Rechter Mob in Großbritannien: Stichwortgeber für die Schande

Rechte Gewalttäter attackieren Flüchtlingsunterkünfte in ehemaligen Hotels. Die Ressentiments, die dazu führten, schürt die Politik selbst.

Ein jugendlicher Randalierer wirft einen Teil eines Zauns auf Polizisten während einer Demonstration gegen Einwanderung in der Nähe des Holiday Inn Express Hotel, in dem Asylbewerber untergebracht sind.

Tamworth: Rechte Gewalt gegen Migranten und Geflüchtete Foto: Danny Lawson/picture alliance

„Das Holiday Inn in Tamworth wird seit Jahren für Asylzwecke genutzt – tatsächlich wollen die Einwohner ihr Hotel zurückhaben.“ Dieser Satz passt zu den gewaltbereiten Rechtsextremen, die dieser Tage in Tamworth und anderen britischen Städten Jagd auf Migranten und Flüchtlinge machen.

Tatsächlich äußerte ihn die Wahlkreisabgeordnete für Tamworth, Sarah Edwards, spätabends am 17. Juli im britischen Unterhaus. Edwards sitzt für Labour im Parlament, ihren Wahlkreis gewann sie zuerst bei einer Nachwahl 2023. Da war, wunderte sich das linke Wochenmagazin New Statesman, auf einem Labour-Flugblatt zu lesen, die damalige konservative Regierung „verschwendet jeden Tag sechs Millionen Pfund für Asylhotels“ – eine klassische rechtsextreme Propagandaparole.

Am Sonntagabend brannte das Holiday Inn von Tamworth. Eine rechtsradikale Meute hatte sich in der mittel­englischen Kleinstadt vor der Flüchtlingsunterkunft versammelt. Hunderte Demonstranten warfen Ziegelsteine und Flaschen, steckten Müll in Brand, warfen Brandbomben ins Gebäude, verwüsteten Flure und malten rassistische Parolen und Sprüche wie „Raus aus England“ auf die Außenwände. Hotelangestellte und Flüchtlinge versteckten sich auf den oberen Etagen, während die Polizei das brennende Treppenhaus löschte, nachdem der Mob sich verzogen hatte.

Es war der zweite solche Vorfall am Sonntag nach einer Zusammenrottung vor dem Holiday Inn von Rotherham weiter nördlich in England, wo ebenfalls Feuer im Hoteleingang gelegt wurde, während Polizeibeamte draußen mit geplünderten Sesseln beworfen wurden.

Hotels für Flüchtlinge, während Obdachlose auf der Straße liegen – das ist ein Reizthema nicht nur in Großbritannien. Zehntausende Schutzsuchende aus Ländern wie Irak, Syrien, Afghanistan oder Sudan landen jedes Jahr in Schlauchbooten aus Frankreich an der englischen Südküste und werden ins Asylverfahren genommen, was aber Großbritanniens konservative Regierung nicht entsprechend ausgebaut hat, so dass die Menschen jahrelang bis zu einer Entscheidung mit einem winzigen Taschengeld in zugewiesenen Unterkünften ausharren.

Diese sind oft staatlich angemietete Billighotels, in denen seit der Covid-19-Pandemie keine zahlenden Gäste mehr übernachten. Am Ende tauchen die meisten lieber ab. Wer sich aber an die Regeln hält, dem wird vorgeworfen, sich über Jahre in Drei-Sterne-Hotels durchfüttern zu lassen, während drumherum Einheimische nicht genug für ein würdiges Leben haben, geschweige denn für eine Hotelübernachtung.

„Hotel“ ist im britischen Arbeiter­slang Synonym für Möchtegern-Luxus, der keiner ist: Da wohnen Liebende, Geschäftsreisende und Feiernde, da kann man sich hemmungslos besaufen, Essen aufs Zimmer kommen lassen und bei der Abreise das Mobiliar klauen. Normale Menschen haben ihre eigenen Häuser. Oder sie übernachten bei Freunden. Hotel – das ist für Leute mit zu viel Geld und zu wenig Geschmack, die keine Freunde haben.

Dass Flüchtlinge in schäbigen Billig­absteigen oder in Plattenbauten, die einer Hotelkette gehören, keinen Hotelservice genießen, und wie sie überhaupt leben, davon wissen die Leute nichts und es sagt ihnen auch niemand. Es erklärt ihnen auch niemand, wieso Flüchtlinge auf Schlauchbooten eigentlich nach England kommen. Wieso sind sie nicht im schönen Frankreich ge­blieben?

Das sind die Ressentiments, die eben auch Labour bedient – eine funktionierende Flüchtlingspolitik ist bei Keir Starmer (Labour) ebenso wenig im Angebot wie bei Rishi Sunak (Tories). Dass die Menschen in Tamworth „ihr Hotel zurückhaben“ wollen, postete die Wahlkreisabgeordnete Sarah Edwards am 30. Juli auf X. Da hatten die rechten Unruhen schon an Fahrt aufgenommen. Sie selbst hatte diesen Satz bereits am 17. Juli im Parlament gesagt. Nun nennt Edwards die Ausschreitungen zwar in einer neuen Erklärung „eine Schande“ und „fürchterlich“ – aber sie selbst lieferte die Argumente.

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