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Neuwahlen in FrankreichMacrons Leichtsinn und Kühnheit

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Nach dem Wahlsieg der Rechtspopulisten ruft Präsident Macron Neuwahlen aus. Es steht nichts Geringeres als die Zukunft der Republik auf dem Spiel.

Gefährliches Pokerspiel: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verkündet Neuwahlen Foto: Christian Hartmann/rtr

Warum bloß macht der das?“ Das war am Sonntagabend der am meisten gehörte Kommentar zu Emmanuel Macrons Ankündigung, er wolle mit Neuwahlen die Lehren aus dem für ihn vernichtenden Ergebnis der EU-Wahl ziehen. Die Auflösung der Nationalversammlung nach einer Wahlniederlage ist eine Option, die von der französischen Verfassung vorgesehen ist.

Zu diesem extremen und politisch riskanten Mittel zu greifen, um – wie Macron sagt – „Klarheit zu schaffen“ und den Bür­ge­r*in­nen „das Wort zu geben“, steht dem Staatspräsidenten völlig frei. Er hat damit außer der extremen Rechten, die genau diese überstürzten Neuwahlen ständig verlangt hat, alle Parteien total überrumpelt.

Natürlich ehrt es den Präsidenten, dass er zunächst aus demokratischem Respekt für das Wählerverdikt vom 9. Juni selbst für ihn nachteilige Konsequenzen in Kauf nehmen will. Aber: Angesichts der neuen Kräfteverhältnisse bei der Wahl der EU-Abgeordneten und in Anbetracht der kurzen Frist für die Kampagne bis zum ersten Wahlgang am 30. Juni, aber auch wegen des schwer kalkulierbaren Ausgangs einer Mehrheitswahl in 577 Wahlkreisen pokert Macron mit schlechten Karten in der Hand.

Seinem Image als fairer und vermeintlich über den Parteien stehender Staatschef zuliebe setzt er die Zukunft der Republik und die Freiheit seiner Landsleute aufs Spiel.

Es steht viel auf dem Spiel

Vielleicht hatte Macron seine Entscheidung wegen der Umfragen, die seit Langem einen Sieg der extremen Rechten und eine Niederlage seines eigenen Regierungslagers voraussagten, geplant und beschlossen. Vielleicht meint er auch, dass seine Kühnheit ihm zu einem unverhofften Erfolg und womöglich sogar zu einer Mehrheit in der Nationalversammlung verhelfen könne. Ähnliches dachte auch Präsident Jacques Chirac, als er 1995 ohne wirkliche Not Neuwahlen ausschrieb, die dann aber, statt ihn zu stärken, die linke Opposition für 5 Jahre an die Regierungsmacht brachten.

Das – sehr reale – Risiko einzugehen, dass in Frankreich die ideologischen Erben der Kollaboration mit den Nazis ganz legal an die Macht gelangen könnten, ist weit gravierender als Chiracs taktischer Irrtum, der bloß ein politisches Eigentor war.

Dieses Mal stehen die demokratischen Freiheiten, die Menschenrechte und die Grundwerte, auf die Frankreich seit der Aufklärung und der Großen Revolution so stolz war, auf der Kippe. Zudem könnte Macrons Leichtsinn, mit der er in diesem gewagten politischen Spiel mit vollem Einsatz „Banco“ sagt, im Fall eines Scheiterns enorme Folgen für ganz Europa haben.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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24 Kommentare

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  • Der Schritt war von ihm bereits vor Wochen im kleinen Kreis für den jetzt eingetretenen Fall geplant worden. Das war kein Kurzschluss sondern vorausschauendes Denken - was man bei unseren Politikern vermisst.

    • @Pi-circle:

      Gibt es dazu eine verlässliche Quelle?

  • Macron wirkte schon in den letzten Wochen recht chaotisch. Jetzt überstürzt Wahlen abzuhalten, passt also ins Bild.

  • "Er hat damit außer der extremen Rechten, die genau diese überstürzten Neuwahlen ständig verlangt hat, alle Parteien total überrumpelt."

    Wieso nicht den RN - bzw. gerade den - auch? Le Pen mag sich ja Einiges bei der Forderung nach sofortigen Neuwahlen gedacht haben, aber mit einiger Wahrscheinlichkeit NICHT, dass es die tatsächlich geben würde.

    Die ganze Aktion duftet ohnehin stark nach einem herzlichen "Be careful what you wish for...!" in Richtung RN. Macron schätze ich viel zu sehr als Machtpolitiker ein, als dass er so einen Entschluss aus purer ostentativer Überparteilichkeit fällen würde. Es ist doch viel wahrscheinlicher, dass er die völlig regierungsunerfahrene Truppe von Le Pen an ihren Ambitionen ersticken lassen will.

