“.

Nataly Jung-Hwa Han vom Korea-Verband erwidert, dass ihr Verband genau über diesen Aspekt ja mit dem Bezirks­amt bis Mai im Dialog gewesen sei und nur noch wenige Details hätten geklärt werden müssen. „Und für die Genehmigung von Kunstwerken im öffentlichen Raum ohne Kunstwettbewerb sind mir auch Ausnahmen bekannt. Ich erwarte, dass es auch hier eine Ausnahmeregelung gibt oder einen Kunstwettbewerb, der die bestehende Skulptur mit einbezieht.“ Ihr Verband werde die Skulptur jedenfalls nicht abbauen, sagt sie der taz. „Ich warte erst mal die Bußgeldbescheide ab.“

Manuela Schmidt, Kulturpolitikerin der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, kritisiert, dass der Bezirk sich hier auf formale Argumente zurückziehe. „Der Korea-Verband hat mit der Skulptur eine wichtige öffentliche Debatte angestoßen. Und wir sollten diese Debatte auch führen“, sagt sie.

Der Bezirk Mitte wiederum argumentiert, dass er sich für ein übergeordnetes Mahnmal sexualisierter Gewalt in kriegerischen Konflikten einsetze. Die Debatte habe gezeigt, „dass es einer größeren öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Thema bedarf“. So ein Denkmal solle durch die Unterstützung des Bundes umgesetzt ­werden, und dazu sei die Bürgermeisterin bereits mit Claudia Roth, der Beauftragten für Kultur und Medien, im Gespräch.

Straße gegen Hinterzimmer: Demonstration für die Statue 2020 Foto: Jan Scheunert/ddp

Nataly Jung-Hwa Han hält entgegen, dass es noch nicht einmal einen Antrag einer Fraktion im Bundestag dazu gebe. „Das ist Zukunftsmusik, und deswegen kann unsere Friedensstatue jetzt nicht weichen.“ In Berlin dauert es mitunter Jahrzehnte, bis so ein Projekt umgesetzt wird, wie das Beispiel der Einheitswippe zeigt.

Die Anwohner jedenfalls nehmen die Statue längst als Teil ihres Wohnumfelds an. „Das ist eine wichtige Arbeit“, sagt eine 30-jährige Frau, die gerade an der Skulptur vorbeiläuft. „Einflussnahmen anderer Staaten auf mein Wohnumfeld sehe ich als ­problematisch an.“ Und Annette Sperberg, die mit ihrer Enkelin hier sitzt, sagt: „Das Denkmal wird von den Nachbarn immer schön gemacht. Es sind immer Blumen hier. Es gehört hierher.“ Dann kommen zwei Touristen, ein koreanisches Bruderpaar. Sie setzen sich abwechselnd auf den freien Stuhl und fotografieren sich. Der Besuch der Trostfrauenstatue gehöre genauso zu ihrem Berlinprogramm wie Fernsehturm und Brandenburger Tor, sagt der jüngere Bruder.

Japan macht nicht nur gegen die Trostfrauenstatue in Berlin mobil. Die erste dieser Statuen in Deutschland scheiterte 2017 in Freiburg im Breisgau am japanischen Widerstand. Weg ist sie allerdings nicht, sie wurde daraufhin in einem privaten Park bei Regensburg aufgestellt. Eine 2022 auf dem Gelände der Universität Kassel aufgestellte Statue wurde im Folgejahr durch die Unileitung wieder abgebaut. Eine dritte Statue auf dem Gelände einer evangelischen Kirchengemeinde in Frankfurt wurde bisher nicht angetastet.

Japan scheint schlechte PR-Berater zu haben, denn all dieser japanische Widerstand beschert den Denkmälern und dem dahinterstehenden Thema mehr Öffentlichkeit, als es die Statuen allein vermöchten. Es fehlt der Regierung in Tokio aber nicht nur die Gelassenheit, mit einem traurigen Kapitel ihrer Geschichte umzugehen. Es fehlt ihr auch die Einsicht, dass Erinnerungskultur mehr und mehr global stattfindet. In Berlin gibt es eine ­Nelson-Mandela-Schule, eine Indira-Gandhi-Straße und sogar eine Hiroshimastraße mitten im Regierungsviertel. Proteste aus aller Welt gegen diese Namen sind nicht bekannt.