Fusion-Festival und Israel: Existenzrecht? Verhandelbar

Einst war die Idee des Fusion-Festivals, einen Raum ohne Zwänge zu schaffen. Doch mit der Debatte um Nahost wurde dieser Vorsatz aufgekündigt.

Ein Mensch wird auf Händen von Festivalbesuchern gehalten, eine Anarchofahne im Hintergrund

Anarchoverortung: Fusion-Besucher in den vergangenen Jahren Foto: Fusion

Fast 70.000 Leute feierten im vergangenen Jahr vier Tage lang beim Fusion-Festival. Einst war die Fusion ein Techno-Rave, inzwischen sind viele Genres vertreten. Die Fusion war aber mehr als das. „Ferienkommunismus“ war ihr Motto, sie verstand sich als temporäre autonome Zone. Eine bessere Welt ohne Zwänge sollte hier für ein paar Tage aufscheinen.

Doch jetzt muss man befürchten, dass der emanzipatorische Impetus des Festivals von den autoritären Tendenzen einer neuen Generation linker Ak­ti­vis­t*in­nen beschädigt wird, die inzwischen auch die Festivalleitung erfasst zu haben scheinen.

Im Februar hatte das Festival zwei rote Linien formuliert, „das nicht verhandelbare Existenzrecht Israels und die Verherrlichung oder Unterstützung der Hamas“. Das war richtig, denn innerhalb der so gezogenen Grenzen kann jede Kritik an der israelischen Regierung, der Besatzung der palästinensischen Gebiete nach 1967, der Gewalt von jüdischen Siedlern im Westjordanland gegenüber Palästinensern oder Israels Kriegsführung in Gaza formuliert werden.

Doch nun übt sich die Fusion in ihrem Newsletter in „Selbstkritik“, passt also die Beurteilung der Lage an die neue Parteilinie an: „Viele vermissten zu recht eine dritte rote Linie, die den Krieg in Gaza als Völkermord und die israelische Besatzungspolitik als Apartheid benennt mit einer klaren Abgrenzung gegen all diejenigen, die dies unterstützen, negieren oder verharmlosen.“

Rote Linien

Wer also denkt, dass die vielen durch israelische Bomben getöteten Zivilisten in Gaza durch das Verteidigungsrecht Israels nicht zu rechtfertigen sind, und fordert, dass Kriegsverbrechen aufgeklärt werden müssen, zugleich aber darauf hinweist, dass die arabischen Staatsbürger Israels nicht unter Apartheid leiden, sondern unter Diskriminierung, die sie jedoch nicht etwa davon abhält, Richter, Ärzte oder Kampfpiloten zu werden, wird nun mit dem Verdikt der „Verharmlosung“ rechnen müssen.

Es kommt noch schlimmer: „Wir haben uns gescheut, die Begriffe ‚Völkermord‘ und ‚Apartheid‘ selbst zu verwenden, sehen aber inzwischen, dass wir hier falsche Rücksicht auf deutsche Befindlichkeiten genommen haben.“ Auch die Fusion strickt jetzt an einer linken Version des „Schuldkults“.

Kein Wunder, dass sodann die eigene rote Linie infrage gestellt wird. „So undifferenziert und plakativ, wie es aus unserer deutschen Perspektive geschrieben wurde“, schließe das Existenzrecht Israels dasjenige eines palästinensischen Staats de facto aus, heißt es. Durch „die zionistische Großisrael-Politik“ werde „jegliche Perspektive zur Schaffung eines souveränen palästinensischen Staates oder einer israelisch/palästinensischen Ein-Staat-Lösung sabotiert“. Daher sei „für viele palästinensische Fu­sio­nis­t:in­nen die Anerkennung dieses nationalistischen israelischen Staats problematisch, und sie können dies, zumindest so, wie wir es gefordert haben, nicht teilen“. Das solle man respektieren. Klingt nach Awareness-Seminar, aber was bedeutet das?

Werden Aufrufe zur Zerstörung des jüdischen Staats und die Nichtanerkennung eines jüdischen Rechts auf Selbstbestimmung jetzt Platz auf der Fusion haben? Gibt es außer dem jüdischen noch einen anderen Staat, dessen Existenzrecht man jetzt diskutieren darf?

Symptom einer desaströsen Entwicklung

Die Aufkündigung des in der Linken mühsam erkämpften Konsenses, dass Is­raels Existenz nicht verhandelbar ist, ist keine ideologische Fußnote. Sie beschädigt massiv Idee und Praxis emanzipatorischer Politik. Wer die eine rote Linie überschreitet, wird die zweite nicht halten können.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Schon jetzt zeigt sich, dass subkulturelle und linke Gruppen wegen der aggressiv-autoritär agierenden Free-Palestine-Bewegung gelähmt sind oder auseinanderbrechen. Wer nicht „Free Gaza!“ ruft – oder gar mit „From Hamas!“ antwortet, gilt als Zionist, also als Feind der Menschheit. Linke Orte, die sich gegen Antizionismus posi­tio­nie­ren, werden mit roten Dreiecken markiert, mit denen die Hamas ihre Angriffsziele fixiert.

Die Propagandisten in Moskau und Beijing, die längst auch mit Desinformation über den Gaza-Krieg Chaos stiften, klopfen sich auf die Schenkel. Die Statements der Fusion sind das Symptom einer desaströsen Entwicklung. Hoffentlich kriegt sie noch die Kurve.

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Kulturredakteur der taz. Hat Geschichte und Publizistik studiert. Aktuelles Buch: "'Wir sind die Türken von morgen'. Neue Welle, neues Deutschland". (Tropen/Klett-Cotta 2023).

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