    Es ist immer noch vabanque, aber planlos kann es kaum sein.

    • @Normalo:

      "Es ist doch viel wahrscheinlicher, dass er die völlig regierungsunerfahrene Truppe von Le Pen an ihren Ambitionen ersticken lassen will."



      das war auch mein Gedanke. Ich kenne F nicht gut genug um das Machtgefüge einordnen zu können, aber evtlist das die Überlegung, lass sie ankündigen, der Präsident hintertreibt es dann. Im letzten Amtsjahr, was hat er zu verlieren...? Evtl iast aber alles nur ein Wunschtraum...

      • @nutzer:

        Eine Regentschaft des französischen Bürgerkönigs beträgt 5 Jahre, seine zweite Amtszeit begann am 07.05.22, sollte entsprechend nicht vor dem Mai 27 enden.

        • @Pleb:

          da haben Sie natürlich Recht, der fehler ist mir erst hinterher aufgefallen...

  • Verstehe ich den Artikel richtig? Wenn man jetzt eine Wahl abhielte, bestünde die Gefahr, dass die Bürger in einer demokratischen Wahl die "falsche" Partei wählten? Und falls diese Gefahren einem Jahr auch noch besteht? Verschiebt man dann die Wahl? Und in 10 Jahren? ... Das scheint mir ein gefährliches Demokratieverständnis zu sein, nur dann Wahlen zuzulassen, wenn man sicher sein kann, dass die Bürger die "richtige" Partei wählen.

    • @Andrea Seifert:

      Wenn also die Bürger Rechtsextremisten wählen, feiern Sie dann das demokratische Ergebnis? Auch wenn es die letzten halbwegs freien, fairen Wahlen gewesen sein könnten?

    • @Andrea Seifert:

      Seh ich ganz genauso. Und nebenbei halte ich das Vorgehen Macrons für einen gar nicht so uneigennützigen Schachzug. RN müsste bei einem Wahlsieg aus der Kalten sofort liefern, während Macron als Präsident weiter im Amt bliebe und seinen Kronprinzen Attal, der ihn 2027 sowieso beerben soll in Stellung bringen könnte. Wenn das Kalkül aufgeht, ist LePen 2 Jahre lang Gejagte und muss bis zur nächsten regulären Wahl beweisen, dass sie es tatsächlich besser kann. Die Angst, dass in dieser Zeit die Demokratie völlig zusammenbricht ist eine Art Hasenfüßigkeit, die man sich angesichts der Herausforderungen erst recht nicht leisten kann.

    • @Andrea Seifert:

      Dass es dann und wann Wahlen geben muss, dürfte auch der Autor nicht bestreiten. Im Fall der derzeitigen franösischen Nationalversammlung endet das Mandat der aktuell amtierenden Abgeordneten aber regulär erst in etwa drei Jahren. Die Frage ist also, warum Macron die Wahl jetzt vorzieht, ohne das zu müssen.

      Normalerweise kann der RN viel fordern, wenn der Tag lang ist, und Macron macht nur auf sprichwörtlich "abriebfeste" deutsche Eiche (ohne Frau Le Pen mit dem Vergleich zu nahe treten zu wollen... ;-)). Hier springt er aber förmlich los, um einer Forderung nachzukommen, die man auch als typische taktische Frechheit im Rahmen des Siegesgebrülls verstehen könnte. Sie haben Recht, dass jetzt möglicherweise auch kein machttaktisch schlechterer Moment ist als in 1-3 Jahren. Aber das sieht eben nicht Jeder so.

  • Werte



    "Grundwerte, auf die Frankreich seit der Aufklärung und der Großen Revolution..." - nu, was an Grundwerten Napoleon binnen kürzester Zeit in die europäische Welt expotiert hat, ist in den Rechtsordnungen europäischer Staaten seither nicht zu übersehen. Doch Revolutions-Erbe Napoleon brachte auch ein Schlachten, das zunächst ohne Ende schien. Wo waren DA die Werte ? Goya lässt grüßen w.wiki/_shP2 .

  • Die Rechte hat Kreide gefressen und selbst LePen gibt die Social Media-kompatible Mutter der Nation, die Melonisierung der Rechten geht weiter, ohne dass diese wirklich zu einer "normalen" konservativen Partei wird. Wer sollte diese immer besser funktionierende Inszenierung der Rechten aufhalten? Macrons Leute schon einmal eher nicht. Es spricht viel für ein rechts dominiertes Parlament, das es Macron noch schwerer macht als ohnehin schon. Sein Erbe kann sein, dass er die Republik verspielt.

  • ""Es steht nichts geringeres als die Zukunft der Republik auf dem Spiel.""



