Kanzler Scholz zur Sicherheitslage: Zwischen Empathie und Härte

Kanzler Scholz fordert, islamistische Gewalttäter und deren Anhänger nach Afghanistan und Syrien abzuschieben – und warnt vor Generalverdacht.

Kanzler Scholz bei einer Rede im Bundestag.

Kanzler Olaf Scholz am 6. Juni bei seiner Regierungserklärung im Bundestag Foto: Sabina Crisan/dpa

BERLIN taz | Der Bogen war weit gespannt: In seiner Regierungserklärung zur Sicherheitslage im Bundestag am Donnerstagmorgen ging Bundeskanzler Olaf Scholz auf gleich drei Bedrohungen ein, die das Land gerade akut oder latent beschäftigen: den tödlichen Messerangriff in Mannheim, das Hochwasser in Süddeutschland und den Krieg in der Ukraine. Ein Spagat, das sei vorweg gesagt, den Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) in dieser Breite nicht meisterte.

Das tödliche Messerattentat am vergangenen Freitag in Mannheim, das ein junger Polizist nicht überlebte, bezeichnete Scholz als „Terror“. Und kündigte an, dass Straftäter und Gefährder künftig auch nach Afghanistan und Syrien abgeschoben werden sollen. „Es empört mich, wenn jemand schwerste Straftaten begeht, der hier bei uns Schutz gesucht hat“, so Scholz. „Solche Straftäter gehören abgeschoben – auch wenn sie aus Syrien oder Afghanistan stammen.“

Bislang sind Abschiebungen ausgesetzt, aufgrund der Sicherheitslage in beiden Ländern und wegen fehlender Kontakte und Abkommen mit dem Assad-Regime in Syrien und den Taliban in Afghanistan. Scholz sagte daher, man prüfe eine Zusammenarbeit mit Nachbarstaaten.

Aber auch Menschen, die Terror verherrlichen, sollen künftig ausgewiesen werden können, kündigte Scholz an. Mehrere Videos rund um die Ereignisse in Mannheim werden aktuell breit im Netz geteilt und zum Teil gefeiert. Scholz gab sich entschlossen: „Wer Terrorismus verherrlicht, wendet sich gegen alle unsere Werte – und gehört abgeschoben.“

Umgang mit Islamisten?

Das allerdings wird nur bei Menschen gehen, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Wie man härter mit deutschen Islamisten umgehen und islamistische Indoktrinierung stoppen und ihr besser vorbeugen will, dazu sagte Scholz nichts.

Gleichzeitig nannte der Bundeskanzler es abwegig, die 20 Millionen Bür­ge­r:in­nen mit Einwanderungsgeschichte, die in Deutschland leben, „unter Generalverdacht“ zu stellen. Auch sie seien entsetzt über die Bluttat von Mannheim und würden nicht selten Opfer von Hetze und Gewalt.

Im vergangen Jahr hat sich die Zahl der religiös motivierten Straftaten, das sind im Wesentlichen islamistische, auf 1.500 verdreifacht. Viel höher ist die Anzahl der rechtsextremen Straftaten, die auf rund 23.500 anstieg.

Scholz lobte den Zusammenhalt und die Solidarität im Kampf gegen die Fluten in Süddeutschland: „Unser Land funktioniert“ – und zog eine direkte Verbindung zum Klimawandel. „Wenn solche extremen Wetterereignisse häufiger passieren – dann ist das nicht mehr nur ein Unglück – dann ist das ein Ergebnis des Klimawandels“, so Scholz. Der menschengemachte Klimawandel sei die größte globale Herausforderung, vor der man stehe. Es sind Sätze, die die Hungerstreikenden vor dem Kanzleramt aufhorchen lassen dürften.

Aus den Bänken der AfD-Abgeordneten erntete er dagegen Gelächter und Zwischenrufe: „Als ob es da einen Zusammenhang gibt.“ Die AfD leugnet den menschlichen Einfluss auf Klimawandel.

Die Schäden allein für die aktuelle Flutkatastrophe dürften erneut in die Milliardenhöhe gehen. Scholz versprach staatliche Hilfen, ließ aber offen, ob diese aus dem Haushalt kommen oder ob man unter Umgehung der Schuldenbremse einen Sondertopf einrichtet, wie 2021 nach der Flut im Ahrtal. Die Ampelregierung ist gerade in internen Haushaltsverhandlungen. Die Grünen fordern, die Schuldenbremse erneut zu lockern.

Als er auf die dritte Großkrise einging, den russischem Krieg in der Ukraine, versuchte sich der Kanzler im Balanceakt. Einerseits wandte er sich an die Kritiker von Waffenlieferungen – „sich Sorgen zu machen, daran ist nichts Verwerfliches“. Andererseits verteidigte er die Entscheidung, man könnte es auch Kehrtwende nennen, dass die Ukraine mit deutschen Waffen nun auch Ziele in Russland zerstören dürfe. Russland greife etwa die Stadt Charkiw aus Stellungen im direkt angrenzenden russischen Grenzgebiet an, begründete Scholz seine Freigabe. „Um sich gegen solche Angriffe zu verteidigen, kann die Ukraine auch die von uns und unseren Verbündeten gelieferten Waffen einsetzen.“

Es war eine Rede zwischen Härte und Empathie, die wenig Angriffsfläche bot.

Lob von Merz

Dem Oppositionsführer und CDU-Fraktionschef Friedrich Merz, der auf Scholz antwortete, blieb zunächst nichts anderes übrig, als diesen zu loben: Scholz habe für die Trauer über den in Mannheim getöteten Polizisten die richtigen Worte gefunden. Im Übrigen konzentrierte sich Merz auf Detailkritik. Um Abschiebungen nach Afghanistan zu ermöglichen, müssten „technische Kontakte“ nach Afghanistan genutzt werden. Was nichts anderes bedeuten würde, als dass die Bundesregierung in diesem Punkt mit den Taliban kooperieren solle.

In Deutschland drängte Merz auf ein noch schärferes Vorgehen gegen Islamismus, forderte etwa die die umgehende Schließung des Islamischen Zentrums in Hamburg, das er als „Brutstätte des Islamismus“ bezeichnete. Internetplattformen wie Tiktok müssten strenger kontrolliert, die Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten ausgebaut und IP-Adressen auf Vorrat gespeichert werden können. Letzteres quittierte SPD-Innenministerin Nancy Faeser auf der Regierungsbank mit deutlichem Nicken. Merz bot der Regierung in Sicherheitsfragen Zusammenarbeit an.

Das Hochwasser in Süddeutschland, wo mittlerweile 6 Menschen gestorben sind, erwähnte Merz mit keinem Wort – was die Fraktionsvorsitzende der Grünen Britta Haßelmann auch scharf kritisierte.

Haßelmann zeigte sich ebenfalls offen für die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern. „Islamismus ist der Feind der Demokratie, er muss entschieden bekämpft werden“, so die Grünen-Politikerin. Menschen, die schwere Straftaten begehen, müssten nach Verbüßung der Strafe abgeschoben werden.

Allerdings merkte sie an, dass Abschiebungen nach Afghanistan oder Syrien wohl nicht so einfach würden. Wie sollten Gespräche mit terroristischen Regimen laufen und welche Drittländer sollten sich bereit erklären, abgeschobene Gewalttäter aus Deutschland aufzunehmen? Berechtigte Fragen, auf die weder der Bundeskanzler noch sein zukünftiger Herausforderer Antworten lieferten.

Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg (Grüne), warnt vor einer Zusammenarbeit mit den Taliban. „Die Taliban haben in Afghanistan seit 2021 ein menschenverachtendes Regime errichtet, unter dem besonders Frauen und Kinder leiden“, so Amtsberg zur taz. Es gebe keine Rechtsstaatlichkeit, die humanitäre Lage bleibe prekär. „Jede Ausweisung und jede Abschiebung nach Afghanistan erfordert eine Zusammenarbeit mit diesem islamistischen Terrorregime und damit quasi eine Anerkennung der Taliban. Die wäre aus meiner Sicht ein großer Fehler.“

Der Grüne Bundestagsabgeordnete Julian Pahlke bezeichnete Scholz’ Vorstoß als „realitätsfremd“ und juristisch nicht umsetzbar. Seehofer habe Abschiebungen nach Afghanistan mit der Begründung ausgesetzt, es sei dort weder für die Abzuschiebenden noch für die begleitende Bundespolizei sicher. „Das hat er nicht aus Humanismus gemacht, sondern weil Gerichte die Abschiebungen gekippt hätten“, so Pahlke zur taz. „So würde es jetzt wieder kommen.“ Der Umweg über Pakistan mache rechtlich keinen Unterschied, da es sich um eine Kettenabschiebung handle. „Es ist äußerst zweifelhaft, ob das nach deutschem Recht zulässig wäre.“ Pahlke sieht in den Abschiebeplänen vor allem eins: Wahlkampf.

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