Umweltbehörde kennt Baumbestand nicht: Abgeholzt und wegsortiert
In Hamburg wurden 30.000 Bäume gefällt und nicht nachgepflanzt. Recherchiert hat das ein Abgeordneter. Die Umweltbehörde selbst hat keinen Durchblick.
E ine Zahl machte in Hamburg in der letzten Woche Schlagzeilen: 30.000 Bäume wurden von 2015 bis 2022 gefällt und nicht nachgepflanzt. Das ist nicht nur deshalb interessant, weil die allermeisten Menschen Bäume mögen und es doof finden, wenn sie futsch gehen. Interessant ist vor allem, wie diese Zahl überhaupt ans Licht kam.
Der Baumbestand wird in Hamburg nämlich keineswegs einheitlich oder gar zentral erfasst. Straßenbäume, Privatbäume und Bäume in öffentlichen Grünanlagen sind drei verschiedene Kategorien, in denen gezählt wird – und zwar je nach Kategorie bei der Umweltbehörde oder den sieben Bezirksämtern.
Der Bürgerschaftsabgeordnete Sandro Kappe (CDU) hat sich hinter das Thema geklemmt und Dutzende Kleine Anfragen zum Baumbestand gestellt. Über 200 Zeilen umfasst die Excel-Tabelle, in der er die Ergebnisse fein säuberlich zusammengetragen hat. Das Ergebnis: Zwischen 2015 und 2022 ist ein Loch von 29.016 Bäumen entstanden. Dabei fehlen noch Zahlen über Bäume auf Privatgrundstücken in Wandsbek und Harburg, weil die Bezirksämter diese nicht erheben. Mit dieser Dunkelziffer muss das Defizit laut Kappe bei mindestens 30.000 Bäumen liegen.
Wie es dazu kommen konnte? Die Umweltbehörde betont in ihrer Antwort auf eine taz-Anfrage, dass der grüne Senator 2015 ein „schweres Erbe“ angetreten habe und das jährliche Defizit gegenüber den Jahren vor 2015 schon deutlich gesenkt wurde.
Kurios ist, dass der Straßenbaumbestand in den vergangenen Jahren laut Behörde sogar „aus diversen Gründen angestiegen“ sein soll – obwohl in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich mehr Straßenbäume gefällt als gepflanzt wurden. Kappe kennt zumindest einen Grund dafür, wie die Behörde zu einer positiven Bilanz kommt: In den letzten Jahren widmete sie Bäume aus öffentlichen Grünflächen kurzerhand zu Straßenbäumen um. „Umwidmungen machen schätzungsweise den kleinsten Teil der Menge an neu hinzugekommen Straßenbäumen aus“, kontert die Umweltbehörde. Trotzdem bleibt unklar, woher die neuen Straßenbäume kommen.
Die Straßenbäume sind jedoch keineswegs das größte Problem in Sachen Baumschwund: Die mit Abstand meisten Bäume werden nicht von der Stadt, sondern auf privaten Grundstücken gefällt. Selbst ohne die beiden größten Hamburger Bezirke Harburg und Wandsbek gehen 19.237 der verlorenen Bäume darauf zurück, dass Stadtbürger*innen sich mit einer Ausgleichszahlung von der Pflicht freikauften, von ihnen gefällte Bäume nachzupflanzen.
CDU-Politiker Kappe findet, dass die Stadt die Ausgleichszahlungen nutzen sollte, um Bäume auf öffentlichen Flächen nachzupflanzen. Das ist nicht so leicht, sagt die Umweltbehörde. Denn „neben den verfügbaren Mitteln sind es personelle Kapazitäten, die Verfügbarkeit von Pflanzfirmen und den passenden Gehölzen in den Baumschulen sowie geeignete freie Baumstandorte“, von denen die Nachpflanzungen abhingen.
Aber selbst das verfügbare Geld reicht hinten und vorne nicht: Der Senat sieht für die Nachpflanzung von Straßenbäumen jedes Jahr 500.000 Euro vor. Ein neuer Straßenbaum kostet im Mittel etwa 2.750 Euro. Der Etat reicht jährlich also gerade einmal für 181 Straßenbäume – obwohl pro Jahr durchschnittlich mehr als zehnmal so viele gefällt werden. Selbst mit den Ausgleichszahlungen von Privatpersonen schafft die Stadt es aber nicht, die gefällten Straßenbäume nachzupflanzen – von den verlorenen Privatbäumen ganz zu schweigen.
Es wirft kein gutes Licht auf die Umweltbehörde, dass die Zahlen über die Bäume in Hamburg so schwer zugänglich und undurchsichtig sind. Ihr „Bäumchen wechsel dich“-Spiel dürfte dabei eher dazu beitragen, dass man den Baum vor lauter Statistik nicht mehr sieht, als den Baumbestand in Hamburg zu schützen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung