Neuwahlen in Frankreich: Macrons Leichtsinn und Kühnheit

Nach dem Wahlsieg der Rechtspopulisten ruft Präsident Macron Neuwahlen aus. Es steht nichts Geringeres als die Zukunft der Republik auf dem Spiel.

Frankreichs Präsident Macron ist zu sehen in einem Handyvideo

Gefährliches Pokerspiel: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verkündet Neuwahlen Foto: Christian Hartmann/rtr

„Warum bloß macht der das?“ Das war am Sonntagabend der am meisten gehörte Kommentar zu Emmanuel Macrons Ankündigung, er wolle mit Neuwahlen die Lehren aus dem für ihn vernichtenden Ergebnis der EU-Wahl ziehen. Die Auflösung der Nationalversammlung nach einer Wahlniederlage ist eine Option, die von der französischen Verfassung vorgesehen ist.

Zu diesem extremen und politisch riskanten Mittel zu greifen, um – wie Macron sagt – „Klarheit zu schaffen“ und den Bür­ge­r*in­nen „das Wort zu geben“, steht dem Staatspräsidenten völlig frei. Er hat damit außer der extremen Rechten, die genau diese überstürzten Neuwahlen ständig verlangt hat, alle Parteien total überrumpelt.

Natürlich ehrt es den Präsidenten, dass er zunächst aus demokratischem Respekt für das Wählerverdikt vom 9. Juni selbst für ihn nachteilige Konsequenzen in Kauf nehmen will. Aber: Angesichts der neuen Kräfteverhältnisse bei der Wahl der EU-Abgeordneten und in Anbetracht der kurzen Frist für die Kampagne bis zum ersten Wahlgang am 30. Juni, aber auch wegen des schwer kalkulierbaren Ausgangs einer Mehrheitswahl in 577 Wahlkreisen pokert Macron mit schlechten Karten in der Hand.

Seinem Image als fairer und vermeintlich über den Parteien stehender Staatschef zuliebe setzt er die Zukunft der Republik und die Freiheit seiner Landsleute aufs Spiel.

Es steht viel auf dem Spiel

Vielleicht hatte Macron seine Entscheidung wegen der Umfragen, die seit Langem einen Sieg der extremen Rechten und eine Niederlage seines eigenen Regierungslagers voraussagten, geplant und beschlossen. Vielleicht meint er auch, dass seine Kühnheit ihm zu einem unverhofften Erfolg und womöglich sogar zu einer Mehrheit in der Nationalversammlung verhelfen könne. Ähnliches dachte auch Präsident Jacques Chirac, als er 1995 ohne wirkliche Not Neuwahlen ausschrieb, die dann aber, statt ihn zu stärken, die linke Opposition für 5 Jahre an die Regierungsmacht brachten.

Das – sehr reale – Risiko einzugehen, dass in Frankreich die ideologischen Erben der Kollaboration mit den Nazis ganz legal an die Macht gelangen könnten, ist weit gravierender als Chiracs taktischer Irrtum, der bloß ein politisches Eigentor war.

Dieses Mal stehen die demokratischen Freiheiten, die Menschenrechte und die Grundwerte, auf die Frankreich seit der Aufklärung und der Großen Revolution so stolz war, auf der Kippe. Zudem könnte Macrons Leichtsinn, mit der er in diesem gewagten politischen Spiel mit vollem Einsatz „Banco“ sagt, im Fall eines Scheiterns enorme Folgen für ganz Europa haben.

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Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.

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