    ==



    Das fast wichtigere hat es lediglich fast versteckt in den letzten Satz geschafft:"" (mit) vollem Einsatz (...) , im Fall eines Scheiterns (will sagen: könnten die Neuwahlen) enorme Folgen für ganz Europa haben.""

    Der Motor der EU ist die Achse Bundesrepublik und Frankreich. Geht dieser Motor kaputt ist die Europäische U/nion endgültig in Gefahr.

    Darüber hinaus: Warum sollte Macron nicht auch das schaffen was Sanchez mit der PSOE in Spanien geschafft hat? Den Rechtsradikalen hinterher laufen bringt nichts - weder in der Bundesrepublik - noch in Europa.

    Wer nicht jetzt -- und sofort -- für Demokratie kämpft hat schon verloren. Warum und wozu abwarten?

  • "Das – sehr reale – Risiko einzugehen, dass in Frankreich die ideologischen Erben der Kollaboration mit den Nazis ganz legal an die Macht gelangen könnten, ist weit gravierender als Chiracs taktischer Irrtum, der bloß ein politisches Eigentor war."

    Die entscheidende Frage ist, ob sich an diesem Risiko bis zu den nächsten regulären Wahlen überhaupt etwas ändern würde/könnte, bzw. ob ein Festhalten an den derzeitigen Machtverhältnissen es am Ende sogar noch schlimmer machen würde.

  • Ist doch super, wie man zusehen kann wie Europa immer weiter in seine Einzelteile zerfällt. Es ist immer richtig gut, sich zu schwächen wenn man in den Ring steigt mit Größen wie den USA und China.

    • @Mr Ambivalent:

      Das Problem in Europa heißt "Nationalstaaten". USA (335 Mio Einwohner), China (1400 Mio Einwohner) und de facto auch die Russische Föderation (144 Mio Einwohner) sind einzelne große Nationalstaaten und handeln auch so. Und in Europa (EU hat 448 Mio Einwohner) sind immer noch viele der Meinung als jeweils kleine Nationalstaaten für sich allein besser zurecht zu kommen als zusammen als Union. Soviel Hybris muss doch nach hinten losgehen.

      • @Minion68:

        es gibt doch gar kein Europa, weder wählt man europäische Parteien, noch haben die gewählten nationalen Parteien hinterher Einfluß auf den Kurs der EU, der wird von den Regierungschefs einzeln übernommen, jeder nach Gusto und gerne auch gegeneinander. Die Kommission, als oberste Verwaltungsbehörde ist doch das Paradebeispiel für Bürgerferne. Zuständig für Verwaltungsakte, nicht demokratisch legitimiert, wo soll da ein Europagefühl aufkommen?



        Die sogenannten europ. Parteien, sind auch nur ein böhmisches Dorf, jeder tritt ein oder aus wie es sich ergibt, vor der Wahl weiß der Wähler nicht welche Fraktion man gewählen wird, manchmal sind sogar einzelne Abgeordnete der selben Partei in verschiedenen Fraktionen....



        Wer wundert sich da, dass die EU als fremd empfunden wird...?

        • @nutzer:

          Stimmt, und dabei gibt es genug Vorschläge, was verbessert werden muss. Ich habe mal vor vielen Jahren eine Doku gesehen, in der dargelegt wird, dass in der EU noch nie wirkliche Einigkeit vorherrschte, sondern der nationale Kuhhandel im Vordergrund steht.

  • Ja, richtig. Aber die Frage ist doch, ob bei der nächsten regulären Wahl die Situation ernsthaft anders aussehen würde...

  • die Frage ist doch, würde eine Wahl in 1 Jahr anders ausgehen?



    Dass die Franzosen RN wählen, hat ja Gründe, einer davon unter anderem Macron`s Politik.



    Er hat`s das letzte Mal geschafft sich als letztes Bollwerk zu verkaufen, das gelingt nicht beliebig oft, schon gar nicht, wenn man hinterher die Politik betreibt, die die Leute zum RN treibt. Stichwort Rentenpolitik, Gelbwesten etc. Kann man alles mit Sachzwängen begründen, aber in der Logik ist dann der RN eben auch ein Sachzwang, kommt man nicht mehr drum rum.

  • Macrons reguläre Amtszeit endet bald, die Gelegenheit, die Amtszeit noch für ein paar Jahre zu sichern.



    Wobei - es kann auch ins Auge gehen - wir werden sehen...

    • @Alex_der_Wunderer:

      Macrons Amtszeit endet 2027, das ist in den demokratietypischen Zeitdimensionen nicht "bald", sondern noch eine ganz ordentliche Zeitspanne.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Es bleiben Möglichkeien:



    de.wikipedia.org/w...eller_(Frankreich)